1.145.9 (mu22p): VIII. Sanktionsfrage.

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Kabinett Müller II. Band 2 Hermann Müller Bild 102-11412„Blutmai“ 1929 Bild 102-07709Montage  von Gegnern des Young-Planes Bild 102-07184Zweite Reparationskonferenz in Den Haag Bild 102-08968

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VIII. Sanktionsfrage.

Der Reichsminister für die besetzten Gebiete trug kurz den in der Vormittagssitzung erörterten Sachstand vor.

Der Reichskanzler forderte den Reichsbankpräsidenten Dr. Schacht auf, sich dazu zu äußern, wie nach seiner Meinung Ziffer 102 des Young-Planes zu interpretieren sei, insbesondere darüber, ob er14 mit der Sanktionsfrage in Verbindung gebracht werden könne15.

14

Darüber mit Bleistift: „sie?“.

15

Ziffer 102 betrifft die Aufhebung der Kontrollen (RGBl. 1930 II, S. 440 ).

Dr. Schacht erwiderte, daß der Auftrag der Pariser Sachverständigen auf wirtschaftliche Fragen begrenzt gewesen sei. Ziffer 102 beziehe sich nur auf die wirtschaftlichen Pfänder des Dawes-Plans. Mit politischen Fragen seien die Pariser Sachverständigen nicht befaßt gewesen. Er müsse aber sagen, daß alle Mitglieder des Young-Komitees bei ihrem Plan von der selbstverständlichen Voraussetzung ausgegangen seien, daß der neue Plan nur dann eingeführt werden könne, wenn alle mit dem Kriege zusammenhängenden politischen Streitfragen zwischen den beteiligten Nationen restlos beseitigt seien. Der neue Plan sei als ein Friedensinstrument gedacht, das nur auf der Basis restloser Auslöschung der Nachkriegsmethoden lebensfähig sei. In materieller Hinsicht fixiere der Young-Plan das Maximum dessen, was Deutschland zugemutet werden könne. Die deutschen Sachverständigen hätten den ausdrücklichen Vorbehalt gemacht, daß sie die im Plan vorgesehene ziffernmäßige Belastung Deutschlands für zu hoch hielten. Aus diesem Grunde sehe der Plan ein permanentes Expertenkomitee zur Findung einer erträglichen Endlösung vor16. Auf allen beteiligten Mächten laste die Verpflichtung, in gemeinsamer Zusammenarbeit die tragbare Endlösung zu finden.

16

Gemeint ist der beratende Sonderausschuß der BIZ nach Ziffer 119 des Sachverständigenplans (RGBl. 1930 II, S. 448 ).

[1321] In politischer Hinsicht vertrage der neue Plan keine Benachteiligung und Schlechterstellung Deutschlands gegenüber den anderen Mächten, weil sonst der Plan undurchführbar sei. Von diesem Rechtsboden dürfe die deutsche Delegation nach seiner Meinung nicht abgehen. Die Grundidee des neuen Planes sei die, daß die Reparationsschuld in eine reine Handelsschuld verwandelt werde. Eine Kommerzialisierung unter gleichzeitiger Aufrechterhaltung militärischer Zwangsmöglichkeiten widerspreche dem Geist und dem Zweck des Young-Planes und dürfe von Deutschland nicht mitgemacht werden, wenn es sich nicht freiwillig mit dem Young-Plan in Widerspruch setzen wolle.

Der Reichsbankpräsident ging dann kurz auf sein Memorandum ein, in dem er dargelegt habe, daß die Reichsregierung durch die in der Zwischenzeit übernommenen Verpflichtungen bereits gegen die von ihm entwickelte These der deutschen Sachverständigen verstoßen habe. Nach seiner Meinung müsse die deutsche Delegation im Haag den Standpunkt vertreten, daß alle im Young-Plan nicht ausdrücklich vorgesehenen Verpflichtungen, zu denen er die deutschen Verpflichtungen aus dem deutsch-polnischen Abkommen, ferner den Verzicht auf den Überschuß von 400 Millionen RM, die Verpflichtungen aus dem belgischen Markabkommen und schließlich den Verzicht auf die Liquidationsüberschüsse rechne, dem Young-Plan widersprächen und daher rückgängig gemacht werden müßten.

Von verschiedenen Reichsministern, insbesondere dem Reichsminister des Auswärtigen und dem Reichsminister der Finanzen wurde dem Reichsbankpräsidenten entgegengehalten, daß der von ihm entwickelte Standpunkt sich nicht mit der Auffassung der übrigen Sachverständigen, Geheimrat Kastl und Melchior, decke17. Im übrigen verstoße der von der Reichsregierung mit Polen abgeschlossene Vertrag auch nicht gegen das von ihm entwickelte Prinzip des Young-Planes, da für den deutschen Verzicht wichtige Gegenwerte in Form der Sicherung der nationalen Minderheiten in Polen erreicht seien. In den übrigen Fragen habe die Reichsregierung nach Lage der Verhältnisse nicht mehr wie geschehen erreichen können.

17

Siehe hierzu die Anmerkungen zur Anlage des Dok. Nr. 369.

Auf eine Frage des Reichsministers der Finanzen, wie stark Dr. Schacht das Interesse Frankreichs am Zustandekommen des Young-Planes einschätze, erwiderte er, daß sich Deutschland unbedenklich auf den von ihm, Dr. Schacht, entwickelten Thesen versteifen könne, weil Frankreich unbedingt auf den Young-Plan angewiesen sei; denn der Young-Plan sichere Frankreichs Verpflichtungen gegenüber Amerika weit besser als der Dawes-Plan. Die Ablehnung des Young-Planes und die Rückkehr zum Dawes-Plan werde im übrigen von der deutschen Wirtschaft ertragen werden können. Die Erfahrung habe gezeigt, daß die deutsche Wirtschaft ihren Kredit im Auslande nicht verloren habe. Nur von der Finanzwirtschaft der öffentlichen Hand drohe dem deutschen Kredit im Auslande Gefahr. Wenn die deutsche Wirtschaft ihren Kredit dazu verwende, um ihn der öffentlichen Hand zuzuwenden, so führe das allerdings ins Verderben. Die öffentliche Hand müsse sich ausschließlich aus Steuererträgnissen nähren.[1322] Der Wirtschaft werde der für sie erforderliche Kredit in ausreichendem Maße erhalten bleiben.

Nach seiner Überzeugung werde im Haag nur dann etwas erreichbar sein, wenn Deutschland entschlossen sei, bei seiner Erreichung seiner Ziele den Young-Plan abzulehnen.

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