1.105.1 (mu22p): 1. Einbringung des „Freiheits-Gesetzes“.

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Kabinett Müller II. Band 2 Hermann Müller Bild 102-11412„Blutmai“ 1929 Bild 102-07709Montage  von Gegnern des Young-Planes Bild 102-07184Zweite Reparationskonferenz in Den Haag Bild 102-08968

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1. Einbringung des „Freiheits-Gesetzes“.

Der Reichsminister des Innern trug den Sachverhalt vor. Er führte aus, daß das endgültige Eintragungsergebnis für das Volksbegehren vom Reichswahl-Ausschuß höchstwahrscheinlich am 23. November festgestellt werden könnte. Es fehlten noch die Ziffern von Ost-Hannover, die jedoch noch heute, am 22. November, eingehen sollten. Die Ziffern aus Ostpreußen würden wahrscheinlich am 23. November vorliegen. Wesentliche Änderungen gegenüber dem vorläufigen Ergebnis würden nicht eintreten. Jedenfalls werde die Mindestziffer von 1/10 der Stimmberechtigten erreicht sein.

[1179] Sein Antrag gehe dahin, das Reichskabinett wolle ihn ermächtigen, für den Fall des Zustandekommens des Volksbegehrens den volksbegehrten Gesetzentwurf dem Reichstag zu unterbreiten.

Darüber hinaus habe er den Wunsch, daß das Reichskabinett und auch die Koalitionsparteien sich über ihre Stellungnahme zu dem volksbegehrten Gesetzentwurf und über die taktische Haltung verständigten. Die Deutschnationalen wünschten Ausschußberatung des Gesetzentwurfs. Entgegen der üblichen Stellungnahme des Reichstags, einer Ausschußberatung zuzustimmen, wenn eine große Partei des Reichstages es verlange, müsse nach seiner Ansicht hier von einer Ausschußberatung Abstand genommen werden. Der Grund bestehe darin, daß die Deutschnationalen selbst nicht ernstlich eine positive Beratung des begehrten Gesetzentwurfs wünschten. Sie, und noch klarer die Nationalsozialisten hätten sich dahin geäußert, sie wollten letzten Endes durch das Volksbegehren den Staat gefährden. Nach seiner Ansicht müßten das Reichskabinett und die Regierungsparteien sich dafür stark machen, daß der Entwurf hintereinander in erster und zweiter Lesung beraten und nach dem vorschriftsmäßigen Zwischenraum in dritter Lesung im Plenum erledigt werde, ohne daß eine Ausschußberatung stattfände.

Der Reichskanzler teilte mit, daß mit den Regierungsparteien hierüber am Montag, dem 25. November 1929, eine Besprechung stattfinden solle1.

1

Siehe Dok. Nr. 364.

Der Reichsminister der Justiz erklärte sich mit den Ausführungen des Reichsministers des Innern einverstanden. Er schlug im übrigen vor, als Schlußsatz zur Anlage 4 folgenden Satz einzufügen:

„Zur Annahme des Gesetzes durch Volksentscheid ist demnach gemäß Artikel 76 Absatz 1 Satz 4 R.V. die Zustimmung der Mehrheit der Stimmberechtigten erforderlich.“2

2

Siehe dazu RT-Drucks. Nr. 1429, Bd. 438 . Dieser Satz ist dort auch Abschluß der Anlage 4.

Anlage 5 bat er ganz fallen zu lassen. In der Debatte im Plenum könnten vielleicht die rechtlichen Ausführungen der Anlage 5 Verwendung finden3.

3

Anlage 5 der Kabinettsvorlage des RIM betrifft die „Auslegung des Artikels 74 der RV“, d. h. das Verhältnis von Volksentscheid zu RT-Beschluß (R 43 I /1889 , Bl. 235, hier: Bl. 235).

Der Reichsminister des Auswärtigen hielt gleichfalls eine Ausschußberatung des volksbegehrten Entwurfs für überflüssig. Man könne vielleicht über diese Frage anders denken, wenn im Ausschuß lediglich juristische Fragen beraten werden sollten. In diesem Falle sei er aber auch dann gegen eine Ausschußberatung.

Er bat im übrigen, in Anlage 3 folgende Änderungen vorzunehmen:

a) Zur Überschrift: Anstatt „Darlegung der Reichsregierung“ soll es „Stellungnahme der Reichsregierung“ heißen4.

4

Der vollständige Titel lautet in der Vorlage: „Darlegung der RReg. zu dem Entwurf eines Gesetzes gegen die Versklavung des Deutschen Volkes“ (R 43 I /1889 , Bl. 234 f., hier: Bl. 234 f.).

b) Im Absatz 4 Satz 2 bat er die Abänderung zu treffen, daß das letzte Wort nicht „ist“, sondern „war“ heißen solle.

[1180] Den nächsten Satz: „Das ist eine feststehende Tatsache, an der keine deutsche Regierung etwas zu ändern vermag“, bat er zu streichen5.

5

Der gesamte Absatz lautete vor der Änderung in der Vorlage des RIM: „Die deutsche Außenpolitik hat in den vergangenen Jahren ihr ganzes Bemühen darauf gerichtet, den Anspruch Deutschlands auf alsbaldige Befreiung der besetzten Gebiete durchzusetzen. Es hat sich erwiesen, daß dies ohne gleichzeitige Neuregelung der Reparationsfrage nicht möglich ist. Das ist eine feststehende Tatsache, an der keine deutsche Regierung etwas zu ändern vermag. Die Lossagung von dem auf der Haager Konferenz getroffenen Vereinbarungen würde deshalb die Räumung des Rheinlands völlig ins Ungewisse stellen und eine schnelle Regelung der Saarfrage unmöglich machen“ (R 43 I /1889 , Bl. 235, hier: Bl. 235).

c) Im Absatz 5 bat er den letzten Satz folgendermaßen zu fassen: „Sie ist auch heute noch der Überzeugung, daß die Rückkehr zu der Regelung des Dawes-Plans für Deutschland eine sehr viel schwerere Belastung bedeuten würde.“6

6

Dieser Satz hatte in der Vorlage des RIM gelautet: „Sie [die RREg.] ist auch heute noch der Überzeugung, daß die Rückkehr zu der Regelung des Dawes-Planes und ihre unvermeidlichen Folgen zu einer schweren Gefahr für das künftige Schicksal Deutschlands führen müßten“ (R 43 I /1889 , Bl. 235, hier: Bl. 235).

Der Reichsminister des Innern stimmte den beantragten Änderungen zu. Er führte im übrigen aus, daß bei den Reichstagsverhandlungen am besten der Reichsminister des Auswärtigen nach Möglichkeit in den Vordergrund trete. Von den Befürwortern des Volksbegehrens sei der Vorwurf erhoben worden, daß der marxistische Reichsminister des Innern sich des Volksbegehrens bemächtigt habe; infolgedessen handele es sich um einen Kampf des Marxismus gegen die Feinde des Marxismus7.

7

Vgl. hierzu die Begründung von Curtius für sein Auftreten vor dem RT am 29.11.29, RT-Bd. 426, S. 3285  f.; siehe auch Curtius, „Sechs Jahre Minister der deutschen Republik“, S. 109.

Der Reichskanzler stimmte diesen Ausführungen grundsätzlich zu. Er erklärte jedoch, daß der Rahmen der Reichstagsverhandlungen nach Möglichkeit nicht erweitert werden solle. Er selber rechne auch mit der Möglichkeit, im Reichstag angegriffen zu werden, da schon seit einiger Zeit in der Öffentlichkeit der Vorwurf gegen ihn erhoben worden sei, er habe den Reichspräsidenten über den volksbegehrten Gesetzentwurf und insbesondere über den § 4 des Entwurfs falsch unterrichtet.

Der Reichsminister der Finanzen erklärte es für das beste, wenn die Regierungsparteien eine gemeinsame Erklärung abgäben.

Der Reichskanzler erwiderte, daß auch hierüber am Montag, dem 25. November, mit den Regierungsparteien gesprochen werden solle.

Das Reichskabinett faßte folgenden Beschluß:

I. Das Reichskabinett ermächtigt den Reichsminister des Innern, für den Fall des Zustandekommens des Volksbegehrens den volksbegehrten Gesetzentwurf dem Reichstag zu unterbreiten.

[II.–IV. Annahme der beantragten Änderungen in der Vorlage des RIM.]

V. In der Besprechung mit den Regierungsparteien am Montag, dem 25. November, soll u. a. nach Möglichkeit angestrebt werden, daß die Regierungsparteien sich gegen eine Ausschußberatung des volksbegehrten Gesetzentwurfs erklären und zu dem Entwurf eine gemeinsame Regierungserklärung abgeben.

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