1.196.1 (mu22p): Eine außenpolitische Angelegenheit.

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Kabinett Müller II. Band 2 Hermann Müller Bild 102-11412„Blutmai“ 1929 Bild 102-07709Montage  von Gegnern des Young-Planes Bild 102-07184Zweite Reparationskonferenz in Den Haag Bild 102-08968

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Eine außenpolitische Angelegenheit2.

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Der RK hatte über die politischen Beziehungen zu Rußland, deretwegen er bedenklich gestimmt war, mit dem RAM gesprochen. Dies teilte StS Pünder dem StS im AA mit. Müller halte die von Botschafter von Dirksen angeregte große Erklärung für unerträglich und erwarte einen Antrag auf Erörterung im Kabinett (17.2.30; R 43 I /138 , Bl. 172 f., hier: Bl. 172 f.). Zum Verlauf der Ministerbesprechung vom 20. 2. notierte Schäffer in seinem Tagebuch: „Rußland. Der Außenminister trägt vor: Eine generelle Bereinigung mit Rußland ist notwendig. Klare Aussprache, dadurch Kredit. Kommunistische Bestrebungen dürfen nicht weiter geduldet werden. Wirth: Das Vorgehen der Russen gegen die Kirche hat so gewirkt, daß man vorläufig weder im Kredit noch politisch etwas mit Rußland machen darf. Man muß ihnen erst zeigen, wie ihr Verhalten wirkt. Severing hält ein mehrmonatliches Zurückhalten Rußland gegenüber für notwendig, und während dieser Zeit sind die Kommunisten scharf anzufassen. Die Haussuchungen haben nichts über die Beziehungen zu Rußland ergeben. Das war auch nicht zu erwarten, weil man solches Material nur in diplomatisch geschützten Gebieten hält. Keine Auflösung der kommunistischen Partei; diese ist schon von selbst in der Zersetzung. Die russische Regierung hat die Absicht, hier durch ihre Mission zersetzend zu wirken. Zahlreiche Einreiseerlaubnisse sind nachgesucht. Die angeblichen Sportsleute sind nichts anderes als politisch aktive Persönlichkeiten der kommunistischen Partei, die wohl militärische Erfahrungen den deutschen Kommunisten zum besten geben wollen. Die Russen müssen sehen, daß die deutsche Regierung sich in die innerpolitischen Dinge nicht hineinreden läßt. Erst nachher Vertiefung der wirtschaftlichen Beziehungen. Moldenhauer: Einverstanden mit der Behandlung der Russen. Für die Deutschstämmigen etwa nur Beratung hinsichtlich der Auswanderung. Reichskanzler Von der großen Linie der deutschrussischen Politik (Rapallo und Berlin) darf nicht abgegangen werden. Aber es hat sich eine Reihe von Vorgängen zugetragen, die damit unvereinbar sind. Schäfer, Anhagen, die Feiern für Max Hölz, die deutsch-russischen Petroleumgesellschaften mit ihren kommunistischen Ölvertretern. Mit einer Ausdehnung des Geschäftes würden überallhin Propagandisten geschickt werden. Es müßte ausgeschlossen sein, daß die kommunistische Partei Material zur Zersetzung der Reichswehr und der Schupo vertreibt. Curtius regt Veräußerung der Rheinmetall an (diese war eine der Gesellschaften, in der für heimliche Reserven gearbeitet wurde. Der Außenminister hält es offenbar nicht für angebracht, daß dieses weiter mit Reichsbeteiligung geschieht). Saemisch spricht über die Aufgaben des Ausschusses (gemeint ist der Ausschuß für die Heimatreserven, dessen Vorsitzender der jeweilige StS des Finanzministeriums war und an dem das Wehrministerium und der Sparkommissar beteiligt waren, um die sogenannten „farbigen“ Etats, die nicht veröffentlicht wurden, festzustellen. Näheres in Nürnberg-Verhandlungen gegen Krosigk) und sagt, daß wir die Verantwortlichkeit des Kabinetts dazu brauchen, und zwar über den ganzen Fragenbereich und in bezug auf den sachlichen Verwendungszweck. Die Dinge müßten von seiten der zuständigen Ressorts noch einmal vorbereitet werden. Wir könnten die Verantwortung nicht tragen. Es könnte doch einmal der Fall eintreten, daß wir zur Verantwortung gezogen werden. Wir müssen dabei den Rückhalt des Kabinetts haben. Wir sind nur ein erleichterndes Organ für die Verantwortung. Die prinzipielle Verantwortung muß das Kabinett tragen. Die Summen sind doch sehr erheblich, 60 Millionen allein beim Landheer. Wehrminister: Ich habe die Sache völlig im Dunkel vorgefunden und habe die Aufstellung eines Sonderetats mit Rechnungslegung verlangt. Ich habe es deshalb begrüßt, daß aus Anlaß der Lohmann-Affäre dieses Staatssekretärgremium begründet wurde, mit dem meine Herren gut zusammenarbeiten. Die Ossietzky-Erklärung baut auf Dinge, die weit zurückliegen. Richtig ist allein die Teilnahme der gegenseitigen Truppenkörper an Übungen. In Rußland sind, abgesehen von einer Zentralstelle in Moskau, drei Unternehmungen: a) Eine Fliegerschule; b) eine Kampfwagenschule; c) eine Gasversuchsanstalt. In einem anderen Land könnte man die Sache nicht machen, sondern nur in dem weiträumigen Rußland. Es ist auch der Zusammenhang mit den entsprechenden russischen Truppenkörpern und die Verwendung russischer Arbeiter notwendig. Genaue Angaben der Zahlen: Im ganzen wird an Geld dafür ausgegeben: 1929 6,7 Mio, 1930 5,3 Mio. Wir haben ein großes Interesse an der Sache. Die Russen haben auch ein großes Interesse daran. Die russische Armee ist zur Zeit noch zu keiner Offensive befähigt, aber sie macht doch von Jahr zu Jahr erhebliche Fortschritte. Das ist das Urteil unserer Offiziere. Die anderen Völker haben diese Möglichkeit mit der Besichtigung nicht, nur die deutschen Offiziere haben alle Bewegungsfreiheit. Ich lege großen Wert darauf, daß unsere Offiziere dorthin kommen, weil sie dort lernen, daß man die Disziplin ganz anders aufbauen kann, als wir es gewohnt sind. In der russischen Armee herrscht eine fabelhafte Disziplin, und die Stellung der Vorgesetzten ist sehr stark. Die hohen Offiziere sind ganz fabelhaft energische, gebildete Menschen, Leute, die etwas leisten und über alles Bescheid wissen. Das Herausholen hervorragender Begabungen geht so weit, daß man die oberste russische Führung ganz hoch ansetzen muß; die mittlere und untere Führung ist nicht in Ordnung. Ich würde es auch aus diesem Grund sehr bedauern, wenn wir die Fühlung mit der russischen Armee nicht hätten. Die Offiziere haben auch nie versucht, hier politisch Propaganda zu treiben. Die Politik wird auch drüben aus der Armee ferngehalten. Sie ist aber ganz auf die Sowjets eingestellt, die sie auch ihrerseits sehr gut behandeln. Wirth: Poincaré weiß von den jetzt vor sich gehenden Dingen. Curtius: Kann man die Tarnung noch etwas weiter treiben? Kann man die Dinge nicht in die Hand von Privaten überführen? Vielleicht könnte man deutsche oder noch besser Schweizer Unternehmungen dafür anstellen. Die Ausbildung der Fliegeroffiziere könnte doch auch in einem von anderer Hand geleiteten Unternehmen stattfinden. Man braucht dann die Dinge nicht in den Etat zu stellen. Rheinmetall hat durchaus legale Beziehungen zu den Russen. Sollte man nicht die 51% bei Rheinmetall abstoßen? Groener: Ich will die Tarnung gern nachprüfen. Die Erfahrungen zeigen, daß, sobald man in Deutschland etwas macht, die Geheimhaltung nicht möglich ist. Wir haben mit allen möglichen Firmen noch Prozesse, wo wir die Gefahr der Bekanntgabe stets zu fürchten haben. Die Zwischenschaltung deutscher Firmen ist nicht ungefährlich. I.G. Farben hat abgelehnt, sich an solchen Arbeiten zu beteiligen. Das, worauf die Reichswehr Wert legt, ist nur die Entwicklung. Wenn erst die Besatzung draußen und Zeit verstrichen ist, wird man die Sache anders machen können. Wir stehen mit der amerikanischen Armee sehr gut. Zwei Offiziere sind öffentlich dorthin kommandiert worden. Einer hat das ganze amerikanische Fliegerwesen studiert. Vorläufig war es nur in Rußland möglich, diese Dinge zu machen. Saemisch: Die örtliche Tarnung liegt denkbar günstig, aber zum Teil steht sie nur auf dem Papier. Die Offiziere gehören der Reichswehr an, bis sie nach Rußland gehen. Groener: Der Mann wird für längere Zeit verabschiedet. Dann werden sie auf technische Hochschulen und in Fabriken geschickt. Nach dieser ganzen Ausbildung werden sie wieder eingestellt. Die Grenze zwischen Entwicklung und fabrikatorischer Ausbildung ist flüssig. Saemisch: Uns ist im Ausschuß gesagt worden, es werden Flugzeuge aus Mitteln des Verkehrsministeriums hergestellt und an das Reichswehrministerium abgegeben. In Rußland werden sie dann zu Bombenflugzeugen umgebaut – Frage: Unter den Kosten der Zentrale Moskau ist ein Posten Reisekosten und sonstiges für Austauschoffiziere. Einstellungen in die beiderseitigen Truppen erfolgen doch nicht? Groener verneint. Existiert ein gelber Etat beim Verkehrsministerium? Er ist vielleicht entbehrlich, wenn bei Abgabe die Dinge vom Verkehrsministerium fortfallen. Es gibt noch andere als die russischen Unternehmungen. Diese wird wohl der Wehrminister bei seinem ausführlichen Vortrag darlegen. Groener bejaht. Severing: Kann man die Sache nicht abbauen oder wenigstens einschränken? Der Wehrminister will wohl die Entwicklung gewisser Dinge nicht vernachlässigen, solange wir sie hier nicht treiben dürfen. Ließen sich die Beträge nicht herabdrücken, so daß der Wehrminister mit Recht sagen könnte, er sei im Abbau? Groener: Es ist schwer, abzubauen, weil nicht die Hinsendung teuer ist, sondern die Unterhaltung der Einrichtung. Severing: Können Sie nicht einige Russen abbauen? Groener: Das schlägt nicht durch. Severing: Könnte man nicht unter die Ausgaben von 1927–1928 heruntergehen? Groener: Ich will das gern noch einmal prüfen. Allgemeine Besprechung (soll stattfinden) vor der Lesung des Etats im Haushalt [!]“ (20.2.30; Institut für Zeitgeschichte ED 93).

Der Reichskanzler stellte fest, daß das Reichskabinett den vom Auswärtigen Amt in seiner Vorlage vom 14.2.1930 – […] – gemachten Vorschlägen,[1479] betreffend die Frage der Aufnahme weiterer deutschstämmiger Kolonisten aus Rußland zustimme3.

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Siehe zu dieser Frage auch Dok. Nr. 355, P. 3. Das AA hatte in seiner Vorlage mitgeteilt, von 14 300 Flüchtlingen seien nur 5700 aus Rußland herausgekommen, so daß von den bereitgestellten 6 Mio RM nur 3 Mio verbraucht worden seien. Die russ. Regierung versuche mit Gewalt die Siedler im Land zu halten, was ihren Untergang bedeute. Eine weitere Abwanderungswelle stehe bevor, doch könne Deutschland die Siedler nicht aufnehmen. Der Botschafter müsse sie über die Lage aufklären. In Deutschland solle nur eine kleine Hilfsorganisation bestehen bleiben (14.2.30; R 43 I /141 , Bl. 160-162, hier: Bl. 160-162).

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