2.118.1 (vpa1p): 1. Wirtschaftspolitik der Reichsregierung.

Zum Text. Zur Fußnote (erste von 8). Zu den Funktionen. Zum Navigationsmenü. Zum Navigationsbaum

 

Bandbilder:

Das Kabinett von Papen Band 1Das Kabinett von Papen Bild 183-R1230-505Wahllokal in Berlin Bild 102-03497AGöring, Esser und Rauch B 145 Bild-P046294Ausnahmezustand in Berlin während des „Preußenschlages“.Bild 102-13679

Extras:

 

Text

RTF

1. Wirtschaftspolitik der Reichsregierung.

Der Reichsminister der Finanzen erläuterte den beiliegenden Plan für die Ausgabe von Steueranrechnungsscheinen, der zu Beginn der Sitzung verteilt wurde1. Ein sozialer Ausgleich für die Entlastung der Unternehmer durch die Erleichterungen auf dem Gebiete der öffentlichen Abgaben habe sich noch nicht finden lassen. In dieser Hinsicht sei die Hergabe von Beihilfen unmittelbar für die Einstellung von Arbeitern erwünscht. Die Steuerbonds dürften nicht als Geldzeichen verwendet werden.

1

Vgl. Dok. Nr. 116, dort auch Anm. 1.

Der Reichsbankpräsident äußerte schwere Bedenken gegen die niedrige Stückelung der Steueranrechnungsscheine. Sie würden als Geld empfunden und verwandt werden. Dadurch entstehe unmittelbar die Gefahr inflationistischer Wirkungen.

Diese müßte dadurch vermieden werden, daß die Scheine nicht unter 50 RM ausgestellt und daß sie mit einem Agio versehen würden2. Nach oben könnten die Stücke auf sehr hohe Summen lauten. Zu erwägen sei, ob bei kleinen Beträgen die Ausstellung nicht auf die Summe erfolgen solle, die sich bei der Steueranrechnung tatsächlich ergebe. Diese technischen Fragen würden zweckmäßig noch eingehend mit dem Reichsbankdirektorium zu besprechen sein.

2

Vgl. unten Anm. 5.

Durch die Hingabe der Scheine würde die wirtschaftliche Lage der Schuldner verbessert, seine Kreditfähigkeit also erhöht. Eine Sonderkreditmöglichkeit ganz ohne Rücksicht auf seine allgemeine wirtschaftliche Lage würde sich auf Grund der Scheine kaum konstruieren lassen.

Bei der Landwirtschaft könnten die Scheine auch wohl zweckmäßig zur Tilgung von Schulden bei den Genossenschaften benutzt werden. Sie würden dann schließlich bei der Preußenkasse eingehen, der sie dann auf Grund einer Vereinbarung mit dem Reichsfinanzministerium in bar eingelöst werden könnten3.

3

Der RbkPräs. folgt hier einem von Dreyse in der Sitzung des Reichsbankdirektoriums am Vormittag des 27. 8. gemachten Vorschlag. Luther dazu in einer Tagesnotiz vom gleichen Tage: Dreyse habe „den schon gestern mir gegenüber erwähnten Gedanken“ vorgebracht, „ob nicht die Landwirte ihre Schulden bei den Genossenschaften mit den Steuerscheinen zahlen könnten. Das Wechselmaterial, das wir haben, in dem die Verbandskassen von der Preußenkasse bezogen würden, müßte dasselbe bleiben. Die Preußenkasse könnte aber statt der Forderung an den letzten Schuldner den Steuerschein hereinnehmen und müßte dann mit dem Reich ein Abkommen treffen, daß das Reich aus der Hand der Preußenkasse Steuerscheine bar einlöst“ (NL Luther  369, Bl. 58–59).

[458] Ob eine ähnliche Regelung auch für andere Schuldnerkategorien getroffen werden könnte, müsse sich bei Verhandlungen mit den Banken ergeben. Es werde nicht möglich sein, daß diese von der Unterschrift und Haftung der Beteiligten in vollem Umfange absehen, sonst müßte jede Bank mit dem Reich ein Abkommen dahin treffen, daß dieses die Papiere in bar einlöst.

Würden die Scheine ohne Berücksichtigung der Lage des Inhabers hereingenommen, also anonym honoriert, so erhielten sie den Charakter von Geldzeichen.

Die Lombardierung der Scheine werde nicht grundsätzlich abgelehnt. Wenn neue wirtschaftliche Aufgaben in Angriff genommen würden, so werde es auch möglich sein, die erforderlichen Unterschriften zu bekommen.

Die Klagen über ungenügende Kreditgewährung würden im allgemeinen nicht mit ausreichenden Beweisen belegt.

Die ganze Frage müsse im Sinne der Regierung bei den Banken besprochen werden. Die Reichsbank sei mit ihr im Ziele einig. Für sie bedeute die Zustimmung einen sehr schweren Entschluß.

Der Reichswirtschaftsminister hielt es nicht für möglich, die Steuerscheine auf Summen auszustellen, die der jeweiligen Steuerschuld entsprächen. Summen, die nicht restlos durch 10 teilbar seien, würden dem Papier den Charakter der Begebbarkeit nehmen. An der 50 RM-Grenze könnte festgehalten werden. Unter 50 RM könnten die Scheine vielleicht auf den Namen ausgestellt werden.

Die erhoffte Wirkung sei nur zu erwarten, wenn jeder Besitzer diese Scheine diskontieren könne, wie er wolle.

Wesentlich sei, daß die Krediterleichterung über das Maß dessen hinaus erfolge, was den Banken und von diesen den Unternehmern als Kreditkontigent zugebilligt worden sei. Besondere Vorsorge müsse dagegen getroffen werden, daß nicht statt dessen die Liquidität der Banken gesteigert würde. Eine Prüfung der Qualität des Schuldners würde die Wirkung beeinträchtigen4.

4

Über diese Ausführungen des RWiM vermerkte Luther in einer Tagesnotiz vom 27. 8.: „Warmbold fragte dann noch immerzu, ob denn diese Kreditinstitute nun auch einen zusätzlichen Kredit bedeuten würden und behauptete, bei Wechseln dürfe man, wenn der Steuerschein die Grundlage bilde, auf die Qualität der Wechselunterzeichner überhaupt nicht sehen. Ich erwiderte, daß das m. E. unrichtig betrachtet sei, da, wenn jemand neue Kreditunterlagen habe, auch seine Unterschrift besser wird und man selbstverständlich bei Wechseln nicht ausschließen könne, daß man ihnen den Charakter des Geschäftes ansähe.“ (NL Luther  369, BL. 60).

Bei Klagen über mangelnde Kreditgewährung wagten die Schuldner nicht, Beweise zu erbringen, weil sie daraus Schwierigkeiten bei ihren Kreditinstituten befürchteten.

Wenn keine Maßnahmen der geplanten Art ergriffen würden, dann würde die Entwicklung für die Reichsbank und die Wirtschaft wesentlich gefährlicher verlaufen als bei Durchführung der Pläne. Das Risiko der Reichsbank wäre wesentlich geringer als die Gesamtsumme der Scheine.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft befürchtete, daß durch[459] den Handel mit den Steuerscheinen in die Landwirtschaft ein spekulatives Moment hineingetragen würde. Das wäre außerordentlich unerfreulich.

Der Reichsminister der Finanzen hielt ein Agio bei den Steuerscheinen nicht für unbedingt nötig. Es wäre eine erhöhte Belastung und verursache erhöhte technische Schwierigkeiten5. Es sei daran gedacht, bei der Zahlung von Steuern mit diesen Scheinen für den nicht in Anspruch genommenen Betrag neue andersfarbige Scheine auszugeben, die dann im nächsten Jahre Verwendung fänden. Er sagte zu, daß die Ausstellung der kleinen Scheine auf die tatsächliche Summe in Verbindung mit der Reichsbank geprüft würde. Die technischen Schwierigkeiten dürften dadurch aber nicht übermäßig werden.

5

Luther hierzu in einem Aktenvermerk für Dreyse vom 27. 8. („abends 8 Uhr“): „Krosigk machte dann noch den Einwand, daß man bei kleinen Stücken das Agio nicht ausrechnen könne, worauf ich erwidert habe, dann könne man vielleicht eine runde Prämie nehmen.“ (NL Luther  347).

Die Entlastung bei der Hauszinssteuer6 werde praktisch nicht durchführbar sein. Es sei aber daran gedacht, für Hausreparaturen 50 Millionen zur Verfügung zu stellen.

6

Vgl. die Ausführungen des RWiM vor Vertretern des RdI am 25. 8. (Dok. Nr. 111, dort auch Anm. 5).

Der Reichskanzler stellte fest, daß die noch nicht geklärten Fragen im engen Kreise der zuständigen Minister und der Reichsbank entschieden werden sollen7. Bei der neuen Bankenpolitik werde gefordert werden müssen, daß die Banken die Steuerscheine als Unterlagen für zusätzliche Kredite annehmen. Er dankte den Beteiligten für ihre Anregungen und Arbeit zur Lösung des Problems, insbesondere auch dem Reichsbankpräsidenten. Er erhoffe durch diese Maßnahmen eine Beendigung der Deflationsperiode8.

7

Über solche Verhandlungen nichts ermittelt.

8

Zum Fortgang s. Dok. Nr. 121, P. 2.

Extras (Fußzeile):