2.24.3 (vsc1p): 3. Außerhalb der Tagesordnung: Gesetz über Straffreiheit.

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3. Außerhalb der Tagesordnung: Gesetz über Straffreiheit.

Der Reichskanzler spricht dem Reichsminister der Justiz seinen Dank für seine tätige Mitarbeit bei dem Zustandekommen des Amnestiegesetzes aus1. Man stehe vor einer schwierigen Situation, weil die Bayerische Regierung gegen die Gesetzesvorlage Einspruch erheben will, dem sich wahrscheinlich andere Länder anschließen werden. In diesem Falle würde die Sache an den Reichstag zurückverwiesen werden. Immerhin hofft der Reichskanzler, den Bayerischen[90] Ministerpräsidenten überzeugt zu haben, daß die bayerische Methode nur Nachteile im Gefolge haben würde2.

1

Zum Anteil der Einflußnahme des RJM auf den dem RT am 9. 12. zur Beratung vorliegenden Ges.Entw. über Straffreiheit s. Dok. Nr. 5, Anm. 23. Bei der Abstimmung über Änderungsanträge des Zentrums war zunächst die Herabsetzung der Höchstgrenze für die vollständig zu erlassenden Strafen von 5 auf 2 Jahre mit den Stimmen der Nationalsozialisten, Sozialdemokraten und Kommunisten abgelehnt worden. Mit Ausnahme der Forderung, daß Zersetzungshochverrat bei Polizei und Reichswehr nicht unter die Amnestie fallen sollten, wurden auch weitere Änderungsanträge mit der gleichen Mehrheit abgelehnt. In der Schlußabstimmung über die geänderte Ausschußvorlage wurde – u. a. gegen die Stimmen des Zentrums und der BVP (vgl. dazu Heinrich Brüning: Memoiren 1918–1934. S. 638) – die für verfassungsändernde Gesetze erforderliche qualifizierte Mehrheit erreicht und die weitestgehende nach 1918 gewährte Amnestie beschlossen (RT-Bd., 455, S. 110).

2

Vgl. dazu die Aufzeichnung über die Unterredung des RK mit dem BayerMinPräs. Held am 10. 12. (Dok. Nr. 16). Die bayer. Einwände richteten sich nicht nur gegen die drohende Aushöhlung der Staatsautorität, sondern bezogen sich auch darauf, daß die Niederschlagung von Strafverfahren in Strafsachen, die vor Ländergerichte gehörten, nach der RV den Ländern zustand. Die weitergehende Brisanz des anstehenden Konflikts geht aus den Ausführungen hervor, die der BayerMinPräs. in der Ministerratssitzung vom 14. 12. macht: „Nach der Unterredung mit dem Herrn Reichskanzler habe er – Redner – mit dem Herrn Reichsjustizminister die Amnestiefrage erörtert. Letzterer habe ihn zu überzeugen versucht, daß es zweckmäßig sei, gegen das Amnestiegesetz keinen Einspruch einzulegen; es genüge, wenn die Länder sich im Reichsrate mit der Abgabe eines formulierten Vorbehaltes begnügten; die Besonderheit der gegenwärtigen politischen Lage und die auf Grund der Notverordnungen ausgesprochenen hohen Strafen verlangten ein Entgegenkommen. Er habe dem Reichsjustizminister entgegnet, daß nach seiner Auffassung auf die Einlegung des Einspruchs nicht verzichtet werden könne. Am vergangenen Montag habe Ministerialdirektor Sperr dem Reichskanzler mitgeteilt, daß Bayern aus verfassungsrechtlichen und rechtspolitischen Gründen genötigt sei, Einspruch einzulegen. Der Reichskanzler habe dagegen nichts eingewendet. Gestern dagegen habe ihm dieser persönlich den Wunsch übermittelt, daß von einem Einspruch abgesehen werden möge; die Einlegung des Einspruchs hätte die sofortige Einberufung des Reichstages zur Folge. Stelle er – der Reichskanzler – sich hinter den Reichsrat, dann werde es zu einem Mißtrauensvotum kommen; man stehe dann noch vor Weihnachten mitten in einer Regierungskrise. Er – Redner – habe eingewendet, daß die Reichsregierung es in der Hand habe, den Reichsrat erst auf einen späteren Zeitpunkt einzuberufen. Ein Nachgeben verbiete sich, da es sich um Lebensrechte der Länder handle.“ (Niederschrift in: BayerHStA, MA 99524).

Der Reichsminister der Justiz äußerte hierzu, daß er selber den Vorsitz im Ausschuß des Reichsrats führen werde. Es bestünden zwei Möglichkeiten: entweder werde der Einspruch Bayerns zum Beschluß erhoben oder aber die Angelegenheit werde vertagt3.

3

Der RR beschließt am 20. 12. mit 44 gegen 19 Stimmen der Vertreter Bayerns, Württembergs, Badens und Brandenburgs bei drei Stimmenthaltungen, gegen das AmnestieGes. keinen Einspruch zu erheben. Der RR nimmt zusätzlich eine Entschließung an, in der die grundsätzlichen Bedenken gegen die Amnestie vorgebracht werden und erklärt wird, daß durch einen Einspruch das Zustandekommen des Ges. nicht verhindert, sondern nur hinausgeschoben und die politische Entspannung und Beruhigung vereitelt würde. Das Ges. kann daraufhin noch am gleichen Tag ausgefertigt werden (RGBl. 1932, I, S. 559 ). – Die vom RK beschworene Weihnachtskrise (s. o. Anm. 2) ist abgewendet, als darüberhinaus der Ältestenrat des RT die von Sozialdemokraten und Kommunisten in Anknüpfung an ihren Antrag vom 6. 12. (s. Dok. Nr. 5, Anm. 27) geforderte Einberufung des RT noch vor den Feiertagen ablehnt (Horckenbach 1932, S. 422 f.).

Der Reichsminister der Justiz machte in diesem Zusammenhang auf einen Brief des Reichsbank-Direktoriums an den Reichsrat aufmerksam4, in dem das Reichsbank-Direktorium seine Bedenken gegen zuweitgehende Straffreiheit geltend macht, durch die unter Umständen die energische Verfolgung von Devisenvergehen in Frage gestellt werden könnte, weil sie nach Auslegung einzelner Gerichte unter den Tatbestand der Notdelikte fallen könne. Dies wird vom Reichsminister der Justiz in Abrede gestellt.

4

In den Akten der Rkei nicht zu ermitteln.

Der Reichskanzler erwähnte noch, daß der Württembergische Staatspräsident in einer Unterhaltung, die er mit ihm gehabt habe, das System der Einzelbegnadigung an Stelle einer allgemeinen Amnestie befürwortet habe. Seiner Ansicht nach sei ein derartiges Verfahren verderblich, weil die Verantwortung im Einzelfalle der Reichsregierung zugeschoben werden würde.

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