1.109.1 (wir2p): [Rückragen der bayerischen Staatsregierung zum Berliner Protokoll]

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[Rückragen der bayerischen Staatsregierung zum Berliner Protokoll]

Der Reichskanzler wies einleitend darauf hin, daß gerade die letzten Tage für die Geschicke des Reichs von folgenschwerer Bedeutung gewesen seien. Aus den Verhandlungen in London habe sich die Tatsache ergeben, das Lloyd George sich Poincaré nicht gebeugt habe1. Eine große politische Entwicklung habe begonnen. Dazu komme die Katastrophe des Marksturzes. Die außenpolitische Lage sei so, daß Poincaré bis zur Stunde nicht isoliert vorgegangen sei. Die Reparationskommission wisse auch nicht, was sie tun solle; hieraus sei die Entsendung von Vertretern am Montag [21.8.22] zu erklären2. Es sei nur ein zufälliges Zusammentreffen, daß die bayerischen Herren auch gerade hier wären. Gleichzeitig müsse man hier zwei ungemein wichtige politische Besprechungen vornehmen. Innerlich hätten die beiden Angelegenheiten insofern miteinander zu tun, als bei einer Nichtverständigung im Innern die Position nach außen ungeheuer geschwächt sein würde. Der sogenannte Konflikt zwischen Reich und Bayern, den er geglaubt hätte ausgeglichen zu haben, sei mit steigendem Interesse im Ausland verfolgt worden, wo vielfach, insbesondere dem Gedanken der Separationsmöglichkeit, die größte Beachtung geschenkt worden sei. Eine der Mächte habe in Bayern einen besonderen Schritt unternommen, und zwar sei es der Vertreter der Italienischen Regierung gewesen, der bei dem Grafen Lerchenfeld die Demarche unternommen und wegen der Möglichkeit der Separation auf die ungeheueren großen Folgen eines solchen Ereignisses hingewiesen habe. Die Italienische Regierung habe die Bayerische[1022] Regierung wissen lassen, daß eine solche Separation den Krieg bedeute. Dieser Schritt sei von dem italienischen Konsul in München unternommen worden. Graf Lerchenfeld habe hiervon bei seiner Anwesenheit in Berlin auf eine Anfrage hin kurze Andeutungen gemacht. Inzwischen habe er aber auch von italienischer Seite Einzelheiten erfahren3. Er nehme die Sache nicht so tragisch, weil er nicht glaube, daß der Gedanke der Separation in verantwortlichen Kreisen Bayerns Raum gewonnen habe. Später müsse man untersuchen, was die Italienische Regierung veranlaßt habe, diesen Schritt zu unternehmen. Von hier aus sei er nicht veranlaßt worden. Bisher habe man aber noch nicht herausbringen können, welche Umstände die Italienische Regierung zu einem solchen Schritt genötigt hätten. Die Ermittlungen würden nach dieser Richtung hin fortgesetzt werden. Auch in London habe man den Ereignissen die größte Bedeutung beigemessen und keinen Zweifel darüber gelassen, daß eine Separation die Lage verschärfen und zu einem internationalen Konflikt führen würde. Die Italienische und die Englische Regierung sähen bei einem Zerfall des Reichs die Gefahr der Einkreisung durch eine französische Einflußsphäre und eine vollkommene Verschiebung der derzeitigen politischen Lage in Europa. Er habe diese Ausführungen nicht gemacht, um die Herren zu ängstigen oder ihnen etwas Sensationelles zu erzählen. Er wolle ihnen nur klarmachen, in welcher tragischen Lage sich das Reich und Bayern befänden und die Notwendigkeit des Zusammenstehens betonen. Die Entwicklung der Verhältnisse in Bayern sei nicht spurlos an uns vorübergegangen. Die Reichsregierung habe mit Befriedigung gesehen, daß die Bayerische Regierung sich den Versuchen der Straße gegenüber durchaus bewährt habe und daß im Ausland und insbesondere bei der Italienischen Regierung die erwähnten Befürchtungen dadurch zerstreut werden würden.

1

Vom 7.–14.8.1922 fand in London eine Konferenz über die Ausgleichsfrage zwischen Lloyd George, Poincaré, Schanzer, Theunis und Hayashi statt. Lloyd George zeigte sich bereit, angesichts der Markentwertung Deutschland in der Frage der Zahlungsmodalitäten entgegenzukommen, wegen der französischen Forderung, ohne neue Sicherheiten keinen Zahlungsaufschub zu gewähren, endete die Konferenz jedoch ergebnislos.

2

Vom 21.–25.8.22 beraten Bradbury und Mauclère in Berlin mit dem RK und dem RFM über ein Moratorium.

3

Am 2.8.1922 hatte der dt. Botschafter in Rom von Neurath an das AA berichtet: „Der Streit zwischen Bayern und dem Reich ist von den hiesigen politischen Kreisen mit ausnahmsweisem Interesse verfolgt worden. Auch die Presse, die sonst wegen der innerpolitischen Krise für die Ereignisse außerhalb Italiens keinen Raum mehr zur Verfügung hatte, hat spaltenlange Berichte über Bayern und das Reich gebracht. Der Grund für diese aufmerksame Verfolgung der Vorgänge dürfte darin zu suchen sein, daß man in Italien nur mit großer Besorgnis einer Trennung Bayerns von dem Reich zusehen würde. Man fürchtet, daß in einem solchen Falle der Anschluß der österreichischen Staaten, speziell Vorarlbergs und Tirols, an Bayern alsbald erfolgen und daß dann die südtiroler Frage akut werden würde. Der Minister Schanzer, der sich eingehend über die tatsächlichen Vorgänge und nach meiner Ansicht über die Gefahr einer Lostrennung Bayerns erkundigte, sprach ganz offen von diesen italienischerseits gehegten Befürchtungen. Ich suchte Herrn Schanzer zu beruhigen, indem ich auf die von bayerischer Seite stets betonte und auch bewiesene Reichstreue hinwies. Es zeigte sich aber auch bei diesem Gespräch wieder, daß den Italienern die Erwerbung Südtirols keine rechte Freude mehr macht. Sie fürchten stets, daß es darüber einmal mit Deutschland zu einer Auseinandersetzung kommen muß. Herr Schanzer erwähnte deshalb auch bei Erörterung der österreichischen Anschlußbewegung an Deutschland, falls diese einmal zur Ausführung kommen sollte, müßte zwischen Deutschland und Italien ein Abkommen über die südtiroler Frage getroffen werden. Ich bin der Erörterung dieses heiklen Themas dadurch ausgewichen, daß ich erwiderte, die Frage sei ja vorerst nicht akut, und man könne jedenfalls einmal abwarten, wie die Dinge weiterlaufen. Das Gespräch mit Schanzer bestätigte aber meine kürzlich ausgesprochene Auffassung, daß wir im Falle des Anschlusses Deutsch-Österreichs an das Reich von italienischer Seite keine Unterstützung zu erwarten haben. Jedenfalls wird man im gegebenen Moment in Rom versuchen, die Zustimmung von Garantien für die Anerkennung des jetzigen Zustandes in Tirol abhängig zu machen.“ (abschriftlich in R 43 I /77 , Bl. 216 f.).

[1023] Bevor er in die Besprechung im einzelnen eingehe, wollte er zunächst fragen, ob die Herren im Auftrage der Bayerischen Staatsregierung kämen, und ob, wenn wir jetzt zu einem Einverständnis kämen, sie ermächtigt wären, zu erklären, daß die Verordnung aufgehoben würde. In diesem Falle würde wohl ein Telefonat genügen. Er wäre für Klarstellung dankbar und sei dann bereit, die Darlegung der Herren entgegenzunehmen. Hierbei bäte er, jedem Gedanken, als wolle er ihnen Schwierigkeiten machen oder in bayerische Angelegenheiten hereinreden, von der Hand zu weisen. Wir ständen vor so schweren Wochen und Monaten, daß wir unbedingt im Innern des Zusammenhalts bedürften. Die Isolierung Frankreichs und der Marksturz seien Umstände, wie sie noch niemals in der deutschen Geschichte zu verzeichnen gewesen wären.

Im übrigen wolle er noch darauf hinweisen, daß nicht nur die Presse der Regierungsparteien mit banger Sorge um die Entwicklung in Bayern erfüllt sei; auch die Rechtspresse sei, durch die Notwendigkeit mehrmaligen Zusammenkommens beunruhigt, aufmerksam geworden. Steigende Bewegung mache sich in allen Parteilagern geltend, und die Stunde sei für das Reich ernst. Deshalb sei es notwendig, die Differenzen zurückzustellen, um außenpolitisch als wirklich geeinte Nation dazustehen.

Minister Dr. Schweyer erwiderte, daß sie sich des Ernstes der Stunde bewußt seien. Bayern erkenne die Schwierigkeiten des gesamten Vaterlandes an und es gäbe niemand, der in Bayern daran denke, der Reichsregierung in außenpolitischer Hinsicht Schwierigkeiten zu machen. Kein Verantwortlicher denke daran, sich vom Reich zu separieren. Richtig sei, daß eine Handvoll Leute die friedliche Beilegung des Konfliktes nicht mehr wünschten. Die verantwortlichen Kreise, der überwiegende Teil des bayerischen Volkes, wollten hiervon jedoch nichts wissen.

Sie hätten bestimmte Richtlinien mitbekommen – Auf die Zwischenfrage des Reichskanzlers von wem?: – Von der Regierung –, die sie einhalten müßten. Wenn eine Einigung erzielt wäre, würde nur eine Rückfrage an den Ministerrat zu erfolgen haben und die Aufhebung wohl innerhalb eines Tages vor sich gehen können. Richtig sei, daß ein Schritt der Italienischen Regierung erfolgt sei. Die Folgerungen, die der Herr Reichskanzler daraus gezogen habe, seien ihm nicht bekannt.

Der Reichskanzler unterbrach den Minister und fragte ihn, ob es sich um Richtlinien der Bayerischen Staatsregierung handele.

Minister Dr. Schweyer erwiderte, daß die Richtlinien mit den Parteien vereinbart und vom Ministerrat übernommen seien. Im übrigen glaube, er, wegen des Inhalts dieser Richtlinien beruhigen zu können. Es handele sich nur um Punkte, die schon behandelt worden seien, und der Ministerrat hätte sich alle Mühe gegeben, die Grenzen nicht zu überschreiten. Er bäte, die Richtlinien anzusehen und auch der Auffassung beizutreten, die die Bayerische Staatsregierung habe, daß nämlich die Annahme von der Reichsregierung zugestanden werden könne.

Der Reichskanzler erhielt auf Anfrage die Bestätigung, daß sie von den Richtlinien nicht abgehen könnten und daß die Richtlinien zwischen den Parteien und der Staatsregierung vereinbart seien. Daraus ergäbe sich eine für uns[1024] bedeutungsvolle Frage, und zwar wegen des Herrn Reichspräsidenten, dessen Lage schwierig geworden sei, da sein Prestige auf das empfindlichste berührt werde; ihm müsse er als Reichskanzler morgen klaren Wein darüber einschenken, woran er sei, und er wolle daher fragen, ob, wenn sie mit uns heute Vereinbarungen träfen, diese Vereinbarungen dann noch dem Parteiausschuß vorzulegen wären.

Minister Dr. Schweyer erwiderte, daß der Ministerrat entscheide, daß vorher aber der Ausschuß noch gehört werden wolle.

Der Reichskanzler stellte fest, daß also der Parteiausschuß der Bayerischen Volkspartei, ehe der Ministerrat die Entscheidung fälle, sich noch einmal äußern wolle. Er wolle die staatsrechtliche Lage der Regierung klarstellen. In Wirklichkeit läge es also so, daß wir als Reichsregierung verhandelten, der Herr Reichspräsident als Staatsoberhaupt, und nun müßten wir heute schon zum zweitenmal feststellen, daß die Bayerische Regierung ohne Anhörung einer Partei keine Schritte unternehmen könne. Er wolle im übrigen offen sein. Er kenne nicht nur die Richtlinien, die den bayerischen Herren mitgegeben seien, sondern auch die Instruktion. Wir wären in einer gemeinsamen Not und müßten gemeinsam daraus herauskommen. Er wisse, was ihnen vorgeschrieben sei und wie sie die Verhandlungen führen sollten. Besorgte Patrioten sähen unsere Lage als verloren an. Was solle der Reichspräsident morgen machen? Auch wenn wir zu einer Vereinbarung kämen, müßte diese nochmals dem Ausschuß der Bayerischen Volkspartei zur Nachprüfung unterbreitet werden.

Minister Dr. Schweyer erwiderte, daß das wohl rasch gehen würde.

Der Reichskanzler bat nunmehr, die Richtlinien zu übergehen.

Minister Dr. Schweyer führte einleitend aus, daß er bei seiner Abreise aus Berlin die Empfindung gehabt hätte, daß sie zur Not durchkommen würden, wobei er sich allerdings kein Hehl darüber gemacht habe, daß die Bestimmungen über den Staatsgerichtshof in Bayern starkem Widerspruch begegnen würden. Die Aufnahme in Bayern sei aber weit ungünstiger gewesen, als sie selbst angenommen hätten. Eine Bewegung gehe durch das ganze Land, und zwar nicht gemacht, sondern spontan. Einige Augenblicke habe die Bayerische Regierung ihren Rücktritt selbst ernstlich erwogen. Deputationen und Telegramme seien in großer Zahl nach dem Landtage geschickt worden. Er habe die Führer der Demonstranten zu sich gebeten und in einer dreistündigen Unterredung alle Kraft eingesetzt, um die geplante Demonstration zu verhindern. Es sei ihm nicht gelungen. Eine Riesenkundgebung unter freiem Himmel von 50 000 Menschen sei zustande gekommen. Der Grund für diese Bewegung läge nicht in den Ereignissen der letzten Tage, sondern in einem gewissen Regimemangel sowohl in München wie in Berlin. Es sei verhängnisvoll gewesen, daß an der Spitze der Berliner Abmachungen die Aufhebung der Verordnung gestanden habe und daß nicht die Erklärungen der Aufhebung vorausgegangen seien4. Die meisten hätten voraussichtlich nur von der Aufhebung der Verordnung und dem Umfall der Regierung Kenntnis genommen und dann nicht[1025] weitergelesen. Am Samstag hätten die Abmachungen nicht mehr in die bayerische Presse gegeben werden können; inzwischen aber seien die Abmachungen in der Berliner Form durch die Zeitungen bekanntgeworden. Auch die Haltung der Linkspresse in Bayern, die ihrerseits das Abkommen als eine Niederlage der Bayerischen Regierung bezeichnet habe, habe dazu beigetragen, das Porzellan zu zerschlagen. Es sei gelungen, die Forderungen so zu bemessen, daß sie glaubten, die Reichsregierung würde sie erfüllen können. Nachdem die Abmachungen ja bereits in den Händen des Herrn Reichskanzlers wären, würde es sich ja vielleicht erübrigen, sie zu überreichen. Er könne nicht umhin, seiner Verwunderung darüber Ausdruck zu geben, daß sie bereits in die Hände des Herrn Reichskanzlers gelangt seien.

4

Siehe Dok. Nr. 338 Anm. 1.

Der Reichskanzler erwiderte, daß es doch klar sei, daß eine solche Angelegenheit nicht vertraulich bleiben könne. Im übrigen wolle er nicht verschweigen, daß der Herr Reichspräsident unmöglich in eine so schwierige Situation hineinkommen dürfe.

Minister Dr. Schweyer überreichte die Richtlinien5 und betonte, daß sie das Ergebnis der Beratungen der Bayerischen Volkspartei mit den Koalitionsparteien in Anwesenheit der Minister gewesen seien. Er verlas daraufhin die Forderungen unter I.

5

Das als Anlage dem Protokoll beigegebene Dokument ist undatiert und trägt keine Über- oder Unterschrift; es lautet: „I. a) An die Stelle des süddeutschen Senats soll ein bayerischer Senat treten. Die Mitglieder des Senats, und zwar sowohl die Reichsgerichtsräte wie die übrigen Mitglieder werden nach Vorschlag der Landesregierungen vom Reichspräsidenten berufen. Es bleibt vorbehalten, als Laienrichter ausschließlich oder zum Teil Personen vorzuschlagen, die die Befähigung zum Richteramte besitzen. – b) Der Senat soll in einer süddeutschen Stadt tagen. – c) Das Begnadigungsrecht wird in den Fällen, in denen die Zuständigkeit des Senats gegeben ist, vom Reichspräsidenten im Benehmen mit der Landesregierung oder auf deren Anregung ausgeübt. – d) Die bayerischen Angelegenheiten werden bei der Oberreichsanwaltschaft von einem bayerischen Staatsanwalt mit möglichst weitgehender Selbständigkeit behandelt. Die Ernennung und Abberufung des bayerischen Staatsanwalts erfolgt im Benehmen mit der Bayerischen Staatsregierung. – e) Die Überweisung der Strafsachen an die ordentlichen Gerichte der Länder soll die Regel bilden. Mindestens alle Vergehen sollen grundsätzlich an die ordentlichen Gerichte der Länder überwiesen werden. Ausnahmen von diesem Grundsatz sollen nur von Fall zu Fall und nur in gegenseitigem Benehmen der Justizverwaltungen gemacht werden können. – f) Auf Entscheidungen des Staatsgerichtshofs in Verwaltungssachen dürfen weder die Reichsregierung noch die jeweilige Landesregierung – sei es unmittelbar, sei es mittelbar durch den Staatsanwalt – Einfluß nehmen. – g) Da damit die grundsätzlichen Bedenken gegen den Staatsgerichtshof, insbesondere in seiner Eigenschaft als politisches Ausnahmegericht nicht völlig behoben sind, wird die Reichsregierung bei den Reichstagsparteien ihr möglichstes tun, das Gesetz zum Schutze der Republik wenigstens in diesen Bestimmungen möglichst rasch zur Aufhebung zu bringen. – II. Um Mißverständnissen über die Bedeutung der Erklärung der Reichsregierung hinsichtlich des föderalistischen Aufbaues des Reiches vorzubeugen und um so eine feste, unzweifelhafte Richtlinie der Politik der Reichsregierung zu gewinnen, wird festgestellt, daß die Reichsregierung damit die den Ländern aus ursprünglichem Rechte zustehenden Hoheitsrechte und Zuständigkeit ausdrücklich anerkennt und ihren politischen Einfluß künftighin dahin geltend machen wird, daß die Zuständigkeiten der Länder in Gesetzgebung und Verwaltung durch Reichsrecht weder in Abänderung noch unter Berufung auf die Bestimmungen der Weimarer Reichsverfassung werden geschmälert werden. – III. Über die Bestimmungen des Begriffes ‚Gefahr in Verzug‘ im Sinne der Vereinbarungen zu § 3 Abs. 4 des Reichskriminalpolizeigesetzes soll eine genaue Begriffsumschreibung gegeben werden. Das gleiche gilt für den Beginn des dringendsten Interesses im Sinne der Vereinbarungen zu § 7 Abs. 3.“ (R 43 I /2261 , Bl. 270). Vergleiche dazu die Stellungnahme der Fraktion der BVP (R 43 I /2262 , Bl. 25-29).

[1026] Der Reichskanzler erklärte, daß die Forderung, der Senat solle in einer süddeutschen Stadt tagen, die Wünsche der Bayerischen Volkspartei6 übertreffe, die nur ein „könne“ verlangt hätte. Sie überrasche auch deshalb, weil die Bayerische Regierung jetzt eine Forderung erhöbe, deren Ziel, soviel er wisse, seinerzeit von der Reichsregierung erstrebt, auf Bayerischen Antrag aber abgelehnt sei.

6

In den Akten findet sich undatiert und unsigniert die Durchschrift einer Aufzeichnung betreffend die Forderungen der BVP für eine Annahme der im Berliner Protokoll (siehe Dok. Nr. 338) festgelegten Beschlüsse; darin heißt es zur Frage des Tagungsortes unter I b): „Es besteht Einverständnis darüber, daß der Senat auch in einer süddeutschen Stadt tagen kann.“ In einer ebenfalls undatierten und unsignierten Stellungnahme des RJMin. zu den Vorschlägen der Bayerischen Volkspartei heißt es zu diesem Punkt: „Der Senat kann auch außerhalb Leipzigs an jedem Ort des Reiches tagen. In den Ausführungsvorschriften des Reichsjustizministers war dies ausdrücklich klargestellt, wurde aber im Reichsrat gerade auf Wunsch Bayerns gestrichen.“ (Beides in R 43 I /2262 , Bl. 25-29, 23 f.).

Der Reichsjustizminister betonte, daß bei den Verhandlungen über die Verordnung zum Staatsgerichtshof klargestellt sei, daß diese Möglichkeit ohne weiteres bestehe.

Im übrigen bemerkte er zu den bayerischen Forderungen, daß es sich in der Hauptsache um eine Wiederaufrollung von Fragen handele, die bereits entschieden seien. Die Einrichtung eines spezifisch bayerischen Senats sei unmöglich. Es sei bereits in den Vereinbarungen eine Fassung gewählt, die eigentlich schon über die Grenze des gesetzlich Zulässigen hinausginge. An diesem Standpunkt müsse festgehalten werden. Jedoch könne er gern die Zusage wiederholen, daß die Ernennung der Mitglieder des für Süddeutschland bestimmten Senats nach Benehmen mit den beteiligten Landesregierungen erfolgen solle. Daß als Laienrichter auch Personen berufen werden könnten, die die Befähigung zum Richteramt besäßen, sei selbstverständlich.

Was den weiteren Wunsch angehe, daß das Begnadigungsrecht in den Fällen, in denen die Zuständigkeit des für Süddeutschland gegebenen Senats gegeben sei, vom Reichspräsidenten im Benehmen mit der Landesregierung oder auf deren Anregung ausgeübt werden solle, so sei bereits, soweit ihm bekannt, von dem Herrn Reichspräsidenten bei der früheren Besprechung in Aussicht gestellt worden, daß eine solche Fühlungnahme stattfinden solle.

Dem Wunsche zu d) könne zugestimmt werden, nur sei es selbstverständlich, daß der betreffende Beamte nur den Weisungen des Oberreichsanwalts zu folgen hätte.

Daß die Überweisung der Strafsachen an die ordentlichen Gerichte der Länder die Regel bilden werde, sei bereits bei den früheren Verhandlungen festgestellt worden. Wenn darüber hinaus gewünscht werde, daß mindestens alle Vergehen grundsätzlich an die ordentlichen Gerichte überwiesen werden sollten, und daß Ausnahmen von diesem Grundsatz nur von Fall zu Fall und nur in gegenseitigem Benehmen der Justizverwaltungen zulässig sein sollten, so würde nach seiner Auffassung der Ausschluß ganzer Gebiete von der Erledigung durch den Staatsgerichtshof dem Sinne des Gesetzes zuwiderlaufen.

Zu Ziffer f) müsse sich der Reichsminister des Innern äußern.

[1027] Eine Zusage zu Ziffer g) könne unmöglich von der Reichsregierung gegeben werden. Hierzu könne sie sich nicht verpflichten.

Bezügl[ich] des Zahlenverhältnisses der Mitglieder würde man, soviel er wisse, der von der Bayerischen Volkspartei gewünschten Regelung, wonach Bayern von den 6 Laienrichtern 3, von den Berufsrichtern tunlichst 2 erhalten solle, entsprechen können7.

7

Nach dem in Anm. 6 gekennzeichneten Dokument hatte die BVP unter I a vorgeschlagen: „Die Mitglieder des Senats, und zwar sowohl die Reichsgerichtsräte, wie die übrigen Mitglieder, werden nach Vorschlag der beteiligten Landesregierung vom Reichspräsidenten berufen. Bayern soll von den 6 Laienrichtern 3, von den Berufsrichtern tunlichst 2 erhalten. Es bleibt den Ländern vorbehalten, als Laienrichter ausschließlich oder zum Teil Personen vorzuschlagen, die die Befähigung zum Richteramt besitzen.“ (R 43 I /2262 , Bl. 25-29).

Der Reichskanzler bemerkte zu Ziffer g), daß er praktisch sich nicht vorstellen könne, wie eine solche Erklärung vor sich gehen sollte. Man könne doch unmöglich jetzt an die Regierungsparteien herantreten und ihnen einen solchen Vorschlag unterbreiten.

Justizminister Gürtner glaubte, daß zu b) wohl keine Bedenken beständen. Gerade die Tagung in einer süddeutschen bzw. bayerischen Stadt würde das Mißtrauen mithelfen beseitigen können [sic].

Reichsjustizminister Radbruch erwiderte, daß er gegen eine Kannvorschrift keine Bedenken hätte.

Justizminister Gürtner erläuterte sodann die Frage der Überweisung von Strafsachen an die ordentlichen Gerichte und wies auf die große Bedeutung hin, die eine entgegenkommende Erledigung in diesem Punkte finden würde.

Reichsjustizminister Radbruch war der Auffassung, daß schon die in der Vereinbarung gewählte Fassung bedenklich weit gehe. Es sei unmöglich, alle Vergehen auszunehmen derart, daß nur durch eine Verhandlung mit der betreffenden Landesregierung eine Ausnahme möglich sei. Dagegen bliebe es ja doch der Bayerischen Regierung unbenommen, die Bayerische Staatsanwaltschaft anzuweisen, bei Abgabe der Sachen an den Oberreichsanwalt sich darüber zu äußern, ob sich die Überweisung an die Landesbehörde empfehle. Diese Äußerungen würden dann von dem Oberreichsanwalt bei der Prüfung sachgemäß berücksichtigt werden. Er wolle aber betonen, daß durch dieses Verfahren keine Verzögerung entstehen dürfe.

Der Reichskanzler war der Auffassung, daß man über die Punkte a–e zu einer Verständigung wohl kommen könne. Die Einrichtung eines Bayerischen Senats sei unmöglich. Hierzu würde er seine Hand nicht bieten.

Ziffer f und III müßten besprochen werden, sobald der Minister Köster anwesend sei. Eine Erklärung oder Fühlungnahme mit den Parteien mit dem Ziele der Aufhebung der Bayern bedenklich erscheinenden Bestimmungen des Staatsgerichtshofes sei eine politische Unmöglichkeit.

Minister Schweyer erwiderte, daß ein solches Ansinnen ja auch nicht gestellt würde. Die Reichsregierung würde aber hoffentlich bald zur Überzeugung kommen, daß die Einrichtung eines Staatsgerichtshofes ein Fehlgriff sei. Für den Fall, daß sie zu dieser Einsicht käme, würde sie bei der Aufhebung dieses[1028] Zustandes ihre Mitwirkung nicht versagen dürfen und könne daher schon jetzt eine entsprechende Erklärung abgeben.

Reichsjustizminister Dr. Radbruch erwiderte, daß die Reichsregierung eben nicht der Meinung sei, daß der Staatsgerichtshof ein Fehlgriff sei.

Der Reichskanzler betonte nochmals, daß er unmöglich eine solche Erklärung abgeben könne. Wollte er von den Parteien eine solche Erklärung verlangen, so würde das ein politisches Unglück geben, auch außenpolitisch. Wenn die Auffassung, daß der Staatsgerichtshof ein Fehlgriff sei, von politischen Parteien des Reichstags vertreten werden, so sei es Aufgabe der Regierung, derartige Auffassungen zu beachten und dann das weitere zu veranlassen. Jetzt aber schon für diesen Fall eine Erklärung abzugeben, sei unmöglich.

Gesandter v. Preger wies darauf hin, daß dem Reichsrat der Entwurf eines Gesetzes über die Zusammensetzung der Gerichte vorliege, der die Heranziehung des Laienelementes bei allen Gerichten zum Gegenstand habe. Vielleicht könne der Staatsgerichtshof beseitigt werden, wenn erst überall bei den ordentlichen Gerichten das Laienelement verankert sei.

Der Reichsminister der Justiz erwiderte, daß eine Anregung dazu lediglich von den Parteien her kommen könne; voraussichtlich werde eine solche Anregung aber erst kommen, wenn die neue Organisation sich ausgewirkt haben würde.

Der Reichskanzler führte weiter aus, daß die Bayerische Volkspartei ja anscheinend bei der Neuorientierung beteiligt sei – Arbeitsgemeinschaft – und daß sie ja dann Gelegenheit haben werde, diese Sache anzuschneiden.

Die Wünsche zu II hätten ihn überrascht, umsomehr, als ja doch die Erklärung vom 12. August, die er dem Herrn Gesandten von Preger gegeben habe8, als befriedigend hingenommen sei. Jetzt einen so viel weitergehenden Schritt zu unternehmen, sei ihm unmöglich. Wolle man einen solchen tun, so würde eine Regierungsneubildung hierfür die Voraussetzung sein. Die Forderung zu II gehe über das hinaus, was die Bayerische Regierung ursprünglich gewollt habe.

8

Siehe Dok. Nr. 340.

Der Herr Reichskanzler teilte hierauf den Brief des Grafen Lerchenfeld vom 18. August mit9.

9

Folgendes Schreiben hatte Lerchenfeld am 18.8.1922 an den RK gerichtet: „<Nach hartem Kampf ist es gelungen, die Verhandlungen mit den Koalitionsparteien über die in Berlin getroffene Regelung zu einem für die Regierung vertretbaren Ergebnis zu bringen. In dem besonderen Vertrauen zu Ihrer Person und in der Zuversicht, daß Dank Ihrer Mitwirkung diese für das Verhältnis zwischen dem Reich und Bayern so bedeutsame Angelegenheit nunmehr zu einem guten Ende kommen wird, darf ich mir folgende Ausführungen erlauben: Der Widerstand gegen die Berliner Regelung ist im ganzen Lande viel stärker aufgetreten, als die Regierung es erwartet hatte. Dies ist darauf zurückzuführen, daß die Bayerische Verordnung, die weite Kreise des Volkes befriedigt und beruhigt hatte, und die Aufhebung der Verordnung in der öffentlichen Meinung ohne weiteres als Rückzug aufgefaßt wurde, ferner, daß die Veröffentlichung des Protokolls – noch dazu mit der Aufhebung der Verordnung an der Spitze – entgegen unseren Bedenken vorschnell erfolgte, und zwar noch ehe wir Zeit hatten, die bayerische Presse mit den erforderlichen Weisungen zu versehen; die für die Reichsregierung günstigen Auslegungen in der demokratischen und mehrheitssozialistischen Presse (u. a. Münchener Post) taten das Ihre. Obwohl von Anfang an eine arge Hetze einsetzte und auch die ‚Straße‘, vor allem die nationalsozialistischen Kreise, sich regten, so haben doch die Parteileitungen – ich muß das zu ihrer Ehre hervorheben – diesen Einflüssen widerstanden und nach manchem Hin und Her eine Stellung eingenommen, die sich grundsätzlich mit der Berliner Regelung verträgt. – Die Parteibeschlüsse ermächtigen die Regierung, unter gewissen Voraussetzungen die Unterschrift des Ministerpräsident unter dem Berliner Protokoll anzuerkennen. Diese Voraussetzungen enthalten mehrfache Wünsche, von denen ein wesentlicher Teil bereits bei den Berliner Verhandlungen den Gegenstand mündlicher Zusage gebildet hat>. – Die Herren Minister Dr. Schweyer und Gürtner sind vom Ministerrat beauftragt, die noch ausstehenden Punkte zu besprechen. Wir sind, um der Reichsregierung keine Schwierigkeiten zu machen, davon ausgegangen, daß die Feststellungen des ersten Protokolls erhalten bleiben und im Rahmen dieses Protokolls Aufklärungen oder Ergänzungen erfolgen müssen, deren Veröffentlichung nur auszugsweise erforderlich sein wird. – Ich darf der Zuversicht Ausdruck geben, daß auch diese Klippe sich umschiffen läßt und wir baldigst in den Hafen gelangen. – Bei dieser Gelegenheit möchte ich auch über die in einer Münchener Zeitung vom 18. August morgens gebrachte Notiz über Ihre Teilnahme am Münchener Katholikentag meiner Entrüstung Ausdruck geben. Ich habe sofort veranlaßt, daß Ihnen gebührende Genugtuung werde. Leider hat der Plan Ihres Besuches in München infolge der Wirren der letzten Wochen aufgegeben werden müssen. Mein aufrichtiger Wunsch geht dahin, daß der Gang der Ereignisse in der inneren und äußeren Politik möglichst bald die Ausführung Ihrer Absicht gestatten möge.“ (R 43 I /2261 , Bl. 174 f.). An den RPräs. hatte Lerchenfeld ebenfalls am 18.8.22 ein Schreiben gerichtet, das abschriftlich in den Akten der Rkei liegt. Der im Schreiben an den RK markierte <> Teil ist gleichlautend mit dem ersten Teil des Schreibens an den RPräs.; danach geht Lerchenfeld dem RPräs, gegenüber stärker in Details der Verhandlungen ein. Das Schreiben schließt mit den Worten: „Ich habe den schriftlichen Weg gewählt, um Ihnen die noch zu erledigenden Punkte vorzutragen. Die Herren Minister Dr. Schweyer und Gürtner begeben sich heute nach Berlin, um mündlich im gleichen Sinne zu wirken. Sollten Sie eine ergänzende Besprechung mit mir wünschen, so stehe ich jederzeit zur Verfügung, glaube aber von einer offiziellen Fahrt absehen zu sollen, um nicht den Eindruck ‚neuer Verhandlungen‘ zu erwecken.“ (R 43 I /2261 , Bl. 176-179).

[1029] Gesandter v. Preger versuchte nochmals, die Abgabe der gewünschten Erklärung zu erreichen.

Der Reichskanzler wiederholte nochmals, daß er seinerzeit die beruhigende Erklärung abgegeben habe. Wollte er jetzt diese neu geforderte abgeben, so würde dies zu schweren politischen Auseinandersetzungen führen und würde außerdem den Eindruck erwecken, als ob die erste Erklärung nicht aufrichtig gemeint gewesen sei.

Die Verhandlungen wurden hierauf abgebrochen.

Der Reichsminister der Justiz wird seine Stellungnahme den bayerischen Herren Ministern kurzer Hand zugehen lassen. Um 5 Uhr soll dann nochmals eine Besprechung beim Herrn Reichskanzler stattfinden10.

10

Siehe Anm. 6.

Die den Reichsminister des Innern betreffenden Fragen I f und III sollen am Sonntag vormittag [20.8.22] erörtert werden.

Der Reichskanzler bemerkte noch zum Schluß, daß insbesondere die Lage des Reichspräsidenten sehr kritisch geworden sei. Auf der Hamburger Tagung hätte man gerne die Erledigung des Konflikts bekanntgeben wollen11. Hinzu komme jetzt noch die geplante Reise Hindenburgs. Vom außenpolitischen Standpunkt würde eine tunlichst sofortige Beilegung des Konfliktes von größter Bedeutung sein.

11

Gemeint ist wohl die Überseewoche in Hamburg vom 17.–24. August, an deren Eröffnung auch der RPräs. teilgenommen hatte (DAZ Nr. 362 vom 19.8.1922).

Minister Schweyer bemerkte, daß die Reise Hindenburgs seit 2 Jahren geplant und vor mehreren Monaten festgesetzt sei. Er habe gestern die für die Veranstaltung maßgebenden Persönlichkeiten zu sich gebeten und ihnen in[1030] allem Maß zur Pflicht gemacht. Den Erlaß an die Reichswehr über die Nichtbeteiligung an der offiziellen großen Kundgebung halte er für sehr bedenklich, und er fürchte, daß die Abhaltung der eigenen Feier die Lage komplizieren könnte; die Verhältnisse liegen in München anders als in Königsberg12. Ferner wolle er nicht verschweigen, daß man in München sehr darüber verstimmt sei, daß Graf Zech noch nicht abberufen sei.

12

Über den Besuch Hindenburgs in München berichtet der Vertreter der RReg. unter dem 23.8.1922: „Um sich eine richtige Vorstellung von der Stimmung in München zu machen, mußte man die Festlichkeiten gelegentlich des Besuches Hindenburgs miterleben. Die Straßen waren so voll, daß man kaum durchkonnte; überall hingen weiß-blaue und schwarz-weiß-rote Flaggen; Sozialdemokraten und Juden wurden beschimpft und gelegentlich sogar verprügelt, kurz, es war ganz ähnlich wie bei den großen Einwohnerwehrfesten seligen Angedenkens. Der Feldmarschall selber hat sich sehr ruhig und zurückhaltend benommen. Er wurde aber von Kahr, bei dem er abgestiegen war, und von Ludendorff pilotiert, die alle beide die Gelegenheit benutzten, den Ruhm Hindenburgs auf sich abstrahlen zu lassen und die eigene Popularität damit zu erhöhen. Kahr, der immer noch mit einer Wiederholung seiner Ministerpräsidentschaft rechnet, und der auch während der letzten Krisis große Regsamkeit entfaltet hat, hofft, durch die öffentlich dokumentierte Freundschaft des großen Feldmarschalls seine Aussichten zu verbessern. Die uns freundlich gesinnten Entente-Kreise sind durch die Hindenburg-Feier recht deprimiert und meinen, daß sie eine entgegenkommende Haltung ihrer Regierungen erschweren werde.“ (R 43 I /2216 , Bl. 115-118, hier: Bl. 117).

Der Reichskanzler bat, in die Erörterung persönlicher Dinge nicht einzutreten; er hätte das bisher vermieden, da die Angelegenheit Zech nicht isoliert betrachtet werden dürfe, auch Graf Lerchenfeld hätte bei seinem Hiersein diese Frage nicht angeschnitten13. Er bäte daher, diesen Punkt als nicht erwähnt zu betrachten.

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Die Lage Graf Zechs in München, nach dem Urteil des Volksgerichts für den Landbezirk München I gegen Hubert Freiherrn von Leoprechting wegen Hochverrats vom 3. Juli 1922 schwierig geworden, erhellt aus dem Schreiben Lerchenfelds vom 20.7.22 an den RK, in dem es u. a. heißt: „Durch die in dem Strafverfahren und in der Hauptverhandlung getroffenen Feststellungen ist erwiesen, daß Leoprechting zum Zwecke der Durchsetzung französischer Separationspläne und in der Absicht, eine Kluft zwischen dem deutschen Norden und dem deutschen Süden zu schaffen, Fühlung mit verschiedenen Beamten der Reichsregierung und der Preußischen Regierung in Berlin und auch mit dem Vertreter der Reichsregierung in München, Grafen Zech, gesucht hat. Leoprechting wollte seine verbrecherische Absicht dadurch verwirklichen, daß er die Bayerische Regierung gegenüber Organen des Reichs als separatistisch bezeichnete und die Reichsregierung zu scharfen Maßnahmen gegen Bayern (Überwachung durch besondere Organe, Entsendung von Kriminalbeamten usw.) zu treiben suchte. Eben dadurch sollte eine tiefe Verstimmung in Bayern und damit die Atmosphäre für die Trennung Bayerns vom Reich erzeugt werden. Das Urteil gibt in gedrängter Form ein zutreffendes Bild von der außerordentlich umfangreichen und intensiven Tätigkeit, die der Leoprechting zu diesem Zwecke durch Anfertigung von Denkschriften, Herausgabe eines geheimen, nur für einen engen Kreis Vertrauter bestimmten Nachrichtenblattes mit den schwersten Verdächtigungen Bayerns und durch persönliche Unterredungen mit einzelnen Beamten der Reichspresseabteilung und sonstigen Stellen entfalte. […] Nach verläßlichen Nachrichten, die mir vorliegen, wie nach der Wortfassung der Interpellation der Bayerischen Volkspartei vom 5. Juli 1922 ist mit Sicherheit damit zu rechnen, daß auch die Beziehungen des Herrn Grafen von Zech zu Leoprechting im Landtag eingehend behandelt werden, daß hierbei sehr scharfe Angriffe auf den Grafen Zech erfolgen und daß das Verlangen nach seiner Abberufung gestellt wird. Einer solchen politischen Auswertung des Leoprechting-Prozesses könnte unter den obwaltenden Umständen durch den Hinweis auf die Erklärungen des Grafen Zech von keiner Seite mit Aussicht auf Erfolg begegnet werden. Angesichts der Sachlage muß die Bayerische Regierung zu ihrem lebhaftesten Bedauern feststellen, daß sie die unerläßlichen Grundlagen für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem Grafen Zech nicht mehr gegeben sieht.“ Erst am 30.9.1922 geht Wirth mit einem Schreiben aus seinem Urlaubsort Hegne an den Bayer. MinPräs. darauf ein: „Die Bayerische Regierung hat in ihrem Schreiben vom 20.7.1922 geglaubt, zu ihrem lebhaften Bedauern feststellen zu müssen, daß die unerläßlichen Grundlagen für ein vertrauensvolles Zusammenarbeiten mit dem derzeitigen Vertreter der Reichsregierung in München, Grafen von Zech, nicht mehr gegeben seien. Wenn die Reichsregierung auch den Gründen, welche die Bayerischen Regierung in dieser Hinsicht anführt, nicht zu folgen vermag, so glaubt sie doch, auf eine Weiterbelassung des Grafen von Zech als Vertreter der Reichsregierung in München nicht bestehen zu sollen, da auch sie das gegenseitige Vertrauen als Voraussetzung für ein gedeihliches Zusammenarbeiten ansieht. Graf von Zech, der zur Zeit seinen Sommerurlaub angetreten hat, wird daher nicht auf seinen Posten zurückkehren. Er ist für einen leitenden dipolmatischen Posten im Ausland ausersehen. – Soweit ich sehe, stützt sich die bayerische Regierung in ihrem Schreiben vom 20. Juli in der Hauptsache auf Feststellungen, die das Urteil des Volksgerichts für den Landbezirk München I am 3. Juli 1922 getroffen hat. In dem Urteil wird festgestellt, daß Freiherr von Leoprechting der Typus eines charakterlosen Gesinnungslumpen und ein lügenhafter, unzuverlässiger Schwätzer sei, auch wird er als gewissenloser routinierter Urkundenfälscher charakterisiert. Trotzdem wird seinen einseitigen Aufzeichnungen über seinen Verkehr mit dem Grafen von Zech Glauben geschenkt. […] Das Gericht hat es aber nicht für nötig erachtet, den Grafen Zech als Zeugen zu vernehmen, obwohl er in München wohnt und auch selbst seine Vernehmung angeregt hat. Der Herr Ministerpräsident wird es daher begreiflich finden, wenn die Reichsregierung hiernach ihrerseits das Verhalten des Grafen von Zech anders beurteilt, als es die bayerische Regierung tut. Hieran vermag auch die Debatte im Bayerischen Landtag über den Leoprechting-Prozeß nichts zu ändern.“ (Beide Schreiben und weiteres in R 43 I /2260 , Bl. 117-119, 315 f.).

Die Sitzung wurde hierauf geschlossen.

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