2.139 (wir1p): Nr. 136 Bericht des Staatssekretärs Hirsch über eine vertrauliche Besprechung mit Oberst Logan über Reparationsprobleme in der amerikanischen Botschaft. 11. November 1921, 9 bis 10 Uhr.

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[379] Nr. 136
Bericht des Staatssekretärs Hirsch über eine vertrauliche Besprechung mit Oberst Logan über Reparationsprobleme in der amerikanischen Botschaft. 11. November 1921, 9 bis 10 Uhr1.

1

Der als „streng vertraulich“ gekennzeichnete Bericht war dem StSRkei mit folgendem Begleitschreiben vom 12.11.21 zugegangen: „Sehr verehrter Herr Kollege, Anbei übersende ich die Niederschrift einer vertraulichen Besprechung mit Oberst Logan vom 11. d. M., die bei den weiteren Verhandlungen mit der Reparationskommission zugrunde gelegt werden wird. Da es sich um eine streng vertrauliche Aufzeichnung handelt, bitte ich, das Exemplar den Akten nicht beizufügen. Dem Herrn Reichskanzler habe ich ein Exemplar persönlich überreicht. Ihr sehr ergebender Jul. Hirsch.“ (R 43 I /22 , Bl. 78).

R 43 I /22 , Bl. 79-84

Die Unterredung erfolgte auf Aufforderung des Herrn Logan unmittelbar nach Beendigung der gestrigen Besprechung beim Herrn Reichskanzler2.

2

Zum Besuch der Repko und zu den Besprechungen, die sich bei dieser Gelegenheit am Rande ergaben, siehe Dok. Nr. 131 Anm. 1 und Anm. 5.

Her Logan fragte zunächst nach den Gründen des Marksturzes und ferner, wie weit nach unserer Auffassung ein solcher Sturz gehen könne. Ich verwies darauf, daß die Abdeckung der Reichsbankkredite3 erfolge, daß infolgedessen, auch abgesehen von den nächsten Reparationszahlungen, alle Welt wisse, daß ständig starker Devisenbedarf bei der Regierung vorliege, und mit Rücksicht auf die stattfindende Erfassung von Devisen jedermann, insbesondere auch in der Befürchtung künftigen Kurssturzes, sich eindecke. Durch die Unsicherheit, welche die Papiermark als Rechnungsfaktor für jede inländische Kalkulation darstelle, ergebe sich weiter die Neigung, auch im Inlande in fremder Währung zu rechnen und dies beschleunige den Sturz, da daraus eine Mehrnachfrage nach fremden Zahlungsmitteln entstehe. Irgend eine Obergrenze für den Preis des Dollars könne überhaupt nicht angegeben werden. In Österreich habe man zeitweilig für einen Dollar 4–5000 Kronen bezahlt, Polen wieder das 2–2½- fache davon.

3

Vergleiche Dok. Nr. 68.

Herr Logan erklärte daraufhin, nach seiner Meinung sollte unsere Taktik in genau der gleichen Linie weitergehen, wie sie durch die privaten Vorbesprechungen wegen Papiermarkzahlung für Reparation und insbesondere durch die Frage des Herrn Reichskanzlers: „Bis zu welchem Kurse müssen wir Dollars kaufen?“ eingeleitet worden sei4. Die Deutsche Regierung sollte mehr noch als gestern die Richtung innehalten, daß sie die von ihr getroffenen Maßnahmen darlege und die Reparationskommission durch Fragen vor die Entscheidung stelle, was denn nun eigentlich noch weiter geschehen solle, wenn ihre Forderungen unverkürzt aufrecht erhalten werden sollten. Die Kommission sehe den Sturz der Mark mit großer Sorge, erwarte daraus auch innere Schwierigkeiten und werde an diesem Punkt zuerst zum „Weitergehen“ genötigt werden (to go ahead).

4

Siehe dazu Dok. Nr. 131 Anm. 1.

[380] Wir erörterten nochmals kurz die Hauptgedankengänge, wie sie in der Niederschrift „Papiermark für Reparationsleistung5 gegeben sind, insbesondere den Hinweis auf viel stärkere Sachleistungen, als sie bisher erfolgen. Herr L. hält den Gedanken an sich für nicht aussichtslos, jedoch müsse man ihn der Reparationskommission ständig in der Form der Fragestellung, nicht in der Form eines Vorschlages, näherbringen.

5

Es handelt sich um eine 17seitige Denkschrift des StS Hirsch, die dieser einem Schreiben des StSRkei an den RWiM vom 8.11.21 zufolge zur Grundlage einer Ressortbesprechung über Reparationsfragen am 8.11.21 gemacht hatte. Die genannte Denkschrift „Papiermarkzahlung als Reparationsleistung“ war am 9.11.21 in die Rkei gelangt und trug den handschriftlichen Zusatz Hirschs: „da lediglich Umarbeitung eines internen Vortrags über den Gedankenkomplex der Fragen bitte nicht zu den Amtsakten zu nehmen.“ (R 43 I /22 , Bl. 53, 57-73).

Bezüglich der Kreditaktion6 äußerte Herr L. folgende Auffassung: Wenn Deutschland jetzt Kredit nähme, so werde es ihn einerseits teurer bezahlen müssen. Er nannte mehrere amerikanische Unternehmungen, bei denen jeder Amerikaner sein Geld leicht anlegen könne und 9% dabei verdienen würde. Wollte also Deutschland einen solchen Kredit aufnehmen, so trete eine zweifache Frage auf: einmal müsse Deutschland dann doch mit recht erheblichen Zinsen rechnen; diese Zinsen samt Amortisation würden mit Devisen bezahlt werden müssen und würden also in verhältnismäßig hohen Beträgen von der deutschen Devisenleistungsfähigkeit der Zukunft in Abzug kommen, also vielleicht für die Reparation im Augenblick eine Erleichterung, für die Zukunft aber eine verhältnismäßig große Erschwerung bedeuten. Zweitens werde aber jeder ausländische Kreditgeber Garantien für seine Geldhingabe verlangen, die bedeutend größer sein müßten, als der hingegebene Betrag. Diese Garantie würde jedenfalls ein Mehrfaches der hingegebenen Beträge darstellen müssen. Das sei aber für die Reparationskommission wieder eine peinliche Frage; weil damit schließlich die Basis der Garantien für die Reparation selber vermindert würde. Wir möchten deshalb an die Reparationskommission, wenn sie wieder auf die Kreditaktion zurückkomme, die Frage richten, welche Garantie oder Garantieobjekte sie uns dafür empfehle und eventuell vom eigenen Zugriff der Reparationskommission freistelle.

6

Siehe Dok. Nr. 82 Anm. 6 u. a.

Über den Vorschlag Delacroix wegen Goldbonds7 erklärte Herr Logan, daß die Frage mehrfach diskutiert worden sei und letztlich nach der auch von uns gehegten Vermutung auf einen gewissen Versuch der Unterbringung von Reparationsbonds auch in Deutschland hinauslaufe. Jedoch seien nicht die früher von ihm einmal genannten A-Bonds das Ziel dieser Bemühungen, sondern die B-Bonds8. Im Zusammenhange damit verwies ich Herrn L. darauf, daß eine derartige Aktion doch wohl nur irgend einen Zweck und eine Aussicht haben könne, wenn Deutschlands Zahlungen auf einen erträglichen Betrag herabgesetzt würden, und wenn schließlich nicht dahinter wieder die C-Bonds noch drohten. Bezüglich der letzteren Frage erklärte Herr L. es für wenig wahrscheinlich, daß man mit diesen noch sehr stark rechnen würde. Er betonte, daß er mit seiner Auffassung, daß 2 Milliarden Gold in Sach- und Goldleistungen zusammen[381] die Höchstbelastung, die für Deutschland erträglich sei, darstellte9, in der Kommission nur teilweise Widerhall gefunden habe. Andererseits könnten wir darauf rechnen, daß wir in der Kommission mehr Freunde hätten, als wir dächten. Von unserer Leistungsunfähigkeit sei insbesondere Frankreich noch keineswegs überzeugt. Es komme hier in erster Linie auf die Meinung des Herrn Dubois an. Dieser sei auch von der Zahlungsbilanz, welche vorgetragen sei, noch nicht überzeugt, vermute vielmehr in ihr noch viel stille Reserven (Frachteinnahmen, Versicherungsleistungen, Unterdeklaration der Ausfuhr, so daß tatsächlich ein höherer Betrag exportiert wie statistisch erfaßt wäre.) Andererseits sei gerade Herr Dubois ein „earnest man“, der sich gegenüber wirklich tragenden Gründen sicherlich nicht verschließen würde.

7

Siehe Dok. Nr. 131 Anm. 4

8

Siehe Dok. Nr. 3 Anm. 3

9

Siehe Dok. Nr. 131 Anm. 1

Ich betonte noch einmal, daß, wenn die B-Bondsfrage überhaupt angeschnitten würde, sie nur gleichzeitig mit einer wesentlichen Herabsetzung der Leistungen betrachtet werden könne. Dem stimmte Herr L. zu und wollte bei nächster Gelegenheit über diese Zusammenhänge, falls sich die Verhandlungen entsprechend entwickeln sollten, noch sprechen.

Bezüglich der inneren Steuerfragen verwies Herr L. insbesondere auf die Kohlensteuern10. Er habe bei den letzten Lieferungen gesehen, daß nach dem jetzigen Marksturz unsere Kohlen für ganz minimale Goldmarkbeträge gutgeschrieben würden; das sei doch aber absolut nicht sinnreich. Wir möchten doch großen Nachdruck dahinter setzen, daß die Kohlen auf den Wert gebracht würden.

10

Siehe Dok. Nr. 53 P. 3

Im übrigen zum Schluß nochmals: Unsere Taktik müsse sein, zu erklären, das und das haben wir getan, welche weiteren Mittel empfehlt Ihr uns, und welche Folgen erwartet Ihr daraus, insbesondere für die Reparation selber.

Unter Bezugnahme auf den heutigen Vortrag beim Herrn Reichskanzler und dessen Anordnung entsprechend, Fragen vorzuschlagen, werden nachfolgend einige dieser Fragen, welche man etwa als Gegenfragen auf Fragen der Reparationskommission stellen könnte, angeregt.

–––––

Zu erörternde Fragen:11

11

In den Akten finden sich Niederschriften über Besprechungen mit Mitgliedern der Repko vom 12.11.21, vom 15.11.21 und vom 16.11.21 (R 43 I /22 , Bl. 160-165, 182-185, 201-209). Die von Oberst Logan in dieser Besprechung vom 11. 11. angeregte Taktik der Fragestellung ist wohl nur in der Besprechung vom 12.11.21 über die Kreditaktion versucht worden; die alliierten Verhandlungspartner lehnten jedoch Fragestellungen in allgemeiner Form ab und erbaten positive Einzelvorschläge.

I. Wegen Devisenbeschaffung

1)

Wiederholung der Frage: Bis zu welchem Kurse sollen wir Dollars kaufen?

2)

Welche Mittel schlägt die Reparationskommission vor, um unerwünschte Devisenausgaben durch Luxuseinfuhren fernzuhalten, insbesondere im Rheinland und Oberschlesien?

3)

[382]Kann die Reparationskommission behilflich sein, daß geflüchtete deutsche Kapitalien zum mindesten bei den Banken der Alliierten und Assoziierten festgestellt und herangezogen werden? Würde sie dahin wirken können, daß eine gleichartige Aktion bei den Neutralen von den Alliierten und Assoziierten unterstützt würde?

4)

Der Steigerung der deutschen Ausfuhr, aus der allein Deutschland in erhöhtem Maße Devisen dauernd gewinnen kann, stehen in den alliierten und assoziierten Ländern schwere Einfuhrhemmnisse entgegen, insbesondere Einfuhrverbote, Antidumping-Zölle, die sich wesentlich gegen Deutschland richten, und ähnliche Maßnahmen. Welche Schritte rät die Reparationskommission der Deutschen Regierung zur Beseitigung dieser Hemmnisse zu unternehmen, und kann die Deutsche Regierung hierbei auf die Unterstützung durch die Reparationskommission und den bei ihr vertretenen Regierungen rechnen?

II. Betreffend Kreditaktion.12

12

In der Sitzung vom 12. 11. stellt StS Schroeder den Alliierten zunächst folgende Frage, die er vor weiteren Unterhandlungen mit der Industrie beantwortet haben wolle: „1. würden die Industriellen, wenn sie sich bereit erklärten, der Regierung Kredite zu gewähren, zweifellos Sicherheiten verlangen. Dem stände u. U. das Vorzugsrecht der Alliierten aus Art. 248 F.V. [siehe Dok. Nr. 133 Anm. 7] gegenüber. Sind die Alliierten bereit, zu Gunsten des den Industriellen zu gewährenden Kredits auf einen Teil ihres Vorzugsrechts aus Art. 248 zu verzichten? […] 2. Wenn uns die Industriellen kurzfristige Kredite gewähren, so müssen wir wissen, welche Beträge uns zur Rückzahlung dieser Kredite zur Verfügung stehen, aus denen die Kredite ihren Gläubigern zurückgezahlt werden können. Andernfalls ist nicht daran zu denken, daß die Kreditaktion zustande kommt. Was die Industrie an Devisen nicht für ihre eigenen Bedürfnisse (Rohstoffbeschaffungen usw.) notwendig braucht, muß sie an die Außenhandelsstelle abführen. Der Industrie stehen also keinerlei Devisen zur Rückzahlung von Auslandskrediten zur Verfügung. Die Devisen, die bei den Außenhandelsstellen eingehen, sind die einzigen Quellen, aus denen wir für die Rückzahlung der Kredite schöpfen können. Also erhebt sich die Frage, ob die Reparationskommission damit einverstanden ist, daß die Devisen der Außenhandelsstelle zur Rückzahlung der kurzfristigen Kredite verwandt werden.“ Die Repko lehnte die Beantwortung von Fragen in so allgemeiner Form ab; die deutsche Regierung müsse konkrete Einzelvorschläge machen (R 43 I /22 , Bl. 160-165).

5)

Jeder ausländische Kreditgeber wird Sicherheiten für Kapital und Zinszahlung nicht nur von der deutschen Industrie, sondern besonders auch von der Deutschen Regierung verlangen.

a) Für das Kapital wird der Kreditgeber eine den Wert der Kreditsumme wesentlich übersteigende Sicherung an Sachwerten verlangen. Welche solcher Werte rät die Reparationskommission anzubieten?

Würden diese Werte auf jeden Fall, soweit sie etwa als Deckung des Kredits verlangt und gegeben werden, von der Reparationskommission nicht als Bürgschaft für künftige Reparationen verlangt werden?

b) Die Zinszahlung und Amortisation müßte in Devisen gewährleistet werden. Kann die Deutsche Regierung eine solche Gewährleistung von Devisenzahlung vornehmen? Würde die Reparationskommission eine wahrscheinlich verlangte Sicherstellung eines Darlehnsgebers, daß diese Devisenzahlung anderen Zahlungen vorausgehen soll, empfehlen und ihrerseits gutheißen können?

[383] III. Betreffend Sachleistungen.

6)

Da Goldleistungen in regelmäßigen Zeiträumen leicht zu Kurskatastrophen führen, ist Steigerung der Zahlung in Sachleistungen bei der Devisenlage Deutschland dringend erwünscht. Kann die Reparationskommission Hinweise geben

a) wie die Anrechnung der Lieferungen innerhalb des Loucheur-Rathenau-Abkommens möglichst reichlich erfolgt;

b) wie zusätzliche Sachleistungen, etwa auf Grund von Markguthaben, welche Deutschland der Reparationskommission als vorläufige Zahlung anweist, von Deutschland, insbesondere an die alliierten und assoziierten Regierungen, gemacht werden können.

7)

Was kann zur Beschleunigung der Annahme von Sachleistungen geschehen?

gez. Hirsch

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