2.27 (vsc1p): Nr. 27 Der Preußische Ministerpräsident an den Reichskanzler. 17. Dezember 1932

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Nr. 27
Der Preußische Ministerpräsident an den Reichskanzler1. 17. Dezember 1932

1

Das Schreiben ist an den „Reichskanzler als Reichskommissar für das Land Preußen“ adressiert. Es trägt eine Sichtparaphe v. Schleichers vom 21.12.1932 mit dem hschr. Vermerk „Mündlich!“

R 43 I /2281 , Bl. 507–515 Abschrift

[Das Verhältnis der Preußischen Staatsregierung zum Staatsrat nach dem Urteil des Staatsgerichtshofs vom 25. Oktober 19322.]

2

Unter dem Eindruck der Beratungen im PrStaatsrat am 24.11.1932 über die Auswirkungen des StGHUrteils vom 25. 10. hatte StaatsratsPräs. Adenauer sich sofort an MinPräs. Braun gewandt und um Mitteilung gebeten, „welche Vorkehrungen der Reichskommissar für das Land Preußen getroffen hat, um das Staatsministerium in die Lage zu setzen, seine verfassungsmäßigen Pflichten gegenüber dem Staatsrat zu erfüllen“. MinPräs. Braun hatte eine Abschrift dieses Schreibens RM Bracht zugehen lassen mit der Bitte, „mich zur Beantwortung der Frage des Präsidenten des Staatsrats instandsetzen zu wollen“ (Adenauer an Braun, 24.11.1932; Braun an Bracht, 28.11.1932; beide in: Nachl. Severing , Nr. 66). Die Nichtbeantwortung dieser Bitte um Auskunft hatte eine zweite Anfrage Adenauers vom 5. 12., den anliegenden Beschluß des Verfassungsausschusses des Staatsrats vom 14. 12. sowie – nach einem entsprechenden Beschluß des PrStMin. vom 16. 12. – das vorliegende Schreiben Brauns an den RK zur Folge (alle Materialien abschriftlich in: Nachl. Severing, Nr. 66).

Die Preußische Staatsregierung kann die ihr zustehenden Aufgaben nur erfüllen, wenn sie über die Führung der von der Landesregierung vorübergehend[125] abgetrennten und vorübergehend auf den Reichskommissar übertragenen Geschäfte ständig auf dem laufenden gehalten wird. Dazu gehört es, daß nicht erst vollzogene Tatsachen der Staatsregierung zur Kenntnis gebracht werden, sondern daß sie von allen wichtigen Arbeiten bereits im vorbereitenden Stadium unterrichtet wird.

Der Verfassungsausschuß des Preußischen Staatsrats hat am 14. Dezember 1932 den abschriftlich anliegenden Beschluß gefaßt, und zwar einstimmig bei Stimmenthaltung des kommunistischen Mitgliedes.

Nach Art. 40 der Preußischen Verfassung3 ist der Staatsrat vom Staatsministerium über die Führung der Staatsgeschäfte auf dem laufenden zu halten (Abs. 1). Vor Erlaß von Ausführungsvorschriften zu Reichs- und Staatsgesetzen sowie vor Erlaß allgemeiner organisatorischer Anordnungen des Staatsministeriums ist der Staatsrat oder dessen zuständiger Ausschuß zu hören (Abs. 4).

3

Art. 40 der PrV vom 30.11.1920 regelt das Verhältnis des PrStMin. zum Staatsrat erschöpfend (GS 1920, S. 2177). – Nachdem Anfang der zwanziger Jahre zwischen dem PrStMin., dem PrLT und dem Staatsrat ein Streit über den Umfang der Auskunftspflicht nach Abs. 1 entstanden war, hatte man 1923 in einer Vereinbarung festgelegt, daß diese Auskunftspflicht eine selbständige Verpflichtung darstelle, unberührt von den übrigen Vorschriften des Art. 40, daß sie inhaltlich unbegrenzt sei und daß das Staatsministerium diese Information von Amts wegen zu geben habe (Ludwig Waldecker: Die Verfassung des Freistaates Preußen. S. 109 ff., 125 f.).

Auch um diese Verpflichtungen gegenüber dem Staatsrat zu erfüllen, bedarf es der am Eingang dieses Schreibens erörterten laufenden Unterrichtung. In der Praxis kann die Verpflichtung gegenüber dem Staatsrat nur dadurch erfüllt werden, daß die Staatssekretäre der Ministerien Auftrag erhalten, die Staatsminister ständig über die Geschäfte, auch soweit sie von den Kommissaren des Reichs wahrgenommen werden, rechtzeitig zu unterrichten und daß sie, soweit der Minister nichts anderes bestimmt, mit Hilfe des ministeriellen Apparats die laufende Unterrichtung und Anhörung des Staatsrats nach den üblichen Grundsätzen in Vertretung der Minister wahrnehmen.

Es erscheint mir nicht richtig, sich dem Staatsrat gegenüber auf den Standpunkt zu stellen, daß die Verpflichtungen aus Art. 40 der Preuß. Verfassung nicht bestünden, weil die vom Reichskommissar verwalteten Geschäfte keine Staatsgeschäfte seien. Da der Reichskommissar restlos alle übertragbaren Staatsgeschäfte in die Hand genommen hat, würden bei einer solchen Stellungnahme Landesregierung und Staatsrat vollständig ausgeschaltet werden. Man könnte dann nicht von einer „Aufrechterhaltung der Selbständigkeit des Landes und seiner rechtlichen Stellung im Reich“ im Sinne der Entscheidung des Staatsgerichtshofs sprechen. Auch zeigt die äußere Handhabung der Geschäftsführung durch die Kommissare, daß sie mindestens die Geschäfte der nachgeordneten Behörden nicht als Reichsgeschäfte, sondern als Staatsgeschäfte führen lassen wollen. Ob dies nach der Entscheidung des Staatsgerichtshofs zulässig ist, lasse ich hier dahingestellt. Jedenfalls müssen dann aber auch folgerichtig Landesregierung und Staatsrat über die Führung der Geschäfte auf dem laufenden gehalten und es muß ihnen die Gelegenheit zur Mitwirkung gegeben werden.

[126] Ziffer 10 des Erlasses des Herrn Reichspräsidenten vom 18. November 19324 sagt, daß mir und den Staatsministern zur Bearbeitung der uns obliegenden Aufgaben die entsprechenden Ministerialbeamten zum Vortrag zur Verfügung zu stellen sind. Nach dem Gesagten kann es nicht genügen, daß dies nur im Einzelfall auf Anforderung geschieht, sondern die Beamten müssen in der üblichen Weise aus ihrer Kenntnis der Geschäfte heraus die erforderlichen Vorträge von sich aus in die Wege leiten und außerdem die Bearbeitung für die Minister in der üblichen Weise zur Erfüllung der Aufgaben der Minister, insbesondere gegenüber dem Staatsrat und Landtag, übernehmen.

4

Über den Erlaß s. Dok. Nr. 4, Anm. 3.

Ich bitte, mich möglichst umgehend mit einer Erklärung versehen zu wollen, daß Sie diesen Auffassungen zustimmen, damit ich dem Staatsrat Antwort geben kann.5

5

Zum Fortgang s. Dok. Nr. 37.

gez. Braun

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