1.170.1 (mu22p): 1. Formale Verabschiedung der das Haager Abkommen betreffenden Gesetzentwürfe.

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1. Formale Verabschiedung der das Haager Abkommen betreffenden Gesetzentwürfe.

Dem Reichskabinett lagen folgende drei Gesetzentwürfe vor:

1.

Entwurf eines Gesetzes über die Haager Konferenz 1929/19301,

2.

Entwurf eines Gesetzes über die Abkommen zur Regelung von Fragen des Teiles X des Vertrages von Versailles2,

3.

Entwurf eines Gesetzes über das deutsch-amerikanische Schuldenabkommen3.

1

Siehe RT-Drucks. Nr. 1619, Bd. 439 ; als Gesetz in RGBl. 1930 II, S. 39  ff.

2

Siehe RT-Drucks. Nr. 1621, Bd. 439 ; als Gesetz in RGBl. 1930 II, S. 539  ff.

3

Siehe RT-Drucks. Nr. 1620, Bd. 439 ; als Gesetz in RGBl. 1930 II, S. 385  ff.

Der Reichsminister des Auswärtigen trug den wesentlichen Inhalt dieser drei Gesetzentwürfe vor.

Auf seinen Vorschlag erklärte sich das Reichskabinett damit einverstanden, daß der Entwurf des ersten Gesetzes vom Gesamtkabinett unterzeichnet wird, während die beiden anderen Gesetze lediglich die Unterschrift des federführenden Ressortministers tragen sollen4.

4

Die beiden Gesetze sind von Curtius und Moldenhauer unterzeichnet worden.

Zum zweiten Gesetz bemerkte der Reichsminister des Auswärtigen daß zwar keine staatsrechtliche Bindung für eine gleichzeitige Verabschiedung dieses Gesetzes mit dem Gesetz über die Haager Konferenz 1929/1930 bestehe, daß aber, politisch gesehen, tatsächlich ein starker Zusammenhang im Sinne einer gleichzeitigen Verabschiedung begründet sei, daß er deshalb dringend empfehle, für die gleichzeitige Verabschiedung der Gesetze einzutreten. Er bat ferner,[1399] mit der Einbeziehung des deutsch-polnischen Abkommens vom 31. Oktober 1929 in den Gesetzentwurf einverstanden zu sein. Eine Nichtverabschiedung dieses Polenvertrages gleichzeitig mit den Young-Gesetzen bedeute eine Vertragsverletzung gegenüber Polen5. Mit Polen würden zur Zeit über den Inhalt des Abkommens noch Nachverhandlungen in Warschau geführt. Er bat um die Ermächtigung, das Abkommen gleichwohl in der jetzt vorliegenden Gestalt an den Reichsrat weiter leiten zu können und ferner, die auf Grund der Nachverhandlungen sich ergebenden Änderungen später in den Gesetzentwurf einfügen zu können. Über die Änderungen werde er das Kabinett alsdann sobald als möglich unterrichten.

5

Siehe Art. VI des Abkommens vom 31.10.29 (RGBl. 1930 II, S. 550 ).

Der Reichskanzler erklärte, daß er, einer Anregung des Zentrums entsprechend, am kommenden Montag, den 3. Februar 1930 die Parteiführer über den Stand und Fortgang der Saarverhandlungen sowie über das polnische Liquidationsabkommen unterrichten wolle6.

6

Siehe Dok. Nr. 430.

Das Kabinett nahm hiervon Kenntnis.

Der Reichsminister der Finanzen behandelte sodann die im Artikel III des eingangs zu 2) genannten Gesetzes geregelte Frage der Entschädigung der durch das deutsch-polnische Abkommen geschädigten Reichsangehörigen7. Er erklärte, daß beabsichtigt sei, die Entschädigungen im wesentlichen auf die Summe zu bemessen, die die Geschädigten auf Grund eines obliegenden Urteils des Gemischten Schiedsgerichts erhalten haben würden; jedoch soll keine Entschädigung für rückständige Zinsen gewährt werden. Bei den zu Entschädigenden handele es sich durchweg um Kleingeschädigte. Daneben seien drei Großgeschädigte abzufinden, mit denen er einen Vergleich herbeiführen zu können glaube. Er schätzte die Gesamtsumme der zu leistenden Entschädigungszahlungen auf 250 Millionen RM, wovon ein Betrag von 100 Millionen RM bereits geleistet sei.

7

Art. III behandelt die Beendigung der Liquidationen vom 1.9.29 ab (RGBl. 1930 II, S. 549  f.).

Der Reichsminister der Finanzen bemerkte weiter, daß neben dieser Entschädigung der Reichsangehörigen im Zusammenhang mit dem deutsch-polnischen Abkommen noch zwei weitere Gruppen von Schadensfällen zu erledigen sein würden:

1.

Eine gewisse Entschädigung der sogenannten Optanten, d. h. der Reichsangehörigen, die nach der Abtretung des Staatsgebiets die polnische Staatsangehörigkeit erworben hätten, und

2.

Maßnahmen zur Besitzbefestigung der deutschen Grenzbevölkerung.

Er schätzte die Höhe der für die erstere Kategorie aufzuwendenden Mittel auf 50 Millionen RM. Diese Summe soll über eine Reihe von Jahren verteilt werden. Für die zweite Kategorie soll im Rahmen der Mittel des Ostfonds Vorsorge getroffen werden.

Der Reichsminister der Finanzen schloß mit dem Bemerken, daß aus der Sonderregelung für die auf Grund des deutsch-polnischen Abkommens geschädigten[1400] Reichsangehörigen unter keinen Umständen irgendwelche Rückwirkungen auf die Ausgestaltung des Kriegsschäden-Schlußgesetzes zugelassen werden dürfen.

Der Reichsminister des Auswärtigen empfahl, mit der im Art. III des Gesetzentwurfs vorgesehenen Regelung einverstanden zu sein, und über die Frage der Art und des Umfangs der Entschädigung bereits am kommenden Montag, den 3. Februar mit den Parteiführern zu verhandeln.

Auf Wunsch des Reichsministers des Auswärtigen behandelte Ministerialdirektor Ritter sodann die Frage der Vorlage der zur Erörterung stehenden Gesetzentwürfe an den Reichswirtschaftsrat.

Ministerialdirektor Ritter führte aus, daß nach § 41 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Reichsministerien sozialpolitische und wirtschaftspolitische Gesetzentwürfe von grundlegender Bedeutung, die von der Reichsregierung genehmigt sind, vor ihrer Einbringung beim Reichsrat dem Reichswirtschaftsrat zur Begutachtung vorzulegen seien. Auf den vorliegenden Fall treffe diese Bestimmung nicht zu. Es handele sich zwar um Gesetze mit sozialpolitischen und wirtschaftspolitischen Auswirkungen, aber der Reichswirtschaftsrat könne diese Gesetze nur im Ganzen annehmen oder verwerfen, da es sich bei den Gesetzen um internationale Verträge handele, die in den Einzelheiten nicht mehr abänderbar seien. Eine gutachtliche Stellungnahme zu Einzelheiten komme daher nicht in Frage. Bei den Dawes-Gesetzen sei der Reichswirtschaftsrat auch nicht gehört worden. Die Reichsregierung habe damals die Dawes-Gesetze dem Reichswirtschaftsrat zur Kenntnisnahme übersandt, und der Reichswirtschaftsrat habe gegen dieses Verfahren keinen Widerspruch erhoben. Es empfehle sich daher auch jetzt, die zur Erörterung stehenden Gesetze dem Reichswirtschaftsrat lediglich zur Kenntnisnahme zu übersenden.

Das Reichskabinett war mit diesem Vorschlage einverstanden.

Staatssekretär Dr. Zweigert erörterte sodann die Frage, ob das deutsch-polnische Liquidationsabkommen zu seiner Annahme einer ⅔ Mehrheit im Reichstag bedürfe. Er bemerkte, daß die Ressorts diese Frage geprüft und zu dem Ergebnis gekommen seien, daß eine ⅔ Mehrheit im Reichstag nicht erforderlich sei. Nunmehr seien ihm aber 2 Gutachten des Staatsrechtslehrers Triepel und des Professors Erich Kaufmann bekannt geworden, die zu dem Ergebnis kämen, daß das deutsch-polnische Abkommen verfassungsändernd sei. Auf wessen Veranlassung die Gutachten erstattet worden seien, sei ihm nicht bekannt. Man müsse aber selbstverständlich damit rechnen, daß sie demnächst bei den Verhandlungen im Reichstag von interessierter Seite vorgelegt werden würden. Die Ressorts hätten sich mit diesen Gutachten bereits kurz befaßt und seien zu dem Ergebnis gekommen, daß sie an dem früheren Standpunkt, wonach das Übereinkommen nicht verfassungsändernd ist, festhalten8. Er empfehle, daß sich die Reichsregierung dem Reichstag gegenüber nicht auf dieses Gutachten der Ressorts allein beschränke, vielmehr den abweichenden Gutachten[1401] von Triepel und Kaufmann ihrerseits ein Gutachten des Staatsrechtslehrers Anschütz und des Professors Karl Schmidt von der Berliner Handels-Hochschule gegenüber stelle. Die Herren Anschütz und Schmidt würden zur Erstattung des Gutachtens für die Reichsregierung sicherlich bereit sein. Das Gutachten von Triepel sei vorwiegend auf Artikel 153 der RV aufgebaut. Triepel verneine in dem zur Erörterung stehenden Fall, daß eine Enteignung zum Wohle der Allgemeinheit vorliege. Demgegenüber stünden die Reichsressorts auf dem Standpunkt, daß das, was als Gemeinwohl im Sinne der in Frage kommenden Bestimmungen der RV anzusehen sei, eine nach politischen Gesichtspunkten zu entscheidende Tatfrage sei, die zu entscheiden Herr Triepel nicht berufen sei. Das Gutachten von Professor Kaufmann stütze sich in der Hauptsache auf Artikel 112 Abs. 2 der RV, welcher besage, daß dem Ausland gegenüber alle Reichsangehörigen inner- und außerhalb des Reichsgebietes Anspruch auf den Schutz des Reiches haben. Kaufmann leite aus dieser Bestimmung die Verpflichtung der Reichsregierung zur absoluten Verteidigung des Eigentums der Reichsangehörigen gegenüber dem Auslande ab. Er irre aber, wenn er meine, daß durch diese Bestimmung die Deutschen im Ausland besser gestellt werden müßten, als die Deutschen im Inland, die der Enteignungsgesetzgebung unterliegen.

8

Neben den angeführten Gutachten findet sich ein drittes des ehem. RGPräs. Simons in R 43 I /124 , Bl. 135-172, hier: Bl. 135-172. Simons hatte seine Ansicht, daß der GesEntw. verfassungsändernden Charakter habe, wie Triepel auf den Art. 153 RV gestützt.

Staatssekretär Joël äußerte sich im gleichen Sinne wie Staatssekretär Zweigert.

Der Reichskanzler stellte darauf das Einverständnis des Reichskabinetts damit fest, daß die Professoren Anschütz und Schmidt um die Erstattung eines Gutachtens ersucht werden sollen.

Der Reichsverkehrsminister erklärte, daß er nicht verschweigen dürfe, daß im Zentrum große Bedenken gegen die Verabschiedung des Polen-Abkommens bestünden, und daß die Gefahr bestehe, daß das Zentrum nicht geschlossen für die Annahme des Abkommens eintreten werde. Er wolle die Frage im Augenblick nicht vertiefen, empfehle aber, bei der in Aussicht genommenen Parteiführerbesprechung diesem Punkte besondere Bedeutung beizumessen.

Der Reichskanzler stellte das Ergebnis der Aussprache dahin zusammen:

1. Das Kabinett billigt die drei vorgelegten Gesetzentwürfe.

2. Der Entwurf eines Gesetzes über die Haager Konferenz 1929/30 wird vom Gesamtkabinett unterzeichnet.

3. Die beiden anderen Gesetze werden mit der Unterschrift des federführenden Ressortsministers an den Reichsrat weitergeleitet.

4. Dem Reichswirtschaftsrat werden die Gesetze lediglich zur Kenntnisnahme übersandt.

5. Die Professoren Anschütz und Schmidt sollen ersucht werden, ein Gegengutachten zu den Gutachten von Professor Triepel und Professor Erich Kaufmann zur Frage des verfassungsändernden Charakters des deutsch-polnischen Übereinkommens zu erstatten.

6. Die zu den Gesetzentwürfen von den federführenden Ressorts zu fassenden Denkschriften können ohne vorherige Beratung im Kabinett an den Reichsrat übersandt werden.

[1402] Der Reichsminister des Auswärtigen bemerkte noch, daß er dem Reichsrat das Polenabkommen mit Rücksicht auf die noch schwebenden Nachverhandlungen nicht vor dem 3. Februar werde vorlegen können, und daß sich infolgedessen die Verabschiedung der Gesetze im Reichsrat, entgegen dem ursprünglichen Plan bis zum 4. oder 5. Februar hinauszögern werde. Infolgedessen werde auch die 1. Lesung der Gesetze im Reichstag nicht schon am 5. Februar, vielmehr erst einige Tage später vor sich gehen können. Es sei ratsam, dieserhalb möglichst alsbald mit dem Reichstagspräsidenten zu sprechen.

Der Reichsarbeitsminister brachte zur Sprache, daß bei der Beratung des neuen Reichsbahngesetzes im Reichstag an die Reichsregierung die Frage gestellt werden würde, ob die Reichsregierung das Arbeiterelement stärker als bisher zum Verwaltungsrat der Reichsbahn heranziehen wolle. Er empfehle, daß die Reichsregierung zu dieser Frage möglichst bald Stellung nehme.

Der Reichsverkehrsminister erwiderte, daß er selbstverständlich die Absicht habe, das Arbeiterelement stärker wie bisher am Verwaltungsrat zu beteiligen. Es sei indessen unmöglich, dies so schnell und so weitgehend zu tun, wie die Organisationen dies wünschten. Für die nächste Zeit werde bei der Zusammensetzung des Verwaltungsrats in erster Linie auf die Kreditfähigkeit der Reichsbahngesellschaft Rücksicht zu nehmen sein.

Staatssekretär Dr. Trendelenburg erläuterte sodann kurz den Artikel III des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bankgesetzes. Dieser sieht vor, daß die Gewinnverteilungsvorschriften des § 37 des Bankgesetzes mit Wirkung erstmalig für das Geschäftsjahr 1930 gesetzlich abzuändern sind. Er teilte mit, daß über die vorzunehmenden Änderungen zunächst Besprechungen mit dem Reichsbankdirektorium gepflogen würden, und daß eine Verständigung zwischen den Ressortministern und dem Reichsbankdirektorium vorbereitet werde. Das Ergebnis dieser Verständigung solle dem Generalrat der Reichsbank in seiner nächsten Sitzung zur Genehmigung unterbreitet werden. Er bat, den Reichswirtschaftsminister zu ermächtigen, die im Einvernehmen mit den Organen der Reichsbank zu findende Regelung demnächst in den Entwurf des Reichsbankgesetzes einsetzen zu können.

Der Reichskanzler stellte fest, daß gegen diesen Vorschlag Bedenken nicht geltend gemacht wurden.

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