2.141.1 (wir1p): [Kreditaktion der Industrie]

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[Kreditaktion der Industrie]

Der Reichskanzler berichtete kurz über die Resolution der Industrie1 und gab Erklärungen über die bisher gepflogenen Verhandlungen mit den Gewerkschaften ab2. Er betonte, daß er die Art des Vorgehens der Industrie für ein Unglück halte, weil sie auf die innerpolitischen Verhältnisse keine Rücksicht nehme. Seine Hoffnung auf ein Programm der Industrie, auf welche Weise Kredite zu beschaffen seien, wäre enttäuscht worden. Wenn auch das Kabinett voraussichtlich die Vorschläge der Industrie ablehnen würde, so bäte er doch die Fraktionen, nicht eher öffentlich Stellung zu nehmen, bevor nicht das Kabinett einen Beschluß gefaßt hätte. Die Führung in der Frage müsse bei der Regierung bleiben.

1

Siehe Dok. Nr. 133 Anm. 1 und Dok. Nr. 135 Anm. 2.

2

Siehe Dok.Nr. 137

Reichsminister Groener gab darauf, wie in der vorhergehenden Besprechung3, einen ausführlichen Überblick über die Wirtschaftslage bei der Reichseisenbahn.

3

Siehe Dok.Nr. 137

Abgeordneter Müller (Franken) erklärte, daß eine Beschlußfassung der Fraktionen sich für einige Tage hinausschieben lasse, aber es sei nicht möglich, die Presse zu hemmen. Der Plan der Industrie, d. h. von Stinnes, wäre für die Sozialdemokratische Partei undiskutierbar und würde den geschlossenen Widerstand der Arbeiter finden, da er zu einer Geldrepublik par excellence führen würde. Er sei auch ungeeignet, die machtpolitischen Bestrebungen der Entente zu verhindern.

[386] Oberbürgermeister Scheidemann erklärte sich mit den Ausführungen des Abgeordneten Müller einverstanden. Er gab zu, daß die völlige Sozialisierung der Kohlenbergwerke und der Hütten z. Zt. unmöglich sei, meinte jedoch, es ließe sich vielleicht ermöglichen, die Eisenbahn in nähere Beziehungen zu Kohle und Eisen zu setzen, damit sie Kohle und Material billiger erhielte.

Die Ansicht der Industrie, daß die Eisenbahn als Privatunternehmen rentabler arbeite als jetzt, werde durch die Tatsache widerlegt, daß die Privatstraßenbahnen in den selben Finanzschwierigkeiten sich befänden wie die kommunalen.

Abgeordneter Becker (Arnsberg) warnt davor, den Eindruck der Resolution auf die Schwerarbeiter zu gering einzuschätzen. Unter den Arbeitern herrsche eine starke Mißstimmung gegen die Eisenbahner, weil man allgemein glaube, daß sie zu wenig beschäftigt seien. Er hielt es durchaus nicht für ausgeschlossen, daß sie von der Industrie für die Privatwirtschaft zu gewinnen seien, wenn diese Stimmung weiterhin von der Industrie geschickt ausgenützt würde.

Abgeordneter Wels meint, daß das Bestreben der Industrie dahin ginge, die Kreditaktion zum Scheitern zu bringen. In einer Sitzung der Volkspartei hätte Stinnes erklärt, die Kreditaktion sei ein Unglück für Deutschland und eine Besetzung des Ruhrgebietes der Kreditaktion noch vorzuziehen. Die Schuld an dem Mißlingen der Kreditaktion solle durch das Vorgehen der Industrie auf das Reich abgewälzt werden.

Er führte aus, daß die Eisenbahnen in wirtschaftlicher Beziehung mehr geleistet hätten als viele Privatindustrien. Während diese Kapital aufgenommen hätten, ginge das Bestreben der Eisenbahn dahin, mit den Erträgnissen auszukommen.

Reichsminister Groener glaubte, daß die Mißstimmung unter den Schwerarbeitern gegen die Eisenbahn in der Hauptsache auf den Einfluß von Stinnes zurückzuführen sei; im übrigen habe sich auch die Arbeitsfreudigkeit der Eisenbahner erheblich erhöht.

Die Überführung in Privatbetriebe garantiere durchaus noch nicht die Rentabilität des Unternehmens; denn die Privatbahnen auswärtiger Staaten, mit Ausnahme der der Schweiz, arbeiteten mit erheblichem Defizit.

Auch der Abgeordnete Spahn hielt die Rückkehr zur Privatwirtschaft bei der Eisenbahn für ausgeschlossen.

Der Reichskanzler schlug vor, die Angelegenheit in den Fraktionen weiter zu besprechen, doch ohne daß die Fraktionen sich auf ein bestimmtes Programm festlegten. Die Regierung wolle ein Programm aufstellen. Die Frage der Erfassung der Substanz werde in der nächsten Woche zu besprechen sein. Dann würde auch über die Reparationskommission eine Aussprache stattfinden. Er fügte hinzu, daß an eine Erweiterung der Regierung durch eine Krisis nicht zu denken sei. Die Regierung würde durch das Parlament gestürzt oder überhaupt nicht.

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