2.35 (mu21p): Nr. 35 Vermerk Staatssekretär Pünders über eine Unterredung des Reichskanzlers mit Reichsbankpräsident Schacht und dem Generalagenten für Reparationszahlungen Parker Gilbert zur Vorbereitung der Sachverständigenkonferenz. 2. Oktober 1928

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Nr. 35
Vermerk Staatssekretär Pünders über eine Unterredung des Reichskanzlers mit Reichsbankpräsident Schacht und dem Generalagenten für Reparationszahlungen Parker Gilbert zur Vorbereitung der Sachverständigenkonferenz. 2. Oktober 19281

1

Über dem Text handschriftlich von Pünder am 2. 10.: „1 Abschrift ist an den RFM u. Hn. v. Schubert gesandt“.

R 43 I /276 , Bl. 259 f.

Herr Reichsbankpräsident Dr. Schacht hatte gestern abend bei mir im Hinblick darauf, daß Herr Parker Gilbert heute abend nach Paris zwecks Reparationsbesprechungen mit Poincaré fährt, einen vorherigen Empfang des Herrn Parker Gilbert unter seiner Beteiligung durch den Herrn Reichskanzler angeregt2. Der Herr Reichskanzler war mit dieser Anregung durchaus einverstanden und der Empfang der Herren Parker Gilbert und Schacht durch den Herrn Reichskanzler hat heute 3.15 Uhr nachmittags unter Beteiligung des Unterzeichneten stattgefunden3. Die Besprechung währte ungefähr eine Stunde und führte zu voller Übereinstimmung in den Grundauffassungen. Diese Übereinstimmung zwischen dem Herrn Reichskanzler und Parker Gilbert ging im wesentlichen dahin:

2

Am 1. 10. hatte bereits eine Besprechung zwischen StS v. Schubert und dem Reparationsagenten stattgefunden, über die v. Schubert eine Aufzeichnung anfertigte (R 43 I /276 , Bl. 271-280).

3

Über das Ergebnis der Genfer Besprechungen hatte zwischen dem RK und dem RBkPräs. bereits am 19. 9. eine Unterredung stattgefunden (MNN vom 20.9.28), deren Inhalt nicht ermittelt werden konnte.

[141] Nachdem durch die Genfer Übereinkunft und die nachfolgenden offiziösen Verlautbarungen die Bereitwilligkeit Deutschlands zu Reparationsverhandlungen klar in Erscheinung getreten sei, solle man nun die Initiative hinsichtlich des Ingangkommens dieser Verhandlungen Frankreich überlassen4. Einen deutschen Finanzplan zuvor zu entwerfen, erschien durchaus untunlich. Auf der anderen Seite bestehe natürlich bei einer französischen Initiative eine gewisse Gefahr darin, daß Frankreich es dann überlassen bliebe, den formellen und materiellen Rahmen der beabsichtigten Besprechungen im eigenen französischen Interesse in gewisser Weise vorher festzulegen. Es müsse daher von vornherein dafür gesorgt werden, daß diese französischen Verhandlungsvorschläge keinerlei unmögliche Voraussetzungen enthielten. Zunächst käme hierfür in Betracht, daß es sich nur um Gesamtlösungen handeln könne, nicht dagegen um eine Teilmobilisierung zur Beseitigung momentaner französischer Schwierigkeiten5. Sodann erschien als weitere selbstverständliche Voraussetzung, daß die Verhandlungsvorschläge nicht durch politische Nebenabsichten belastet werden dürften6. Eine besondere Gefahr sei diesbezüglich zum Beispiel7 darin zu erblicken, wenn in einer etwaigen Eingangsformel8 gesagt werden sollte, daß „auf dem Boden der bestehenden Verträge, insbesondere des Vertrages von Versailles“ in Verhandlungen getreten werden solle. Was die finanztechnische Seite des Problems angehe, so erschien es wünschenswert, diesbezüglich den Rahmen möglichst weit zu spannen, um alle Möglichkeiten hinsichtlich der Mobilisierung, der Festsetzung von Annuitäten usw. den Expertenberatungen offen zu lassen. Schließlich ging die gemeinsame Auffassung dahin, daß bei Aufstellung eines Programms für die Verhandlungen etwaige Schwierigkeiten mit England möglichst sofort ausgeschaltet werden möchten. Bezüglich dieses Punktes beabsichtigt daher auch Parker Gilbert, gleich nach seiner morgigen Aussprache mit Poincaré nach London zu fahren, um dort in diesem Sinne zu arbeiten9. Er ist überhaupt der Auffassung, daß vor Ingangkommen der Expertenberatungen keine langen diplomatischen Verhandlungen geführt werden möchten, da ein solcher Weg große Gefahren in sich schließe. Vielmehr hofft er, auf dem Boden der vorstehend entwickelten Grundsätze alsbald mit Poincaré zu vorläufigen Formulierungen zu kommen, und wird hierüber sofort nach[142] Berlin Nachricht geben. Insgesamt gab er erneut der Auffassung Ausdruck, daß die Dinge jetzt in schnellen Fluß kommen würden. Hinsichtlich der Vereinigten Staaten von Amerika empfahl er erneut, augenblicklich keine weiteren Schritte zu tun. Nachdem das state department in Washington inzwischen über den wahren Sinn der Genfer Vereinbarungen genauestens informiert sei, bestünden dort jetzt keinerlei Schwierigkeiten10.

4

Im Gespräch mit v. Schubert am 1. 10. hatte Parker Gilbert die Möglichkeiten für eine deutsche und für eine deutsch-französische Initiative erörtert (R 43 I /276 , Bl. 271-280, hier: Bl. 272).

5

Gegenüber StS v. Schubert bezifferte Parker Gilbert die Summe, die allein zur Deckung der inneren Schuld Frankreichs erforderlich sei, mit 60 Mrd<in der Druckfassung: Mio; Anm. der Online-Edition> Mark. Deutschland müsse mit 40 Mrd<in der Druckfassung: Mio; Anm. der Online-Edition> Francs belastet werden, damit Frankreich seine äußeren und inneren Schulden begleichen und England seine Schulden an Amerika abtragen könne. v. Schubert erklärte, daß ihn die Höhe der Summe erschrecke (R 43 I /276 , Bl. 271-280, hier: Bl. 278).

6

Der Generalagent hatte am 1. 10. vor einem gemeinsamen deutsch-französischen Schritt zur Verminderung der interalliierten Schulden gegenüber Amerika gewarnt (R 43 I /276 , Bl. 271-280, hier: Bl. 276).

7

Aus: „schon“.

8

Dabei ist an die Formulierung des Auftrags für die Sachverständigen gedacht.

9

Im gleichen Sinn hatte sich Parker Gilbert am 1. 10. gegenüber StS v. Schubert ausgesprochen, der auf die Möglichkeit hingewiesen hatte, daß England die interalliierten Schulden auf Grund der Balfour-Note behandeln werde (R 43 I /276 , Bl. 271-280, hier: Bl. 278). Der englische Botschafter in Berlin sprach sich am 4. 10. für eine endgültige Lösung des Reparationsproblems aus und wollte eine Einladung des Generalagenten durch Baldwin veranlassen (Aufzeichnung v. Schuberts vom 4. 10.; R 43 I /276 , Bl. 281-284, hier: Bl. 284).

10

Zu v. Schubert hatte sich der Reparationsagent am 1. 10. im gleichen Sinne geäußert (R 43 I /276 , Bl. 271-280). Der englische Botschafter meinte am 4. 10. zum StS des AA, die englische Regierung werde eine amerikanische Beteiligung an den Reparationsverhandlungen begrüßen (R 43 I /276 , Bl. 281-284, hier: Bl. 282f).

Pünder

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