2.155.1 (wir1p): [Finanzpolitik des Reiches]

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[Finanzpolitik des Reiches]

Leipart: Der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund und der Afa hätten den hiermit überreichten Beschluß1 gefaßt.

1

Die Resolution, die in 10 Punkten gegliederte Forderungen enthält, ist abgedruckt als Dok. Nr. 150.

[423] Dieser Beschluß ist gefaßt worden als Folge der Erwägung, wie der durch die Teuerung hervorgerufenen Not der arbeitenden Bevölkerung und der finanziellen Not des Reichs abgeholfen werden könnte. An die Spitze ihrer Forderungen hätten die Verbände die Erfassung der Sachwerte gestellt. Sie seien insbesondere der Ansicht, daß die Kreditfähigkeit des Reichs durch die Sozialisierung der Kohle gehoben würde. Was die Eisenbahn anlange, so seien auch die Verbände der Ansicht, daß bei ihnen vieles im argen liege. Die Regierung müsse Besserungsvorschläge machen, sie seien gern bereit, dann mitzuarbeiten. Sie müsse weiter wiederholt darauf hinweisen, daß für die Festbesoldeten die Steuerabzüge ständig einbehalten würden, während von den Besitzenden die Steuern noch nicht erhoben seien. Nur durch eine beschleunigte Steuererhebung könne die Notenpresse zum Stillstand gebracht werden.

Der Reichskanzler spricht den Verbänden seinen Dank für die Überreichung des Beschlusses und für die gezeigte Aktivität aus2. Das Reich stände vor ernsten Entscheidungen in der Finanz- und Steuerpolitik. Er hoffe, hierbei die Gewerkschaften auf seiner Seite zu haben.

2

Stellungnahmen einzelner Reichsressorts zu den 10 Forderungen des ADGB siehe Dok. Nr. 150 Anm. 3. Der RFM nimmt mit Schreiben vom 10.12.21 zu den Forderungen 1, 2, 4, 5, 6, 8 und 9 Stellung; seine Stellungnahme wird im folgenden z. T. zur Kommentierung herangezogen.

Zur Erfassung der Sachwerte3 bemerke er, daß diese ein bestimmtes Ziel haben müsse. Hier seien verschiedene Möglichkeiten denkbar, beispielsweise die Erfassung zum Zwecke einer Rekonstruktion der Währung oder zur Lösung des Reparationsproblems oder, um das Defizit im Haushalt zu decken. Eine Erfassung der Sachwerte zu dem Zwecke, um diese Teile des deutschen Volksvermögens zur Reparationsleistung an das Ausland zu geben, halte er nicht für erträglich. Über das Ziel, zu dem die Sachwerterfassung dienen soll, müsse man sich in erster Linie klar werden.

3

Vgl. Dok. Nr. 150 Anm. 4; der RFM bemerkt in seinem Schreiben vom 10.12.21 zu diesem Punkt: „Die Aktiengesellschaften sollen 25% ihres Grundkapitals auf das Reich übertragen. Hierzu müßten sie nach Ansicht des Reichsfinanzministeriums ihr Kapital um 33⅓% erhöhen. Dadurch würde eine Verwässerung des Aktienkapitals eintreten. – Das Ziel ist: Sicherung der Einnahmen des Reichs und Einfluß auf die Unternehmungen. Das erste Ziel wird auf steuerlichem Wege erreicht – Erhöhung der Körperschaftssteuer. – Das zweite Ziel würde dem Reich eine nicht tragbare Verantwortung auferlegen. Ferner zu befürchten, daß die Entente Auslieferung des Reichsteils verlangt.“ (R 43 I /2356 , Bl. 128 f.).

Was die Industrieaktion4 anlange, so sei er über die Haltung der Industrie schwer enttäuscht worden; aber die Verhandlungen seien noch nicht völlig beendet, er hoffe, im Laufe dieser Woche hierüber klarzusehen. Man dürfe jedoch nicht verkennen, daß der Schwerpunkt in der Kreditaktion bei den ausländischen Geldgebern ruhe. Finde in Washington5 keine Klärung der politischen Weltlage statt, so würde kein Geld zu bekommen sein. Die Reichsregierung würde aber alsbald versuchen, mit ausländischen Geldgebern dahin zu verhandeln, daß auf etwaige langfristige Kredite alsbald Vorschüsse gezahlt würden, mit denen die nächsten Reparationsraten beglichen werden könnten. Verweigere die Industrie hierbei ihre Mitwirkung, so sei der Austrag des[424] Kampfes mit ihr unter Mitwirkung des Parlamentes unvermeidbar. Er bäte aber dringend, die heutige Unterhaltung vorläufig als streng vertraulich zu behandeln.

4

Siehe Dok. Nr. 133 Anm. 1 und Dok. Nr. 135 Anm. 2.

5

Siehe Dok. Nr. 126 Anm. 2

Die Eisenbahn betreffend wolle er bemerken, daß sie geordnet werden müßte. Wenn wir hier keine Ordnung schafften, so würde es die Entente tun. Er bitte die Gewerkschaften, sich den Ernst dieses Problems klar zu machen und dafür zu sorgen, daß die Arbeiterschaft hierbei die Regierung unterstütze. In einigen Tagen werde die Eisenbahnforderung der Industrie mit einem positiven Programm beantwortet werden. Er sei gern bereit, dieses Programm vorher noch mit den Gewerkschaften durchzusprechen.

Bei der Frage der Devisenerfassung durch den Ausbau der Außenhandelskontrolle6 müsse man bedenken, daß, je mehr Devisen zwangsweise erfaßt würden, umso weniger am offenen Markt zu haben wären. Dort aber werde der Wert der Mark bestimmt.

6

Vgl. Dok. Nr. 150 Anm. 6; der RFM sagt in seinem Schreiben vom 10.12.21 zu dieser Forderung: „Ist mit positivem Erfolg bereits im Gange. Kehrseite dieser Maßnahme: die Devisen werden dem freien Markt entzogen und dadurch ihre Kurse hochgetrieben.“ (R 43 I /2356 , Bl. 128 f.).

Zur Beschränkung der Einfuhr7: Das Ausland, insbesondere Italien, Spanien, Frankreich und die Schweiz machten ständig politische Schwierigkeiten, wenn ihre Einfuhrforderungen nicht bewilligt würden. So sei die Einfuhr von Orangen, Bananen, Wein, Trauben, Seide und sogar Blumen verlangt worden. Das Wirtschaftsministerium würde aber gern nochmals mit den Gewerkschaften zusammen prüfen, welche Teile der Einfuhr gedrosselt werden könnten.

7

Vgl. Dok. Nr. 150 Anm. 7; der RFM sagt in seinem Schreiben vom 10.12.21 dazu: „Reichsfinanzministerium ist hierfür stets eingetreten. Dem geforderten Ziel dienen auch die Gesetzentwürfe, betr. Erhöhung von Zöllen und Aufhebung vorübergehender Zollerleichterungen.“ (R 43 I /2356 , Bl. 128 f.).

Der Forderung der Erfassung der Valutagewinne8 stimme er zu.

8

Vgl. Dok. Nr. 150 Anm. 8

Beschleunigte Einziehung der Steuern9: Ein Gesetzentwurf zur beschleunigten Einziehung des Reichsnotopfers sei vorbereitet10.

9

Vgl. Dok. Nr. 150 Anm. 9; der RFM stellt in seinem Schreiben vom 10.12.1921 dazu fest: „Die festgestellte Steuerschuld eines Rechnungsjahres gilt als vorläufige Steuerschuld für das folgende. Dadurch erreicht, daß fortlaufend und rechtzeitig Steuern gezahlt werden, auch wenn Steuerbescheid noch nicht zugegangen. Für Umsatzsteuer und Körperschaftssteuer ist gesetzliche Anordnung der Vorauszahlung geplant, bzw. bereits erfolgt. Antrag Hertz, der der Forderung der Gewerkschaften entspricht, ist im 11. Ausschuß des Reichstages abgelehnt worden.“ (R 43 I /2356 , Bl. 128 f.).

10

Vgl. Dok. Nr. 150, P. 7; der RFM bemerkt in seinem Schreiben vom 10.12.1921 dazu lediglich: „sie ist in vollem Gange.“

Die Veranlagung zur Einkommensteuer schreite günstig vorwärts. Man hoffe, sie bis zum 1. Februar völlig fertig zu stellen.

Der Einziehung der Umsatzsteuer in Raten stehe er günstig gegenüber.

In den gesamten Steuerfragen könne den Gewerkschaften noch eine genaue amtliche Auskunft gegeben werden11.

11

In R 43 I nicht ermittelt.

Kontrolle der privatwirtschaftlichen Monopole:12 Hier sei zu berücksichtigen, daß auch Länder und Gemeinden bei ihren Betrieben sich in schlechter[425] Finanzlage befänden. Hier werde voraussichtlich ein Entscheidungskampf mit der Industrie einsetzen, den die Gruppe Stinnes für die Privatwirtschaft bereits als gewonnen ansähe. Man könne hier aber nur mit positiven Darlegungen und Zielen helfen.

12

Vgl. Dok. Nr. 150, P. 10 und Dok. Nr. 157 zu P. 10.

Er werde die Gewerkschaften in wenigen Tagen zu einer zweiten Sitzung13 einladen, wobei dann alle einzelnen Punkte des überreichten Beschlusses durchgesprochen werden könnten. Eins wolle er schon heute betonen: Wenn die Regierung sich mit den Gewerkschaften auf ein Programm geeinigt habe, so müsse er sich darauf verlassen können, daß sie dann geschlossen hinter ihm stehen würden. In dem Verlust von Eisenbahn und Post sehe er die Errichtung neuer Dynastien.

13

Ein Protokoll einer solchen Sitzung in R 43 I nicht ermittelt.

Schweitzer: Die Gewerkschaften hätten die Erfassung der Sachwerte an die Spitze ihrer Forderungen gestellt, weil sie sie wegen der Reparation für nötig hielten. Sie hätten nicht daran gedacht, diese Werte an das Ausland zu verkaufen, sondern dächten vielmehr an sie als an ein Pfandobjekt für eine Reichsanleihe.

Umbreit bittet, die nächste Sitzung bald abzuhalten und über die heutige Besprechung eine kurze Notiz in die Presse zu bringen.

Der Reichskanzler sagt dies zu.

Die Sitzung wird geschlossen.

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