2.94.1 (wir1p): [Kreditaktion der deutschen Industrie]

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Die Kabinette Wirth I und II (1921/22). Band 1Bild 146III-105Bild 183-L40010Plak 002-009-026Plak 002-006-067

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[Kreditaktion der deutschen Industrie]

Direktor Kraemer: Die Industrie sei bereit, dem Reich bei seinem Bedürfnis nach Gold mit der Substanz ihres Vermögens zu helfen. Der Plan der Industrie gehe dahin, gemeinsam mit den Banken im Auslande Anleihen aufzunehmen, durch die die Reparationszahlungen des Reichs bis zum Sommer gedeckt werden. Die Industrie sei bereit, hierbei mit ihrer Substanz für diese Anleihen zu bürgen. Sie halte es aber für dringend erwünscht, daß die Basis der Regierung verbreitert werde.

Reichskanzler dankt für die Erklärung des Herrn Kraemer. Es sei von jeher seine Absicht gewesen, die Koalition zu verbreitern, aber man dürfe hierin nicht mit Überstürzung vorgehen. Wenn die Verbreiterung gelungen sei, könne man daran gehen, eine Politik auf weite Sicht zu treiben.

Direktor Salomonsohn: Der Kredit der Banken im Ausland sei stark limitiert. Anders läge es natürlich, wenn die Industrie ihre Substanzwerte haften lassen wolle. Die Banken würden sich gewiß bereitfinden, diese Aktion zu erleichtern.

Direktor Frowein weist darauf hin, daß selbst Hilferding2 das Ultimatum als nicht erfüllbar bezeichnet habe.

2

Dr. Rudolf Hilferding war als sozialdemokratischer Finanzexperte Sachverständiger in der Sozialisierungskommission des VRWiR. Am 1.8.21 hatte der RWiM der Rkei eine Entschließung der Sozialisierungskommission zur Reparationsfrage vom 27.7.21 abschriftlich zugesandt, die auch von Hilferding unterzeichnet war, in der die Meinung, das Ultimatum sei unerfüllbar, jedoch nicht ausgesprochen ist: „Die Sozialisierungskommission hat über die mit der Reparation zusammenhängenden Fragen eine Enquête veranstaltet, deren stenographischen Protokolle demnächst im Verlag Hans Robert Engelmann, Berlin N, erscheinen werden. Die Kommission behält sich vor, das Ergebnis dieser Enquête durch weitere Verhandlungen zu ergänzen und ihre eigene Stellungnahme in Gutachten niederzulegen. – Da die Entschlüsse der Regierung zum Teil in der nächsten Zeit gefaßt werden, glauben die Unterzeichneten Mitglieder der Kommission vorläufig schon einige Grundsätze für die Reparationspolitik aufstellen zu sollen. […] Die unterzeichneten Mitglieder der Kommission erklärten vorläufig, daß ihnen als Voraussetzung jeder wirksamen Reparationspolitik die Beachtung folgender Grundsätze geboten erscheint: I. Die Reparation ist nur denkbar im Rahmen einer Wirtschaftspolitik, die eine Steigerung und Rationalisierung der Produktion bezweckt. – II. In diesen Rahmen muß sich auch die Aufbringung der Mittel einfügen, welche zur Vermeidung weiterer Geldentwertung durch Aufnahme schwebender Schulden unter allen Umständen die Herstellung des Gleichgewichts im Reichshaushalt erreichen muß. – III. Da die Erträge der Volkswirtschaft an den Stellen, wo sie Privateinkommen werden, bereits stark belastet sind, und dadurch die Gefahr der Hinterziehung erzeugt wird, erachten die Unterzeichneten den Übergang zur Besteuerung an der Quelle für nötig. Sie halten die unmittelbare Anteilnahme des Reiches an den Erträgnissen der Landwirtschaft, Industrie, Handel und Banken für geboten a) als beste Erfassung der Steuer an der Quelle, – b) als Anteil der Allgemeinheit an der Preissteigerung, die infolge der Angleichung an die Weltmarktpreise eintritt. – IV. Diese Art der Aufbringung kann das Reich in den Besitz von Substanzwerten setzen, welche geeignet sind: a) bei eintretender zwingender Notwendigkeit durch Beleihung oder Veräußerungen von Vermögenswerten die Reparationsverpflichtungen zu erfüllen. – b) gleichzeitig den mit der Überfremdung verbundenen Gefahren zu begegnen, indem durch planmäßige Regulierung ein regelloser Ausverkauf des Volksvermögens hintangehalten wird. – Die Unterzeichneten betonen, daß eine solche Veräußerung der Substanzwerte nur zur Erfüllung der auswärtigen Verpflichtungen in Betracht kommen darf, soweit diese in der Übergangszeit anders nicht möglich sein sollte, keinesfalls aber zur Herstellung des Gleichgewichts im inneren Haushalt.“ (R 43 I /2112 , Bl. 13 f. und R 43 I /2449 ).

[266] Direktor v. Wassermann hält die von der Industrie beabsichtigte Aktion für wenig zweckmäßig. Er glaube nicht, daß ausreichende Kredite auf dem vorgeschlagenen Wege erlangt werden könnten. Wenn wir die nächste Zahlung wieder mit Krediten finanzierten, so verschlimmerten wir die Situation; denn wir deckten dann durch den sogenannten Eingriff in die Substanz lediglich Teile einer laufenden Ausgabe. Solcher Eingriff könne seines Erachtens nur dann geduldet werden, wenn wir damit ein völlig verändertes Abkommen mit der Entente erzielten. Unter dieser Voraussetzung würden sicherlich alle Wirtschaftskreise mitmachen.

Direktor Kraemer: Die Industrie sei auf die vorgebrachten Einwände gefaßt gewesen. Trotzdem hielte sie ihr Anerbieten voll aufrecht, und zwar aus inner- und außenpolitischen Gründen. Ohne Unterstützung der Banken sei die Aktion unmöglich. Gelänge es selbst bei Beteiligung der Banken nicht, die Kredite zu beschaffen, so würde dieser negative Beweis an sich schon sehr wertvoll sein.

Direktor Gutmann glaubt, daß die Banken wohl noch beträchtlichen Kredit im Auslande besäßen. Er warne aber davor, die Aktion im Wege eines Privatkredits zu machen. Seines Erachtens müßte der politische Kredit der Regierung mit Unterstützung der Banken und der Industrie geltend gemacht werden.

Direktor Warburg warnt vor kurzfristigen Wechseltransaktionen. Es kämen nur langfristige Kredite von 5–10 Jahren in Betracht. Seines Erachtens könnten die Banken sich deshalb ruhig bereitfinden, die Kredite zu indossieren, weil man sie doch nicht bekommen würde. Die Banken würden bereit sein, bei der großen Kreditaktion mitzumachen, wenn die Außenwelt bis dahin einsähe, daß eine grundsätzliche Änderung der Reparationsbestimmungen notwendig sei. Die Banken und die Industrie glaubten nicht, daß ein Eingriff in die Substanz einen Sinn habe, wenn dadurch nicht dauernd geholfen würde. Er resümiere also dahin: Die Banken würden bereit sein, Anleihen aufzunehmen, um dadurch die Währungskatastrophe zu beseitigen, wenn in der Zwischenzeit versucht würde, die unerfüllbaren Bedingungen abzuändern. In Frage käme eine langfristige internationale Anleihe. Soweit er die Sache im Moment übersähe, halte er eine solche im Betrage bis zu 150 Millionen Dollar für möglich.

[267] Minister Rathenau dankt der Industrie für die erklärte Bereitwilligkeit. Auch er sei der Ansicht, daß kleine Läpperkredite nur schaden könnten. Er müsse darauf hinweisen, daß eine internationale Anleihe ohne Zustimmung der Reparationskommission nicht möglich sei. S. E. müsse man mit der Reparationskommission darüber verhandeln, ob die Zahlungen für die nächsten 2–3 Jahre durch eine internationale Anleihe bewirkt werden könnten, wobei die Industrie Pfänder stellen müsse. Der Minister verweist ferner auf die Notwendigkeit der Einfuhrbeschränkung und der Fakturierung der Ausfuhr in Devisen.

Direktor v. Wassermann hält es für nötig, daß weitere Herren der Industrie und der Banken zugezogen würden.

–––––

Die Vertreter der Banken zogen sich hierauf zurück, um gesondert zu beraten. Nach einer halben Stunde wurde die gemeinschaftliche Beratung fortgesetzt.

–––––

Direktor Kraemer: Die anwesenden Herren des Vorstandes des Reichsverbandes der Industrie hätten ihre Erklärung für die gesamte Industrie abgegeben.

Es sei unerläßlich, daß die Banken bei dieser Aktion neben der Industrie ständen, und zwar nicht nur in der Rolle des Vermittlers. Auch die Landwirtschaft müsse an der Aktion beteiligt werden3. Es müsse eine Aktion der gesamten deutschen Produktion sein. Die Industrie sei bereit, die Lasten auf sich zu nehmen, die mehr als die Hälfte ihres Aktienkapitals betragen würde. Rückzahlung denke sie sich in der Form der Anrechnung auf Steuern für eine Reihe von Jahren. Die Anleihe müßte so hoch wie möglich versucht werden. Die Schweiz, Holland und die Skandinavischen Länder würden sehr erhebliche Beträge übernehmen können. Es sei notwendig, eine unverschämte Forderung zu stellen.

3

Siehe Dok. Nr. 100.

Die Vorschläge des Ministers Rathenau würden zu ihrer Durchführung Jahre beanspruchen. Es könnten höchstens 40% der Ausfuhr in Devisen fakturiert werden.

Direktor Salomonsohn: Die Banken hätten nach wie vor schwere Bedenken, denn sie seien der Ansicht, daß mit der geplanten Maßnahme dauernde Vorteile nicht bewirkt werden könnten. Wohl aber sei vorübergehend ein politischer und wirtschaftlicher Nutzen denkbar. Deswegen hielten sie es für richtig, die gemachten Pläne eingehend zu erörtern. Die anwesenden Herren könnten aber nur im eigenen Namen sprechen. Eine endgültige Stellungnahme könnte frühestens am 16. September 1921 erfolgen, nachdem auch die auswärtigen Herren gehört wären. Die anwesenden Herren könnten für sich bereits erklären, daß sie der Industrie zur Seite stehen würden, wenn sie ihre Aktion unternehme. Die Vertreter der Banken hielten es aber für dringend erwünscht, daß zu diesem Zwecke die Kabinettsbasis erweitert würde4.

4

Siehe Dok. Nr. 102 und andere.

[268] Direktor Frowein: Die geplante Aktion habe mit der Besteuerung der Goldwerte nichts zu tun, denn diese sei schon durch andere Steuergesetze durchgeführt. Die Industrie wolle also Kredite zur Verfügung stellen, damit die Regierung die nächsten Zahlungen leisten könne. Die Zurückerstattung habe durch Anrechnung auf die Steuern zu erfolgen. Bei einer eintretenden weiteren Verschlechterung der Mark müßten entsprechend höhere Papiermarkwerte angerechnet werden. Auch sonst müßten Anreize für die Aktion der Industrie geschaffen werden.

Gegenüber dem Direktor Salomonsohn bemerke er, daß niemand außer den anwesenden Herren die deutsche Industrie vertrete. Würde der Vorstand von der Industrie desavouiert, so müsse er zurücktreten.

Minister Rathenau: Er erwarte Vorschläge der Industrie bezgl. der Einschränkung der Einfuhr. Ein Teil der Ausfuhr, und zwar erheblich mehr als bisher, müsse in Devisen fakturiert werden. Auch hierüber müsse die Industrie Vorschläge machen und einen Teil der eingehenden Devisen laufend zur Verfügung stellen.

Das Angebot der Industrie müsse klarer formuliert werden. Nach den bisherigen Äußerungen könnten die Absichten der Industrie noch zu Zweifeln Anlaß geben. Ihre Absicht könne nach den bisherigen Äußerungen auch so verstanden werden, daß die Industrie lediglich die Summe zur Verfügung stellen wolle, die sich durch eine gemeinsame Banktransaktion ergeben würde. Hiermit könne sich die Regierung nicht zufrieden geben. Es müsse vielmehr die Industrie sich verpflichten, eine Summe zur Verfügung zu stellen, die dem von ihr zu zahlenden Betrag gewisser Steuern, multipliziert mit 5 entspräche, wobei die einzelnen Unternehmungen, sei es aus vorhandenen Beständen, sei es aus gesonderten Kreditabmachungen sich den versprochenen Devisenbetrag zu beschaffen haben würden.

Frowein erwiderte auf die Ausführungen des Ministers Rathenau, daß die Industrie den Kredit nutzbar machen wolle, den sie im Auslande genieße. Es müsse mit Unterstützung der Banken versucht werden, große Kreditabkommen zu treffen, die dann von den einzelnen Firmen in Anspruch genommen würden. Das auf diese Weise aus dem Ausland eingehende Gold würde der Reichsregierung zur Verfügung gestellt.

Eine Fakturierung der Ausfuhr in fremden Devisen könne nicht zwangsweise bestimmt werden; denn viele ausländische Käufer lehnten solche Fakturierung ab.

Minister Rathenau kommt auf seine vorherigen Äußerungen über klarere Formulierung zurück. Wenn die Industrie sich darauf beschränke, dasjenige zur Verfügung zu stellen, was durch eine kollektive Banktransaktion erhältlich wäre, so könnte der Fall eintreten, daß die Banken nach drei Monaten erklärten, wir haben nur insgesamt 900 Millionen beschaffen können, und dann könnte freilich von einem wesentlichen Opfer der Industrie nicht mehr die Rede sein.

Ein solcher Mißerfolg läge keineswegs im Interesse der Industrie und würde zu schweren Rückschlägen führen. Die Erklärung der Industrie müsse deshalb lauten:

[269] Sie sei bereit, den für jene zwei Steuern geschuldeten Betrag innerhalb einer Frist von … in Devisen zur Verfügung zu stellen, für deren Finanzierung gesorgt werden würde.

Er müsse nochmals um eine klare Stellungnahme hierzu bitten.

Frowein: Die Industrie könne nichts versprechen, was sie nicht halten könne. Sie erkläre, daß sie unter Mitwirkung der Banken und der Landwirtschaft ihre Auslandskredite der Regierung zur Verfügung stelle.

Nachdem Direktor Salomonsohn erklärt hat, daß die Herren von den Banken sich am Sonnabend, dem 17. September 1921, um 3 Uhr im Reichskanzlerhaus zu einer Besprechung treffen würden5, teilt der Herr Reichskanzler mit, daß er zu einer weiteren Besprechung einladen würde, sobald ihm die Stellungnahme der Banken mitgeteilt sei6.

5

Siehe Dok. Nr. 93.

6

Siehe Dok. Nr. 135.

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