2.69.1 (wir1p): Amerika.

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Die Kabinette Wirth I und II (1921/22). Band 1Bild 146III-105Bild 183-L40010Plak 002-009-026Plak 002-006-067

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Amerika.

Reichsminister Dr. Rosen machte Mitteilung von dem heute mittag von Dresel überreichten Memorandum und erstattete in großen Zügen Bericht über[196] den Stand der Verhandlungen2. Geheimrat v. Schubert trug darauf die im Auswärtigen Amt ausgearbeitete Denkschrift über den von Amerika übersandten Vertragsentwurf3 vor.

2

Am 12. August hatte der amerikanische Geschäftsträger Dresel erneut Rosen aufgesucht und dabei folgende Aufzeichnung überreicht: „Bei seinem Besuche im Auswärtigen Amt am 12. August sagte Herr Dresel, daß er Weisungen in Bezug auf den Punkt erhalten habe, den Dr. Rosen am 10. August hinsichtlich der Auslegung der Artikel I und II hervorgehoben habe. Das Departement stellt fest, daß es in dem Bestreben, auf die Wünsche Dr. Rosens einzugehen, gewillt ist, die am 10. August Dr. Rosen vorgeschlagene Formel über die wechselseitigen Rechte Deutschlands an das Ende des I. Artikels anstatt an das Ende des ersten Paragraphen des II. Artikels anzufügen. In diesem Falle müßten die Worte ‚In diesem Paragraphen erwähnten‘ gestrichen werden. – Dr. Dresel erklärte ferner, das Departement habe ihn dahin instruiert, daß über die Verfügung über das in den Händen des Alien Property Custodian befindliche Vermögen nur der Kongreß allein entscheiden könne, und daß es nicht angängig sei, daß sich die Exekutive mit dieser Sache befasse. Das Departement macht auch darauf aufmerksam, daß eine ablehnende Haltung Deutschlands gegen den Vertrag oder eine durch Deutschland hervorgerufene Verzögerung seiner Zeichnung oder seiner Ratifikation unmöglich zum Vorteil Deutschlands sein könne.“ (Aus Nachtrag zur Denkschrift „Amerikanisches Angebot eines Friedensvertrages“ in R 43 I /95 , Bl. 66-70, hier: Bl. 66).

3

Vermutlich handelt es ich um die ausführliche Beurteilung des Vertragsentwurfes, die in der Denkschrift „Amerikanisches Angebot eines Friedensvertrages“ abgedruckt ist (R 43 I /95 , Bl. 58-70).

In der anschließenden Aussprache über die Annehmbarkeit des Vertragsangebots sprach sich Reichsminister Dr. Rathenau entschieden gegen den Vertrag in der vorliegenden Form4 aus und befürwortete Aufnahme von Verhandlungen. Er hielt den Vertrag für erheblich schlimmer als den von Versailles, da er diesem Vertrage lediglich die Rechte für Amerika entnehme u. da von den schon an und für sich wenigen Verpflichtungen, die der Vertrag von Versailles der anderen Seite auferlege, in dem Vertragsentwurf so gut wie nichts übrig geblieben wäre. Wir würden uns für unabsehbare Zeit durch unsere Unterschrift jedes Rechtes gegenüber Amerika begeben. Sollte unser Wunsch, mit den Amerikanern in Verhandlungen einzutreten, um einen vorteilhafteren Frieden zu erreichen, erfolglos sein, so würden wir vielleicht in Amerika eine uns ungünstige Stimmung erregen. Das wäre aber bei weitem nicht so sehr zu fürchten wie der Sturm der Entrüstung, der bei Annahme des Vertragsangebotes in unserm eigenen Lande hervorgerufen würde.

4

Im wesentlichen identisch mit der endgültigen Fassung; diese siehe RT-Drucks. Nr. 2675, Bd. 369  und RGBl. 1921 II, S. 1317 .

Nach seiner Ansicht sei die Politik, die Amerika mit diesem Friedensangebot verfolge, lediglich auf Bluff gestellt. Ein Widerstand gegen die Wünsche Amerikas könne uns keinen großen Schaden zufügen; denn die Amerikaner hätten selbst aus wirtschaftlichen Gründen geordnete Beziehungen zu Deutschland nötig. Große Kredite, mit denen man beim Friedensschluß rechnete, würden nach seinen Informationen nicht zu erwarten sein, da die Amerikaner selbst Geld nötig hätten.5

5

Offenbar hat Rathenau in der Frage des amerikanischen Friedensangebots direkte Kontakte mit dem amerikanischen Geschäftsträger aufgenommen, jedenfalls findet sich in den Akten der Reichskanzlei folgender Brief Dresels an Rathenau vom 13.8.1921: „Sehr geehrter Dr. Rathenau, – Nachdem ich mit Ihnen sprach, habe ich noch einmal die verschiedenen Akten durchgesehen. Ich frage mich, ob Sie nicht, was die Frage der Wiederaufnahme der Beziehungen betrifft, die sehr ausdrückliche Feststellung in meinem Memorandum vom 10. August, letzter Satz des vorletzten Paragraphen, übersehen haben. [„Das Departement erklärt jedoch, daß die Regierung mit der Vollziehung des Vertrages bereit sein wird, Beziehungen wieder aufzunehmen“ (Denkschrift des AA „Amerikanisches Angebot eines Friedensvertrages“ in R 43 I /95 , Bl. 58-70).] Diese wiederholt den Wortlaut einer mir gegebenen telegraphischen Anweisung, welche wörtlich festsetzt, daß „bei Vollziehung des Vertrages diese Regierung bereit sein wird, die Beziehungen wiederherzustellen“. Ich glaube nicht, daß es möglich ist, eine ausdrücklichere Versicherung als diese zu geben. Bei dem anderen von Ihnen erwähnten Punkt verweise ich Sie auf das Memorandum, welches ich Dr. Rosen am 1. August übergab. Dieses gibt an, daß ‚sobald der Vertrag in Wirkung tritt, die diplomatischen und konsularen Beziehungen wieder aufgenommen werden und die beiden Regierungen in Verhandlungen treten können, die ihnen geeignet erscheinen.‘ Ich erinnere mich, daß Dr. Rosen die Frage aufwarf, ob „kann“ in dem Sinne von „wird“ gebraucht war; ich sagte ihm, daß die Konstruktion dies so klar besagte, daß ich es nicht für nötig hielte, weitere Anfragen nach Washington zu richten. Wenn indessen das Kabinett den Wunsch haben sollte, werde ich der Regierung vorschlagen, ob es möglich wäre, diesen Ausdruck etwas klarer zu machen. Ich hoffe, daß diese Erklärung zur Erreichung eines befriedigenden Abschlusses von einigem Nutzen sein wird, und bleibe mit besten Empfehlungen Ihr sehr ergebener gez. Ellis Loring Dresel.“ (R 43 I /95 , Bl. 87 f.).

[197] Um in Ruhe die in der Denkschrift des Auswärtigen Amts ausgesprochene Kritik des Vertragsentwurfs nachprüfen zu können, wurde die Besprechung abgebrochen und auf den 13. August nachmittags 4½ Uhr vertagt6. Auch diese Besprechung soll zunächst nur im kleinsten Kreise stattfinden, und erst, wenn das Auswärtige Amt zu einem endgültigen Entschluß gekommen ist, soll die Angelegenheit im Kabinett erörtert werden7.

6

In R 43 I nicht ermittelt. In den Akten des AA findet sich eine Aufzeichnung über die in der Chefbesprechung am 13. 8. d. J. für das Reichsjustizministerium abgegebenen Erklärungen (PA, Polit. Abt. III, Vereinigte Staaten, Pol. 2, Beiheft Friedensschluß, Bd. 2).

7

Am 14.8.21 empfängt auch der RPräs. den Geschäftsträger Dresel in dieser Angelegenheit; dazu übersandte MinDir. Meissner dem RK und dem RAM das folgende geheime Protokoll vom 14.8.21: „Der Herr Reichspräsident empfing heute Vormittag den amerikanischen Kommissar Dr. Dresel, der ihn um eine Unterredung gebeten hatte. Diese Unterredung nahm folgenden Verlauf: Dr. Dresel führte aus: ‚Der vorgeschlagene Vertrag ist nach der politischen Lage der einzig mögliche Weg, um sofort wieder zu Beziehungen zu kommen. Ich habe das Gefühl, daß der jetzige Zeitpunkt dafür besonders geeignet ist. Die diplomatischen Beziehungen würden nach Annahme des Vertrags wieder aufgenommen werden. Alsdann könnten von dem diplomatischen Vertreter die Verhandlungen über Handelsbeziehungen begonnen werden. Eine Verzögerung des Abschlusses würde von der Regierung der Vereinigten Staaten, auch vom Präsidenten nicht verstanden werden.‘

Der Reichspräsident bemerkte darauf: ‚Nach meiner Information ist die Reichsregierung bestrebt, mit den Vereinigten Staaten möglichst bald in gute diplomatische und wirtschaftliche Beziehungen zu kommen. Das ist auch meine Auffassung. Innerhalb der Regierung bestehen aber gegen den vorgeschlagenen Vertrag erhebliche sachliche Bedenken, die sorgfältiger Erwägung bedürfen. Wir haben zur Regierung des Präsidenten Harding Vertrauen. Seit dem Waffenstillstand haben wir aber manche bittere Erfahrung machen müssen, sodaß sorgfältige Abwägung begreiflich sein dürfte. Das liegt auch im Interesse der Vereinigten Staaten, denn der Vertrag bedarf der Zustimmung des Reichstags und muß so vorbereitet werden, daß seine Annahme wahrscheinlich ist. Wie ich höre, sind die Besprechungen über die Zweifelsfragen in den letzten Tagen gut vorwärts gegangen, und es ist wohl zu hoffen, daß sie bald zu einem beide Teile befriedigenden Abschluß kommen. Ich bin gern bereit nach Möglichkeit zum Fortgang der Besprechungen beizutragen und ihren baldigen Abschluß zu fördern.‘ (R 43 I /95 , Bl. 89).

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