1.160 (str2p): Nr. 273 Aufzeichnung über das vom Chef der Heeresleitung eingeleitete Verbotsverfahren gegen KPD, DVFP und NSDAP. 20. November 1923

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[1153] Nr. 273
Aufzeichnung über das vom Chef der Heeresleitung eingeleitete Verbotsverfahren gegen KPD, DVFP und NSDAP. 20. November 1923

R 43 I /2702 , Bl. 11 Abschrift1

1

Die Aufzeichnung aus der Dienststelle des RKom. f. Überwachung der öff. Ordnung wurde vom RIM dem RK am 20. 11. zugesandt. Jarres bemerkte hierzu: „Es handelt sich hier meiner Auffassung nach um einen so entscheidenden Eingriff in die gesamte Politik, daß ich es für unbedingt notwendig halte, im Kabinett über die beabsichtigte Maßnahme zu beraten, um evtl. noch Vorstellungen bei dem Inhaber der vollziehenden Gewalt zu erheben.“ Demgegenüber vermerkte v. Stockhausen: „Da die Verordnungen des Inhabers der vollziehenden Gewalt betr. Auflösung der dtsch.-völk. Freiheitspartei u. der kom. Partei bereits erlassen sind, kommt eine Kabinettsberatung über die ‚beabsichtigte‘ Maßnahme zu spät“ (R 43 I /2702 , Bl. 11).

Am Sonnabend, den 17. November ersuchte Hauptmann Marcks vom Reichswehrministerium den Referenten, Regierungsrat von Lengrießer, um Entwurf einer Verordnung, nach welcher die kommunistische Partei Deutschlands, die Deutschvölkische Freiheitspartei und die National-Sozialistische Deutsche Arbeiterpartei vom Inhaber der vollziehenden Gewalt verboten und aufgelöst werden2. Der Unterzeichnete trug am Montag, den 19. November diese Sache dem Herrn Reichskommissar vor und legte ihm einen Entwurf der in Aussicht genommenen Verordnung vor. Der Herr Reichskommissar hatte Bedenken, ob die vom Inhaber der vollziehenden Gewalt in Aussicht genommenen Verbote politisch zweckmäßig und geeignet seien, den gewünschten Erfolg zu erzielen, und ließ das Reichswehrministerium in diesem Sinne verständigen und bitten, daß Herr Hauptmann Marcks sich in dieser Sache persönlich an ihn wenden solle. Er erschien darauf am selben Tage Herr Hauptmann Marcks bei dem Herrn Reichskommissar und erklärte auf dessen Bedenken gegen den Erlaß solcher Verbote, daß das Verbot von Herrn von Seeckt bereits beschlossen sei und daß Herr von Seeckt hiervon den Herrn Reichspräsidenten verständigt habe. Er betonte, daß es sich bei der Mitwirkung des Herrn Reichskommissars nur um die zweckmäßige Fassung des Verbots handle. Der Herr Reichskommissar erklärte ihm darauf, daß er den Rat seiner Referenten hinsichtlich der Fassung des Verbots gern zur Verfügung stelle, aber nur in der Weise, daß es sich um eine private beratende Tätigkeit dieser Herren für das Reichswehrministerium handle. Von dem Unterzeichneten wurden darauf zwei Entwürfe für das Verbot Herrn Hauptmann Marcks persönlich zugeleitet3.

2

Dazu heißt es in den Lieber-Aufzeichnungen in der Rubrik „Ausnahmezustand“ mit dem Datum 20.11.23: „Seeckt verbietet und löst auf sämtliche Organisationen der kommunistischen Partei, der NSDAP und der deutsch-völkischen Freiheitspartei. Erstere wegen ihres Widerstandes in Sachsen, Thüringen und Hamburg, die NSDAP, weil sie es unternommen habe, Soldaten der Wehrmacht zum Ungehorsam zu verleiten und die Regierung des deutschen Reiches durch bewaffneten Aufstand zu stürzen, die Freiheitspartei, weil ihr Führer von Graefe an dem Umsturzversuch teilgenommen habe“ (BA-MA: NL von Rabenau  40, Bl. 59).

3

Die VO zum Verbot der KPD wurde am 20.11.23 erlassen, ebenso das Verbot der NSDAP und Dt.-völk. Freiheitspartei. Sie wurden unter dem Datum des 23.11.23 veröffentlicht, s. Ursachen und Folgen V, Dok. Nr. 1206. Hierüber schrieb E. Koch-Weser in einer Rückschau auf die Ereignisse seit dem 6.11.23 am 16.5.24: „Innenpolitische Fortdauer der Diktatur. Seeckt, anläßlich des Hitlerputsches an Stelle Geßlers eingesetzt, um Ludendorff einen Gegenspieler zu geben. Vielfach berechtigte Klagen über diese Diktatur. Vom Verbot der nationalsozialistischen und kommunistischen Parteien selbst der Reichskanzler Stresemann in den Tagen der großen Debatte über seinen Abgang völlig überrascht“ (BA: NL Koch-Weser  30, Bl. 23).

gez. Mühleisen.

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