2.23.1 (vpa1p): 1. Deutsch-bulgarische Handelsvertragsverhandlungen.

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1. Deutsch-bulgarische Handelsvertragsverhandlungen1.

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In der Kabinettsvorlage des AA vom 8. 6. hieß es u. a.: Seit dem 25.5.32 verhandele eine dt. Delegation in Sofia über die Neuregelung der dt.-bulg. Wirtschaftsbeziehungen (bisher geregelt lediglich durch Notenwechsel vom 8.9.21 betr. Gewährung gegenseitiger allgemeiner Meistbegünstigung) durch einen Handels- und Schiffahrtsvertrag. Die Delegation habe um Instruktion gebeten, ob Bulgarien bei einigen landwirtschaftlichen Produkten (Pflaumen, Kirschen, Weichseln, Erdbeeren, Federvieh, Häute und Felle) die gleichen Zollvergünstigungen gewährt werden könnten, wie sie für diese Warenarten bereits in Handelsverträgen mit anderen Ländern (u. a. Italien, Frankreich, Jugoslawien, Griechenland) enthalten seien. Das AA, das RWiMin. und das RFMin. hätten sich in dieser Frage positiv geäußert, im Gegensatz zum REM, der gebeten habe, „zunächst eine grundsätzliche Stellungnahme des Reichskabinetts über die Gestaltung der zukünftigen deutschen Handelspolitik, insbesondere eine Entscheidung über die Frage herbeizuführen, ob von Deutschland auch künftighin weitere Bindungen in neuen Handelsverträgen zugestanden werden sollen.“ Der REM „selbst steht der Gewährung neuer Bindungen grundsätzlich ablehnend gegenüber“ (R 43 I /1088 , Bl. 10–11).

Der Reichsminister des Auswärtigen machte zunächst grundsätzliche Ausführungen über die deutsche Handels- und Zollpolitik2. Auf die Führung von[73] Handelsvertragsverhandlungen und in deren Verfolg auf die Gewährung von gebundenen Positionen in den Tarifanlagen könne auch in Zukunft nicht verzichtet werden. Es würde sich empfehlen, wenn die sachlich beteiligten Ressorts sich künftig über einzelne Wirtschaftsfragen untereinander schlüssig würden, damit das Reichsministerium mit Einzelfragen nicht belastet werde.

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Ausführungen zu diesem Thema sind in der Vorlage des AA nicht enthalten. – In einem Referentengutachten vom 10. 6. hatte Feßler hierzu u. a. dargelegt: „Die Handelspolitik der maßgebenden Staaten der Welt ist in starkem Flusse. Die protektionistische Welle ist in einer Weise angeschwollen, daß wohl allen Ländern der Widersinn übertriebener Beschränkungen des Welthandels bei fortschreitender Entwicklung von Technik und Verkehr durch weiteren schweren Schaden deutlich wird. Es hat den Anschein, als wenn die verantwortlichen Regierungen allmählich die Richtigkeit der Thesen einsehen, die ihre prominentesten Sachverständigen bereits auf der Weltwirtschaftskonferenz von 1927 entwickelt haben.“ Es sei ein Vorteil der dt. Volkswirtschaft, „daß sie sowohl auf der landwirtschaftlichen wie auf der industriellen Produktion beruht. Das macht es aber auch erforderlich, beide möglichst gleichmäßig zu fördern. Es muß gelingen, gleichzeitig agrarisch in der Richtung der Autarkie, industriell in der Richtung des Welthandels zu arbeiten.“ Aus diesen Erwägungen „ergibt sich die Notwendigkeit, in Handelsverträgen von Bindungen soweit irgend möglich abzusehen, um der unsicheren Zukunftsentwicklung nicht vorzugreifen. Andererseits aber wird es kaum vertretbar sein, wichtige Handelsverträge, von denen eine kräftige Förderung der deutschen Ausfuhr erwartet werden kann, an der strikten Ablehnung jeder Zollbindung scheitern zu lassen.“ (R 43 I /1088 , Bl. 12–13).

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft trat den Ausführungen des Reichsministers des Auswärtigen entgegen. Der Schutz der deutschen Landwirtschaft sei wichtiger als alle Maßnahmen, die der Exportförderung dienen. Die Lage der deutschen Landwirtschaft sei bekanntlich katastrophal. Wie sehr die deutsche Handelsvertragspolitik hierzu beigetragen habe, gehe aus einem Beispiel hervor. Die Einfuhr holländischen Gemüses würde in kürzester Zeit die im Westen des Reichs mühsam aufgebaute Gemüsekultur zum Erliegen bringen. Die bisherige Handelsvertragspolitik könne nicht beibehalten werden, da sich herausgestellt hat, daß der Binnenmarkt unter ihr schwer leidet. Er stellte zur Erwägung, entsprechende Verordnungen zu erlassen, und zwar unter Berufung auf die sonst unvermeidliche Störung der öffentlichen Ordnung. Er bat, daß keine Verhandlungen wegen des Butterzolles mit Dänemark, Finnland und Holland geführt werden.

Der Reichswirtschaftsminister hob hervor, daß der Wert jeder Abmachung mit dem Auslande danach beurteilt werden müsse, ob in ihrer Auswirkung die Zahl der Arbeitslosen steigt oder fällt. Auch die Landwirtschaft müsse daran interessiert sein, daß die Arbeitslosigkeit sinkt und damit die Kaufkraft der gesamten Bevölkerung steigt.

Er wies dann auf die besondere Lage Bulgariens hin, die es rechtfertige, daß Deutschland in Verfolg seiner Politik im Donauraum besonderes Entgegenkommen bewiese. Einzelne Positionen, für die Bulgarien bei den Verhandlungen eine Vorzugsbehandlung erbeten habe, könnten ohnedies von uns ohne weiteres bewilligt werden, da ihre Gewährung auf dem Binnenmarkt keine Schmälerung der heimischen Erzeugung bedeutet.

Der Reichswirtschaftsminister als Vorsitzender in Behinderung des Reichskanzlers stellte die Zustimmung der Mehrheit des Reichsministeriums zu der vom Handelspolitischen Ausschuß der Reichsregierung3 mit Mehrheit vorgeschlagenen Ermächtigung der deutschen Delegation in Sofia fest, bei den deutsch-bulgarischen Handelsvertragsverhandlungen den bulgarischen Wünschen nach Zollbindungen insoweit zu entsprechen, als die Zölle bereits in Verträgen mit anderen Ländern gebunden sind, wobei jedoch Einstimmigkeit darüber herrschte, daß das von Bulgarien erbetene Zugeständnis für frische und getrocknete Pflaumen aus den Postionen 47 und 48 des deutschen Zolltarifs nicht gewährt werden könnte. Das Reichskabinett ist angesichts der Dringlichkeit[74] dieses Falles der Ansicht, daß er als Sonderfall zu behandeln ist, unbeschadet der in der heutigen Sitzung aufgeworfenen grundsätzlichen Fragen, die in keiner Weise durch die Entscheidung des Reichskabinetts präjudiziert werden sollen4.

3

Über Zusammensetzung und Aufgaben dieses im März 1925 eingerichteten Ausschusses vgl. diese Edition: Die Kabinette Luther I/II, Dok. Nr. 26, P. 2; 42, P. 2.

4

Der vorstehende Absatz hier abgedr. in der auf Wunsch des AA von StS Planck nachträglich leicht geänderten und den beteiligten Reichsministern am 22. 6. mitgeteilten Fassung (R 43 I /1088 , Bl. 23). Das Originalprotokoll dieser Kabinettssitzung (R 43 I /1456 , S. 423) ist von der Rkei merkwürdigerweise nicht – wie sonst üblich – entsprechend korrigiert worden. – Der „Deutsch-bulgarische Handels- und Schiffahrtsvertrag“ wurde am 24.6.32 in Sofia unterzeichnet. Zu den zahlreichen neuen Zollvereinbarungen s. die dem Vertrage (RGBl. 1933 II, S. 60 –100) beigeführten Tariflisten. Zur „vorläufigen“ Anwendung des Vertrages kam es nach vollzogener Ratifizierung (Januar 1933) gemäß dt.-bulg. Notenwechsel vom 3.2.33 erst mit Wirkung vom 17.2.33 (RGBl. II, S. 99 ).

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