1.214.1 (mu22p): Deckungsvorschläge der Reichsregierung zum Reichshaushalt 1930 (Fortsetzung der Besprechung vom 8. März).

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Deckungsvorschläge der Reichsregierung zum Reichshaushalt 1930 (Fortsetzung der Besprechung vom 8. März).

Der Reichskanzler richtete an die Fraktionsführer die Frage, ob sich ihr Standpunkt zu dem Finanzprogramm der Reichsregierung gegenüber den in der Besprechung vom vorhergehenden Tag gemachten Ausführungen geändert habe.

[1560] Der Abgeordnete Dr. Scholz verwies auf den nach der gestrigen Sitzung von seiner Fraktion erneut gefaßten Beschluß, demzufolge sie an ihrem bisherigen Standpunkt festhält2.

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Scholz hatte seiner Fraktion mitgeteilt, daß am 8. 3. keine Einigung erzielt worden sei. Dem Steuersenkungsprogramm stehe noch ablehnender als die SPD die BVP gegenüber. Auf das Zentrum sollte nach Ansicht von Scholz ein Druck ausgeübt werden, damit es bei der „Verabschiedung der Young-Gesetze keine Schwierigkeiten“ gebe. Die von Scholz zur Diskussion gestellte Trennung der Finanzfragen in ein Sofort- und ein Zukunftsprogramm wurde von der Fraktion abgelehnt (8.3.30; R 45 II /67 , Bl. 214 f., hier: Bl. 214 f.).

Der Abgeordnete Dr. Breitscheid erklärte, daß sich der Standpunkt seiner Fraktion nicht geändert habe, erklärte sich aber zur Fortsetzung der Verhandlungen bereit.

Da die Befragung auch der übrigen Fraktionsführer ergab, daß das Zentrum, die Bayerische Volkspartei und die Demokraten von ihrem am Vortage dargelegten Standpunkt nicht abgehen wollen, erklärte der Reichskanzler weitere Verhandlungen über das Finanzprogramm für zwecklos und stellte fest, daß die Verhandlungen als abgebrochen gelten müßten. Er erklärte weiter, daß die Reichsregierung, die sich bekanntlich über ein Finanzprogramm geeinigt habe, das Parlament nunmehr vor die Frage stellen werde, ob es ihr folgen wolle oder nicht. Die Reichsregierung werde darauf bestehen, daß die Abstimmung über den Young-Plan in zweiter und dritter Lesung bis spätestens Mittwoch, den 12. März, erledigt sei. Er werde auch den Herrn Reichspräsidenten über die Lage eingehend informieren3.

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Nach den Aufzeichnungen in Schäffers Tagebuch nahm die Besprechung folgenden Verlauf: „Koch: Welches ist der Standpunkt der Deutschen Volkspartei? Scholz: Ich habe stets den Standpunkt vertreten, daß wir uns Verhandlungen niemals entziehen. Falls diese Verhandlungen, denen wir einen günstigen Verlauf gewünscht haben würden, zu keinem Ergebnis führen, ist die schleunige Verabschiedung des Young-Planes die selbstverständliche Voraussetzung für alles und die Pflicht aller Parteien, die sich hinter den Young-Plan gestellt haben. Breitscheid: Nehmen wir an, daß der Young-Plan verabschiedet wird, will die Volkspartei dann weiter über das Finanzprogramm verhandeln? Scholz: Natürlich, sogar mit verdoppelter Energie. Meyer: Wir würden bereit sein, zusammen mit den übrigen Parteien den Young-Plan zu verabschieden. Ich fürchte aber, daß sich eine Einigung darüber nicht ergeben würde und daß man daher noch einen Finanzeinigungsversuch machen müßte. Reichskanzler Ich sehe die Frage sehr ernst an. Ich glaube, daß, nachdem die Regierung sich geeinigt hat, innerhalb der nächsten drei Tage vor dem Parlament erklärt werden müßte, wo die Verantwortung liegt. Die zweite Lesung muß morgen vorgenommen werden und alsbald die dritte Lesung angesetzt werden. Wenn dabei etwas passiert, muß die Regierung die Konsequenzen ziehen. Esser: Wenn wir uns über den Standpunkt der Hinausschiebung der dritten Lesung verständigen, sehe ich noch Möglichkeiten einer Lösung. Breitscheid: Keine Bedenken gegen Mittwoch (12. 3.). Reichskanzler Ich sehe keine Möglichkeiten für neue Verhandlungen ohne Initiative. Koch: Eine Annahme des Young-Planes ohne das Zentrum halte ich für eine Schädigung des Ansehens des Parlaments und der Regierung. Esser: Wie wäre es, wenn wir die Abstimmung in der zweiten Lesung auf den Dienstag [11. 3.] nehmen und uns bis dahin zu einigen versuchen. Wir können 2. und 3. Lesung zusammennehmen. Wirth: Selbst bei Annahme müssen wir uns fragen, was nachher wird. Darum sagen wir uns, nur den Young-Plan zu verabschieden, hat gar keinen Sinn. Breitscheid: Ich lege den größten Wert auf eine einheitliche Abstimmung in zweiter Lesung. Ich bin daher, wenn irgendeine Möglichkeit für eine Einigung besteht, für eine Vertagung bis Dienstag. – Darüber allgemeine Einigkeit. – Leicht: Motivieren kann man das mit der Tatsache, daß Montag nicht alle Abgeordneten da sind. Reichskanzler Wenn bis Mittwoch [12. 3.] keine Lösung da ist, gibt es bei der dritten Lesung keine Regierung mehr. Wir gefährden sonst den Parlamentarismus“ (Tagebuch Schäffers, 9. 3.; Institut für Zeitgeschichte ED 93).

[1561] Der Reichsminister der Finanzen bemerkte noch, daß das Finanzprogramm der Reichsregierung dem Reichsrat vorliege und daß mit dem Reichsrat verabredet sei, daß dieser die Gesetze im Laufe der Woche verabschiede. Die Gesetze würden daher in der am 17. März beginnenden Woche an den Reichstag gelangen. Es stehe nichts im Wege, daß an den vorhergehenden Tagen die Verhandlungen mit den Parteiführern über das Finanzprogramm fortgesetzt würden4.

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Zum Fortgang siehe Dok. Nr. 471.

Die Sitzung wurde hierauf geschlossen.

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