1.215.1 (mu22p): Steuerprogramm.

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Kabinett Müller II. Band 2 Hermann Müller Bild 102-11412„Blutmai“ 1929 Bild 102-07709Montage  von Gegnern des Young-Planes Bild 102-07184Zweite Reparationskonferenz in Den Haag Bild 102-08968

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Steuerprogramm.

Der Abgeordnete Esser trug vor, daß sich die Fraktionsführer der SPD des Zentrums, der Demokraten und der Bayerischen Volkspartei unter Zuziehung ihrer Finanzsachverständigen, jedoch ohne Beteiligung von Vertretern der Deutschen Volkspartei, nach der am Sonntag, den 9. März, ergebnislos abgebrochenen Parteiführerbesprechung über das Finanzprogramm der Reichsregierung untereinander über ein neues Steuerprogramm im wesentlichen geeinigt hätten. Das Programm werde zur Zeit von den Fraktionen geprüft. Für die Zentrumspartei könne er die Billigung des Programms schon jetzt erklären. Namens der Fraktionsführer der vier genannten Parteien spreche er die Bitte aus, die Reichsregierung möge das Steuerprogramm prüfen und dazu Stellung nehmen. Er fügte hinzu, daß es die Absicht der vier Parteien gewesen sei, über das Programm auch mit der Deutschen Volkspartei zu verhandeln, um sie ebenfalls dafür zu gewinnen. Diese Absicht habe sich lediglich wegen Zeitmangels noch nicht verwirklichen lassen. Sie werde aber baldigst nachgeholt werden2. Ferner wolle er namens der vier Parteien ausdrücklich erklären, daß die Verhandlungen der vier Parteien über ein Steuerprogramm keinen Affront gegen den Reichsminister der Finanzen bedeuten sollten.

2

Gleichzeitig mit dieser Besprechung fand eine Fraktionssitzung der DVP statt, in der Vorwürfe gegen das Verhalten der Weimarer Parteien erhoben wurden (11. 3.; R 45 II /67 , Bl. 217, hier: Bl. 217).

[1562] Über den Inhalt des Steuerprogramms machte der Abgeordnete Esser in großen Zügen folgende Angaben:

1. Auf die Biersteuererhöhung wird als Reichssteuer verzichtet. Es wird den Ländern das Recht gegeben, sich selbst durch Zuschläge zu der bestehenden Reichsbiersteuer Einnahmen zu verschaffen3. Daraus ergibt sich für den Reichshaushaltsplan gegen den Vorschlag der Regierung ein Ausfall von 150 Millionen.

3

Die bad. Regierung lehnte diese Lösung ab, da durch sie die bad. Bierbrauereien, denen das Hinterland fehle, schwer getroffen würden (Bad. FM an RReg., 11. 3.; R 43 I /2363 , Bl. 174 f., hier: Bl. 174 f.).

2. Die Kapitalertragssteuer wird sobald wie möglich für alle festverzinslichen Werte ohne Unterschied des Emissionstermins außer Kraft gesetzt, was einen Ausfall von 45 Millionen bedeutet.

Zum Ausgleich dieser zwei Ausfallsposten werden folgende Maßnahmen getroffen:

1. Der Benzin- und Benzolzoll, der etwa 60 Millionen bringen sollte, wovon 20 für die Länder und 40 für das Reich bestimmt waren, fällt insgesamt dem Reich zu. Er wird ergänzt durch eine Benzolherstellungssteuer, die etwa 35 Millionen bringt, so daß für das Reich eine Mehreinnahme von etwa 50 Millionen entsteht.

2. Die Mineralwassersteuer fällt mit 40 Millionen voll dem Reiche zu, während sie ursprünglich voll den Ländern zufallen sollte.

3. Die Sektsteuer wird erhöht, was einen Ertrag von 3 Millionen bringt. Ferner wird eine Besteuerung der Spitzenweine in Aussicht genommen.

4. Die Umsatzsteuer wird von 0,75 auf 0,80% erhöht mit einem Ertrage von 40 Millionen.

5. Der erste Umsatz nach der Einfuhr wird der Umsatzsteuer unterworfen, was ebenfalls eine Mehreinnahme von 40 Millionen bedeutet.

Im Jahre 1931 soll eine Steuersenkung um mindestens 600 Millionen Mark stattfinden, die davon abhängig gemacht wird, daß es gelingt, weitere 500 Millionen schwebender Schuld in langfristige Schuld umzuwandeln. Von der Steuersenkung sollen 360 Millionen auf die Senkung der Einkommensteuer entfallen. Der Rest von 240 Millionen soll zur Senkung anderer Steuern verwendet werden.

Der Reichskanzler erwiderte, er habe zwar schon gehört, daß zwischen den vier Parteien eine Einigung auf ein Steuerprogramm erfolgt sei, für das im Reichstag wahrscheinlich eine Mehrheit vorhanden sein werde4. Die Einzelheiten des Programms seien ihm jedoch noch nicht bekannt gewesen. Er nehme auch gern davon Kenntnis, daß die Verhandlungen der Parteien keinen Affront gegen den Reichsminister der Finanzen oder gegen die Reichsregierung bedeuten sollten. Die Reichsregierung werde die Vorschläge der Parteien selbstverständlich prüfen5. Dazu bedürfe es zunächst einer authentischen schriftlichen Mitteilung[1563] über den Inhalt der Einigung der Parteien. Er nehme auch nicht an, daß die Prüfung sofort oder sogar schon vor der Verabschiedung der Youngplan-Gesetze erfolgen solle. Das Finanzprogramm der Reichsregierung liege bekanntlich zur Zeit dem Reichsrat vor. Der Reichsrat werde seine Arbeiten voraussichtlich in der laufenden Woche beenden. Möglicherweise werde auch der Reichsrat Wünsche mit Bezug auf das Regierungsprogramm haben, mit denen sich die Reichsregierung vor der Weiterleitung der Regierungsvorlage an den Reichstag werde befassen müssen. Dann werde ohne weiteres der Zeitpunkt gegeben sein, sich mit den Wünschen der Parteien zu befassen, da die Reichsregierung danach streben werde, sich nach der Verabschiedung der Regierungsvorlage im Reichsrat mit den Koalitionsparteien über den Etat und das Deckungsprogramm baldigst zu verständigen.

4

Der RK hatte StS Schäffer erklärt, „er halte das ganze Verfahren der Weimarer Parteien nicht für richtig“ (Tagebuch Schäffers, 11. 3.; Institut für Zeitgeschichte ED 93).

5

Im einzelnen erklärte der RK zu dem Programm der Parteien: „Gegen eine Anzahl dieser Vorschläge habe ich das größte Bedenken. Der spätere Finanzausgleich wird gefährdet. Ein Fortschritt ist, daß er vielleicht über die Steuersenkung 1931 ausgeschaltet ist. Ich halte das Finanzprogramm der Regierung für besser“ (Tagebuch Schäffers, 11. 3.; Institut für Zeitgeschichte ED 93).

Der Abgeordnete Keil teilte mit, daß seine Fraktion das zur Erörterung stehende Steuerprogramm zur Zeit noch berate. Er könne daher im Augenblick noch keine abschließende Mitteilung machen. Aus dem bisherigen Verlauf der Fraktionsbesprechungen habe er jedoch entnommen, daß die Fraktion sich wahrscheinlich grundsätzlich auf das Programm einigen werde. Allerdings dürfe er nicht verschweigen, daß eine Reihe von Einzelheiten des Steuerprogramms lebhaft beanstandet werde. Insbesondere werde die Fraktion es ablehnen, einen Verzicht auf weitere Anträge zur Verkürzung des Wehretats auszusprechen6. Ferner werde nicht darauf verzichtet werden, Anträge auf Kürzung der Pensionshöchstbeträge zu stellen. Entscheidender Wert werde darauf gelegt, beantragen zu können, daß die Hauptpositionen des Sozialetats, die das Kabinett entgegen dem Antrage des Reichsarbeitsministers gekürzt habe, ohne Kürzung anderer Positionen des Etats heraufgesetzt würden. Beanstandet werde ferner die Festlegung von Kürzungen für 1931. Endlich werde auch stark bemängelt, daß das Deckungsprogramm kein Opfer des Besitzes enthalte. Gleichwohl könne er ganz allgemein die Erklärung abgeben, daß die Fraktion durchaus bereit sein werde, auf der gefundenen Basis mit den anderen Fraktionen weiter zu verhandeln.

6

Neue Schwierigkeiten der SPD mit dem RWeM hatten sich ergeben bei der Bewilligung von Mitteln für die Durchführung einer Mittelmeerreise der dt. Flotte. Der RWeM hatte es abgelehnt, nach der Bewilligung von Mitteln zur Vorbereitung der Fahrt auch einen Antrag für die Mittel zur Durchführung der Reise zu stellen, und erklärt, er werde bei neuen Verhandlungen hierüber seine Demission einreichen, „da er angesichts solcher Behandlung militärischer Angelegenheiten im RT nicht mehr länger die Verantwortung tragen könne; darüber hinaus werde er aber den Herrn RPräs. darauf hinweisen, daß er als RPräs. Oberbefehlshaber der Wehrmacht und damit auch für die Ausbildung verantwortlich sei, und werde ihn deshalb bitten, sich seinem Rücktritt anzuschließen.“ Auf eine entsprechende Mitteilung des StSRkei hin war dem Geschäftsführer der SPD-Fraktion vom RK mitgeteilt worden, „daß er mit dem RWeM in der Frage völlig konform gehe und unter gar keinen Umständen jetzt auch noch Schwierigkeiten in dieser Frage brauchen könne“ (Vermerk Pünders, 10. 3.; R 43 I /602 , Bl. 43 f., hier: Bl. 43 f.).

Der Abgeordnete Leicht erklärte, daß er angesichts dieser Stellungnahme des Abgeordneten Keil für die Bayerische Volkspartei erklären müsse, daß diese sich bei den bevorstehenden Abstimmungen über die Youngplan-Gesetze der Stimme enthalten werde. Die Bayerische Volkspartei wünsche vor ihrer Zustimmung zum neuen Reparationsplan weitergehende Sicherungen für eine Sanierung[1564] der Finanz- und Kassenlage, wie sie ihr bisher geboten seien. Jedenfalls seien die Erklärungen der Sozialdemokratie für sie keineswegs ausreichend.

Der Abgeordnete Meyer erklärte, daß die Demokratische Partei trotz starker Bedenken gegen Einzelheiten des neuen Steuerprogramms bereit sei, auf der Grundlage der gefundenen Einigung weiter zu verhandeln, um eine Staatskrisis zu vermeiden. Nach seiner Meinung könne es sich heute nicht darum handeln, sich bereits auf Einzelheiten festzulegen. Für heute komme nur eine Einigung über gewisse große Gesichtspunkte in Frage. Die Vorbehalte, die der Abgeordnete Keil zu Einzelheiten gemacht habe, stünden daher der Entschließung der Demokratischen Partei nicht störend im Wege. Für seine Fraktion seien die Festlegung und Festhaltung an dem Plan für die Steuersenkung und die Ausgabenkürzung im Jahre 1931 grundlegende Forderungen. Der Behauptung des Abgeordneten Keil, daß der Besitz im neuen Steuerprogramm nicht getroffen sei, müsse er widersprechen, weil durch die Heranziehung des Reservefonds der Bank für Industrieobligationen der Besitz empfindlich herangezogen werde.

Der Abgeordnete Esser erklärte, daß er die Auseinandersetzungen in der sozialdemokratischen Fraktion, von denen der Abgeordnete Keil gesprochen habe, nicht so schwer ansehe, daß sie eine Verständigung auf das Steuerprogramm nicht erhoffen ließen. Jedenfalls sei er mit der Erklärung des Reichskanzlers zu der ihm vorgetragenen Bitte der Parteien vollkommen einverstanden.

Der Abgeordnete Leicht gab nochmals die Erklärung ab, daß er bereit sei, über das Steuerprogramm weiter zu verhandeln, daß seine Fraktion aber bei dem gegenwärtigen Stand der Verhandlungen sich nicht dazu entschließen könne, an der Abstimmung über die Young-Gesetze teilzunehmen.

Der Reichskanzler richtete einen eindringlichen Appell an die Bayerische Volkspartei, die Abstimmung über die Young-Gesetze durch ihre Stimmenthaltung nicht zu gefährden. Der Herr Reichspräsident habe den Fraktionsführern des Zentrums, Dr. Brüning, empfangen und ihm bereits mitgeteilt, daß er entscheidenden Wert darauf lege, daß der Neue Plan im Reichstag mit einer möglichst starken Mehrheit angenommen werde. Wenn sich für die neuen Gesetze nur eine kleine Mehrheit ergeben sollte, werde der Herr Reichspräsident die Gesetze angesichts ihrer weittragenden Bedeutung höchstwahrscheinlich zum Volksentscheid stellen. Ebenso werde auch die Reichsregierung sehr wahrscheinlich die Verantwortung für die dritte Lesung der Gesetze nicht übernehmen, wenn sich bei der zweiten Lesung nur eine kleine Mehrheit für die Gesetze herausstellen sollte.

Der Abgeordnete Keil warnte vor Mißdeutungen seines Berichts über die Einstellung seiner Fraktion zum vorliegenden Steuerprogramm. Seine Fraktion werde sich wahrscheinlich in ihrer Gesamtheit bereit erklären, auf der gefundenen Basis mit den anderen Parteien zu verhandeln.

Der Abgeordnete Esser bestätigte die Mitteilung des Reichskanzlers über die Äußerung des Herrn Reichspräsidenten gegenüber dem Abgeordneten Dr. Brüning. Er fügte hinzu, daß der Herr Reichspräsident dem Abgeordneten Brüning weiter zugesichert habe, daß er von allen seinen verfassungsmäßigen Rechten Gebrauch machen werde, um dafür zu sorgen, daß die neuen Finanzgesetze[1565] so rechtzeitig erledigt würden, daß die Deckung des Etats 1930 erforderlichen neuen Steuern zum 1. April fließen.

Der Reichskanzler erwiderte, daß der Herr Reichspräsident ihm am Vortage die gleiche Mitteilung gemacht habe. Er habe sich nur nicht für befugt gehalten, von dieser Mitteilung des Herrn Reichspräsidenten schon jetzt Gebrauch zu machen.

Die Sitzung wurde hierauf geschlossen.

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