2.94.1 (vpa1p): [Aktion des Reichs gegen Preußen, Vertretung Preußens im Reichsrat]

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[Aktion des Reichs gegen Preußen, Vertretung Preußens im Reichsrat]

Der Reichskanzler eröffnete die Besprechung und erläuterte zunächst die Gründe, die zu dem bekannten Schritt der Reichsregierung in Preußen geführt hätten. Er führte u. a. aus, daß die Gefahr eines revolutionären Umsturzes in Preußen außerordentlich groß gewesen sei. Die Reichsregierung hätte daher ihre Pflicht versäumt, wenn sie nicht Gegenmaßnahmen getroffen hätte.

In Stuttgart habe er den Vertretern der Länder erklärt, daß dieser Schritt der Reichsregierung sich nicht gegen den föderalistischen Aufbau des Reichs richte2. Auf keinen Fall solle der Reichsrat ausgeschaltet werden; im Gegenteil hoffe die Reichsregierung auf ein enges und vertrauensvolles Zusammenarbeiten mit dem Reichsrat.

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Zur Stuttgarter Besprechung mit den Staats- und Ministerpräsidenten der Länder (23. 7.) s. Dok. Nr. 83.

Der Reichsminister des Innern führte aus, es sei notwendig gewesen, vorübergehend die Machtmittel des Reichs und Preußens zu vereinigen. Die Lage sei an sich klar. Es würde aufs höchste zu bedauern sein, wenn über die Lage ein Streit in der Vollsitzung des Reichsrats entstehe.

Andererseits halte er eine Vertagung des Reichsrats bis zur Entscheidung des Staatsgerichtshofs nicht für erwünscht.

Landesrat Dr. Witte (Hessen-Nassau) führte aus, er könne die Auffassung des Reichskanzlers und der Reichsregierung über die Notwendigkeit der gegen die Preußische Staatsregierung getroffenen Maßnahmen nicht teilen. Er müsse die Rechtsgültigkeit einer Sitzung des Reichsrats anzweifeln.

Der Reichsminister des Innern wies darauf hin, daß die Reichsratsbevollmächtigten durch Teilnahme an einer Sitzung des Reichsrats keinesfalls ihre eigene Stellungnahme zu dem Konflikt Reich – Preußen präjudizierten.

Oberbürgermeister Dr. Menge (Hannover) stimmte dieser Auffassung des Reichsministers des Innern zu.

Regierungspräsident z. D. Dr. Weber (Sachsen) erklärte, der Reichsrat habe[342] die Aufgabe, die Verfassungsmäßigkeit des Vorgehens der Reichsregierung nachzuprüfen3.

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So auch der Standpunkt der amtsenthobenen Pr. Staatsminister. Vgl. Dok. Nr. 92.

 

Oberbürgermeister Dr. Sahm (Stadt Berlin) bezeichnete es als überflüssig, daß der Reichsrat außer dem Staatsgerichtshof die Frage prüfe.

Studienrat Dr. Hamacher (Rheinprovinz) vertrat die Auffassung, daß der Konflikt Reich – Preußen auch im Reichsrat erörtert werden solle. Er habe jedoch ferner gegen eine kurze Beratung unpolitischer Dinge durch den Reichsrat, die eilig seien, keine Bedenken.

 

Graf Eulenburg (Ostpreußen) vertrat dieselbe Auffassung wie Oberbürgermeister Dr. Sahm. Auch er erklärte, es sei nicht Aufgabe des Reichsrats, den Konflikt zwischen der Reichsregierung und der Preußischen Staatsregierung und damit im Zusammenhang stehende rechtliche Fragen im Reichsrat zu erörtern. Der Reichsrat könne nach seiner Auffassung tagen und die vordringlichen Punkte erledigen.

Graf Behr (Pommern) vertrat dieselbe Auffassung. Er widerriet einer Vertagung des Reichsrats, da dieser nicht sich selbst ausschalten dürfe. Vielleicht könnten einzelne Punkte, die den Herren bedenklich seien, von der Tagesordnung abgesetzt werden.

Der Reichsminister des Innern sprach sodann die Tagesordnung der für den Nachmittag vorgesehenen Plenarsitzung des Reichsrats durch. Er stellte den Reichsratsbevollmächtigten ausdrücklich anheim, zur eventuellen Wahrung ihres Rechtsstandpunktes eine ähnliche Erklärung wie Ministerialdirektor Dr. Sperr (Bayern) abzugeben4.

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In der Vollsitzung des RR am Nachmittag des 2. 8. (Vorsitzender: RIM v. Gayl) erklärte Sperr u. a.: Die Bayer. StReg. sei der „Anschauung, daß die derzeitige Zusammensetzung des Reichsrats der Reichsverfassung nicht entspricht und daß der Reichsrat in dieser Zusammensetzung nicht in der Lage ist, die ihm nach der Verfassung zukommenden Rechte auszuüben. Von einem Vertagungsantrage bis nach der Entscheidung des Staatsgerichtshofs sieht Bayern nur ab, weil es keine Mehrheit für diesen Antrag erwartet. Bayern behält sich aber ausdrücklich alle weiteren Schritte in dieser Frage vor und ist nur unter diesem Vorbehalt in der Lage, sich an den Verhandlungen des Reichsrats zu beteiligen.“ Dieser Erklärung schlossen sich die RR-Bevollmächtigten von u. a. Baden, Württemberg und Hessen mit geringfügigen Abweichungen an, wobei der württ. Vertreter noch den Wunsch seiner Regierung zum Ausdruck brachte, „daß während des Schwebezustandes bis zur Entscheidung des Staatsgerichtshofs nur dringliche Angelegenheiten im Reichsrat zur Beratung gebracht werden mögen“. – Im Anschluß hieran gab StudR Hamacher namens der pr. Provinzen Grenzmark Posen-Westpreußen, Nieder- und Oberschlesien, Sachsen, Westfalen, Hessen-Nassau und Rheinprovinz folgende Erklärung ab: „Die Zusammensetzung des Reichsrats kann nach unserer Auffassung nicht durch Akte eines Reichskommissars verändert werden. Wir legen daher Verwahrung dagegen ein, daß eine solche Veränderung versucht worden ist, daß in Ausschüssen des Reichsrats Vertreter für Preußen aufgetreten sind, die nicht im Namen der preußischen Minister gehandelt haben [vgl. Dok. Nr. 86], und daß preußische Staatsminister und ihre Bevollmächtigten an der Teilnahme an den Reichsratsverhandlungen verhindert worden sind [vgl. Anm. 22 zu Dok. Nr. 89]. Angesichts der Tatsache, daß in der heutigen Plenarsitzung der Stuhl der preußischen Staatsregierung unbesetzt ist, sehen wir von der Stellung eines Antrags auf Vertagung dieser Vollsitzung ab. Dieser Umstand zeigt aber sinnfällig, daß die Frage, wer die preußische Staatsregierung zur Zeit im Reichsrat vertreten darf, noch nicht entschieden ist, sondern noch der Entscheidung bedarf. Unsere Teilnahme an der heutigen Beratung und an der Beschlußfassung über die sachlich nicht umstrittenen Punkte kann daher nur mit der Einschränkung erfolgen, daß die Nachprüfung der Rechtmäßigkeit der heutigen Plenarsitzung, in der die Regierung des größten Landes nicht vertreten ist, vorbehalten bleibt.“ (Niederschriften über die Vollsitzungen des Reichsrats 1932, § 329). – Zur Erläuterung der Tatsache, daß an der Vollsitzung Vertreter der Pr. Kommissariatsregierung nicht beteiligt waren, sah sich die RReg. am 3. 8. – vor allem angesichts irreführender Pressemeldungen – veranlaßt, folgende amtliche Verlautbarung herauszugeben: „Zunächst muß festgestellt werden, daß von dem Reichskommissar für Preußen neue preußische Bevollmächtigte zum Reichsrat überhaupt nicht ernannt worden sind. […] Für die letzte Vollsitzung des Reichsrats, die nach der Geschäftslage für einige Wochen voraussichtlich die letzte sein wird, da der Reichsrat gestern eine längere Ferienpause beschlossen hat, lag ein Vorschlag des Sachwalters der bisherigen preußischen Staatsminister vor, den der Reichskommissar für Preußen soweit angenommen hat, als er dies unter Wahrung seines Rechtsstandpunktes zur Vermeidung unliebsamer öffentlicher Auseinandersetzungen im Reichsrat tun zu können glaubte. Der Vorschlag ging dahin, daß die bisherigen preußischen Minister, die das Recht für sich in Anspruch nehmen, ihre Tätigkeit im Reichsrat weiter auszuüben, auf ihr Erscheinen verzichten wollten, wenn bei dieser Sitzung kein Bevollmächtigter der gegenwärtigen preußischen Regierung anwesend wäre. Weder die Reichsverfassung noch die Geschäftsordnung des Reichsrats sehen vor, daß sämtliche Länder auch in der Vollsitzung vertreten sein müssen.“ Der RR „ist in der Vollsitzung ohne Rücksicht auf die Zahl der anwesenden Mitglieder beschlußfähig. Die gestrige Sitzung des Reichsrats war daher beschlußfähig. Ihre Beschlüsse sind rechtsgültig.“ („Deutsche Zeitung“ vom 4. 8., Ausschnitt in R 43 I /1033 , Bl. 181).

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