2.82 (wir1p): Nr. 79 Besprechung mit Parteiführern der Deutsch-nationalen Volkspartei. 6.9.21, 18 Uhr

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Nr. 79
Besprechung mit Parteiführern der Deutsch-nationalen Volkspartei. 6.9.21, 18 Uhr

R 43 I /1346 , Bl. 106 f. handschriftlich1

1

Ein Protokoll dieser Besprechung war in R 43 I nicht zu ermitteln: nach verschiedenen Aktennotizen, etwa in R 43 I /2654 , Bl. 49 (Deutsch-nationale Volkspartei) soll sich das Protokoll in der Akte R 43 I /2707  (Aufstandsbewegungen und ihre Unterdrückung) befunden haben, in dessen Rotulus die Kanzleinummer des Protokolls auch aufgeführt ist, doch fehlt das Protokoll. – In der Sitzung des RT vom 30.9.21 berichtete der Abgeordnete Hergt in seiner Rede (RT Bd. 351, S. 4632  ff) über diese Besprechung vom 6. 9. beim RK, die in der späteren Rede des RK als vertraulich bezeichnet wurde. Da der RK bei seiner Entgegnung im RT aus einem nicht näher bezeichneten Besprechungsprotokoll vom 6. 9. zitiert, ist nicht ausgeschlossen, daß das fehlende Protokoll zu diesem Zweck aus den Akten entnommen und nicht wieder reponiert worden ist. Vorhanden ist jedoch die hier abgedruckte Inhaltsangabe des Protokolls (R 43 I /1346 , Bl. 106 f.).

1.) St.Min. Hergt beschwert sich, daß die Verordnung des RPräs. v. 29.8.21, betr. Verbot von Zeitungen, Versammlungen (R.Ges.Bl.No. 90) u. die Verordnung des RPräs. v. 30.8.21 (No. 8294) u. die Ausführungsbestimmungen zu beiden Verordnungen (No. 8295) sowie die Verordnung v. 30.8.21 (No. 8297), betfd. die Vorschriften fürs Tragen der Militäruniform, gegen Artikel 109 der Reichsverfassung2 verstoßen, da es sich nur um solche Gewalttaten, die sich gegen Vertreter der republikanisch-demokratischen Staatsform richteten, handle.

2

Zu den genannten Verordnungen siehe Dok. Nr. 76 Anm. 5; Artikel 109 der RV behandelt die Gleichheit der Deutschen vor dem Gesetz.

2.) Die Situation zwischen dem Reich u. Bayern sei ernst3.

3

Siehe dazu Dok. Nr. 80, Anm. 1. Auch die Württembergische Staatsregierung hatte in einem Schreiben vom 3.9.1921 gegen die am 29. und 30. August erlassenen Verordnungen des RPräs. protestiert, vornehmlich gegen den Umstand, daß sie ohne Konsultation der Länder erlassen worden waren; jedoch erklärte sich Württemberg zur Durchführung der notwendigen Maßnahmen bereit (R 43 I /2318 , Bl. 54-57).

[222] 3.) Die Verordnung ist verfassungswidrig, da sie mit rückwirkender Kraft4 angewandt werden soll.

4

Am 30.8.21 war die bei der Norddeutschen Verlags- und Treuhandgesellschaft erscheinende Deutsche Zeitung (DZ) aufgrund der VO des RPräs. vom 29. 8. für 14 Tage verboten worden. Eine vom 31.8.21 datierte Begründung, der DZ am 1.9.21 zugestellt, rechtfertigte das Verbot damit, daß die Zeitung im Laufe der letzten Wochen in ihrem politischen Teil zur gewaltsamen Beseitigung der Verfassung und verfassungsmäßiger Einrichtungen angereizt habe. Das Verbot wird am 9.9.21 von dem zuständigen Beschwerdenausschuß aufgehoben, und die Norddeutsche Verlags- und Treuhandgesellschaft verklagt daraufhin den Reichsfiskus auf Ersatz des ihr entstandenen Schadens (siehe Dok. Nr. 287, P. 6).

Das Verbot von Gedenkfeiern5 könne er nicht verstehen.

5

Siehe Dok. Nr. 76, Anm. 5. Vom 1. 9.–3.9.21 hatte die DNVP in München ihren 3. Parteitag durchgeführt.

Zum Ausnahmezustand in Bayern6 müsse Bayern selbst Stellung nehmen. Er wünscht, daß diese Verordnung kein dauerndes Gesetz werde, das, solange sie in Geltung sei, gleichmäßig angewandt werde, daß die Interessen der Länder in Bezug auf die Wiederherstellung des Ausnahmezustandes gewürdigt würden [sic] und daß die Reichsregierung einen Aufruf zum Schutze von Veranstaltungen der Deutschnationalen Volkspartei erlasse.

6

Der Ausnahmezustand war am 4.11.1919 auf Grund des Artikels 48 Abs. 4 in Bayern verhängt worden (Wortlaut siehe NatVers. Bd. 341 , Drucks. Nr. 2068 ).

Reichskanzler weist darauf hin, da die Ausführungen des Vorredners, btfd. „verächtliche Glücksritter“, s.Zt. in Freiburg vor Erlaß dieser Verordnung fielen, daß H[err] Xylander u. H[err] v. Braun die Regierung bekämpft hätten, daß letzterer sogar zur Sabotierung der Steuergesetze aufgerufen habe, daß in der Deutschen Tageszeitung, obwohl er kurz vorher die Parteien überzeugt habe von den hinreichend seitens der Regierung ergriffenen Schutzmaßnahmen für Oberschlesien, dennoch das Gegenteil behauptet wäre. Die Verordnung habe man daher als Blitzableiter zur Abwehr gegen die Auswüchse von rechts aufrichten müssen7. Für die Verordnung, btfd. das Verbot des Uniformtragens, sei er, nicht der Reichswehrminister verantwortlich.

7

Um die deutsch-nationale Agitation anzugreifen, legt der Abgeordnete Dittmann (USPD) in seiner Rede vor dem RT am 30.9.21 eine Zusammenstellung von Auszügen aus der deutschnationalen Tagespresse vor (RT Bd. 351, S. 4644  ff.).

Reichskanzler weist ferner darauf hin, daß er durch die erlassene Verordnung die Deutschnationale Partei gerettet habe, denn eine zweite revolutionäre Bewegung würde anders ausgehen als die erste8. Hergt erwidert, daß es möglicherweise in Süddeutschland Kreise gäbe, die auf den Umsturz hinarbeiteten. Was das Gedicht über Rathenau anbelange, so sei es zunächst von einer sozialdemokratischen Zeitung gebracht worden9.

8

Im Protokoll der Reichstagssitzung vom 30.9.21 heißt es, offenbar mit Bezug auf diese Gesprächsstelle, in der Entgegnung Wirths auf die Rede Hergts: „Nun bin ich [Wirth] aber durch einen Beamten, der dem Gespräch beigewohnt hat, in die Lage versetzt, die Stelle zu zitieren, um die es sich handelt: ‚Reichskanzler: Ich bitte und beschwöre Sie – nämlich die Herren von den Deutschnationalen –, mit einer Politik einzuhalten, die in den Reden hervorragender Parteileute zum Ausdruck kommt. Eine zweite revolutionäre Bewegung in Deutschland würde anders ausgehen als die erste. Die Regierung habe auch nicht tatenlos der kommunistischen Bewegung gegenüber die Augen verschlossen. Die Verordnung würde gerecht nach allen Seiten hin angewandt werden. Aber in den Tagen großer Gärung wäre es an dem Tage der Demonstrationen ein Fehler gewesen, linksgerichtete und kommunistische Zeitungen sofort zu verbieten.‘“ (RT Bd. 351, S. 4653  f).

9

Siehe dazu Hergts Rede vor dem RT vom 30.9.21 (RT Bd. 351, S. 4631 ).

[223] Reichskanzler erwähnt, daß wir Rathenau danken sollten, da er die Verbindungen mit dem Auslande wieder angeknüpft habe.

Guggenheim[er] sei durch H[errn] v. Batocki ersetzt worden10. Der Gang Erzbergers nach Compiègne sei für ihn ein Todesgang geworden, denn er hätte nicht anders handeln dürfen, wenn man das letzte Telegramm Hindenburgs nach Compiègne nachlese. Wegen seiner Steuererklärung träfe Erzberger subjektiv keine Schuld, es könne höchstens eine objektiv falsche Deklaration im Falle Thyssen in Frage kommen.

10

Der durch Kabinettsbeschluß vom 4.6.21 kommissarisch als Reichskommissar für Aufbauarbeiten pp eingesetzte Dr. Emil Guggenheimer war am 25.8.1921 zurückgetreten; am gleichen Tage war der Oberpräsident a. D. von Batocki zum Reichskommissar ernannt worden (WTB-Meldung, vom 26.8.21 in R 43 I /343 , Bl. 78), der allerdings schon am 27.10.21 mit folgender Begründung zurücktritt: „Ich habe diese Aufgabe in der Erwartung übernommen, daß alsbald die Zusammenfassung der wirtschaftlichen Kräfte Deutschlands durch eine auf breiterer Grundlage gebildete Reichsregierung ermöglicht werden würde. Das Gegenteil ist eingetreten. Es ist deshalb erforderlich, daß ein anderer das Amt übernimmt, der im Gegensatz zu mir die Aufgabe desselben auch unter den gegenwärtigen politischen Verhältnissen für lösbar hält.“ (R 43 I /343 , Bl. 79).

Wenn man heute überlege, wie das Reich zu den nötigen Milliarden kommen solle, wenn die Parlamente der einzelnen Länder mitzusprechen hätten, so müsse man Erzbergers Finanzwerk eine Großtat nennen.

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