1.136.1 (wir2p): [Reparationen.]

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[Reparationen.]

Der Herr Reichskanzler begrüßte die Herren und teilte mit, daß er von Herrn Reichsminister Dr. Hermes soeben im Kabinett einen Bericht über die Lage der deutsch-belgischen Verhandlungen erhalten habe1. Danach schienen sich Schwierigkeiten in der Frage der Prolongation der Schatzwechsel gebildet zu haben. Er bat den Herrn Präsidenten Delacroix, den Standpunkt der belgischen Regierung nochmals darzulegen.

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Siehe Dok. Nr. 370.

Herr Delacroix erklärte darauf, es sei in den schwierigen Verhandlungen der letzten Tage im Reichsfinanzministerium dank beiderseitigen guten Willens gelungen, in fast allen Punkten, die die Garantie betreffen, eine Einigung zu erzielen, nur in der Frage der Prolongation sei es der belgischen Regierung nicht möglich, ihren Standpunkt zu ändern, der dahin gehe, daß sie nicht berechtigt sei, entgegen der Entscheidung der Reparationskommission einer Erneuerung der Schatzwechsel über 6 Monate hinaus, zuzustimmen. Hier befinde sich die belgische Regierung in einem Engpaß, und sie würde es jederzeit begrüßen, wenn es möglich wäre, einen Weg zu finden, den beide Parteien gehen könnten. Er sähe noch eine ganze Reihe von Möglichkeiten, beispielsweise Zahlung der 2 ersten Monatsraten, weitere Garantie eines Konsortiums usw. So seien die jetzigen Verhandlungen auf einen toten Punkt gelangt, und man müsse mit Bedauern feststellen, daß ein Erfolg nicht erzielt sei.

Der Herr Reichskanzler erwiderte, er müsse der Hoffnung Ausdruck geben, daß in der ganzen Angelegenheit nicht das letzte Wort gesprochen sei. Die Tatsache, daß die mit so großem Eifer betriebenen Verhandlungen zu keinem greifbaren Resultat geführt hätten, würde zweifellos in den nächsten Stunden einen gewaltigen Sturz der Mark herbeiführen, und angesichts des bevorstehenden harten Winters sei der Gedanke nicht von der Hand zu weisen, daß diese neue furchtbare Katastrophe für Deutschland die letzte sei. Seitens der Deutschen Regierung bestehe nach wie vor der ernste Wille, im Rahmen des Möglichen entgegenzukommen. Es sei aber unmöglich, eine brauchbare Garantie zu[1091] finden, wenn nicht gleichzeitig die für Deutschland beantragte Prolongation von der Gegenseite zugestanden werde. Er bäte die Herren der Kommission, in diesem Sinne ihrer Regierung zu berichten.

Herr Delacroix erwiderte, er werde nicht verfehlen, den Standpunkt der Deutschen Regierung in jeder Beziehung seiner Regierung darzulegen. Er verkenne keineswegs die gewaltigen Schwierigkeiten, in die Deutschland nunmehr hineingehe, aber, wie man stets Hoffnung, auch in der Politik, haben müsse, so sei er auch heute der festen Überzeugung, daß es der Anspannung aller Kräfte auf beiden Seiten gelingen werde, einen neuen Weg, der zur Einigung führe, zu finden.

Bei dieser Gelegenheit müsse er noch auf einen wichtigen Punkt zu sprechen kommen. Es sei in der Öffentlichkeit gesagt worden, daß sich die belgische Regierung der Frage der Garantie durch die sogenannten belgischen Kriegsbonds widersetze. Dies sei in dieser Form durchaus nicht der Fall. Auch hier wäre jederzeit die Möglichkeit zu weiteren Verhandlungen gegeben. Lediglich die Form, in der dieser Vorschlag an die belgische Regierung herangetreten sei, habe die belgische Regierung genötigt, einen ablehnenden Standpunkt einzunehmen. Er müsse daran erinnern, daß in Brüssel bekannt geworden sei – noch bevor er Präsident der jetzigen Kommission gewesen sei –, daß die Deutsche Regierung mit einem solchen Plane umgehe. Darauf habe die belgische Regierung sich entschlossen, der Kommission strikte Anweisung dahin zu geben, daß in dieser Frage seitens Belgiens keine Initiative zu ergreifen sei. Zur Erklärung dieses belgischen Standpunktes müsse er betonen, daß, wenn die belgische Regierung von sich aus diese Frage aufgeworfen hätte, sie durchaus nicht wissen könne, wie sich dann England, Amerika oder andere Staaten dazu gestellt hätten. Wenn dagegen dieser Plan beispielsweise von englischer Seite in die Debatte geworfen worden wäre, also als englischer Vorschlag, dann wäre die Situation auch für Belgien eine ganz andere gewesen. Man müsse die delikate Stellung Belgiens in dieser Frage verstehen und würdigen. Man hätte vielleicht Belgien den Vorwurf machen können, daß es die interalliierten Schulden mit den Kriegsbonds zu verbinden suche und dadurch in nicht loyaler Weise das ganze Reparationsproblem von sich aus neu aufrollen wolle.

Der Herr Reichskanzler erwiderte, daß er seitens der Deutschen Regierung von diesem Standpunkt der belgischen Kommission beziehungsweise der belgischen Regierung Kenntnis nehme. Er habe sodann noch eine Bitte, daß beide Teile eine gemeinsame Pressenotiz herausgeben, die vor allem den Zweck habe, beruhigend auf die Öffentlichkeit einzuwirken.

Herr Delacroix entgegnete, er halte diesen Gedanken für sehr gut und sehr richtig. Auch die belgische Regierung habe ein Interesse an einer solchen Verlautbarung. Es sei selbstverständlich, daß darin die reine Wahrheit enthalten sein müsse, und er schlage etwa eine Notiz folgenden Inhalts vor: Die Deutsche und die Belgische Regierung seien sich in den Verhandlungen über eine große Zahl von Punkten einig geworden. Lediglich über die Frage der Prolongation sei ein Einverständnis nicht erzielt worden, und die belgische Regierung halte sich durch die Entscheidung der Reparationskommission, die eine Frist von 6 Monaten[1092] setze, gebunden. Er sei auch einverstanden, wenn man nicht das Wort Abbruch, sondern Unterbrechung (suspendu) brauche2.

2

Die Pressenotiz lautete: „Die Besprechung mit den Vertretern der belgischen Regierung in der Frage der Schatzwechsel wurden heute zu Ende geführt; ein abschließendes Ergebnis wurde noch nicht erreicht. Während in wesentlichen Punkten eine Einigung erzielt werden konnte, hat die Frage der Verlängerung der Lauffrist der Schatzwechsel über sechs Monate hinaus Schwierigkeiten ergeben, da diese Verlängerung nach Auffassung der belgischen Regierung über den Rahmen der Entscheidung der Reparationskommission hinausgeht. Die belgischen Vertreter werden heute mittag nach Brüssel zurückreisen, um ihrer Regierung Bericht zu erstatten. Sie betrachten ihr oben umschriebenes Mandat augenblicklich als beendet, was jedoch einer Wiederaufnahme der Verhandlungen nicht entgegensteht.“ (DAZ vom 10.9.1922, Nr. 387). Zur endgültigen Regelung siehe Dok. Nr. 375.

Der Herr Reichskanzler betonte noch, daß man es, soweit Deutschland in Betracht komme, nicht mit einem normalen Land, sondern mit einem Land zu tun habe, das vor einem furchtbaren Winter stehe, und da werde man es verstehen, daß die Deutsche Regierung sich bemühe, irgendwoher Hilfe zu bekommen; so habe sich die Deutsche Regierung auch an England gewandt.

Herr Delacroix erwiderte, jede Hilfe, die Deutschland gewährt werde, sei der belgischen Regierung willkommen. Er müßte aber doch seine vorige Äußerung, daß man das Wort „Unterbrechung der Verhandlungen“ brauchen solle, zurücknehmen. Er stehe auf dem Standpunkt, daß das Mandat der belgischen Kommission mit dem heutigen Tage erloschen sei. Sie hätte lediglich den Auftrag gehabt, mit der Deutschen Regierung über bestimmte Punkte zu verhandeln. Diese Verhandlungen hätten zu einem Einverständnis nicht geführt, infolgedessen sähe sie sich genötigt, Berlin zu verlassen und in Brüssel Bericht zu erstatten. Damit sei ihre Mission beendet. Es sei möglich, und er wolle die Hoffnung durchaus nicht aufgeben, daß eine neue Kommission nach Berlin käme. Es sei sogar möglich, daß er wiederum Präsident dieser Kommission sein würde. Aber zur Zeit müsse man die Verhandlungen als abgeschlossen betrachten. Er erklärt sich damit einverstanden, daß nunmehr in eine Redigierung der Pressenotiz eingetreten werde.

Der Herr Reichskanzler dankte den belgischen und deutschen Herren wärmstens für ihre schwere Arbeit und gab nochmals der Hoffnung Ausdruck, daß man doch noch zu einer Verständigung kommen werde.

Der Herr Reichskanzler verabschiedete sich darauf.

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