2.78.1 (vpa1p): 1. Aussprache über Fragen der Wirtschafts- und Handelspolitik sowie der Arbeitsbeschaffung.

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1. Aussprache über Fragen der Wirtschafts- und Handelspolitik sowie der Arbeitsbeschaffung.

Der Reichswirtschaftsminister erläuterte zunächst an der Hand von Zahlen den Schrumpfungsprozeß, den die deutsche Wirtschaft in den letzten 7 Jahren durchgemacht hat. Der Gesamtwert der deutschen Gesamtzerzeugung betrage augenblicklich etwa 34 Milliarden RM. Davon entfielen heute noch etwa 7 Milliarden auf die Ausfuhr. Die Aufnahmefähigkeit der Landwirtschaft sei von 6 auf etwa 3½ Milliarden RM zurückgegangen. Ein Viertel des Schrumpfungsprozesses komme auf die verringerte Kaufkraft der Landwirtschaft, drei Viertel auf Industrie und Export. Demgemäß könne die Landwirtschaft höchstens 25% des Schrumpfungsprozesses ausgleichen. 1930 sei aber der Friedensstand der landwirtschaftlichen Produktion bereits wieder erreicht worden und inzwischen sogar überschritten worden. Dieser Wiederaufbau der Landwirtschaft habe etwa 7 Jahre gedauert. Die Erhaltung der landwirtschaftlichen Produktionskraft sei ungeheuer wichtig für unsere Devisenlage. Die Grundlage für die Erhaltung der landwirtschaftlichen Produktion auf ihrer augenblicklichen Höhe liege in der Regulierung angemessener Preise für Getreide und Kartoffeln. Wenn die Landwirtschaft im großen Ausmaß zur Erzeugung von Veredlungsprodukten übergegangen[284] sei, so passe dies nicht in die augenblickliche wirtschaftliche Lage. Veredlungswirtschaft sei immer ein Index für Wohlstand. Ein Abhängen des deutschen Marktes vom Weltmarkt sei nur unter der Voraussetzung möglich, daß wir unseren Eigenbedarf zu 100% decken. Eine Stützung des Kaufpreises für Veredlungsprodukte sei nur dann zu rechtfertigen, wenn genügende Kaufkraft, mit anderen Worten Wohlstand, vorhanden sei. Diese zusätzliche Kaufkraft könne aber nur dadurch entstehen, daß durch Auslandsaufträge ein Zuschuß zum Lohnfonds hereingeholt wird. Darum ist unter allen Umständen eine starke Ausfuhr nötig, weil sie zusätzliche Kaufkraft schafft1.

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Die abschließenden Darlegungen Warmbolds decken sich weitgehend mit den Auffassungen des Dt. Industrie- und Handelstags, die dieser zuletzt in einer Eingabe vom 15. 7. vertreten hatte (Dok. Nr. 62). Zum völlig entgegengesetzten Standpunkt der landwirtschaftlichen Spitzenverbände, die seit längerem nachdrücklich für eine Stärkung des landwirtschaftlichen Binnenmarktes durch Einfuhrkontingentierungen und Zollerhöhungen eingetreten waren, vgl. Dok. Nr. 28; 29 und Anm. 1 zu Dok. Nr. 62.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft hob hervor, daß eine scharfe Scheidung zwischen den Bedürfnissen der Städte, insbesondere der kleineren Städte, und der Landwirtschaft nicht möglich sei. Die Kaufkraft der städtischen und der landwirtschaftlichen Bevölkerung sei voneinander abhängig. Infolge der Arbeitslosigkeit sei bei manchen landwirtschaftlichen Erzeugnissen bereits ein Minderverbrauch von über 10% festzustellen. Wir sind bereits jetzt in der Lage, 99,2% des inländischen Fleischbedarfs zu decken. Der Fleischverbrauch ist durch die Unterstützungsaktion des Reichs in den letzten Jahren stark gestiegen. Trotzdem ist die relativ kleine Auslandseinfuhr im Betrage von 0,8% des Bedarfs in der Lage, die Fleischpreise vollkommen zu werfen. Infolgedessen stehen die Preise für Rindfleisch jetzt schon auf der Hälfte des Preises des Jahres 19132. Ganz ähnliche Verhältnisse ergeben sich auf dem Gemüsemarkt. England und Frankreich haben letzthin die Erzeugnisse gemüsebauender Länder energisch zurückgewiesen. Die Folge davon ist, daß Belgien, Holland und Italien den deutschen Markt mit ihren Erzeugnissen überschwemmen, eine Erscheinung, die für die Preisgestaltung eine ausschlaggebende Rolle spielt.

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Die Statistik der Lebensmittelpreise im Einzelhandel weist für Juni 1932 bei Rindfleisch keine Halbierung der Preise von 1913 aus. Aus den unterschiedlichen Preisen in 17 ausgewählten dt. Städten ergibt sich für 1913 ein Mittelpreis von 1,76 M je kg, für Juni 1932 ein solcher von 1,47 RM je kg (Stat. Jb. 1933, S. 252).

Der Reichswirtschaftsminister weist auf den enormen Verlust an Kaufkraft hin, den die deutsche Bevölkerung durch die Arbeitslosigkeit erlitten habe. Der Bestand an Schweinen, bei denen auch der Reichsernährungsminister ein Überangebot festgestellt habe, sei für den heutigen Wohlstandsindex viel zu hoch. Das Niveau der landwirtschaftlichen Produktion müsse unter allen Umständen erhalten bleiben. Doch könne die Landwirtschaft im Höchstfalle nur 5% der Arbeitslosen durch gesteigerte Erzeugung aufnehmen, die übrigen 95% müssen von den anderen Wirtschaftszweigen aufgenommen werden.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft bezeichnete als wichtigstes Ziel, daß die deutsche Landwirtschaft vor der Überflutung mit ausländischen Erzeugnissen geschützt werde. Dies dürfe aber nicht auf Kosten der Industrie geschehen, deren Auslandsbeziehungen nicht gestört werden dürften.[285] Zwischen der Landwirtschaft und Industrie müsse eine Einigung auf mittlerer Linie erzielt werden. Beiden Wirtschaftszweigen würde am besten durch Einführung einer Kontingentierung der Einfuhr landwirtschaftlicher Erzeugnisse, und zwar zunächst in bescheidenen Grenzen geholfen werden.

Der Reichswirtschaftsminister hob demgegenüber die Bedeutung hervor, die besonders die europäischen Staaten als Abnehmer für die deutschen Waren hätten. Es müsse daher unser Bestreben sein, diesen europäischen Staaten gegenüber „angenehme Verhandlungspartner“ zu bleiben.

Der Reichsminister des Auswärtigen führte aus, daß Deutschland bisher Wert auf möglichst langfristige Handelsverträge gelegt habe, um der Industrie und der Landwirtschaft Gelegenheit zu geben, auf lange Sicht zu disponieren. Jetzt wolle man anscheinend zu einer Politik der kurzfristigen Verträge übergehen. Es sei zwar bei der heutigen Wirtschaftslage richtig, daß man sich nicht auf einer allzu starren Linie festlegen könne, andererseits könne man aber auch Handelsverträge nicht dauernd ändern.

Der Reichskanzler faßte das Ergebnis der Besprechung dahin zusammen, daß die labile Lage der Weltwirtschaft den Abschluß langfristiger Verträge heute von selbst verbiete. Kaufkraft könne nicht nur durch Auslandsaufträge für die deutsche Industrie geschaffen werden, sondern es müsse auch die Vorbelastung verringert werden, unter der die Exportindustrie heute zu leiden habe. Er stimme daher dem Reichswirtschaftsminister zu, daß in den einzelnen Gebieten und Branchen eine individuelle Beweglichkeit der Lohnverhältnisse geschaffen werden müsse.

Abschließend stellte der Reichskanzler Einigkeit des Reichsministeriums über die Grundzüge der Handelspolitik in allen wesentlichen Punkten fest3.

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Zur weiteren Beratung über die Grundlinien der Handels- und Wirtschaftspolitik s. Dok. Nr. 112 und 117, P. 3.

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