1.52.1 (mu22p): Arbeitslosenversicherung.

Zum Text. Zur Fußnote (erste von 4). Zu den Funktionen. Zum Navigationsmenü. Zum Navigationsbaum

 

Bandbilder:

Kabinett Müller II. Band 2 Hermann Müller Bild 102-11412„Blutmai“ 1929 Bild 102-07709Montage  von Gegnern des Young-Planes Bild 102-07184Zweite Reparationskonferenz in Den Haag Bild 102-08968

Extras:

 

Text

RTF

Arbeitslosenversicherung.

Der Reichskanzler eröffnete die Sitzung und führte u. a. aus, daß vielleicht das ganze Sondergesetz vom Reichstag abgelehnt werden könnte, wenn die Beitragserhöhung keine Mehrheit finde. Er betonte den Ernst der politischen Lage und wies darauf hin, daß es einen Auftrieb für das Hugenbergsche Volksbegehren bedeuten werde, wenn jetzt eine Regierungskrise entstehe. Nach seiner Ansicht müsse eine Regierungskrise unbedingt vermieden werden.

Der Abg. Dr. Zapf (DVP) erklärte, den Ausführungen des Reichskanzlers zustimmen zu können, soweit es sich um die Notwendigkeit einer Vermeidung der Regierungskrisis handle. Auch die Deutsche Volkspartei habe den dringenden Wunsch, eine Krisis zu vermeiden.

Was die Gesetzentwürfe zur Reform der Arbeitslosenversicherung anlange, so stehe die Deutsche Volkspartei auf dem grundsätzlichen Standpunkt, daß es in erster Linie notwendig sei, die Arbeitslosigkeit selber zu bekämpfen und Arbeitsgelegenheiten zu schaffen. In der Frage der Beitragserhöhung sei für die Deutsche Volkspartei zur Zeit ein Entgegenkommen nicht möglich. Ob die Deutsche Volkspartei in 2 Monaten einer Beitragserhöhung werde zustimmen können, könne er nicht sagen. Es werde notwendig sein, zunächst das gesamte Finanzprogramm der Regierung kennenzulernen, um diese Frage zu beantworten.

Der Reichskanzler betonte, er könne sich nicht denken, daß sich nach 2 Monaten noch irgend eine Regierung finden werde, die die Reichskasse weiter mit regelmäßig fortlaufenden Zuschüssen an die Reichsanstalt belaste.

Der Reichsminister der Finanzen führte aus, daß auch dann, wenn am 1. Oktober2 eine Beitragserhöhung von ½% in Kraft trete, das Reich immer noch für den Winter 1929/30 einen Zuschuß von 89 Millionen Mark leisten müsse.

2

Gemeint ist wohl der 1. 11., siehe § 8 des GesEntw. über befristete Änderungen zur ALV (Anm. 2 zu Dok. Nr. 288).

[987] Der Abg. Aufhäuser (VSPD) führte aus, daß die taktische Situation nach den bisherigen Vorschlägen für die beiden Flügelparteien sehr ungleich sei. Die Sozialdemokratie solle einem Abbau der Leistungen zustimmen, die Deutsche Volkspartei jedoch eine Beitragserhöhung ablehnen können. Bisher habe übrigens die Deutsche Volkspartei die Mitverantwortung für den Abbau der Leistungen noch nicht übernommen, weil der Abbau ihr nicht weit genug gehe. Er könne für seine Fraktion noch keine Erklärung abgeben und wisse insbesondere nicht, ob seine Fraktion einer Loslösung der Frage der Beitragserhöhung von den übrigen Problemen zustimmen werde. Nach seiner Ansicht habe diese Loslösung nur dann Zweck, wenn die Beitragserhöhung in 8 Wochen bestimmt beschlossen werde. Man solle deshalb nach seiner Ansicht im § 4 des Sondergesetzes die Beitragserhöhung beschließen, aber den Termin des Inkrafttretens offen lassen. Im übrigen dürfe natürlich bei der endgültigen Festsetzung der Beitragserhöhung nicht die Frage des Leistungsabbaues erneut aufgerollt werden.

Der Abg. Dr. Zapf (DVP) betonte, daß die Volkspartei mit Absicht bisher keine allzu weitgehenden Konzessionen gemacht habe. Die Dinge würden später bestimmt doch so geregelt werden müssen, wie die Deutsche Volkspartei es jetzt wolle.

Gerade die großen Zuschüsse des Reichs an die Reichsanstalt hätten das Reich zu den Anleihen bei den Banken genötigt, die verhängnisvolle Folgen auf dem Anleihemarkt verursacht und den Widerstand unserer Unterhändler in Paris stark beeinträchtigt hätten.

Der Abg. Esser (Z) regte an, zunächst die Frage zu klären, wie sich die um 12 Uhr beginnende Plenarsitzung des Reichstags abwickeln solle. Die Regierungsparteien müßten sich vor allem darüber klar werden, wie sie zu den §§ 65 a, 110 b und 112 a des Hauptgesetzes Stellung nehmen wollten3.

3

Es handelt sich um die Anzeigepflicht der Beschäftigten durch die Arbeitgeber, um die Regelung der Wartezeit und um die Anrechnung von Renten auf die Unterstützung (RT-Drucks. Nr. 1311, Bd. 437 ).

Der Abg. Tantzen (DD) bat zu überlegen, ob nicht die §§ 1 und 2 a aus dem Sondergesetz in das Hauptgesetz übernommen werden könnten und das Sondergesetz fallen könne4.

4

§ 1 behandelt die Stellung der Saisonarbeitslosen. Der § 2 a war in der Sitzung des Sozialpolitischen Ausschusses des RT am 30. 9. neu aufgenommen worden und bestimmte die Wartezeit vor dem Empfang der ersten Arbeitslosenunterstützung (RT-Drucks. Nr. 1311, Bd. 437 ; Vermerk der Rkei vom 30. 9.; R 43 I /1018 , gefunden in R 43 I /2036 , Bl. 229, hier: Bl. 229).

Der Abg. Dr. Haas (DD) befaßte sich mit der Haltung der Deutschen Volkspartei und erklärte, er habe Verständnis dafür, daß die Volkspartei jetzt nicht erklären könne, sie wolle in 2 Monaten einer Beitragserhöhung zustimmen. Immerhin könne die Volkspartei doch zu verstehen geben, daß sie die Möglichkeit einer späteren Zustimmung zur Beitragserhöhung um ½% nicht ablehne.

Der Reichskanzler führte aus, daß zum mindesten das Hauptgesetz jetzt unbedingt vom Reichstag verabschiedet werden müsse. Die Nichterledigung des Hauptgesetzes werde einen erneuten Prestigeverlust für die Reichsregierung bedeuten, aus dem er Konsequenzen ziehen müsse.

[988] Die Besprechung wurde sodann auf übereinstimmenden Wunsch abgebrochen, um den Fraktionen nochmals Gelegenheit zu geben, sich mit der Angelegenheit zu befassen.

Eine erneute Besprechung wurde für 1.30 [Uhr] nachmittags in Aussicht genommen5.

5

Siehe Dok. Nr. 309.

Extras (Fußzeile):