1.120 (str2p): Nr. 234 Bericht über die Sitzung des Fünfzehner-Ausschusses unter Vorsitz Justizrat Mönnigs in Köln am 9. November 1923

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Nr. 234
Bericht über die Sitzung des Fünfzehner-Ausschusses unter Vorsitz Justizrat Mönnigs in Köln am 9. November 1923

Pol.Arch: NL Stresemann 41

1

Die Aufzeichnung ist ungezeichnet und dürfte von einem der DVP nahestehenden Teilnehmer verfaßt worden sein.

Streng vertraulich!

Der erste Teil der Besprechung gilt der Frage, ob für den Fall einer Lostrennung des besetzten Gebietes eine Teilung oder die Erhaltung eines geschlossenen Komplexes im deutschen Interesse liegt. Da Tirard gelegentlich einer Aussprache die Absicht Frankreichs zu erkennen gegeben hat, das besetzte Gebiet in drei Staaten (Nordstaat, Sitz Aachen; Südstaat, Sitz Koblenz; Ruhrstaat, Sitz Essen) zu teilen2, wird einmütig gewünscht, einen geschlossenen Komplex zu erhalten, um zu verhüten, daß nach dem Grundsatz: divide et impera ein Staat gegen den anderen ausgespielt wird.

2

S. zu dem Mehrstaatenproblem Dok. Nr. 73.

Die zweite Frage betrifft die Goldnotenbank3. Der Vertreter der Deutschnationalen, Hummelsheim[=Hommelsheim]-Köln, äußert gewisse Bedenken, daß das wertbeständige Geld der rh. Goldnotenbank zu einer neuen Währung wird, damit ein Hoheitsrecht des Reiches angetastet wird. Unter allen Umständen[1008] müsse die Genehmigung der Reichsregierung vorliegen – Justizrat Mönnig ruft dazwischen: „Die Reichsregierung wird heute voraussichtlich im zustimmenden Sinne beschließen!“4 Hummelsheim fordert vor allem Beteiligung aller Banken und der Wirtschaft des gesamten bes. Gebietes. Ferner ist ein Zurückdrängen der Franzosen in der Beteiligung zu erstreben. Die Engländer wünschen eine stärkere Beteiligung. Es ist ihnen anheimgegeben worden, dies selbst bei Frankreich durchzusetzen. Es wurde ein Anteil der Alliierten im Verhältnis der Reparationsanteile angeregt, dadurch würde Frankreich unter 25% Anteil bleiben.

3

S. hierzu zuletzt Anm. 5 zu Dok. Nr. 233.

4

S. Dok. Nr. 233, P. 1.

Weiter werden von Herrn Geheimrat Falk-Köln Mitteilungen über die Sitzung des rheinischen Provinziallandtages gemacht5. Es wurde in der Sitzung des Prov.Landtages ein „21er Ausschuß“ gewählt, der über die Dauer des Prov.Landtages weiter besteht. Er hat die Aufgabe, Berichte über alle Verhandlungen der Parteien und der Wirtschaft entgegenzunehmen, hat nicht die Aufgabe, irgendwelche Verhandlungen selbst zu führen; er soll nur auf dem Laufenden gehalten werden. Ehe Beschlüsse irgendwelcher Art gefaßt werden, muß er gehört werden. Er gilt nur für die rheinische Provinz. Dadurch wird vermieden, daß der Provinziallandtag selbst mit Verhandlungen zusammengebracht wird, daß ein Gegeneinanderarbeiten stattfindet, und schließlich wird erreicht, daß gewisse Hemmungen für Verhandlungen gegeben sind. Dieser Ausschuß hat einen Unterausschuß gewählt aus vier Personen, der insbesondere einen Notschrei des besetzten Rheinlandes über den Separatisten-Terror an das Ausland richten soll6.

5

Vgl. den Bericht des RMbesGeb. in Dok. Nr. 233, P. 1.

6

Vgl. hierzu Anm. 12 zu Dok. Nr. 202.

(Entsprechend dem 21er Ausschuß hat der westfl. Provinziallandtag den Ältesten- Ausschuß [15 Personen] als Parallel-Kommission am 11. Nov. bestimmt.)

Den Standpunkt der Pfalz vertritt dann Neubaur (Demokrat) im Namen der D.V.P., Bayr. V. P., dem. und sozialdem. Partei. Es ist der Wunsch dieser Parteien, im Verband des Reiches zu bleiben. Er schildert die schwierige Stellung der Pfalz7.

7

Zur Entwicklung in der Pfalz s. zuletzt Dok. Nr. 181; vgl. auch L. Zimmermann, Frankreichs Ruhrpolitik, S. 234 ff.

Vom Vertreter des westfl. Zentrums, Gilsing-Bochum, wird die Auffassung vertreten, daß das westfl. Zentrum beim Reich und bei Preußen zu bleiben wünscht. Er regt Vertretung Westfalens beim „Vierer Ausschuß“ an. Vom Vorsitzenden wird empfohlen, daß der westfl. Prov.Landtag einen Vertreter hinzudelegiert. Hessen lehnt eine Beteiligung an diesem Ausschuß ab. Die Pfalz behält sich die Stellungnahme hierzu vor.

Der Vorsitzende Mönnig weist die häufigen Angriffe auf Hagen und Adenauer energisch zurück8. Darauf erscheint in der Sitzung Geheimrat Hagen. Er berichtet zunächst über den Stand der Verhandlungen bezgl. der Goldnotenbank. Er erklärt, daß alle Teile des bes. Gebietes beteiligt werden[1009] sollen, daß alle Klagen über nicht genügende Berücksichtigung unberechtigt sind. Er bezeichnet das Gerücht über die Gründung einer selbständigen südl. Goldnotenbank für falsch. Es besteht lediglich die Absicht, (Dyckerhoff), wertbeständiges Notgeld herauszugeben. Er teilt mit, daß Tirard Verhandlungen mit Vertetern der pol. Parteien wünsche. Er habe erreicht, die Zahl der Vertreter bei einer solchen Aussprache auf acht heraufzuschrauben; außerdem habe Triard zwei gestellte Vorbedingungen zugesagt:

8

Vgl. hierzu Anm. 12 zu Dok. Nr. 198; Anm. 10 zu Dok. Nr. 210.

1.

Fernhalten aller Separatisten.

2.

Eine Diskussion über Abtrennung vom Deutschen Reich kommt nicht in Frage9.

9

Zur Besprechung Hagens mit Tirard am 3.11.23 s. K. D. Erdmann, Adenauer in der Rheinlandpolitik, Dok. Nr. 11.

Für diese „Achter Kommission“ kommen Vertreter des Prov.Landtages offiziell nicht in Frage10. Es wird vorgeschlagen, diese Kommission aus Mönnig, Hagen, Meerfeldt (Soz.), Moldenhauer, Falk (Demokrat), einem deutsch-nat. Landwirt, drei Vertretern aus dem Süden zu bilden. Die Westfalen beantragen Vertretung im Achter Ausschuß. Genehmigt.

10

Vgl. hierzu auch Stresemanns Äußerung über private Verhandlungen in Dok. Nr. 233, P. 1.

Die Deutschnationalen lehnen die Beteiligung ab, falls nicht bestimmte Vorbedingungen erfüllt sind. Hagen lehnt die Führung dieser Kommission ab, wenn feste Marschroute vorgeschrieben wird. Er erklärt, daß die Verhandlungen angeboten sind und nicht abgelehnt werden können. Einen Bescheid von Berlin einzuholen, ob die Aussprache opportun sei, wie Falk vorschlägt, erscheint daher nicht am Platze. Hagen verläßt die Sitzung, da er anderweitige Verhandlungen hat. Moldenhauer erklärt, man dürfe angefangene Verhandlungen nicht abreißen lassen. Für unsere Freunde komme nicht die Absicht in Frage, über einen besonderen Bundesstaat zu verhandeln. Im alleräußersten Notfalle komme höchstens eine erhöhte Selbständigkeit eines aus dem Provinziallandtag bezw. Kreistagen (Pfalz etc.) gebildeten Gremiums für die Dauer des Besatzungszustandes in Frage11. Falk erklärt weiter, daß Verhandlungen über staatsrechtliche Umgestaltungen nicht allein zwischen Frankreich und dem Dtsch. Reich stattfinden dürfen, sondern sie können nur internationale Verhandlungen werden. Herr Tirard drängt jetzt. Wir tun gut, uns in diesen Verhandlungen möglichst sperrig zu zeigen.

11

S. hierzu den Moldenhauer-Plan bei K. D. Erdmann, Adenauer in der Rheinlandpolitik, Dok. Nr. 14.

Klupsch-Dortmund (Soz.) nimmt für die Sozis den Standpunkt ein, daß wegen einer Abtrennung mit den Franzosen nicht verhandelt werden kann. „Wir lehnen jede staatsrechtliche Änderung ab!“

Mahler-Dortmund (D.V.P.) erklärt im Namen seiner Parteifreunde, daß Abtrennung weder vom Reich noch von Preußen für sie diskutierbar sei. Die beiden Bedingungen des Herrn Geheimrat Hagen müßten bei den Westfalen den Anschein erwecken, als ob über die dritte Frage, Lostrennung von Preußen, von der „Achter Kommission“ verhandelt werden solle. Dieser Gedanke fände allg. Ablehnung in Westfalen. Die vorher festgestellte Einigkeit bezgl.[1010] der Erhaltung eines Gesamtkomplexes des besetzten Gebietes werde durchkreuzt, wenn, wie es den Anschein habe, gewisse Kreise den Wunsch hätten, eine Loslösung von Preußen zu erwägen. Westfalen werde dann vor neue Entscheidungen gestellt. Die Kommission dürfe nicht das Recht haben zu verhandeln. Es dürfe nur eine Aussprache ohne Bindungen stattfinden.

Bezeichnend sind nervöse Zwischenrufe des Vorsitzenden Mönnig bei den Äußerungen der Westfalen. U. a. erklärte er: „Schicken Sie doch eine Anzahl Vertreter von Westfalen nach Koblenz oder Trier und lassen Sie diese beurteilen, ob nicht dort staatsrechtl. Entschlüsse bereits unter dem schärfsten Terror notwendig sind. Denn nur der Gewalt wird man weichen. Und diese kann dort nicht größer sein. Wenn nicht erträgliche Ziele bei Verhandlungen zustande kommen, entsteht unbedingt das Chaos. Die hungernden und in Verzweiflung geratenen Bewohner werden sich den Franzosen dann in die Arme werfen. Das muß verhütet werden!“

Rippel-Hagen (Dn.) stellt die restlose Einigkeit der Westfalen fest. Man dürfe sich nicht von den Leiden bestimmen lassen zu dem, was zu tun ist. Wir hätten Zeit, wenn Tirard keine Zeit habe. Hoheitsrechte und pol. Fragen dürften mit Herrn Tirard nicht verhandelt werden.

Gilsing-Bochum ist merkwürdig berührt über die Erörterung, die hier gepflogen wurde. In Hagen sei die Stimmung wesentlich anders gewesen12. Mönnig ruft dazwischen: „Dort hat keiner die Wahrheit gesagt!“ Gilsing fährt fort: „Die Eile, die hier herrsche, mache ihn bedenklich.“ Die Westfalen ständen treu zu Deutschland und bis zum letzten Augenblick zu Preußen, auch dort, wo die furchtbarste Bedrückung herrsche. Das westfl. Zentrum könne sich nicht an einer Kommission beteiligen, die über eine evtl. Lostrennung von Preußen verhandelte. Der Standpunkt der christl. Gewerkschaften in Rheinland und Westfalen sei der: „Wir halten feste Treue zu Deutschland und zu Preußen. Nur die allerweitgehendsten Zwangsmittel können dazu führen, losgelöst zu werden.“ Außerdem sei unbedingt die Zustimmung der Regierung zu irgendwelchen Änderungen notwendig.

12

Vgl. Dok. Nr. 179 und Dok. Nr. 210.

Priester-Dortmund (Demokrat) tritt für die Aussprache mit Tirard ein. Ihn wundere, daß das Ziel der Franzosen nicht mehr die Lostrennung vom Dtsch. Reiche sei. Wenn die Loslösung von Preußen mit der „Achter Kommission“ besprochen werde, müsse sie erklären, sie sei nicht autorisiert. Mönnig ruft dazwischen: „Sie muß sagen, wir bauen die Selbstverwaltung aus!“

Schließlich wird für die Kommission eine gewisse Marschroute festgelegt, die Falk schriftlich aufzeichnen soll. Sie enthält folgende Punkte:

1.

Man ist einig, daß die Kommission zu der Aussprache zu Tirard geht.

2.

Die Kommission hat alle Gründe der Welt gegen eine Lostrennung vorzubringen.

3.

Sie muß sagen, das sei eine Lebensfrage der rheinischen Bevölkerung, des Deutschen Reiches und von ganz Europa. Sie kann nicht hier gelöst werden. Die Kommissionsmitglieder seien nur Boten.

4.

[1011]Tirard solle einen Weg zeigen, wie darüber mit den verfassungsmäßigen Regierungsorganen verhandelt werden könne.

Gelinge das, so sei etwas Großes erreicht. Gelänge es nicht, dann müsse die Kommission erklären, sie werde ihren Freunden Bericht erstatten.

Am gleichen Nachmittag werden Moldenhauer und Falk von dem Leiter der englischen politischen Abteilung in Köln empfangen. Er erklärt, er habe von mehreren Seiten erfahren, der rheinische Provinziallandtag habe die Loslösung beschlossen. Ihm wird von den beiden Herren erklärt, daß das eine falsche Mitteilung sei. Darüber ist er beruhigt und stellt fest, daß für England eine Loslösung vom Deutschen Reiche unter keinen Umständen befürwortet oder gebilligt werde13. Die Herren haben auch den Eindruck, als ob England an einer Lostrennung von Preußen nichts gelegen sei. Der Engländer weist besonders darauf hin, daß in dem demnächst zusammentretenden Parlament für uns günstige Erklärungen abgegeben würden14. Baldwin sei ein ernst zu nehmender Mann. Man dürfe durchaus Vertrauen zu ihm haben. In diesem Zusammenhang weist Moldenhauer auf die Enttäuschung hin, die uns engl. Versprechungen bisher gemacht haben. Außerdem wisse man nicht, wie lange diese Regierung am Ruder sei. Beides muß der Engländer zugeben.

13

S. a. Anm. 11 zu Dok. Nr. 233.

14

Das brit. Parlament wurde am 6.12.23 neu gewählt. Zur Haltung der brit. Regierung s. Schultheß 1923, S. 287.

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