1.115.1 (mu22p): 1. Haag und Finanzpolitik.

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1. Haag und Finanzpolitik1.

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Dieser Tagesordnungspunkt lautet in der Zusammenstellung der Beratungsgegenstände: „Haag und Finanzpolitik in Verbindung mit Entwurf eines Gesetzes über befristete Erhöhung des Beitrags in der Arbeitslosenfürsorge.“

Der Reichskanzler erklärte, daß das Kabinett sich in teilweiser Abänderung der Tagesordnung in erster Linie mit dem Memorandum des Reichsbankpräsidenten zum Young-Plan befassen müsse. Er stellte fest, daß der Reichsbankpräsident das Memorandum am Spätabend des 5. Dezember der Presse zur Veröffentlichung übergeben habe, während er selbst einen Abdruck mit einem Begleitschreiben des Reichsbankpräsidenten erst mit der Morgenpost des heutigen Tages erhalten habe2.

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Siehe Anm. 1 zu Dok. Nr. 369. – Vor dieser Ministerbesprechung hatten der RWiM, StS Trendelenburg und MinDir. Schäffer eine Besprechung. „Wir waren uns darüber einig, daß auf alle Fälle ein Konflikt vermieden werden müsse, da wir die Rbk nicht entbehren könnten. Ich sagte deshalb auch vor der Sitzung zu Popitz: ‚Und wenn Sie den Tanz der sieben Schleier tanzen, den Kopf des Jochanaan werden Sie nicht bekommen.‘ Es gelang mir dann auch zusammen mit dem Kanzler, die Kabinettsmitglieder, die ein sofortiges Vorgehen gegen Schacht verlangten, davon abzubringen“ (BA: Nachlaß Moldenhauer  3, S. 13).

Verschiedene der Herren Reichsminister erklärten, daß auch sie bereits in der Nacht von den Zeitungsredaktionen, die im Besitz des Memorandums waren, in der Sache angerufen worden seien.

Der Reichskanzler berichtete sodann, daß er im Laufe der Woche mit Dr. Schacht über die von ihm in dem Memorandum behandelten Fragenkomplexe mündlich verhandelt habe, und zwar zuerst am Dienstag, dem 3. Dezember, unter vier Augen und später am Mittwoch in Gegenwart der Reichsminister Curtius, Wirth und Moldenhauer3. Zum äußeren Anlaß der Unterredung mit Dr. Schacht habe er die Tatsache genommen, daß in der letzten Zeit wiederholt maßgebende Führer der Wirtschaft zu ihm gekommen seien, um der Reichsregierung die Notwendigkeit einer alsbaldigen Klärung des Finanzprogramms nahezulegen. Er habe dieserhalb mit dem Reichsbankpräsidenten sprechen wollen. Schacht habe seinerseits von einer Vertrauenskrise der Wirtschaft gesprochen und habe zunächst angeregt, daß Reichsregierung und Reichsbankpräsident[1232] in einem gemeinsamen Aufruf vor die Öffentlichkeit treten möchten. Da er dies aber abgelehnt habe, habe Schacht erklärt, daß er sich vorbehalten müsse, seinen Standpunkt der Öffentlichkeit zu unterbreiten. An der Finanzgebarung des Reichs habe Dr. Schacht lebhafte Kritik geübt. Er habe gesagt, daß er, wenn er sich aus seinem Gewissen heraus zu einem Schritt in der Öffentlichkeit verpflichtet fühlen sollte, er dies jedenfalls in einer Form tun würde, die keinen Schaden verursachen werde. Inhalt und Form des von Dr. Schacht nunmehr veröffentlichten Memorandums zwinge die Regierung aber zu einer scharfen Stellungnahme, sowohl in der breiten Öffentlichkeit wie auch im Reichstage. Er meinte, daß man dem Reichsbankpräsidenten gegenüber betonen müsse, daß eine Auseinandersetzung über die Finanzreform in erster Linie nur den Reichstag angehe.

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Am 3. 12. hatten der RK und der RbkPräs. u. a. die Kassenlage des Reichs erörtert (Pünders Tagebucheintragung vom 6. 12.; Politik in der Rkei, S. 27), nachdem am Vortage der RK mit dem RFM und StS Popitz finanzpolitische Tagesfragen besprochen hatte (Tagebucheintragung Pünders vom 2. 12.; a.a.O.). Zur Besprechung am 4. 12. siehe Dok. Nr. 367.

Der Reichskanzler bedauerte, daß der Reichsbankpräsident sich durch die ihm in den mündlichen Vorbesprechungen gegebene weitgehende Aufklärung über das, was die Regierung für die Entlastung der Wirtschaft und die Neuordnung der Finanzen zu tun beabsichtigt, von seinem Schritt in der Öffentlichkeit nicht habe abhalten lassen. Er habe Schacht auch in Aussicht gestellt, daß er von der Reichsregierung auf der kommenden Haager Konferenz zu aktiver Mitarbeit herangezogen würde. Ob dies nach der überraschenden Veröffentlichung jetzt noch möglich sein werde, erscheine ihm sehr zweifelhaft. Es sei wohl unmöglich, daß die Reichsregierung Dr. Schacht angesichts der offenen Differenzen mit ihm im Haag als Delegierten auftreten lasse. Seine Zuziehung als Sachverständiger müsse vorbehalten bleiben. Auch innenpolitisch seien durch das Memorandum große Schwierigkeiten geschaffen worden. Zur Abwehr des Memorandums genüge nicht eine einfache Erklärung vor der Öffentlichkeit, vielmehr müßte die Reichsregierung im Reichstag dazu Stellung nehmen. Die Fraktionsführer der Koalitionsparteien seien von ihm bereits auf Dienstag vormittag [10. 12.] zu einer Besprechung eingeladen worden4. Wenn man den Dienstag nachmittag für die Beratungen der Fraktionen vorsehe, könne die Reichsregierung am Mittwoch im Plenum des Reichstags zur Sache Stellung nehmen. Er denke sich die Sache so, daß die Reichsregierung in einer eingehenden formulierten Regierungserklärung ihr Programm vorlege und für dieses Programm ein positives Vertrauensvotum des Reichstags fordern müsse. Insbesondere müsse erreicht werden, daß der Reichstag durch sein Vertrauensvotum sich grundsätzlich auf das Steuersenkungsprogramm der Reichsregierung festlege. Nur, wenn eine derartig klare Entscheidung herbeigeführt sei, könne die Reichsregierung sich demnächst im Haag auf der kommenden Konferenz sehen lassen.

4

Siehe Dok. Nr. 375.

In der nachfolgenden Aussprache wurden die grundsätzlichen Ausführungen des Reichskanzlers von den Mitgliedern des Reichskabinetts gebilligt. Das Reichskabinett war darin einig, daß noch am gleichen Tage in einer klaren kurzen energischen Verlautbarung zu dem Memorandum Stellung genommen werden und daß die Öffentlichkeit auf die von der Reichsregierung herbeizuführende Auseinandersetzung im Reichstage hingewiesen werden müsse. Es wurde ferner auf die Notwendigkeit hingewiesen, sich alsbald über das Finanzprogramm[1233] abschließend schlüssig zu werden. Zu diesem Ziele wurde für Montag, den 9. eine Ministerbesprechung in Aussicht genommen5. Mit den Vorschlägen des Reichskanzlers, die dahingehen, daß am Dienstag mit den Fraktionen gesprochen werden und daß am Mittwoch, dem 11. die Auseinandersetzung im Plenum des Reichstags stattfinden soll, war man einverstanden6.

5

Siehe Dok. Nr. 374, P. 2.

6

Die Regierungserklärung wurde erst am 12. 12. abgegeben (RT-Bd. 426, S. 3535  ff.). Das von Pünder entworfene und vom RK überarbeitete Konzept der Erklärung befindet sich in R 43 I /1934 , Bl. 3-31, hier: Bl. 3-31.

Das Kabinett erörterte sodann sehr eingehend die in die Verlautbarung aufzunehmenden Elemente. Die Formulierung eines Entwurfs wurde daraufhin einer kleinen Kommission von Ressortvertretern, die ihre Arbeit sofort begannen, übertragen7.

7

Die Presseverlautbarung wurde am Vormittag noch nicht fertiggestellt, sondern die Presse erhielt nur eine vorläufige Mitteilung. Die Besprechung wurde dann auf den Nachmittag vertagt (Zusatz nach P. 3 der Tagesordnung).

Über die von dem Reichsarbeitsminister in seiner dem Kabinett vorliegenden Vorlage […] vorgeschlagene befristete Erhöhung des Beitrages in der Arbeitslosenversicherung soll im Rahmen des Finanzprogramms am Dienstag, dem 10. 12. zunächst mit den Fraktionen verhandelt werden8.

8

Das Problem der Beitragserhöhung wurde bereits am 9. 12. vom RKab. behandelt (Dok. Nr. 374, P. 2).

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