1.60.2 (mu22p): 2. Entwurf eines Gesetzes zum Schutze der Republik.

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2. Entwurf eines Gesetzes zum Schutze der Republik.

Der Reichsminister des Innern führte aus, er habe schon einige Zeit, bevor feststand, daß das alte Gesetz zum Schutz der Republik im Reichstag nicht verlängert werden würde2, mit den Fraktionsvorsitzenden und einigen Sachverständigen der Regierungsparteien Fühlung genommen. Es habe Übereinstimmung darüber bestanden, daß die Regierungsparteien ein Initiativgesetz einbringen wollten. Der Reichstagspräsident sei ursprünglich hiermit einverstanden[1025] gewesen, habe dann aber gewisse geschäftsordnungsmäßige Bedenken geäußert, so daß der Plan des Initiativgesetzes fallen gelassen worden sei.

2

Vgl. Anm. 2 zu Dok. Nr. 215.

Er, der Reichsminister des Innern, habe dann erneut mit den Regierungsparteien über einen neuen Entwurf beraten. Der jetzt dem Reichskabinett vorliegende Entwurf sei das Ergebnis dieser Beratungen. Die neuen Bestimmungen seien von einigen Ausnahmen abgesehen nicht sehr verschieden von dem alten Republikschutzgesetz3. In der Presse werde der Inhalt des neuen Gesetzes vielfach ganz falsch wiedergegeben, so z. B. kürzlich auch von dem volksparteilichen „Hannoverschen Kurier“. Eine Einwirkung auf die Presse mit dem Ziele sachlich richtiger Darstellung des Inhalts des Entwurfs sei dringend geboten.

3

RIM und RJM hatten gemeinsam den neuen GesEntw. zum Schutz der Republik vorgelegt, der 16 Paragraphen umfaßte (25. 9.; R 43 I /1868 , Bl. 67-76, hier: Bl. 67-76); vgl. dazu RT-Drucks. Nr. 1441 (berichtigt), Bd. 438  unter Berücksichtigung der folgenden Besprechung. – Zu einer Gegenüberstellung des alten Gesetzes und des neuen GesEntw., die der RIM übersandt hatte, war von Wienstein festgestellt worden, daß im GesEntw. alle verfassungsändernden Bestimmungen und der sogenannte Kaiserparagraph fortgefallen seien. Das Gesetz enthalte keine Angaben über die Dauer seiner Gültigkeit; es solle aber mit dem Inkrafttreten des neuen StGB ungültig werden (9. 10.; R 43 I /1868 , Bl. 89-91, hier: Bl. 89-91).

An der Notwendigkeit eines neuen Republikschutzgesetzes könne man nach seiner Auffassung nicht zweifeln. Er sei der Überzeugung, daß große Erwerbsgruppen, wie z. B. der Landbund, künftighin auf innenpolitischem Gebiet sich Ausschreitungen zuschulden kommen lassen würden4. Aus diesem und aus anderen Gründen sei das Zustandekommen eines neuen Republikschutzgesetzes dringend geboten. Er bitte das Reichskabinett, dem vorliegenden Entwurf ohne wesentliche Änderungen zuzustimmen.

4

Zum Verhalten des Landbundes siehe Anm. 5 zu Dok. Nr. 290.

Der Reichswirtschaftsminister führte aus, daß er das Ziel des Entwurfs, nämlich eine Festigung der Republik, begrüße. Besser wäre es allerdings, wenn man ein neues Republikschutzgesetz nicht nötig hätte. Aber bei der jetzigen Situation sei ein neues Republikschutzgesetz nicht zu entbehren5.

5

Zur innerpolitischen Situation siehe die Denkschrift des RIM über die Ausschreitungen rechtsradikaler Gruppen in der Zeit ohne Republikschutzgesetz, die der Rkei am 11.12.29 zugeschickt wurde (R 43 I /1868 , Bl. 145-155, hier: Bl. 145-155). Sie ist abgedruckt nach einem Exemplar in den Akten des württemberg. StMin. in den Vierteljahrsheften für Zeitgeschichte 8, 1960, S. 280 ff.

Nach seiner Auffassung gehe der Entwurf in zwei wesentlichen Punkten weiter als der bisherige, nämlich insofern, als jetzt eine Person „wegen ihrer Stellung im politischen Leben“ besonders geschützt werden solle (§ 3 Ziffer 1 und 2) sowie im § 4 Ziffer 1 und 2. Hier sei eine Gefängnisstrafe nicht unter 3 Monaten vorgesehen. Es sei also im Gegensatz zum früheren Entwurf nur bei Vorliegen mildernder Umstände Geldstrafe möglich. Ferner sei der Tatbestand in Ziffer 1 und 2 im Vergleich zu Ziffer 1 und 2 des früheren § 8 erweitert worden6. Sonst habe er keine wesentliche Bedenken gegen den Entwurf.

6

Ziffer 1 und 2 in § 3 des GesEntw. lauteten: „Mit Gefängnis nicht unter drei Monaten wird, soweit nicht andere Vorschriften eine schwerere Strafe androhen, bestraft: 1. wer gegen eine Person wegen ihrer Stellung im politischen Leben einen Angriff auf Leib oder Leben (Gewalttätigkeit) begeht oder mit einem anderen verabredet; 2. wer Gewalttätigkeiten, die gegen eine Person wegen ihrer Stellung im politischen Leben begangen worden sind, belohnt oder den Täter oder Teilnehmer begünstigt (§ 257 des StGB); […].“ Demgegenüber lautete § 7 des alten Gesetzes: „Mit Gefängnis von 3 Monaten bis zu 5 Jahren wird, soweit nicht andere Vorschriften eine schwerere Strafe androhen, bestraft: 1. wer gegen Mitglieder der republikanischen Regierung des Reichs oder eines anderen Landes einen Angriff auf Leib oder Leben (Gewalttätigkeit) begeht oder mit einem anderen verabredet, oder wer zu einer solchen Gewalttätigkeit auffordert; […]. 3. wer öffentlich oder in einer Versammlung ein Verbrechen gegen § 1 oder Gewalttätigkeiten, die gegen Mitglieder der republikanischen Regierung des Reichs oder eines Landes begangen worden sind, verherrlicht oder ausdrücklich billigt, wer solche Taten belohnt oder den Täter oder Teilnehmer begünstigt (§ 257 des StGB); […].“ § 4 des neuen GesEntw. lautete: „Mit Gefängnis nicht unter drei Monaten, neben dem auf Geldstrafe erkannt werden kann, wird bestraft, wer öffentlich oder in einer Versammlung 1. die verfassungsmäßig festgestellte Staatsform des Reichs oder eines Landes beschimpft oder durch Bekundung der Mißachtung absichtlich in der öffentlichen Meinung herabzusetzen sucht oder dadurch herabwürdigt, daß er den RPräs. oder ein Mitglied der Reichs- oder einer Landesregierung beschimpft oder verleumdet; die Reichs- und Landesfarben beschimpft oder durch Bekundung der Mißachtung absichtlich in der öffentlichen Meinung herabzusetzen sucht; […]. Sind mildernde Umstände vorhanden, so ist die Strafe Gefängnis, neben dem auf Geldstrafe erkannt werden kann.“ § 8 des alten Gesetzes hatte gelautet: „Mit Gefängnis bis zu fünf Jahren, neben dem auf Geldstrafe bis zu einer Million erkannt werden kann, wird bestraft, 1. wer öffentlich oder in einer Versammlung die verfassungsmäßig festgestellte republikanische Staatsform des Reichs oder eines Landes beschimpft oder dadurch herabwürdigt, daß er Mitglieder der republikanischen Regierung des Reichs oder eines Landes beschimpft oder verleumdet; 2. wer öffentlich oder in einer Versammlung die Reichs- oder Landesfarben beschimpft.“

[1026] Der Reichsminister des Innern ging zunächst auf die Frage der Erweiterung des geschützten Personenkreises im § 3 Ziffer 1 und 2 ein. Er erklärte die Ausdehnung des Schutzes des Gesetzes auf die im politischen Leben stehenden Personen für notwendig und führte aus, daß eine derartige Vorschrift populär sein würde. Er könne sich denken, daß die parlamentarischen Sachverständigen beim Völkerbund, die Abgeordneten Dr. Breitscheid, Kaas und Freiherr von Rheinbaben, ebenso angegriffen würden, wie die Reichsregierung, und zwar gerade wegen ihrer Stellung im politischen Leben. Nach dem alten Gesetz habe nur die Reichsregierung besonderen Schutz genossen. Man könne hier nicht mit zweierlei Maß messen und müsse auch den Abgeordneten besonderen Schutz gewähren.

Der Reichswirtschaftsminister erwiderte, er sei sich über die Abgrenzung des Personenkreises noch nicht ganz klar. Er sei zunächst der Auffassung gewesen, daß jeder Wähler den besonderen Schutz des neuen Gesetzes genießen solle, aber das sei wohl doch nicht gemeint. Es fiele aber wohl unter den § 3 Ziffer 1 und 2 des Entwurfs z. B. jeder wirtschaftspolitische Syndikus, jeder Parteisekretär, jeder Abgeordneter.

Bedenken habe er ferner dagegen, daß im § 3 Ziffer 1 und 2 eine Geldstrafe nicht möglich sei. Das sei besonders bei Affekthandlungen wünschenswert.

Der Reichsminister der Justiz führte aus, daß er mit dem Ziele des § 3 einverstanden sei. Vielleicht könnten aus der weiten Fassung des Personenkreises Bedenken entstehen. Es sei zu erwägen, ob man im § 3 Ziffer 1 zu einem Antragsdelikt gestalten könne. Allerdings müßten Gewalttätigkeiten gegen Mitglieder der republikanischen Regierung des Reichs oder eines Landes, wie nach dem früheren Gesetz, von Amts wegen verfolgt werden. Es sei ferner zu erwägen, ob man nicht im § 3 Ziffer 1 und 2 mildernde Umstände zulassen solle.

[1027] Der Reichsminister des Innern führte aus, daß er gegen diese Vorschläge des Reichsministers der Justiz keine Bedenken habe. Eine Einschränkung des Personenkreises im § 3 Ziffer 1 und 2 erklärte er für unmöglich. Er könne vielleicht eine Erklärung im Reichstag abgeben, in der er ausführe, welcher Personenkreis im § 3 Ziffer 1 und 2 gemeint sei. Diese Erklärung könnte vielleicht das Reichsjustizministerium und das Reichsministerium des Innern gemeinsam formulieren. Das Gesetz solle man jedoch hiermit nicht belasten.

Der Reichswirtschaftsminister regte die Formulierung an: Gewalttätigkeiten gegen Personen „wegen ihrer politischen Stellung“.

Ministerialdirigent Dr. Häntzschel führte aus, daß ursprünglich die Fassung gewählt worden sei: Gewalttätigkeiten gegen Personen „wegen ihrer Stellung im öffentlichen Leben“.

Schließlich habe das Reichsministerium des Innern von dieser Fassung abgesehen, weil sie zu weit gehe. Es lasse sich vielleicht jedoch noch eine andere Fassung finden als die Fassung des Entwurfs.

Staatssekretär Zweigert führte aus, daß schon bei der Beratung des früheren Republikschutzgesetzes Zweifel darüber bestanden hätten, ob es richtig sei, einen besonderen Schutz nur für Minister zu schaffen. Jetzt habe man diesen damaligen Bedenken Rechnung getragen.

Der Reichswirtschaftsminister bat ferner zu überlegen, ob nicht im § 3 Ziffer 1 vor das Wort „Angriff“ das Wort „unprovozierter oder gefährlicher“ gesetzt werden könne.

Der Reichsminister des Innern äußerte sich hiergegen. Er betonte, daß jeglicher Terror unterbunden werden müsse. Es müsse daher bei der Fassung des Entwurfs bleiben.

Es wurde sodann der § 4 des Entwurfs erörtert.

Der Reichswirtschaftsminister bat zu überlegen, ob nicht an Stelle des Wortes „herabzusetzen“ das Wort „verächtlich zu machen“ in Ziffer 1 des § 4 gewählt werden solle.

Der Reichsminister des Innern äußerte hiergegen Bedenken. Er führte aus, daß die neue Fassung des § 4 Ziffer 1 im Gegensatz zu Ziffer 1 des § 8 des alten Gesetzes gewählt worden sei, um die Rechtsprechung auf diesem Gebiet schärfer zu gestalten, die bisher sehr milde gewesen sei.

Der Reichsminister der Justiz betonte gleichfalls, daß die Rechtsprechung auf diesem Gebiete bisher unerträglich gewesen sei. Er schlug vor, vielleicht im § 4 Ziffer 1 die Formulierung „absichtlich der öffentlichen Verachtung preisgibt“ zu wählen.

Der Reichswirtschaftsminister führte weiter aus, gegen § 4 Ziffer 2 keine Bedenken zu haben. Im übrigen solle über redaktionelle Änderungen des § 4 zwischen den Referenten des Reichsjustizministeriums und des Reichsministeriums des Innern noch gesprochen werden.

Der Reichsminister des Innern erklärte sich auf Wunsch des Reichswirtschaftsministers mit einer Streichung des § 5 einverstanden7.

7

Der Paragraph enthielt die Bestimmung, daß ein wegen Hochverrats Verurteilter einen bestimmten Ort oder Teil des Reichs bis zu fünf Jahren als Aufenthalt zugewiesen erhalten könne; Ausländer seien auszuweisen.

[1028] Gegen die §§ 6–13 wurden keine Bedenken geäußert8.

8

Die Paragraphen enthielten Bestimmungen über Vereine und Druckschriften.

Auf die Frage des Reichswirtschaftsministers erwiderte der Reichsminister des Innern daß in der Tat im § 14 des Entwurfs entscheidend sei, daß die neue Druckschrift „zum Zwecke der Umgehung des Verbots“ zugestellt werde9.

9

Zu diesem Paragraphen hatte Wienstein festgestellt, er sei eine kaum tragbare Einschränkung der Pressefreiheit. „Nach § 14 kann eine periodische Druckschrift, die unter Duldung des Verlegers den Beziehern einer nach § 13 verbotenen Druckschrift zum Zwecke der Umgehung des Verbots zugestellt wird, für die in § 13 Abs. 1 bestimmte Dauer verboten werden. Wenn z. B. die kommunistische ‚Rote Fahne‘ in Berlin verboten worden ist und nunmehr unter der Voraussetzung des § 14 das gleichfalls kommunistische ‚Echo des Ostens‘ [Königsberg] den Lesern zugestellt wird, kann dieses gleichfalls verboten werden“ (9. 10.; R 43 I /1868 , Bl. 89-91, hier: Bl. 89-91).

Das Reichskabinett faßte folgenden Beschluß: Dem Gesetzentwurf zum Schutze der Republik wird mit Ausnahme folgender Punkte zugestimmt, über die im Laufe der nächsten 8 Tage eine Besprechung unter den Sachbearbeitern des Reichsministeriums des Innern und des Reichsjustizministeriums stattfinden soll.

a) § 3 Ziffer 1 und 2 des Entwurfs.

Entsprechend den Bedenken des Reichswirtschaftsministers, der bei Affekthandlungen und in ähnlichen Fällen die Möglichkeit milderer Bestrafung nicht ausschließen will, ist bei Ziffer 1 und 2 besonders die Zulassung mildernder Umstände zu erwägen.

Im übrigen werden die Sachbearbeiter des Reichsministeriums des Innern und des Reichsjustizministeriums gemeinsam eine vor dem Reichstag abzugebende Erklärung des Reichsministers des Innern vorbereiten, welcher Personenkreis durch § 3 Ziffer 1 und 2 geschützt wird.

b) § 4.

In Ziffer 1 des § 4 ist zu erwägen, ob die Formulierung „absichtlich der öffentlichen Verachtung preisgibt“ der Formulierung des Entwurfs vorzuziehen ist.

Im übrigen werden die Sachbearbeiter noch gewisse redaktionelle Änderungen im § 4 erörtern.

c) § 5.

§ 5 des Entwurfs wird gestrichen10.

10

In einer Besprechung unter Vorsitz des RIM, an der auch der RJM und der RWiM teilnahmen, wurde der § 3 neu gefaßt: „Mit Gefängnis nicht unter drei Monaten wird, soweit nicht andere Vorschriften eine schwerere Strafe androhen, bestraft: 1. wer gegen eine Person einen Angriff auf Leib oder Leben (Gewalttätigkeit) mittels einer Waffe, insbesondere eines Messers oder eines anderen gefährlichen Werkzeuges, oder mittels eines hinterlistigen Überfalls oder gemeinschaftlich mit mehreren oder mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung begeht oder mit einem anderen verabredet; […].“ Der bisherige § 3 wurde zu § 4 in der Fassung: „Wer außer in den Fällen des § 3 Ziffer 1 gegen eine Person wegen ihrer amtlichen oder beruflichen Stellung im politischen Leben eine Gewalttätigkeit begeht oder mit einem anderen verabredet, wird mit Gefängnis nicht unter einem Monat bestraft. Sind mildernde Umstände vorhanden, so ist die Strafe Gefängnis bis zu drei Jahren. – Die Verfolgung tritt nur auf Antrag ein.“ Anstelle des gestrichenen § 5 trat der bisherige § 4 (Vermerk Wiensteins vom 15. 10.; R 43 I /1868 , Bl. 100, hier: Bl. 100). Das Kabinett stimmte der Neufassung zu, wobei sich der RJM jedoch eine Stellungnahme zur Begründung des GesEntw. vorbehielt (Ministerbesprechung vom 18. 10., P. 7). Nachdem der RR zum GesEntw. Stellung genommen hatte, beschloß das RKab. auf Antrag des RIM von einer Doppelvorlage abzusehen (Kabinettssitzung vom 29. 11., P. 3). Der RT überwies den GesEntw. am 4. 12. an den Rechtsausschuß (RT-Bd. 426, S. 3462 ).

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