1.167 (str2p): Nr. 280 Der Reichsfinanzminister an den Chef der Heeresleitung. 23. November 1923

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Nr. 280
Der Reichsfinanzminister an den Chef der Heeresleitung. 23. November 1923

Pol.Arch.: Sonderreferat Wirtschaft Finanzwesen 16, Bd. 8 Abschrift

[Betrifft: Schreiben des Chefs der Heeresleitung an den Reichskanzler vom 20.11.231.]

1

S. Dok. Nr. 272.

Die in dem Schreiben an den Herrn Reichskanzler vom 20. d.Mts. […] angeführten und auch von mir auf das lebhafteste beklagten Mißstände im Geld- und Zahlungswesen sind nicht, wie von dortiger Seite angenommen wird, die Wirkungen einer fehlerhaften Währungspolitik, sondern die unausbleiblichen[1164] Folgen eines durch jahrelangen äußeren Druck und innere Wirren herbeigeführten Währungszusammenbruchs.

Es erscheint mir höchst zweifelhaft, ob eine wesentliche Besserung der Lage zu erzielen gewesen wäre, wenn man die Entwicklung der Devisenkurse sich selbst überlassen hätte. Vielleicht hätten sich durch eine sofortige und restlose Angleichung des Dollarpreises an den Weltmarktpreis manche Übelstände vermeiden lassen. Eine solche Angleichung hätte aber auf der anderen Seite bei der dann erfolgten sprunghaften Steigerung nicht nur ähnliche Erscheinungen gezeitigt, wie sie jetzt eingetreten sind, sondern darüber hinaus eine Zurückweisung der Papiermark in so verstärktem Maße hervorgerufen, daß die Versorgung der Bevölkerung mit lebenswichtigen Produkten noch mehr als jetzt gefährdet gewesen wäre2. Durch die künstliche Niedrighaltung der Wechselkurse war es möglich, trotz der verzweifelten innerpolitischen und der wenig trostvollen außenpolitischen Lage eine gewisse Kontinuität der Währungsverhältnisse wenigstens für die Spanne einiger Tage zu erreichen und damit vielleicht den endgültigen Wirtschaftszusammenbruch zu vermeiden.

2

S. Anm. 10 zu Dok. Nr. 223.

Daß von der Einführung nicht sofort die erhoffte beruhigende Wirkung eingetreten ist, liegt in der Hauptsache daran, daß aus technischen Gründen, und auch nicht um sofort das Vertrauen zur Rentenmark durch allzu großes Angebot zu erschüttern, die Einführung nur langsam und durch solche Kanäle bewirkt werden mußte, die ein Hamstern und spekulatives Ausnutzen nach Möglichkeit ausschlossen3.

3

Tatsächlich war in der Erwartung eines stärkeren Kursanstieges entsprechende Börsenspekulation getrieben worden („Die Zeit“, Nr. 271 v. 29.11.23).

Die starke Erhöhung der Grundpreise im Laufe der letzten 8 Tage4 ist meines Erachtens größtenteils auf wucherische Ausbeutung seitens der Produzenten und des Handels, der mit allen Mitteln begegnet werden muß, zurückzuführen. Es ist weder mit der Minderbewertung des Dollarkurses in Berlin, der hinter dem New Yorker Kurse nur etwa um 1/5 zurückbleibt, noch mit der seit 1914 angetretenen Minderung der Kaufkraft des Goldes von etwa 50 bis 70% zu entschuldigen, wenn die Goldpreise in den Läden Berlins und anderer Großstädte auf das 3- bis 4-fache des Friedenspreises und mehr hinauf gesteigert werden. Maßnahmen zur Abstellung dieses Übelstandes sind im Reichswirtschaftsministerium ergriffen und werden fortgesetzt weiter bearbeitet.

4

Der Preis für Brot hatte am 10.11.23 105 Mrd. M., am 17.11.23 480 Mrd. M und am 23.11.23 840 Mrd. M betragen. An den gleichen Tagen kostete 1 l Vollmilch 26 Mrd., 156 Mrd., 280 Mrd.; 1 Kilowattstunde Strom 63 Mrd., 252 Mrd., 420 Mrd.; 1 Kubikmeter Wasser 31 Mrd., 126 Mrd., 210 Mrd. (Die Zeit, Nr. 261, 262, 266 v. 10., 17., 23.11.23; s. a. Anhang Nr. 7).

Keinesfalls glaube ich, daß von den in dem dortigen Schreiben vorgeschlagenen Maßregeln eine Besserung zu erwarten steht. Die Aufhebung des amtlichen Deviseneinheitskurses ist eine Angelegenheit, die nach der täglichen Entwicklung der Frage fortgesetzt im Benehmen mit dem Herrn Reichswährungskommissar behandelt wird; sie aber schon in dem jetzigen Zeitpunkt zu beschließen, würde neue Verwirrung in das Wirtschaftsleben hineintragen. Das bisherige Verfahren, nach welchem der Börsenkurs des Dollars vom Vortage[1165] bis zum nächsten Börsenkurs als Grundlage für die Umrechnung der Goldmark dient, könnte dann nicht weiterbeibehalten werden, und die jetzt sich in einfachen Formen vollziehende Verrechnung von Rentenmark und Goldanleihescheinen würde einem ständigen Hin und Her der Kurse und der Verrechnungen Platz machen und eine Quelle fortwährender Differenzen in Handel und Verkehr bilden. – Die Herstellung eines festen Wertverhältnisses zwischen Papier- und Rentenmark läßt sich in diesen Tagen durch Verordnung nicht bewerkstelligen. Sie würde bei der schwankenden Wertung, die die Mark infolge der oben geschilderten Momente zur Zeit noch hat, zunächst nichts weiter bewirken, als daß die Rentenmark mit in den Entwertungsprozeß der Papiermark hineingezogen wird5, während mein Hauptaugenmerk in erster Linie darauf gerichtet ist und sein muß, die Rentenmark auf Goldmarkparität zu halten und so das Vertrauen, das ein großer Teil des Publikums ihr entgegenbringt, zu rechtfertigen.

5

Der Wert der Rentenmark blieb im Verhältnis zur Goldmark stabil, während nach der Ausgabe der Rentenmark die Papiermark jäh stürzte. Ihr Wert betrug im Verhältnis zur Goldmark am 19.11.23 (in Tausend): 600 296 983 und am 20. 11.: 1 000 494 971; s. a. Anhang Nr. 7).

Dagegen verspreche ich mir eine Besserung der Verhältnisse davon, daß in den nächsten Tagen ein recht erheblicher Betrag von Rentenmark dem Verkehr zugeführt werden und in dem gleichen Maße große Mengen von Papiermark aus dem Verkehr gezogen werden können. Die hierdurch bewirkte Verknappung des umlaufenden Markbetrages auf eine (in Gold umgerechnet) verhältnismäßig geringfügige Menge, die durch das bei der Reichsbank hierfür verfügbare Gold hinreichend gedeckt ist, wird es endlich ermöglichen, den Kurs der Papiermark in rein tatsächlicher Beziehung zu stabilisieren. Und wenn dies gelungen ist, so wird ein festes Wertverhältnis zwischen Papiermark und Rentenmark sich von selbst ergeben und somit auch eine gleichmäßige Bewertung der Rentenbank erzielt werden können.

gez. Dr. Luther

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