2.52.1 (vpa1p): Bericht über die Verhandlungen in Lausanne.

Zum Text. Zur Fußnote (erste von 8). Zu den Funktionen. Zum Navigationsmenü. Zum Navigationsbaum

 

Bandbilder:

Das Kabinett von Papen Band 1Das Kabinett von Papen Bild 183-R1230-505Wahllokal in Berlin Bild 102-03497AGöring, Esser und Rauch B 145 Bild-P046294Ausnahmezustand in Berlin während des „Preußenschlages“.Bild 102-13679

Extras:

 

Text

RTF

Bericht über die Verhandlungen in Lausanne.

Der Reichsminister des Innern gab einen Überblick über die Lage auf Grund telephonischer Unterredungen mit dem Reichskanzler. Die Franzosen seien nicht zu bewegen, die deutschen politischen Forderungen2 anzuerkennen3. Die anderen Mächte hätten zwar Deutschland unterstützt, wollten aber keinesfalls ein Scheitern der Konferenz.

2

Vgl. Anm. 1 zu Dok. Nr. 47; Anm. 1 zu Dok. Nr. 50; Anm. 9 zu Dok. Nr. 51.

3

Über den Verlauf der diesbez. Lausanner Verhandlungen (3.–7. 7.) vgl. Documents on British Foreign Policy, Second Series, Vol. III, Dok. Nr. 172–181. Seinen strikt ablehnenden Standpunkt in dieser Frage hatte Herriot nochmals nachdrücklich bei einer Besprechung mit Papen am Vormittag des 7. 7. zum Ausdruck gebracht und dabei erklärt, er sei „nach reiflicher Überlegung zu dem unabänderlichen Entschluß gelangt, daß die Konferenz sich auf ihre eigentliche Aufgabe, die Lösung der Reparationsfrage, beschränken müsse. In immer schärferen Wendungen lehnte er ganz entschieden jede Einbeziehung politischer Fragen in das Lausanner Ergebnis ab und gab außerdem zu verstehen, daß er unmöglich dem französischen Volke irgendein Entgegenkommen gegenüber den deutschen Wünschen nach Gleichberechtigung in der Abrüstungsfrage oder nach Widerrufung der Kriegsschuldthese zumuten könne. Zu letzterem Punkte bemerkte er, daß jede Entlastung, die er Deutschland in Bezug auf die Kriegsschuld zuteil werden lasse, die Überbürdung eines Teiles der Schuld auf Frankreich bedeute.“ (Aufzeichnung ohne Unterschrift vom 7. 7. in Pol. Arch. des AA, Büro RM 5 adh. 3, Bl. 97–98).

Der Vorschlag ginge jetzt dahin, daß alle Reparationszahlungen vom 1. Juli 1932 an gestrichen würden und der Young-Plan außer Kraft trete. Deutschland erhalte die Souveränität über die Reichsbank und die Reichsbahn zurück. Dafür müsse Deutschland die während des Hoover-Moratoriums aufgelaufenen Zahlungen nach dem Layton-Plan4 leisten. Die von den Franzosen vorgelegte politische Formel (Anlage) könne Deutschland nicht annehmen. Sie sei ungünstiger als keine5.

4

Vgl. Anm. 3 zu Dok. Nr. 50.

5

Die in Anlage 1 beigefügte Formel lautete: „Les accords de Lausanne ne comportent aucun élément politique, mais les états présents à la conférence s’efforceront de résoudre les problèmes actuellement posés ou qui se poseront ultérieurement dans le même esprit de collaboration et d’entente qui a inspiré ces accords et qui doit permettre d’en accroître les effets pour créer en Europe une situation nouvelle et y rétablir définitivement des sentiments de confiance et d’estime réciproque.“ Die Formel war von frz. Seite während der Besprechung des RK mit Herriot am Vormittag des 7. 7. (vgl. oben Anm. 3) entworfen worden. Über die Ablehnungsgründe s. die Ausführungen des RK in der dt.-brit. Besprechung am Nachmittag des 7. 7. (Documents on British Foreign Policy, Second Series, Vol. III, Dok. Nr. 182).

Der Reichskanzler glaube, er könne die Konferenz nicht mehr scheitern lassen. Der Vorteil sei so groß, daß die Nachteile in Kauf genommen werden müßten. Voraussichtlich werde es möglich sein, die zu leistenden Zahlungen[187] noch weiter herabzudrücken. Gleicher Ansicht seien der Reichsminister des Auswärtigen, der besonders auf die schweren Folgen eines Scheiterns der Konferenz hingewiesen habe, und der Reichsminister der Finanzen, besonders mit Rücksicht auf die Erleichterungen, die sich aus dem Layton-Plan ergeben.

Der Reichsminister des Innern führte weiter aus, es werde nach seiner Auffassung nicht mehr möglich sein zu erklären, daß Deutschland keine Zahlungen mehr leisten könne, nachdem über die Höhe der Leistungen bereits verhandelt sei. Keinesfalls aber dürfe noch außer über die Zahlungen aus dem Hoover-Moratorium von weiteren Leistungen Deutschlands die Rede sein, auch nicht von einem gemeinsamen Fonds.

Der Vertrag werde keine politischen Fragen lösen. Es werden sonst voraussichtlich noch einige Milliarden gezahlt werden müssen. Die Überzeugung von der deutschen Ehre habe sich aber so stark durchgesetzt, daß jede Zahlung für eine Ehrenerklärung unnötig sei. Würden die Verhandlungen scheitern, so hätten sämtliche Vertragsgegner volle Handlungsfreiheit. Für Deutschland würden insbesondere auch bei den privaten Schulden die größten Schwierigkeiten entstehen.

Der Reichswehrminister ergänzte die Ausführungen dahin, daß der Reichskanzler in seiner Beurteilung der Lage sehr vorsichtig gewesen sei, während der Reichsminister der Finanzen mit größtem Nachdruck dafür eingetreten wäre, daß das Abkommen angenommen werden müsse, auch wenn das Kabinett darüber fiele. Der Reichsminister der Finanzen habe wie der Reichswirtschaftsminister immer wieder betont, welche Schwierigkeiten durch die Ablehnung der Vorschläge erwüchsen.

Demgegenüber hätten der Reichsminister des Innern und er selbst unerträgliche innerpolitische Schwierigkeiten vorausgesagt, wenn auf alle deutschen Forderungen verzichtet würde. Die französische Formel wäre ein Hohn auf die Gefühle der öffentlichen Meinung in Deutschland.

Für die Stellungnahme des Kabinetts müsse maßgebend sein, daß die Ehrenerklärung der anderen Mächte die Voraussetzung für jedes deutsche Zugeständnis sein müßte. Von dieser Ehrenerklärung sei ein starker moralischer Auftrieb erhofft gewesen.

Erst nach seiner Rückkehr aus Paris habe Herriot jede Erklärung dieser Art abgelehnt. Deutschland müsse darum nunmehr auf den Ausgangspunkt der Verhandlungen zurückkehren und erklären, daß es nicht zahlen könne, solange es als zweitklassige Nation behandelt werde.

Daß in Genf die deutsche Gleichberechtigung in der Abrüstungsfrage erstritten werden könne, sei nach den Berichten der Vertreter des Reichswehrministeriums nicht anzunehmen. Auch in Genf hätten sich die Verhandlungen über diese Frage nunmehr versteift. Frankreich habe abgelehnt, bei der Vertagung darüber eine Erklärung abzugeben. Der Reichswehrminister sprach sich mit aller Entschiedenheit gegen den vorliegenden Vorschlag aus. Die deutsche Öffentlichkeit würde es nicht verstehen, wenn nunmehr auf alle politischen Forderungen verzichtet würde, nachdem sie öffentlich gestellt worden seien.

Der Reichsminister der Justiz sprach sich zunächst in ähnlichem Sinne aus. Er regte an, daß der Wegfall des Teiles VIII des Friedensvertrages nicht in eine[188] politische, sondern in eine rein juristische Formel gekleidet werden könnte. Andernfalls müsse jede Zahlung abgelehnt werden. Keine Partei würde es verstehen, wenn anders gehandelt würde.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft maß einer Ehrenerklärung der ausländischen Mächte für Deutschland nur eine geringe Bedeutung bei. Die Ehre Deutschlands könne nicht auf ihr beruhen, sondern ruhe in sich. Auch die Gleichberechtigung habe keine praktische Bedeutung. Sie sei eine Machtfrage. Nachdem aber diese politischen Forderungen in aller Öffentlichkeit erhoben worden seien, werde es nicht möglich sein, von ihnen abzugehen. Auch er stellte sich auf den Standpunkt, daß zum Ausgangspunkt der Verhandlungen zurückgekehrt werden müsse und jede Zahlung abzulehnen sei.

Auch der Reichsverkehrsminister trat dieser Auffassung bei. Er glaubte nicht, daß der Reichstag dem Abkommen zustimmen würde, wenn es auf dem neuesten Vorschlage beruhte.

Der Reichsarbeitsminister wies auf die ungeheure Verantwortung hin, die mit einer Ablehnung des Vorschlages verbunden sei. Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten würden im äußersten Maße wachsen. Wenn für den Vertrag in der Öffentlichkeit geschickt Stimmung gemacht würde, so würden mindestens die wirtschaftlich orientierten Kreise dafür Verständnis haben. An der Ablehnung der politischen Forderungen dürfe das Abkommen nicht scheitern.

Der Reichsbankpräsident trat in längeren Ausführungen dafür ein, die ganze Angelegenheit möglichst aus der politischen Betrachtung heraus in die nüchterne geschäftliche Beurteilung zurückzuführen. Die Zahlungen aus dem Hoover-Moratorium könnten den Reparationszahlungen in keiner Weise gleichgestellt werden. Es handele sich um privatrechtliche Verpflichtungen, über die im Jahre 1931 ganz bestimmte Abmachungen getroffen seien. Die Zahlungen seien im vorigen Jahre erfolgt. Ihr Betrag sei an die Reichsbahn zurückvergütet worden. Es handele sich also um Zahlungen der anderen Mächte, die darlehnsweise gewährt worden seien und nun zurückvergütet werden müßten. Es müsse dabei bleiben, daß kein Pfennig mehr an Reparationen geleistet werden könne. Damit stehe aber die Zahlung aus dem Hoover-Moratorium durchaus in Einklang. Das Reich habe seinerzeit die Bürgschaft dafür übernommen, daß die Reichsbahn ihre Schuld rechtzeitig zurückzahle. So handele es sich also um eine privatwirtschaftliche Verpflichtung und nicht um einen Tribut. Würden die Verhandlungen daran scheitern, daß diese privatrechtlichen Verpflichtungen nicht erfüllt würden, so würde das im Ausland durchaus zum Nachteil Deutschlands ausschlagen, zumal nun gefordert sei, die Rückerstattung nicht durch die vorgesehenen Barzahlungen, sondern nach den Bedingungen des Layton-Vorschlages, also erst nach einem Moratorium von drei Jahren, unter gewissen stark erleichterten Bedingungen vorzunehmen. Nach seiner Auffassung seien die politischen Forderungen in Verbindung gestellt worden mit Mehrzahlungen über die Verpflichtungen aus dem Hoover-Jahre. Das sei ein Anerbieten gewesen, über den finanziellen Rahmen hinaus mit den anderen Mächten zusammenzuarbeiten. Würde dieses Anerbieten abgelehnt, so bleibe es bei den Verpflichtungen aus dem Hoover-Jahre. Das habe mit der Ehre des deutschen Volkes nichts zu tun.

[189] Die Presse würde für das Zurückgehen auf den rein geschäftlichen Standpunkt genügend Anhaltspunkte erhalten. Das Übergehen auf politische Forderungen sei nicht mit allgemeiner Zustimmung der Öffentlichkeit erfolgt. Später werde noch die Möglichkeit sein, die politische Atmosphäre zu bereinigen. In diesem Sinne dürfe das Abkommen nicht als Schlußstrich unter den ganzen Fragenkomplex des Friedensvertrages angesehen werden, zumal noch andere Forderungen, wie die des polnischen Korridors, zu bereinigen wären.

Die rechtliche Darstellung der Lage wurde von Staatssekretär Dr. Trendelenburg und Staatssekretär Dr. Zarden für zutreffend erklärt. Sie traten der Auffassung des Reichsbankpräsidenten bei.

Staatssekretär Dr. Meissner regte an, in die Vereinbarung einen Passus aufzunehmen, nach dem Teil VIII des Friedensvertrages gegenstandslos geworden sei. Falls dies nicht gelinge, könne auch der Reichskanzler nach dem Vertragsschluß eine entsprechende Erklärung abgeben, falls vorher festgestellt werde, daß keine Nation widersprechen würde6.

6

RbkPräs. Luther in einer Tagebuchnotiz vom 7. 7. (9 Seiten), in der er den Verlauf dieser Ministerbesprechung ausführlich wiedergibt, hierzu u. a.: „Erörtert wurde auch noch der Gedanke, der Reichskanzler möchte von sich aus in der Schlußansprache feststellen, daß für Deutschland damit der Abschnitt 8 des Vertrags von Versailles erledigt sei. Ich und Köpke machten darauf aufmerksam, daß man das der Delegation doch nur als Empfehlung geben könne, denn es würde gut nur wirksam, wenn die anderen wenigstens dazu schwiegen. Ich erklärte insbesondere, daß ich eine solche Erklärung für sehr erwünscht hielte und gab der Meinung Ausdruck, wenn Reichskanzler und Außenminister die Erklärung für möglich hielten, sollte sie bestimmt abgegeben werden. Immerhin erzählte ich von den praktischen Erfahrungen über die Reaktion auf einen Widerruf der Kriegsschuldlüge, wie Stresemann und ich es in Locarno erfahren hatten.“ (NL Luther  369, Bl. 191–192).

Aufgrund dieser Darlegungen fanden sich auch die Reichsminister, die Bedenken geäußert hatten, mit folgenden Feststellungen ab:

1. Vom 1. Juli 1932 ab werden Reparationszahlungen in keiner Form mehr geleistet. Das Reparationsproblem ist erledigt.

2. Der Young-Plan tritt mit allen seinen Folgerungen außer Kraft.

3. Die Zahlungsart für die Schulden aus dem Hoover-Moratorium, die bis zum 1. Juli 1932 auflaufen, wird unter Zugrundelegung des Layton-Vorschlages durch eine besondere Vereinbarung geregelt.

4. Es wird angeregt, daß der Reichskanzler nach Abschluß des Vertrages eine Erklärung dahin abgibt, daß damit der Abschnitt VIII des Friedensvertrages erledigt sei.

5. Die von Frankreich vorgeschlagene Formulierung fällt.

Diese Stellungnahme des Kabinetts wurde dem Reichskanzler am Fernsprecher mitgeteilt. Die Kabinettsmitglieder in Berlin hörten das Gespräch am Lautsprecher7.

7

Dazu Luther in seiner Tagebuchnotiz vom 7. 7. (vgl. Anm. 6): „Bei dem sich nun anschließenden Telefongespräch mit dem Reichskanzler, dem alle an der Sitzung Beteiligten, soweit der Lautsprecher funktionierte, zuhörten, wurde die Zahl 1,9 als Höchstzahl stark unterstrichen.“ (Ebd., Bl. 192).

Der Reichskanzler und besonders der Reichsminister des Auswärtigen äußerten schwere Bedenken dagegen, daß das Kabinett die Delegation in Lausanne auf die Schuld von 1,9 Milliarden völlig festlege. Eine für Deutschland günstigere Zahlungsart werde rein rechnerisch eine höhere Endsumme zur Folge[190] haben. Es werde versucht werden, diese Auswirkung so niedrig wie irgend möglich zu halten.

In einer kurzen Beratung8 hierüber führte der Reichsbankpräsident gegenüber den Bedenken des Reichsministers des Innern und anderer Reichsminister aus, daß die Erleichterung auf Grund des Layton-Vorschlages allerdings für Deutschland außerordentlich wertvoll sei und daß sich daraus auch der Öffentlichkeit gegenüber ohne weiteres eine höhere Endsumme rechtfertigen lasse. Wie hoch diese Summe zu bemessen sei, müsse der Delegation in Lausanne überlassen werden. Dafür fehlten dem Kabinett in Berlin die ausreichenden Unterlagen.

8

Über den Verlauf dieser abschließenden Beratung vermerkte Luther in seiner Tagebuchnotiz vom 7. 7.: „Nachdem Minister von Neurath am Telefon darauf hingewiesen hatte, daß die Delegation eine gewisse Bewegungsfreiheit haben müsse, erbat ich eine nochmalige Besprechung und legte dar, ich sei in meinen vorherigen Ausführungen wohl nicht vollständig gewesen. Bei der Verpflichtung aus dem Hoover-Schein, die doch in gewissem Sinne eine juristische Verpflichtung sei, handle es sich ja um Barzahlungsverpflichtungen, die, wie mir Zarden nickend bestätigte, schon 1933 mit 188 Millionen begännen und 10 Jahre liefen. Ich bat ausdrücklich nochmals, die Einzelheiten im Hooverschein nachzuprüfen. Sicher komme es doch aber auch vom Standpunkt der deutschen Innenpolitik nicht darauf an, in welcher Form dieser Hoover-Schein bezahlt werde. Mir scheine es, daß die Reichsregierung von Berlin aus das garnicht nachprüfen könne, sondern daß es der Delegation überlassen bleiben müsse, einen für Deutschland möglichst günstigen Zahlungsmodus herauszuhandeln. In diesem Sinne erfolgte schnell eine allgemeine Übereinstimmung, die nach Lausanne weitergegeben wurde mit dem Bemerken, es müsse selbstverständlich eine so niedrige Zahl wie nur irgend möglich abgeschlossen werden und auf keinen Fall dürfe der Grundgedanke, daß es sich lediglich um Bezahlung der rückständigen Schulden handle, verlassen werden.“ (Ebd., Bl. 192–193).

Das Kabinett erklärte sich daraufhin damit einverstanden, daß diese Frage in Lausanne entschieden werden solle, unter der Voraussetzung, daß vom 1. Juli 1932 ab keine irgendwie gearteten Reparationszahlungen mehr erfolgen9.

9

Zum Fortgang s. Dok. Nr. 56.

Extras (Fußzeile):