2.44.1 (str1p): Finanzfragen.

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Die Kabinette Stresemann I und II. Band 1Gustav Stresemann und Werner Freiherr von Rheinhaben Bild 102-00171Bild 146-1972-062-11Reichsexekution gegen Sachsen. Bild 102-00189Odeonsplatz in München am 9.11.1923 Bild 119-1426

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RTF

Finanzfragen.

[a. Devisenverordnung.]

Der Herr Reichskanzler bittet, die in Arbeit befindliche Devisenverordnung möglichst rasch fertigzustellen1.

1

Zur letzten Erörterung dieser Frage s. Dok. Nr. 40, P. 4.

Der Reichswirtschaftsminister teilt mit, daß er den früheren Entwaffnungskommissar Peters2 zum Kommissar für die Devisenbeschaffung zu ernennen beabsichtige. Die Verordnung wird noch heute vorgelegt werden.

2

Wilhelm Peters, ehemals StS im REMin., war im August 1920 zum RKom. für die Entwaffnung der Zivilbevölkerung ernannt worden und hatte dieses Amt bis zum 1.7.21 bekleidet (s. dazu in dieser Editionsreihe: Das Kabinett Fehrenbach; Die Kabinette Wirth I/II).

Der Reichskanzler wünscht, daß die Verordnung noch heute unterzeichnet wird. Es ist unbedingt notwendig, daß schnell gearbeitet wird. Er beabsichtigt, fast täglich Kabinettssitzungen abzuhalten. Das Volk darf nicht den Eindruck haben, daß die Reichsregierung den Ereignissen teilnahmslos gegenübersteht. Es können sonst Ereignisse eintreten, wo man die Reichsregierung zwinge, drakonische Maßnahmen zu ergreifen.

Da die Verordnung im Entwurf noch nicht vorliegt, und infolgedessen die einzelnen Ressortchefs noch nicht haben Stellung nehmen können, wird beschlossen, die Besprechung zu unterbrechen und zunächst eine Chefbesprechung stattfinden zu lassen. Die Stellungnahme des Kabinetts soll in der am Abend stattfindenden Kabinettssitzung erfolgen3.

3

S. Dok. Nr. 45, P. 1.

[b. Chefbesprechung: Ruhrkredite.]4

4

Eine Zusammenfassung s. in: Vermächtnis I, S. 106 f.

Der Reichsminister der Finanzen bringt die Frage der Ruhrkredite zur Sprache5. Das rheinisch-westfälische Kohlensyndikat sei wegen der vertragsmäßigen Erstattung der unproduktiven Ausgaben (Löhne und Materialzuschläge) vorstellig geworden6. Das Syndikat fordere die Erhöhung der[199] Materialzuschläge von 75 auf 85%. Es bestehen Bedenken, ob diese Kredite in der bisherigen Höhe und unter Berücksichtigung der Geldentwertung weiter gezahlt werden sollen, und ferner, ob der Materialzuschlag erhöht werden soll. Begründet wird die Forderung seitens des Kohlensyndikats damit, daß gesagt wird, ohne Zahlung dieser Summe und vor allen Dingen auch ohne Zahlung des Materialzuschlags ist die Durchführung der Arbeiten, die zur Zeit in den Zechen vorgenommen werden, nicht möglich7. Die Nichtzahlung bedeutet also die Einstellung der Arbeit und damit die Entlassung der Arbeiterschaft. Das aber kommt einer Einstellung des passiven Widerstandes praktisch gleich8.

5

Zu den Ruhrkrediten Anm. 5 zu Dok. Nr. 33.

6

In einer Aufzeichnung des RFMin. vom 30.7.23 war hierzu ausgeführt worden, den Ruhrkohlenzechen sei nach einer Vereinbarung der beteiligten Ressorts vom 3.5.23 der Ersatz unproduktiver Aufwendungen „mit der Maßgabe zugesagt worden, daß die Löhne und Gehälter eines jeden Monats zuzüglich eines Aufschlags zur Erhaltung der Arbeitsmöglichkeit und der Leistungsfähigkeit der Bergwerke in dem gleichen Verhältnis als unproduktiv anzusehen sind, in welchem die Förderung hinter einer normalen Monatsförderung des Jahres 1922 zurückbleibt, soweit diese Ausgaben nicht zur Werterhöhung der Zechen geführt haben.“ Die Kommission der Ressorts hatte am 14.6.23 der RReg. u. a. den Vorschlag unterbreitet, die gezahlten unproduktiven Löhne und Gehälter „plus eines Aufschlags von 85%“ dem Ruhrbergbau zu erstatten. Für Februar und März 1923 sollte der Zuschlag wegen „etwaiger Werterhöhungen der Zechen“ nur 60% betragen. „Die Reichsregierung hat diesem Vorschlage dem Rheinisch-Westfälischen Kohlensyndikat gegenüber am 28. Juni 1923 mit der Maßgabe zugestimmt, daß der 60 bezw. 80%ige Zuschlag für Materialien eine vorläufige Schätzung darstellt und spätere sachverständiger paritätischer Nachprüfung nach oben und unten durch den bergtechnischen Ausschuß oder eine ähnlich zusammengesetzte Kommission unterliegt.“ Danach waren vom 10. 7.–28.7.23 über das Rheinisch-Westfälische Kohlensyndikat an die Zechen 2 143 565 057 000 M gezahlt worden (R 43 I /214 , Bl. 162–163).

7

In der gemeinschaftlichen Sitzung der Mitgliederversammlung des Reichskohlenverbandes und des Großen Ausschusses des Reichskohlenrates am folgenden Tag (7. 9.) kam es über diesen Kredit zu einer kurzen Auseinandersetzung. Prins vom Reichskohlenrat führte u. a. aus: „Aus Kreisen, die es wissen wollten, sei ihm gesagt worden, daß der Ruhrbergbau durch die Kreditgewährung des Reiches große Vorteile ziehe, da diese an und für sich unproduktiven Mittel durch die hiermit erfolgende Aus- und Vorrichtung der Werke in produktive umgewandelt würde. – Herr Herbig [Rheinisch-Westfälisches Kohlensyndikat] geht speziell auf die letzte Bemerkung des Vorredners ein und legt dar, daß sein Syndikat schon wiederholt gegen diese bösartigen Gerüchte, daß sich der Ruhrbergbau durch die Abmachung mit der Regierung bereichere, Stellung nehmen mußte. Er weise darauf hin, daß die Regierung sich in dieser Frage von zwei Kommissionen habe beraten lassen und daß an diesen Verhandlungen Vertreter dreier Ministerien teilgenommen hätten. Unter Berücksichtigung des Umstandes, daß die gewährten Mittel teilweise in produktive umgewandelt werden könnten, sei der bewilligte Prozentsatz von der Regierung sehr stark herabgesetzt worden. Er gebe zu, daß teilweise an anderen Stellen aus der Stützungsaktion Vorteile gezogen worden sein könnten. Bei einer so großen Organisation, wie sie das Kohlen-Syndikat darstelle, sei aber infolge der außerordentlich leichten und umfassenden Kontrollierbarkeit ein Mißbrauch völlig ausgeschlossen“ (BA: NL Silverberg  149, Bl. 284).

8

Vgl. dazu Dok. Nr. 27.

Der Reichswirtschaftsminister gibt der Auffassung Ausdruck, daß die Kredite zunächst weiter gezahlt werden müssen. Er ist jedoch bereit, mit den Interessenten in Verhandlung einzutreten, um, soweit sich die Möglichkeit ergibt, gewisse Ersparnisse zu machen. Es darf aber nichts geschehen, was die Aktivität der Gruppen schwächt. Wenn gesagt wird, daß die Gruben durch Kapitalvermehrung selbst in der Lage seien, sich die benötigten Mittel zu verschaffen, so darf nicht verkannt werden, daß darin eine große Gefahr liegt (Überfremdung), ganz abgesehen davon, daß die Kapitalansprüche zu einer großen Verengung des Geldmarktes führen würden.

Der Reichsminister der Finanzen kann sich dieser Auffassung nicht in allen Punkten anschließen. Die Gefahr der Überfremdung ist nicht so hoch anzuschlagen; die Versteifung des Geldmarktes ist sogar zu begrüßen.

Der Reichsminister für die besetzten Gebiete weist darauf hin, daß es nach Fühlungnahme mit Vertretern der besetzten Gebiete möglich erscheint,[200] den Ruhrkampf noch einige Wochen durchzuführen9. Voraussetzung dafür allerdings ist, daß die Ruhrkredite nicht abgedrosselt werden.

9

S. Dok. Nr. 43.

Der Reichskanzler gibt zu, daß in der Abdrosselung der Ruhrkredite eine große Gefahr liege. Dagegen könne er nicht glauben, daß in einer mäßigen Einschränkung, z. B. in einer Streichung der Vergütung der Verwaltungskosten bereits eine Gefahr liege. Auch ist er der Meinung, daß der Industrie nahegelegt werden müsse, zu einem immer größeren Teile die erforderlichen Mittel sich selbst durch eine Kapitalvermehrung zu beschaffen. Bei den derzeitigen Kursen10 bedeutet schon eine ganz geringe Kapitalvermehrung einen Zustrom sehr großer Kapitalien. Dieses Vorgehen ist nicht gleichbedeutend mit einem teilweisen Abbau des Widerstandes, die Aufrechterhaltung darf aber nicht dazu führen, daß auch unberechtigte Ansprüche erfüllt werden.

10

Die Kurse betrugen am 3.9.23 (in Millionen M) für 1 Dollar: 9,7; 1 £: 44,0; 1 Gulden: 3,8; 1 Schweizer Franken: 1,75; 1 Französischen Franken: 0,55; 1 Schwedische Krone: 2,6. Bis zum 17. 9. stiegen die Kurse auf 132,2 für 1 Dollar; 600,0 für 1 £; 52,0 für 1 Gulden; 23,6 für 1 Schweizer Franken; 7,6 für einen Französischen Franken; 35,2 für 1 Schwedische Krone (Zusammenstellung der Kurse, hg. Außenhandelsdienst der Girozentralen und Sparkassen).

Der Vizekanzler kann sich mit der derzeitigen Form der Kreditgewährung nicht einverstanden erklären. Die Art der Berechnung der Materialzuschläge ist eine ganz unmögliche. Wenn überhaupt Materialzuschläge gezahlt werden, dann nur in der Form, daß die tatsächlichen Ausgaben zu einem gewissen Prozentsatz erstattet werden.

Das Kabinett ist schließlich der Auffassung, daß zunächst die angeforderten Kredite gegeben werden sollen, daß aber sofort Schritte eingeleitet werden müssen, die eine progressive Einschränkung dieser Kredite für die Zukunft zum Ziele haben11.

11

Am 19.9.23 richtete Albert Vögler ein Schreiben an den RWiM, in dem er ihm mit Bezug auf eine Unterredung, in der die Ruhrkredite zur Sprache gekommen waren, mitteilte, 13 große Konzerne der eisenschaffenden Industrie hätten bis zum 6.9.23 insgesamt 19 089 611 Goldmark erhalten, „die einzelnen Papiermarkzahlungen umgerechnet nach dem Dollarkurs des Tages der Überweisung der einzelnen Zahlung.“ Außerdem verwies Vögler auf den Kursverlust, der zwischen dem Tag der Anweisung der einzelnen Beträge und ihrer Auszahlung bestand. Nach einer Schätzung hätte die von der Eisenindustrie in Anspruch genommene Summe nur 0,08% der für Rhein und Ruhr aufgewandten Beträge ausgemacht (R 43 I /222b , Bl. 133/134).

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