2.97.1 (wir1p): [Auflösung des oberschlesischen Selbstschutzes]

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[Auflösung des oberschlesischen Selbstschutzes]

Der Reichskanzler teilt mit, daß nach ihm zugegangenen Nachrichten gewisse Kreise des früheren Selbstschutzes ein gefährliches Verhalten zeigen. Über die Einzelheiten würde Regierungsrat Spiecker aus Breslau berichten.

Reg.Rat Spiecker: Die Auflösung des Selbstschutzes1 sei großen Teils auf dem Papier stehen geblieben. Etwa 3000 Mann befänden sich noch, zu „Arbeitsgemeinschaften“ zusammengeschlossen in Mittelschlesien. Ihre Geldmittel bezögen sie aus unbekannten Quellen. Neuerdings hätten sie sich zu einer Spitzenorganisation zusammengeschlossen. Größere Unruhen seien eines Tages zu erwarten. Kleinere Zusammenstöße seien schon erfolgt, daher sei die Arbeiterschaft nervös geworden, und es müsse mit einem Generalstreik gerechnet werden. Es befänden sich in Schlesien noch etwa 4–5 Nachrichtenstellen der Arbeitsgemeinschaften. Aus Rache gegen die polnischen Insurgenten seien rund 200 Morde begangen. Ein Mann habe bereits eingestanden, daß er Auftrag gehabt hätte, den Abgeordneten Paul Levi zu ermorden. Der in Potsdam festgenommene Hütter habe einen Ausweis der „Arbeitsgemeinschaft Rübezahl“ gehabt.

1

Durch Bekanntmachungen der RReg. vom 24. Juni 1921 waren die Einwohnerwehren in Bayern, die Orts- und Grenzwehren in Ostpreußen und die Organisation Escherich aufgelöst worden (RGBl. 1921 I, S. 759 ). In Oberschlesien sollte der Selbstschutz General Hoefers nach der Durchführung des Räumungsplanes (siehe Dok. Nr. 34 a, Anm. 2 und Anm. 5) aufgelöst werden. General Hoefer hatte nach seinen Memoiren den Abtransport und die Auflösung des Selbstschutzes bis zum 8.7.1921 überwacht (Hoefer, Oberschlesien, S. 338). Bereits am 16.7.1921 hatte jedoch das französische Ministerium des Äußeren in einer Note u. a. gegen die noch nicht erfolgte Auflösung deutscher Selbstschutzorganisationen in Oberschlesien protestiert (siehe Dok. Nr. 50 Anm. 8).

Minister Dominicus hält die Erwägung für notwendig, ob die jüngste Verordnung des Reichspräsidenten2 nicht bezüglich der Arbeitsgemeinschaften erweitert werden müßte.

2

Gemeint ist die VO des RPräs. vom 29.8.21 zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (RGBl. 1921 II, S. 1239 ).

Staatssekretär Lewald man könne vielleicht den Begriff der „Vereinigung“ aus der Verordnung so auslegen, daß die Arbeitsgemeinschaften darunter fielen3.[273] Eine neue Ergänzung der Verordnung halte er für bedenklich, weil man die Länder dazu hören müßte.

3

Nach § 4 der VO des RPräs. vom 29.8.21 konnten „Versammlungen, Vereinigungen, Aufzüge und Kundgebungen außer den Fällen des Artikels 123 der RV verboten werden, wenn die Besorgnis begründet ist, daß in den Versammlungen usw. Erörterungen stattfinden, die zur gewaltsamen Änderung oder Beseitigung der Verfassung oder verfassungsmäßiger Einrichtungen des Reiches oder seiner Länder […] aufreizen“. (RGBl. 1921 II, S. 1239  f.).

Staatssekretär Joël befürchtet, daß der Ausschuß des Reichsrats den Begriff der Vereinigung anders auslegen könnte als Staatssekretär Lewald. Das Reichsjustizministerium sei allerdings der Ansicht, daß die Lewaldsche Auslegung richtig sei. Die Angelegenheit müßte morgen unter Zuziehung der Referenten eingehend besprochen werden, insbesondere müsse festgestellt werden, ob der Tatbestand des § 4 gegeben sei4. Ferner müsse der Generalstaatsanwalt in Breslau sofort ersucht werden, die gesamten, von Spiecker geschilderten Vorfälle zu untersuchen. Spiecker und Weismann müßten dem Generalstaatsanwalt die Unterlagen dazu geben.

4

Siehe Anm. 3.

Dominicus: Der einfache Ausspruch der Auflösung genüge nicht, die Schwierigkeiten würden sich bei der Durchführung ergeben. Nötigenfalls müßten Bestimmungen über Aufenthaltsbeschränkungen erlassen werden.

Minister Gradnauer hält die Anwendung der Verordnung des Reichspräsidenten auf solche Vereinigungen für bedenklich wegen der Rückwirkung auf andere Vereinigungen. Er hält es deshalb für besser, nach Möglichkeit mit dem Gesetz vom 22. März zu operieren5.

5

Gesetz zur Durchführung der Artikel 177, 178 des Friedensvertrages (RGBl. 1921 I, S. 235 ).

Die Fortsetzung der Besprechung wird auf den 20.9.1921 10 Uhr vorm. im Reichsministerium des Innern vertagt6.

6

Über die genannte Sitzung im RIM findet sich der folgende Vermerk Kempners vom 20.9.21 in den Akten der Rkei: „In heutiger Besprechung im RMin. d. Innern wurde beschlossen: a) die Arbeitsgemeinschaften, insbesondere „Roßbach“, sollen auf Grund des Gesetzes vom 22. 3. aufgelöst werden. – b) Die Frage, ob durch Verordnung die Möglichkeit zu Ausweisungen und Aufenthaltsbeschränkungen geschaffen werden soll, wird durch StS Lewald ans Kabinett gebracht (siehe Dok. Nr. 97, P. 4).

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