2.56.1 (vpa1p): Bericht über die Lausanner Verhandlungen.

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Das Kabinett von Papen Band 1Das Kabinett von Papen Bild 183-R1230-505Wahllokal in Berlin Bild 102-03497AGöring, Esser und Rauch B 145 Bild-P046294Ausnahmezustand in Berlin während des „Preußenschlages“.Bild 102-13679

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Bericht über die Lausanner Verhandlungen.

Der Reichskanzler bedauerte, daß sein Rechenschaftsbericht über die Arbeiten der Deutschen Delegation auf der Lausanner Konferenz in Abwesenheit des Reichsministers des Auswärtigen und des Reichsministers der Finanzen erstattet werden müsse. Beiden Herren sei die Rückkehr nach Berlin erst in einigen Tagen[196] möglich. Die Deutsche Delegation sei sich darüber durchaus klar, daß das Verhandlungsergebnis2 vom innenpolitischen Standpunkt aus betrachtet etwas dürftig sei. Bei der Beurteilung dürften innenpolitische Gesichtspunkte jedoch nicht ausschlaggebend ins Gewicht fallen, sondern ausschließlich der gesamtpolitische Vorteil Deutschlands.

2

Das am 9. 7. in Lausanne unterzeichnete Vertragswerk ist gegliedert in: 1) „Abkommen mit Deutschland“ mit folgenden Hauptteilen: a) „Erklärung“ der Unterzeichnerstaaten, in der es heißt: „Die Mächte“ seien „nicht der Ansicht, daß das in Lausanne durchgeführte Werk, das die Reparationen völlig beseitigen soll, genügt, um den von allen Völkern ersehnten Frieden zu sichern. Sie hoffen jedoch, daß ein an sich so bedeutsames und mit so vielen Mühen erreichtes Ziel von allen friedliebenden Elementen in Europa und in der Welt verstanden und gewürdigt werden wird, und daß ihm weitere Ergebnisse folgen werden.“ b) Bestimmungen über die dt. Schlußzahlung von 3 Mrd. RM in Form von Schuldverschreibungen, zu begeben von der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ, Basel) ab 1.7.35. 2) „Übergangsmaßnahmen, betreffend Deutschland“. 3) „Entschließung, betreffend Mittel- und Osteuropa“, einen Ausschuß einzusetzen, der Vorschläge für den wirtschaftlichen Wiederaufbau dieser Region (u. a. „zur Überwindung der den Agrarländern Mittel- und Osteuropas durch den niedrigen Getreidepreis verursachten Schwierigkeiten“) ausarbeiten soll. 4) „Entschließung, betreffend eine Weltwirtschafts- und Finanzkonferenz“ (R 43 I /339 , Bl. 3–7, 49–51). Das Vertragswerk ist gedr. in: Materialien zur Reparationsfrage (Lausanner Konferenz 1932), S. 7 ff.; Horkenbach 1932, S. 233 ff.; Schultheß 1932, S. 410 ff. (Auszug); Ursachen und Folgen, Bd. VIII, Dok. Nr. 1884 c (Auszug).

Die Konferenzlage habe sich nach seiner letzten mündlichen Berichterstattung vor dem Reichskabinett3 wesentlich verändert gehabt. Bei seinem ersten Bericht4 habe er noch vortragen können, daß die Deutsche Delegation keinerlei Zahlungen angeboten habe, auch nicht anbieten werde, sofern nicht die Diskriminationen Deutschlands im Versailler Vertrag beseitigt würden. Die Kritik darüber, daß die Deutsche Delegation die Frage der Diskriminationen in Lausanne in die Debatte geworfen habe, sei ihm unverständlich. Es sei doch ganz natürlich, daß man bei Verhandlungen über die Beseitigung der Reparationen auch die Ursachen der Reparationen erörtert habe. Der Art. 231 des Versailler Vertrages sei vom historischen Standpunkt aus betrachtet überholt. Einen politischen Erfolg könne man daher nur dadurch erzielen, daß der Art. 231 von den Gläubigermächten widerrufen werde. Dieses Ziel werde aber niemals erreicht werden können5. Die politische Forderung der Wehrfreiheit sei von der Deutschen[197] Delegation nicht zur Bedingung gemacht worden. Nachdem der Präsident der Konferenz, MacDonald, von dem deutschen Standpunkt in der Frage der Wehrfreiheit Kenntnis erlangt habe, habe sich dieser mit der Aufforderung an die Deutsche Delegation gewandt, unter Berücksichtigung der politischen Forderungen ein finanzielles Angebot für die Verhandlungen zu machen. Er habe der Anregung des Präsidenten entsprochen, bei dem finanziellen Angebot von der Voraussetzung auszugehen, daß die Teile 8 und 9 des Versailler Vertrages im Sinne der deutschen Forderungen beseitigt werden. Daraufhin sei das deutsche Angebot von 2 Milliarden gemacht worden. Bei der Aussprache mit den Franzosen seien alsdann die Gegensätze hervorgetreten. Es sei den Engländern gelungen, die Franzosen nach hartem Kampf dazu zu bewegen, ihre ursprüngliche Forderung von 8 Milliarden Barentschädigung auf 4 Milliarden zu ermäßigen. MacDonald habe ihn alsdann vor die Frage gestellt, ob Deutschland in der finanziellen Frage nicht noch etwas weiter entgegenkommen könne unter der Voraussetzung, daß gewisse Teile des Versailler Vertrages verschwinden würden.

3

In der Ministerbesprechung am 25. 6. (Dok. Nr. 40, P. 1).

4

Gemeint ist offenbar wiederum die Ministerbesprechung am 25. 6. Der RK war während der Lausanner Verhandlungen nur einmal – am 25. 6. – nach Berlin gekommen, um dem Kabinett einen Zwischenbericht über den Konferenzverlauf zu geben.

5

Bei einer am 11. 7. (wahrscheinlich im Anschluß an obige Ministerbesprechung) abgehaltenen Pressekonferenz erklärte der RK hierzu u. a.: „Nun hat man in weiten Kreisen der deutschen Regierung zum Vorwurf gemacht, sie hätte politische Forderungen aufgestellt und damit Fragen mit dem Reparationsproblem verquickt, die nicht am Platze seien, ohne dabei sicher gewesen zu sein, mit einer guten Lösung heimzukommen. Demgegenüber möchte ich Sie fragen, ob es möglich gewesen wäre, bei der letzten internationalen Konferenz, die sich mit der endgültigen Beseitigung des Systems der Reparationen zu befassen hatte, nicht auch zugleich die Fragen anzuschneiden, die für unsere ehemaligen Feinde die moralische Voraussetzung für die Auferlegung dieser Tributlasten und Diskriminationen für Deutschland gewesen ist […]. Ich glaube, daß keine irgendwie zusammengesetzte Delegation nicht denselben Versuch hätte machen müssen. Ich glaube, daß ich darin mit Ihnen einer Ansicht bin, daß die Kriegsschuldfrage als solche von der historischen Forschung bereits so weit vorangetrieben worden ist, daß sie für uns in einem absolut positiven Sinne entschieden ist. Ich bin weiter mit Ihnen durchaus in Übereinstimmung, daß eine Beseitigung des Artikels 231 an sich nur durch einen völligen Widerruf der Mächte möglich war, die uns den Vertrag von Versailles auferlegt haben. Aber ich frage mich doch, ob es nicht ein weiterer Schritt in der Beseitigung der Diskrimination gewesen wäre, wenn in den Verhandlungen, wie es durchaus möglich schien und wie uns von einer Reihe von Ländern zugesagt war, mit dem Teil VIII der Artikel 231 als offiziell gestrichen betrachtet worden wäre. Sie wissen, welche Hindernisse sich in letzter Stunde dieser Auffassung einer Anzahl von Mächten entgegengestellt haben. […] Was in dieser Beziehung erreicht worden ist, ist wenigstens das, meine Herren, daß eine der Großmächte, mit denen wir verhandelt haben, wiederholt und unmißverständlich die Berechtigung des deutschen Standpunktes anerkannt hat. Wenn ich auch nicht in der Lage bin, die Bedeutung und den Inhalt meiner Besprechung mit dem englischen Premierminister in dieser Beziehung der Öffentlichkeit preiszugeben, so werden Sie vielleicht aus der Schlußrede des englischen Premierministers in Lausanne, aus dem Appell, den er an die Adresse Frankreichs gerichtet hat, ersehen haben, wie weit in der Tat die Erkenntnis und der Wille fortgeschritten sind, die Diskrimination Deutschlands auszuräumen.“ (Aufzeichnung in Pol. Arch. des AA, Wirtschaft, allg. 22, Die Reparationskonferenz von Lausanne, Bd. 7).

Der Reichskanzler verlas hierzu die amtliche Niederschrift der Konferenz über seine entscheidende Aussprache mit dem Präsidenten der Konferenz, Mac-Donald6. Es seien dann auch gewisse Formulierungen für die Beseitigung des Art. 231 erörtert worden. Ferner Formulierungen für das Zugeständnis der deutschen Wehrfreiheit7. Im Verfolg dieser Verhandlungen habe die Deutsche Delegation die Bereitwilligkeit erkennen lassen, auf finanziellem Gebiet weiter entgegenzukommen. Es sei die Nachzahlung der Hoover-Annuitäten angeboten worden. Dieses Angebot habe der Präsident MacDonald für zu gering angesehen. Durch Herrn Layton habe er der Deutschen Delegation nahelegen lassen, das Angebot unter Modalitäten auf 2,6 Milliarden zu erhöhen. Er selbst habe anfänglich Bedenken gehabt, hierauf einzugehen, im Gegensatz zu den übrigen Mitgliedern der Deutschen Delegation. Er habe Herrn MacDonald wissen lassen, daß die Franzosen die Bereitwilligkeit Deutschlands, auf 2,6 Milliarden zu gehen, falsch deuten würden. Sie würden darauf hinweisen, daß Deutschland anfänglich erklärt habe, keinerlei Zahlungen leisten zu können, nunmehr dazu aber bereit sei, wenn es politische Vorteile erlangen könne. Darum könne er sich mit den 2,6 Milliarden nur in der Form abfinden, daß das Angebot als Vorschlag[198] des Präsidenten an die Franzosen herangebracht werde. Mit dieser Maßgabe habe sich die Deutsche Delegation alsdann einmütig mit dem Layton-Vorschlag abgefunden8. Einen Tag nach dieser Abrede sei Herr Herriot aus Paris zurückgekommen. Sein Standpunkt habe sich während des Pariser Aufenthaltes vollständig geändert gehabt. MacDonald habe erklärt, daß er bezüglich des Umschwungs in der Haltung von Herriot vor einem Rätsel stehe. Herr Herriot habe von einer Erörterung politischer Forderungen unter keinen Umständen mehr wissen wollen. Besprechungen mit ihm seien völlig negativ verlaufen9. Die Deutsche Delegation habe darauf erwidert, daß sie dann selbstverständlich in der finanziellen Frage sich auf ihren ursprünglichen Standpunkt zurückziehe. Dies sei aber von den Engländern nicht geduldet worden. MacDonald habe sich im internen Verhältnis mit den Franzosen auf die Summe von 3 Milliarden festgelegt gehabt. In einer sehr erregten Aussprache, die er, der RK, mit Mac-Donald gehabt habe, habe dieser erklärt, daß eine Vertagung der Konferenz nicht in Frage kommen könne. Für die Engländer gebe es hinsichtlich des Ausgangs der Konferenz nur die Möglichkeit eines Scheiterns der Konferenz oder eines Erfolges der Konferenz, keineswegs aber eine Hinausschiebung der Entscheidung. MacDonald habe erklärt, daß er die Franzosen rücksichtslos vor die Entscheidung stellen werde, sich mit den 3 Milliarden abzufinden. Für den Fall, daß die Franzosen diesen Vorschlag ablehnen sollten, werde er ihnen erklären, daß England sich alsdann vollständig auf die deutsche Seite schlagen werde. Wenn andererseits Deutschland auf das 3 Milliarden-Angebot nicht eingehen wolle, werde England und mit ihm die übrigen Mächte die deutsche Sache verlassen und Deutschland sich selbst überlassen10. In dieser Lage habe die Delegation keinen anderen Ausweg gesehen, als dem Vorschlag MacDonald’s zuzustimmen. Es sei nur noch gelungen, einige Verbesserungen hinsichtlich der Modalitäten des Zahlungsschemas durchzusetzen. Er sei bereit, dem Herrn Reichspräsidenten im gleichen Sinne zu berichten und ihm bei dieser Gelegenheit auch seine Demission anzubieten, wenn der Herr Reichspräsident glauben sollte, daß dadurch die innerpolitischen Verhältnisse Deutschlands eine Verbesserung erfahren könnten. Einstimmigkeit müsse aber darüber herbeigeführt werden, festzustellen, daß das Ergebnis von Lausanne trotz seiner innerpolitischen Unzulänglichkeit geeignet sei, die Verhandlungen mit Frankreich fortzusetzen, um auch in den politischen Fragen zu einem Ergebnis zu kommen.

6

Hierbei handelt es sich vermutlich um die dt.-brit. Besprechung am Vormittag des 3. 7. Die betr. Niederschrift ist abgedr. in Documents on British Foreign Policy, Second Series, Vol. III, Dok. Nr. 166.

7

Vgl. Anm. 1 zu Dok. Nr. 50; Anm. 9 zu Dok. Nr. 51; Anm. 3 und 5 zu Dok. Nr. 52.

8

Zu den Verhandlungen über den Layton-Plan, vgl. Dok. Nr. 50, P. 1, dort bes. Anm. 3; Dok. Nr. 52; ferner: Documents on British Foreign Policy, Second Series, Vol. III, Dok. Nr. 175, 177–180, 182, 183, 185; ADAP, Serie B, Bd. XX, Dok. Nr. 194, 195.

9

Vgl. Anm. 3 zu Dok. Nr. 52.

10

Bei seinen vorstehenden Ausführungen bezieht sich Papen wohl in erster Linie auf die dt.- brit. Besprechungen vom 7. und 8. 7. Niederschriften (engl.) hierzu in ADAP, Serie B, Bd. XX, Dok. Nr. 201; Documents on British Foreign Policy, Second Series, Vol. III, Dok. Nr. 182, 183.

Der Reichswirtschaftsminister erörterte anschließend die wirtschaftspolitische Seite des Ergebnisses von Lausanne11. Die Deutsche Delegation habe vor[199] der Frage gestanden, die Konferenz scheitern zu lassen oder sich auf die Forderung von 3 Milliarden zu einigen. Er sei persönlich fest davon überzeugt, daß die von der Deutschen Delegation geleistete Unterschrift die richtige Lösung gewesen sei. Er sei auch bereit, zu seinem Teil die volle Verantwortung dafür zu tragen. In der Kritik der Presse vermisse er eine richtige Würdigung der wirtschaftlichen Seite. Von der angekündigten Weltwirtschaftskonferenz mache er sich für den wirtschaftlichen Wiederaufbau der Welt keine allzugroßen Hoffnungen. Daher müsse man bei der Vorausschau der zukünftigen Wirtschaftsentwicklung im wesentlichen von dem Lausanner Konferenzergebnis ausgehen. Für den Fall des Scheiterns der Lausanner Konferenz sei Deutschland zum mindestens verpflichtet geblieben, das Hoover-Jahr nachzuzahlen. Der Gegenwartswert der ab 1. Juli 1933 zu leistenden 10 Jahresraten von 190 Millionen Reichsmark berechne sich auf 1,485 Milliarden. Diese Annuitäten von 190 Millionen RM würde Deutschland unbedingt aufzubringen und zu transferieren gehabt haben. Die Berechnung des Gegenwartswertes des in Lausanne getroffenen Abkommens sei heute kaum möglich. Zu einer exakten Feststellung werde man erst nach Ablauf von 15 Jahren kommen können, wenn feststehe, in welchem Ausmaß eine Begebung der 3 Milliarden möglich gewesen sei. Immerhin habe er gewisse Berechnungen anstellen lassen. Wenn man davon ausgehe, daß nach Ablauf der zahlungslosen ersten 3 Jahre die 3 Milliarden in 12 aufeinanderfolgenden Jahren in gleichen Tranchen erfolgen werden, so berechne sich der Gegenwartswert des Lausanner Abkommens auf 1,945 Milliarden. Unter Berücksichtigung des Ausgabekurses von 90 berechne sich der Erlös für die Gegenseite alsdann auf etwa 1,7 Milliarden.

11

Auf der Pressekonferenz vom 11. 7. (vgl. oben Anm. 5) hierzu der RWiM u. a.: „Wenn die Reparationen, wie es der Vertrag von Lausanne ja vorsieht, am 1. Juli 1932 beendet sind und damit dieses Kapitel geschlossen ist, so bestand an sich, unbeschadet dieser Tatsache, die Verpflichtung des deutschen Reiches, vom 1. Juli 1933 ab zehn Annuitäten von je 190 Mill. RM zur Ablösung des Hooverfeierjahres zu zahlen. Diese unbedingte Zahlungspflicht von zehn Annuitäten zu je 190 Mill. RM ist durch den Pakt von Lausanne in eine bedingte Zahlungspflicht der Deutschen Regierung umgewandelt worden. Diese bedingte Verpflichtung sieht, wie Ihnen bekannt ist, vor, daß nach einer Schonfrist von drei Jahren die Gegenseite das Recht hat, bis zu drei Milliarden fünfprozentige Bonds mit einer Amortisation von ein Prozent und zu einem Kurs von 90 Prozent aufzulegen, aber nur dann, wenn nach diesen drei Schonjahren es der deutsche Kredit erlaubt und imstande ist zu tragen, daß ohne das Giro einer fremden Regierung fünfprozentige Bonds zu 90 Prozent auf dem internationalen Markt aufgelegt werden. Ist der deutsche Kredit nicht in der Lage, diese Bedingungen zu tragen, oder erfährt er eine Schädigung, falls eine solche Emission vorgenommen werden soll, so muß die Emission aufgeschoben werden. Diese Aufschiebung muß so lange erfolgen, bis der deutsche Kredit es ertragen kann, daß die Bonds aufgelegt werden. Es ist vorgesehen, daß die Bonds nur in den nächsten fünfzehn Jahren, von jetzt ab gerechnet, aufgelegt werden können. Was in den nächsten fünfzehn Jahren nicht emittiert werden kann, weil die Voraussetzungen nicht gegeben sind, verfällt. Unter diesen Umständen kann erst nach fünfzehn Jahren, von jetzt ab gerechnet, ausgerechnet werden, ob diese neue Form der bedingten Belastung billiger oder teurer sein wird als die Form der unbedingten Belastung, mit der wir in den Hooverannuitäten zu tun haben. Wir sind der Ansicht, daß eine Emission, die nur unter diesen Bestimmungen vorgenommen werden kann und die zur Voraussetzung hat, daß der deutsche Kredit vollkommen wiederhergestellt sein muß, eine schonendere Form der Belastung ist als die Form der unbedingten Zahlungspflicht auf Grund der Hooverannuitäten, zumal auch die Form der Belastung besonders eng mit dem Devisenbestand der Reichsbank zusammenhängt.“ Hinzu komme, „daß auf dieser Basis eine Verbesserung des Vertrauens in der Welt möglich ist und daß infolgedessen auch von dieser Seite her eine Erleichterung der internationalen Kreditlage möglich ist.“

Wenn man annehme, daß der ganze Betrag von 3 Milliarden erst am Ende der 15 Jahre begeben werde, so errechne sich der Gegenwartswert auf 1,453 Milliarden, und wenn man schließlich annehme, daß der 3-Milliardenbetrag nach Ablauf von 3 Jahren sofort in voller Höhe untergebracht werde, so berechne[200] sich der Gegenwartswert auf 2,59 Milliarden. Nach dem Urteil maßgebender Sachverständiger sei es aber ausgeschlossen, daß nach dem Ablauf von 3 Jahren als erste Tranche ein höherer Betrag als 400 Millionen RM ausgegeben werden könne; d. h. vom 1. Juli 1936 ab werde erstmalig die Verpflichtung entstehen können, 400 Millionen RM zu verzinsen und zu amortisieren. Für die Verzinsung und Amortisierung der 400 Millionen müsse ein Jahresbetrag von 24 Millionen RM aufgebracht werden. Wenn Deutschland aber die Hoover-Annuitäten hätte fortbezahlen müssen, sei bis zum 1. Juli 1936 eine Gesamtsumme von 465 Millionen RM aufzubringen und zu transferieren gewesen. Die Lausanner Lösung bedeute mithin für den Devisenbestand der Reichsbank bis 1. Juli 1936 eine Entlastung um 465 – 24 = 441 Millionen RM.

Wenn man weiter bedenke, daß Deutschland auch nach der Annahme des Lausanner Ergebnisses dazu übergehen müsse, die Transferierung des Zins- und Amortisationsdienstes der langfristigen Auslandsanleihen einzuschränken, so komme man zu dem Ergebnis, daß für die Zukunft die Devisenlage der Reichsbank entscheidend gestärkt werden könne.

Der Reichsminister des Innern erwiderte als erster auf die Berichte des Reichskanzlers und des Reichswirtschaftsministers. Er sprach den Führern der Deutschen Delegation den tiefempfundenen Dank für die in wochenlangem hartem Kampfe für die deutsche Sache geleistete zähe Arbeit aus. Mit dem Erreichten könne er selbst allerdings nicht voll einverstanden sein. Aber trotz kritischer Einstellung müsse doch jeder erkennen, daß die Deutsche Delegation das Äußerste durchgesetzt habe, was unter dem Druck der großen Verantwortung erreichbar gewesen sei. Seine persönliche Meinung gehe dahin, daß der Reichskanzler dem Herrn Reichspräsidenten seine Demission nicht anbieten dürfe. Der Herr Reichskanzler dürfe den Herrn Reichspräsidenten nicht vor die Entscheidung stellen, den Reichskanzler im Amt zu belassen oder nicht. Das Kabinett in seiner jetzigen Zusammensetzung sei eine Schicksalsgemeinschaft. Es müsse in dem gegenwärtigen Augenblick höchster Not nach innen und außen gemeinschaftlich beisammen bleiben.

Der Reichswehrminister führte aus, er sei fest davon überzeugt, daß die Frage der wirtschaftlichen und außenpolitischen Würdigung des Lausanner Ergebnisses von den Delegationsmitgliedern zutreffend vorgetragen sei. Die Deutsche Delegation habe in Lausanne auch nicht anders handeln können wie geschehen. Die Wiedererlangung der vollen Verfügung über die Reichsbahn und die Reichsbank sei besonders erfreulich. Andererseits sei aber nicht an der Feststellung vorbeizugehen, daß das Kabinett als solches durch das Lausanner Ergebnis eine schwere Niederlage erlitten habe. Insbesondere seien in der Behandlung der öffentlichen Meinung schwere Fehler gemacht worden. In den Augen der Öffentlichkeit sehe die Sache folgendermaßen aus. Die Deutsche Delegation habe gesagt, daß Deutschland nicht zahlen werde, weil es nicht zahlen könne. Nachträglich habe man sich dann doch zur Zahlung bereit erklärt, für den Fall, daß politische Bedingungen durchgesetzt würden, d. h. wenn Deutschland die Wehrfreiheit zugestanden werde und Deutschland wieder eine honorige Nation geworden sei. Das politische Ziel sei dann nicht erreicht worden. Gleichwohl sei die Delegation auf den Zahlungen sitzen geblieben. In der Öffentlichkeit[201] müsse stärker zum Ausdruck gebracht werden, daß die politischen Fragen erst durch den Vorsitzenden der Konferenz, MacDonald, zur Debatte gestellt worden seien; ferner, daß auch Herriot in den ersten Vorbesprechungen sich auf die politischen Fragen eingelassen habe und erst dann davon nichts mehr habe wissen wollen, als er von Paris zurückgekehrt sei, daß daher die Schuld für die politischen Erörterungen nicht bei uns liege.

Der Reichswehrminister äußerte sich sodann zur Frage der Zweckmäßigkeit der Demission des Kabinetts. Er meinte, daß, wenn heute der Reichstag beisammen sei, die Frage der Ratifizierung von allen Parteien negativ entschieden werden würde, insbesondere stünden die das Kabinett stützenden Parteien völlig abseits. Nur die SPD werde möglicherweise das Verhandlungsergebnis annehmen. Alle anderen Parteien würden bestimmt ablehnen. Nach seiner Überzeugung würden die Dinge nach den Wahlen aber sicherlich anders beurteilt werden.

Das Verhältnis des Reichskabinetts zu dem Herrn Reichspräsidenten sei anders zu beurteilen. Das Kabinett habe zurzeit keine andere Grundlage für sein Wirken als das Vertrauen des Herrn Reichspräsidenten. Darum müsse das Kabinett dem Herrn Reichspräsidenten sagen, es sei bereit, sofort seine Demission einzureichen, falls der Herr Reichspräsident der Meinung sein sollte, durch eine Änderung des Kabinetts eine innenpolitische Besserung der deutschen Verhältnisse herbeiführen zu können. Er billige daher die Anregung des Reichskanzlers, in diesem Sinne mit dem Herrn Reichspräsidenten zu sprechen. Hinter dem gegenwärtigen Kabinett stehe offiziell keine Partei. Er halte dies für einen Vorteil. Das Kabinett müsse so arbeiten, als ob der 31. Juli als Wahltermin nicht existiere. Für ganz unerträglich würde er es halten, wenn man bei den Genfer Verhandlungen in der Abrüstungsfrage den deutschen Standpunkt12 auch nur im geringsten verlassen würde. Wenn das Kabinett es für richtig halten sollte, in Genf von der ursprünglichen deutschen Forderung nur im geringsten abzuweichen, werde er nicht einen Tag länger im Amte bleiben können. Er bitte daher, daß das Kabinett in der Abrüstungsfrage eine Entscheidung dahingehend treffe, daß keiner Entscheidung zugestimmt werde, die nicht im gleichen Sinne für alle anderen Mächte gelte.

12

Vgl. Dok. Nr. 8 und Anm. 11 zu Dok. Nr. 38.

Der Reichsarbeitsminister führte aus, daß man das Ergebnis der Lausanner Konferenz nehmen müsse wie es vorliege. Nach seiner Überzeugung wäre Deutschland für den Fall des Scheiterns der Konferenz wirtschaftlich und sozialpolitisch am Ende gewesen. Darum habe die Deutsche Delegation nicht anders handeln können, als zu den erreichbaren Bedingungen abzuschließen. Das Ergebnis müsse so vertreten werden, daß es als Ausgangspunkt für den wirtschaftlichen und sozialen Aufschwung wirksam werde. Für die vordringlichste Aufgabe des Kabinetts halte er, das vorbereitete Wirtschaftsprogramm baldigst zu verabschieden und in die Tat umzusetzen. In der Frage der Siedlung und des Arbeitsdienstes müsse man zu schnellen Entscheidungen kommen.

Der Reichsminister der Justiz führte aus, daß es sich bei dem Lausanner Ergebnis um einen Vergleich handle, mit dem, wie bei allen Kompromissen, keine[202] Partei völlig einverstanden sei. Die Kritik bewege sich zwischen zwei Extremen. Der Führer der Bayerischen Volkspartei, Staatsrat Schäffer, erkläre, der frühere Reichskanzler Brüning würde ohne Zahlungen durchgekommen sein und noch obendrein die politischen Forderungen durchgesetzt haben. Maßgebliche Wirtschaftskreise verträten die Auffassung (D.A.Z.), daß das Lausanner Ergebnis durchaus befriedigend sei. Zwischen diesen beiden Auffassungen bewege sich die Kritik. Nach seiner Meinung könne das Kabinett nichts anderes tun, als „make the best of it“. Für verfehlt würde er es halten, den Herrn Reichspräsidenten vor die Frage zu stellen, ob er das Kabinett im Amte belassen wolle oder nicht. Das Kabinett müsse das Gesetz des Handelns behalten und müsse darum dem Herrn Reichspräsidenten klarzumachen versuchen, wie man auf der Basis des Erreichten weiterkommen könne. Das Kabinett habe die Verpflichtung, das Volk darüber zu unterrichten, worin die Bedeutung des Erreichten liege, insbesondere welche Folgen ein Abbruch der Konferenz gehabt haben würde. Ein Hinweis darauf, daß der Präsident der Konferenz, MacDonald, die Erklärung abgegeben habe, daß Teil 8 des Versailler Vertrages fallen müsse, werde zur Verbesserung der politischen Stimmung wesentlich beitragen können. Es müsse darauf hingewiesen werden, daß die politischen Fragen nur an der vollständigen Intransigenz der Franzosen gescheitert sei.

Der Reichsminister des Innern führte aus, daß es jetzt wesentlich darauf ankomme, einen wohlüberlegten Pressefeldzug zu inszenieren. Insbesondere müsse man in den Vordergrund rücken, daß durch die erreichte Lösung auch die Sanktionen weggefallen seien.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft wies darauf hin, daß geschichtlich gesehen Lausanne den Abschluß der Tributzahlungen bedeute. Ferner habe man die Freiheit der Reichsbank durchgesetzt. Auch er befürworte die Einleitung eines Pressefeldzuges. Für die Arbeit des Kabinetts sei es wesentlich, ein innerpolitisches und ein Wirtschaftsprogramm zu haben. Bei den Verhandlungen in Genf müsse der deutsche Standpunkt restlos durchgesetzt werden. Innerpolitisch stehe die Förderung der Siedlung und die Durchführung eines Arbeitsbeschaffungsprogramms im Vordergrund.

Der Reichskanzler erwiderte auf die geäußerte Kritik, daß er für die Würdigung des Ergebnisses der Lausanner Verhandlungen dankbar sei. Mit den innerpolitischen Schwierigkeiten müsse man fertig werden. Er stimme dem Reichsminister der Justiz darin zu, daß das Kabinett das Gesetz des Handelns behalten müsse. Mit der Ratifizierung des Lausanner Abkommens werde es einstweilen noch gute Weile haben. Sie komme erst im Frühjahr 1933 in Betracht, denn die übrigen Mächte würden ihrerseits das Lausanner Ergebnis erst dann ratifizieren, wenn die Kriegsschuldenfrage mit Amerika geregelt sei. Mac-Donald habe gesagt, daß er für den Fall eines negativen Ausgangs der Kriegsschuldenverhandlungen mit Amerika im Frühjahr 1933 eine neue Konferenz einberufen werde13.

13

Sinngemäß so MacDonald in der vierten Lausanner Plenarsitzung am Abend des 8. 7. (Documents on British Foreign Policy, Second Series, Vol. III, Dok. Nr. 186). Die Delegationen der Hauptgläubigermächte (Belgien, Großbritannien, Frankreich, Italien) bestätigen dies am 9. 7. durch Übermittlung eines von ihnen schon am 2. 7. getroffenen Gentlemen’s Agreement an den RK. Darin hieß es u. a.: Sollte eine zufriedenstellende Regelung der interalliierten Schulden nicht zustandekommen, „a new situation will have arisen and the Governments interested will have to consult together as to what should be done. In that event, the legal position, as between all Governments, would revert to that which existed before the Hoover moratorium.“ (Ebd., Annex zu Dok. Nr. 186). Dazu erklärte StS v. Bülow in einer am 11. 7. an den StSRkei (außerdem u. a. an die Presseabteilung des AA und den RAM) übersandten Aufzeichnung: „Es ist richtig, daß die Gläubigermächte Deutschlands den Vertrag von Lausanne erst ratifizieren werden, nachdem ihr Verhältnis zu den Vereinigten Staaten geklärt ist. Eine solche Klärung kann nach der parlamentarischen Lage in den Vereinigten Staaten wohl kaum vor Frühjahr nächsten Jahres erfolgen. Bis dahin ist die Situation vollkommen in dem Sinne klar, daß Deutschland auf Grund der Lausanner Abmachung nichts zu zahlen hat. Die Situation, die eintritt, wenn sich im nächsten Jahre tatsächlich herausstellen sollte, daß es nicht zur Ratifizierung von Lausanne kommt, ist durch die von dem Herrn Reichskanzler in der öffentlichen Plenarsitzung am 8. Juli abends an den Vorsitzenden der Konferenz gestellte Frage und die von diesem im Namen der Hauptgläubigermächte erteilte Antwort vollständig geklärt. Es steht fest, daß alsdann eine neue Situation geschaffen ist, die eine neue gemeinschaftliche Beratung und Entschließung der beteiligten Mächte einschließlich Deutschlands notwendig macht. Von einem Wiederaufleben des Young-Planes kann keine Rede sein. Es ist verkehrt, die Sachlage von einem formalen juristischen Standpunkt aus zu betrachten. Praktisch und politisch ist der Young-Plan durch Lausanne als erledigt anerkannt. Das Abkommen von Lausanne ist so gestaltet, daß Deutschland mit den Verhandlungen zwischen den Vereinigten Staaten und unseren Gläubigern nicht das Geringste zu tun hat. Wir stehen in dieser Beziehung also nicht etwa in einer geschlossenen Front mit unseren Gläubigern gegen Amerika. Wann die Reichsregierung ihrerseits die Genehmigung des Abkommens durch den Reichstag betreibt, liegt vollkommen in ihrer Hand, sie ist in keiner Weise gebunden, Schritte zu tun.“ (Abschrift in R 43 I /339 , Bl. 28).

[203] Das innerpolitische Programm der Reichsregierung müsse mit größter Beschleunigung in Angriff genommen werden. In der Wehrfrage stehe er voll auf dem Standpunkt des Reichswehrministers. MacDonald habe sich dahin geäußert, daß er den Widerstand der Franzosen in der Wehrfrage nicht für unüberwindbar halte. Bei seinem Vortrag bei dem Herrn Reichspräsidenten werde er sich an den Vorschlag des Reichsministers der Justiz halten, d. h. dem Kabinett das Gesetz des Handelns erhalten14.

14

Aktenmäßige Unterlagen über diesen Vortrag, der am 14. 7. in Neudeck stattfand, nicht ermittelt. WTB meldete dazu am gleichen Tage: Der RPräs. habe dem RK „seinen Dank für die in Lausanne geleistete Arbeit“ ausgesprochen und gebeten, „diesen Dank auch den anderen Mitgliedern der Delegation zu übermitteln“ (WTB-Ausschnitt vom 14. 7. in R 43 I /339 , Bl. 57). Hierzu vgl. auch die Mitteilungen des RK zu Beginn der Ministerbesprechung am 16. 7. (Dok. Nr. 63).

Der Reichsminister des Innern bat anschließend, feststellen zu können, daß das Kabinett schon jetzt beschlossen habe, in den Genfer Verhandlungen absolut negativ zu verbleiben.

Staatssekretär von Bülow bat, diese Beschlußfassung hinauszuschieben, bis der Botschafter Nadolny Gelegenheit gehabt habe, dem Kabinett über den Stand der Genfer Verhandlungen eingehend Bericht zu erstatten. Der Sachverhalt sei verwickelter, als das Kabinett im Augenblick annehme. Es handele sich nicht darum, jetzt mit einem Ja oder Nein zu entscheiden, vielmehr müsse man zunächst den Tatbestand genauer kennen, bevor man Beschlüsse fasse.

Der Herr Reichskanzler stellte fest, daß Entscheidungen in Genf nicht getroffen werden sollen, bevor das Kabinett sich nochmals mit der Sache befaßt und den Führer der Genfer Delegation, Botschafter Nadolny, angehört habe15.

15

Zur Abrüstungsfrage s. weiter Dok. Nr. 59, P. 2.

Über die Sitzung soll sodann folgende amtliche Verlautbarung veröffentlicht werden:

In der heutigen Kabinettssitzung erstattete der Reichskanzler einen eingehenden[204] Bericht über den Verlauf und das Ergebnis der Konferenz von Lausanne. Der Reichsminister des Innern sprach im Namen der in Berlin zurückgebliebenen Mitglieder des Reichskabinetts dem Reichskanzler und den übrigen Mitgliedern der Delegation den herzlichsten Dank für die geleistete Arbeit aus. Die anschließende Beratung ergab die völlige Einmütigkeit des Reichskabinetts.

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