2.193.1 (wir1p): Reparationsfrage.

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Reparationsfrage.

Geheimrat Kastl erläutert seine anliegende Aufzeichnung1.

1

Am 13.1.1922 hatte die Repko der dt. Reg. in einer aus Cannes datierten Note einen vorläufigen Zahlungsaufschub der am 15. 1. und 15. 2. fälligen Zahlungen unter folgenden Bedingungen gewährt: „1. Während der vorläufigen Verzugsfrist zahlt die deutsche Regierung alle zehn Tage 31 Mio Goldmark in zugelassenen Devisen. Die erste Zahlung erfolgt am 18. Januar 1922. – 2. Die deutsche Regierung unterbreitet binnen 14 Tagen der Reparationskommission einen angemessenen Reform- und Garantieplan betreffend des deutschen Budgets und des deutschen Papierumlaufs, sowie ein vollständiges Programm für Barzahlungen und Sachlieferungen für das Jahr 1922. – 3. Die vorläufige Verzugsfrist geht zu Ende, sobald die Reparationskommission oder die alliierten Regierungen eine Entscheidung über den unter 2 erwähnten Entwurf und das Programm getroffen haben.“ (RT-Drucks. Nr. 4140 , S. 45 f., Bd. 372). Die in dieser Chefbesprechung vorgetragene 3 seitige Aufzeichnung Kastls befaßt sich damit, die nach der Gewährung eines vorläufigen Zahlungsaufschubs verbliebenen Verpflichtungen des dt. Reiches aus dem VV zu ermitteln. Sie schließt mit folgender Feststellung: „Es bliebe somit noch eine Gesamtbelastung aus dem Friedensvertrag von 105 Mrd, denen nach Durchführung der Bewilligungen an die Arbeiter, Angestellten und Beamten rund 15 Mrd aus den allgemeinen Einnahmen zur Deckung gegenüberstehen. Der Friedensvertragshaushalt erfordert somit immer noch einen ungedeckten Betrag von 90 Mrd.“ (R 43 I /24 , Bl. 294-297).

[518] Staatssekretär von Simson: Innenpolitisch betrachtet würde die Entscheidung der Reparationskommission wohl Schwierigkeiten verursachen. Vom außenpolitischen Gesichtspunkte dagegen müsse man sagen, daß die Entscheidung unserem Antrage entspreche2. Da wir nicht mehr beantragt hätten, hätte die Reparationskommission auch nicht mehr bewilligen können. Das ganze stelle sich als ein Provisorium dar. Nach der Entscheidung hätten wir aufzustellen:

2

Stundungsgesuch siehe Dok. Nr. 167 Anm. 1.

1. ein Reformprogramm für unsere Finanzen,

2. ein Programm für die Gold- und Sachlieferungen.

Wir sollten nun also doch selbst erklären, wieviel wir leisten könnten. Hierbei empfehle der Minister Rathenau, sich an das abgeänderte Londoner Abkommen Lloyd George-Briand zu halten3. Vor einer endgültigen Entschließung müsse man Herrn Rathenau hören. Unter diesem Vorbehalt möchte er sagen, daß die Ideen der Alliierten ein Palliativmittel darstellten, das nicht zum Ziele führen könne. Man würde daher etwa sagen können, daß eine Gesamtsanierung nur bei Balancierung des Etats möglich sei. Unser jetziger Etat weise etwa 15 Milliarden Papiermark Überschuß auf, daher könne eine Stabilisierung nur erzielt werden, wenn wir etwa 3–5 Jahre von Barzahlungen gänzlich freiblieben, und wenn Sachlieferungen nur in solcher Höhe getätigt würden, daß sie im Innern balanciert werden könnten. Diese Dinge würde er deutlich aussprechen. Könne dieses Ziel nicht erreicht werden, so müßten wir eben die Nichtbalancierung des Etats tragen. Man könne nötigenfalls Goldzahlungen bis zu 500 Millionen anbieten; die angebotene Summe müsse jedenfalls sämtliche Verpflichtungen, auch Clearing usw. umfassen. Unter dieser Voraussetzung könne man vielleicht auf 720 bis 750 Millionen gehen. Aber wie schon ausgeführt, müsse zunächst Herr Rathenau gehört werden.

3

Siehe dazu „Der britische Entwurf von Cannes vom 10.1.22 für die Regelung der Reparationsleistungen im Jahre 1922“ (RT-Drucks. Nr. 4140 , S. 185, Bd. 372).

Bemerkenswert sei, daß Dubois überstimmt zu sein scheine, daß also Italien und Belgien für diesen Beschluß eingetreten seien. Weiter sei zu bemerken, daß die Konferenz von Genua bestimmt stattfinden solle.

[519] Das letzte Telegramm von Rathenau wird verlesen4.

4

Telegramm Rathenaus für den RK aus Cannes vom 13.1.22, eingegangen um 21 h: „Zu den Besprechungen der Reparationskommission gebe ich auf Grund nachheriger persönlicher Rücksprache mit hauptsächlichen Mitgliedern von Repko nachstehende Erläuterungen: Es wird erwartet, daß das von uns verlangte Reformprojekt sich eng an Londoner Punkte Reparationen Lloyd George – Briand [siehe Anm. 3], die inzwischen einige Änderungen erfahren haben, anschließt. Es wird nicht erwartet, daß wir die vorgeschlagenen Zahlungen unverändert aufnehmen, da Reparationskommission und eventuell Oberster Rat die Möglichkeit haben, sie ihrerseits zu ergänzen. Es wird ebenso wenig erwartet, daß wir Garantiebedingungen im Londoner Ausmaß unserseits vorschlagen. Da mit baldiger Entscheidung über unser Projekt gerechnet wird, sind Zahlungen von 31 Millionen Goldmark voraussichtlich nicht auf langen Zeitraum zu leisten. Provisorische Regelung umfaßt zunächst keine Besatzungskosten, da Reparationskommission hierfür nicht zuständig. Halte für vorübergehende Zeit obige Regelung für erträglich. Mit baldiger weiterer Regelung Reparationsproblems 1922 scheinen sämtliche Mächte mit Ausnahme Frankreichs einverstanden, dessen Stellung auch hiesigen Persönlichkeiten noch nicht durchsichtig. Unsere Einladung nach Genua erfolgt durch Lloyd George als feste Entschließung in besonders freundlicher Form unter Hervorhebung der besonderen Bedeutung Genuas. Rathenau“. (R 43 I /24 , Bl. 257).

Minister Schmidt schließt sich im ganzen der Auffassung von Herrn von Simson an und äußert sich über die wirtschaftlichen Folgen der Entscheidung. Erstrebenswert sei, daß die an Frankreich zu tätigenden Sachlieferungen uns zum vollen Betrage sofort angerechnet würden und nicht ein Teil, wie im Wiesbadener Abkommen vorgesehen, Frankreich kreditiert würde. Wieviel Sachlieferungen an andere Staaten zu leisten seien, müsse besonderer Abmachung vorbehalten bleiben. Vielleicht könne man die Sachlieferungen durch eine innere Anleihe finanzieren.

Der Reichskanzler Nach Rückkehr Rathenaus müsse über diese Frage eingehend diskutiert werden. Das von uns verlangte Programm müsse in der Form einer kurzen zusammenfassenden Darstellung mit anliegenden Tabellen gegeben werden. Wichtig sei in der Darstellung, den richtigen Ton zu treffen. Alle Ressorts müßten sich sofort eingehend mit dem Programm befassen.

Staatssekretär von Simson: Zu der von Minister Schmidt aufgeworfenen Frage bemerke er, daß die in Wiesbaden vorgesehene Kreditierung zu Gunsten Frankreichs jetzt keine so große Rolle mehr zu spielen scheine. Denn nach dem jetzigen Beschluß würden voraussichtlich unsere gesamten Sachlieferungen festgesetzt werden, während über ihre Gutschreibungen zu Gunsten der einzelnen Allierten diese sich untereinander einigen müßten.

Der Reichskanzler Um eine Debatte im Reichstag über die ganze Angelegenheit werde man jetzt nicht herumkommen. Die Grundzüge des Programms müßten dabei dargelegt und mit dem Steuerprogramm verknüpft werden5. Es wird beschlossen, daß die Besprechungen am Montag, dem 16. Januar 1922 nachmittags 4 Uhr in der Reichskanzlei fortgesetzt werden sollen6. Das Auswärtige Amt soll veranlassen, daß die Sitzung des Auswärtigen Ausschusses des Reichsrats auf Montag 6 Uhr verlegt wird.

5

Siehe 160. und 161. Sitzung im RT am 26. und 27.1.22 (RT Bd. 352, S. 5558  ff. und S. 5577 f.).

6

Ein Besprechungsprotokoll vom 16.1.22 in R 43 I nicht ermittelt.

Hierauf wurde die Sitzung geschlossen.

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