2.232 (mu21p): Nr. 232 Die Reichstagsabgeordneten Leicht und Perlitius an den Reichskanzler. 20. Juni 1929

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Text

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Nr. 232
Die Reichstagsabgeordneten Leicht und Perlitius an den Reichskanzler. 20. Juni 19291

1

Über dem Text des Schreibens notierte MinDir. v. Hagenow: „H. RK hat Kts. Wissell soll Besprechung abhalten.“ Die „Germania“ veröffentlichte das Schreiben am gleichen Tag.

R 43 I /2034 , Bl. 258

[Betrifft: Reform der Arbeitslosenversicherung.]

Sehr geehrter Herr Reichskanzler!

Nachdem die interfraktionellen Verhandlungen über eine sofortige Teilreform der Arbeitslosenversicherung gescheitert waren, hat das Reichskabinett beschlossen, daß mit Rücksicht auf die gesamtpolitische Lage, die eine Spätsommertagung[763] des Reichstags erfordert, von einer zweimaligen Gesetzesvorlage über die Arbeitslosenversicherung innerhalb so kurzer Zeit abzusehen sei und daß die endgültige Reform in der Sommertagung zur Verabschiedung gelangt. Der vom Reichsarbeitsminister einberufene Ausschuß soll bis Ende Juli seine Arbeiten beendet haben, so daß für die Spätsommertagung der abschließende Gesetzentwurf vorliegen werde2.

2

Siehe Dok. Nr. 229, P. 3.

Im Gegensatz zu dieser Stellungnahme der Reichsregierung hat die Deutsche Volkspartei den Antrag Nr. 1162 eingebracht3, der als wesentliche Erleichterung des Sofortprogramms nur den in den interfraktionellen Beratungen vom Zentrum (Abgeordneter Riesener) gemachten Vorschlag enthält, dem sich der Vertreter der Bayerischen Volkspartei später angeschlossen hatte4. Die Deutsche Demokratische Partei kündigt nach Pressemeldungen ebenfalls Anträge zu einer sofortigen Reform der Arbeitslosenversicherung an5.

3

Siehe RT-Bd. 436 . Der Antrag datiert vom 19. 6. Die DVP hatte damit einen GesEntw. eingebracht, in dessen erstem Artikel durch Veränderungen des Gesetzes über die Arbeitslosenversicherung die Unterstützungsleistungen herabgesetzt wurden. Im Artikel II wurde die Krisenfürsorge vom 1.7.29 an außer Kraft gesetzt.

4

Im Antrag Riesener-Teusch war die Staffelung der Unterstützung nach der Dauer der Anwartschaft gefordert worden.

5

Der Antrag der DDP wurde am 22. 6. eingebracht (RT-Drucks. Nr. 1193, Bd. 437 ). Danach sollte die Anwartschaft verlängert und der Kreis der unterstützungsberechtigten Personen enger gefaßt werden.

Wir stellen zunächst fest, daß dieses Vorgehen von zwei Regierungsparteien den Abmachungen widerspricht, die der Bildung der jetzigen Reichsregierung zugrunde gelegt worden sind, nämlich die Verpflichtung, „daß zur Gewährleistung eines reibungslosen Ganges der Reichsgeschäfte Anträge von grundlegender Bedeutung überhaupt nur im gegenseitigen Benehmen gestellt oder weiter verfolgt werden“6.

6

Zur Koalitionsformel siehe Dok. Nr. 168.

Die Zentrumspartei und die Bayerische Volkspartei haben in den interfraktionellen Besprechungen keinen Zweifel darüber gelassen, daß auch sie eine Teilreform der Arbeitslosenversicherung noch vor Schluß der jetzigen Sitzungsperiode des Reichstags verlangen. Sie haben alles getan, um eine solche möglich zu machen. Die Verhandlungen aber ergeben, daß dieses Ziel nur erreicht werden kann, wenn innerhalb der die Regierung stützenden Parteien eine Verständigung über das erweiterte Sofortprogramm erzielt wird.

Wir beantragen hiermit ergebenst, unverzüglich eine Besprechung der Fraktionsführer unter Zuziehung der sozialpolitischen Sachverständigen der Fraktionen einzuberufen mit dem Ziel, den Weg zu einem gemeinsamen Vorgehen der Regierungsparteien in der Arbeitslosenversicherungsfrage noch vor der Sommerpause des Reichstags zu finden7. Unsere Fraktionen würden auch[764] bereit sein, notfalls zur Erledigung dieser Aufgabe über den beabsichtigten Schlußtermin hinaus zu tagen.

7

Vertreter der Regierungsparteien, der RArbM, der RFM, der RWiM und der RVM einigten sich in einer Besprechung am 22. 6. darauf, im Plenum des RT eine Entschließung einbringen zu lassen, wonach die RReg. auf den Sachverständigenausschuß einwirken solle, seine Arbeit zu beschleunigen, damit die Gesetzesnovelle in der ersten Augusthälfte vorgelegt werden könne. Diese Vorlage solle vom RT-Präs. ohne Lesung an den Ausschuß überwiesen werden (Vermerk in der Rkei vom 27.6.29; R 43 I /2034 , Bl. 269). Ein entsprechender Antrag wurde vom Ausschuß für soziale Angelegenheiten am 25. 6. gestellt (RT-Drucks. Nr. 1226, Bd. 437 ). Zur Behandlung im RT siehe RT-Bd. 425, S. 3095  ff.

Wir erlauben uns ergebenst davon Kenntnis zu geben, daß wir das gleichlautende Schreiben dem Herrn Reichsarbeitsminister übermittelt haben.

Mit dem Ausdruck unserer Hochschätzung und Ergebenheit

Leicht

Vorsitzender der Reichstagsfraktion der Bayerischen Volkspartei

Dr. Perlitius

Stellvertretender Vorsitzender der Zentrumsfraktion des Reichstags

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