1.92.1 (wir2p): Bayern.

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Die Kabinette Wirth I und II (1921/22). Band 2Bild 146III-105Bild 183-L40010Plak 002-009-026Plak 002-006-067

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Bayern.

Minister Fehr berichtet über die Stimmung in Bayern1. Er habe bisher der Ansicht Ausdruck gegeben, daß die Stimmung im Lande nicht so gereizt wäre. Gestern habe er jedoch beobachten müssen, daß die Situation in parlamentarischen Kreisen sehr ernst beurteilt werde. In seiner Partei sei die Stimmung so, daß man keine Trennung vom Reich wünsche, aber doch die Bestimmungen der Schutzgesetze als mit der bayerischen Landeshoheit nicht verträglich erachte. Falls die Regierung Lerchenfeld kein Vertrauensvotum erhalten würde, käme es möglicherweise zur Auflösung des Landtags. Dies müsse wegen der durch die Wahlagitation entstehenden Vergiftung wenn irgend möglich vermieden werden. Man müsse nun einmal dem Rechnung tragen, daß Bayern eine bürgerliche Mehrheit von ⅔ habe. Der Bauernbund habe die Verordnung der Bayerischen Regierung als verfassungsrechtlich zulässig anerkannt. Wenn die Reichsregierung auf einem anderen Standpunkt stehe, so würde er es doch bedauern, wenn zur Betonung desselben der verfassungsmäßige Boden verlassen würde, d. h. wenn etwa Streiks, Kohlensperre und ähnliche Mittel in[967] Anwendung kommen sollten. Er empfehle nicht den nach der Reichsverfassung zulässigen Weg, wonach der Reichspräsident oder der Reichstag die Aufhebung der bayerischen Verordnung verlangen könne, zu beschreiten. Vielmehr halte er es für zweckmäßig, gemäß Art. 13 der Reichsverfassung eine Entscheidung des Reichsgerichts herbeizuführen2. Bis zu dieser Entscheidung könne man mit der Bayerischen Regierung verhandeln und versuchen, einen Ausgleich herbeizuführen. Dieser könne vielleicht gefunden werden, wenn man in der Zusammensetzung des Gerichtshofs den bayerischen Wünschen entgegenkomme, z. B. Dr. Beyerle und ein Mitglied der Deutschen Volkspartei hineinberufe. Wenn man weiter etwa eine Erklärung des Reichsanwalts herbeiführe, daß der Gerichtshof nur ganz besondere schwere Sachen aburteilen solle, die sonstigen Fälle aber den Gerichten der Länder überwiesen werden sollten. Ferner könne man Bayern in den Ausführungsbestimmungen zum Reichskriminalgesetz entgegenkommen. In Bayern sei man der Ansicht, daß bei allen Meinungsverschiedenheiten immer nur Bayern Entgegenkommen gezeigt habe. Bayern habe u. a. das Ministerium Kahr beseitigt. Man müsse jetzt Bayern auch etwas geben. Er glaube, wenn dieser Weg beschritten würde, würde man große Teile des bayerischen Volkes gewinnen. Der Bauernbund würde jedenfalls Bestrebungen auf Abtrennung vom Reich nicht mitmachen.

1

Am 24.7.22 war in Bayern die Verordnung zum Schutze der Verfassung der Republik erlassen worden (siehe Huber, Dokumente zur Verfassungsgeschichte Bd. 3, S. 257), die die Zuständigkeiten des Staatsgerichtshofes zum Schutze der Republik zugunsten der bayerischen Volksgerichte oder des Bayerischen Obersten Landgerichts ebenso beseitige, wie sie den Einfluß der RReg. zur Durchführung des Gesetzes ausschaltete (§ 17, 2, § 21 und § 23); die Strafbestimmungen des Reichsgesetzes behielt sie bei. – Noch vor Veröffentlichung der bayerischen Gegenverordnung war der Bayerische Bauernbund zur Beratung, an der auch Fehr teilgenommen hatte, zusammengetreten, und hatte folgende Entschließung gefaßt: „Der Bayerische Bauernbund steht seit seiner Begründung auf dem Boden des Föderalismus und hat diesen seinen Standpunkt nach der Umwälzung von 1918 und bei der Abstimmung über die Verfassung in Weimar beibehalten und zum Ausdruck gebracht. Er hat wegen der Preisgabe namentlich der Hoheitsrechte der einzelnen Staaten in Weimar gegen die Verfassung gestimmt. Angesichts der unverkennbaren Bestrebungen zur Beseitigung der Republikanischen Staatsform und ihrer Träger hält er eine entscheidende Abwehr der sich aus diesen Bestrebungen ergebenden Gefahren für dringend notwendig. Zu seinem Bedauern hat das vom Reichstag und Reichsrat angenommene, diesem Zweck dienende Gesetz eine Form erhalten, die einen Eingriff in die bundesstaatlichen Hoheitsrechte bedeutet. Er billigt daher alle verfassungsmäßig zulässigen Versuche der bayerischen Regierung, die geeignet sind, dem vom Reichstag und Reichsrat angenommenen Gesetze ihre die bundesstaatliche Einheit bedrohende Wirkung zu nehmen. Dabei hebt er ausdrücklich hervor, daß er die Treue zum Reiche und die Einheit des Reiches unter keinen Umständen preisgeben wird.“ (DAZ Nr. 317 vom 25.7.22). Mit dieser Entschließung hatte sich neben der BVP, die schon am 21. 7. eine Erklärung abgegeben hatte (siehe Dok. Nr. 325 Anm. 1), nun die zweite der drei Koalitionsparteien für eine bayerische Gegenverordnung ausgesprochen, lediglich die DDP widersetzte sich einem solchen Vorgehen.

2

Siehe dazu Dok. Nr. 325 Anm. 2.

Der Reichskanzler stellt an Minister Fehr die Frage, inwiefern Gefahr im Verzuge in Bayern vorhanden sei.

Reichsminister Fehr erklärt, diese Frage sei schwer zu beantworten. Es käme hier auf die Auffassung des Einzelnen an.

Der Reichskanzler betont, daß es eine eigenartige Rechtsauffassung sei, wenn man in Bayern tatsächlich beabsichtige, durch Auflösung des Landtages die Frage, ob die Schutzgesetze des Reichs in Bayern Geltung haben sollten, zur Diskussion zu stellen.

Minister Fehr betont, daß das bayerische Volk schlecht unterrichtet sei. Die Zeitungen berichten einseitig. Falls es zur Landtagsauflösung komme, werde die Frage so gestellt sein, ob Bayern beim Reich verbleibe oder nicht.

Reichsminister Dr. Radbruch glaubt, den Weg des Artikels 13 der Reichsverfassung nicht empfehlen zu sollen. Zwar sei auch er der Ansicht, daß die bayerische Verordnung rechtsungültig sei. Die Rechtslage sei aber nicht so eindeutig, daß auch unbedingt das Reichsgericht zu einer derartigen Auffassung kommen müßte. Er sehe die Rechtsungültigkeit der Verordnung darin, daß sie lediglich und allein den Zweck verfolge, ein Reichsgesetz aufzuheben. Die Angelegenheit sei in erster Linie eine politische Frage und müsse daher mit politischen Mitteln in Angriff genommen werden. Sachlich sei die Verordnung eine Sabotage der Reichsgesetzgebung. Man sei bayerischen Wünschen nach Möglichkeit entgegengekommen. Der Gesandte von Preger war mit der Berufung Calkers in den Staatsgerichtshof durchaus einverstanden3. Es wäre aber nicht[968] tragbar, daß zum Mitglied des Gerichtshofes ein Angehöriger einer Partei ernannt würde, die gegen das Gesetz gestimmt habe. Es sei selbstverständlich, daß nur politisch bedeutungsvolle Sachen vor den Staatsgerichtshof kommen würden, ganz gleichgültig, ob es sich um bayerische oder andere Sachen handele.

3

Für die Berufung Calkers in den Staatsgerichtshof zum Schutz der Republik hatte Stresemann sich mit folgendem Schreiben vom 20.7.22 an den StSRkei eingesetzt: „Nach der Verabschiedung des Gesetzes zum Schutze der Republik gestatte ich mir, Ihre Aufmerksamkeit auf die Bildung der Staatsgerichtshöfe zu lenken. Der Herr Reichskanzler hatte mir seinerzeit im Auftrage des Herrn Reichspräsidenten zugesagt, daß in die zu bildenden Gerichtshöfe auch je eine der Deutschen Volkspartei nahestehende Persönlichkeit berufen werden sollte. Mir scheint die Frage der Besetzung der Staatsgerichtshöfe außerordentlich wichtig angesichts der Stimmungen in Bayern, die durch ein gestern im „Berliner Lokalanzeiger“ abgedrucktes Telegramm gekennzeichnet werden. Darin wird die Frage gestellt, ob ich etwa die Parteimänner, die als Laienrichter berufen werden sollten, als Garanten für eine unparteiische Rechtsprechung ansähe. In gestatte mir, in erster Linie für die Berufung den Staatsgerichtshof in Vorschlag zu bringen: Herrn Professor van Calker in München. Herr Professor van Calker gehört dem Vorstand der Deutschen Volkspartei in München an. Soviel ich weiß, hatte Graf Lerchenfeld ihn als Justizminister für Bayern in Aussicht genommen. Seine Berufung würde nach 2 Richtungen hin beruhigend wirken. Professor van Calker ist in unserer Partei bekannt, vor allem aber ist er Bayer, und weiterhin ist sein Name auch in juristischen Kreisen von Bedeutung. Als eine zweite für die Besetzung in Betracht kommende Persönlichkeit möchte ich auf Herrn Justizrat Dr. Wildhagen in Leipzig hinweisen, auf den ich aus den Kreisen unserer Leipziger Freunde aufmerksam gemacht worden bin. Bezüglich der Reichsgerichtsräte, welche den Staatsgerichtshof bilden, darf ich vielleicht den Namen des Herrn Reichsgerichtsrat Hettner in Leipzig nennen. Der Herr Reichsgerichtsrat Hettner ist bei der Sitzung des Reichsausschusses unserer Partei mit großer Entschiedenheit für unsere Entschließung und für die Zustimmung zu dem Gesetz zum Schutze der Republik eingetreten. Gerade gegenüber den radikalen Strömungen in Bayern wäre mir auch seine Ernennung sehr erwünscht, um derartigen Auffassungen, wie sie sich in dem Aufsatz des „Berliner Lokalanzeiger“ widerspiegeln, entgegentreten zu können. Bemerken möchte ich noch, daß auch der Korrespondent der „Münchener Neusten Nachrichten“ die Situation in Bayern als ernsthaft betrachtet.“ (R 43 I /1244 , Bl. 123 f.). Schon wenig später, am 26.7.22 muß Stresemann zur Ernnenung Calkers folgendes Schreiben an den StSRkei richten: „Von Herrn van Calker, den ich telegrafisch gebeten hatte, eine etwa an ihn gelangende Aufforderung zum Eintritt in den Staatsgerichtshof anzunehmen, erhalte ich beifolgende ablehnende Antwort. Sie zeigt die Verschärfung der Situation mit Bayern. Ich bedaure den Standpunkt des sonst gemäßigten Herrn van Calker, bitte Sie aber um so mehr, unser Abkommen nicht außer Acht zu lassen und eine andere, der Deutschen Volkspartei nahestehende Persönlichkeit für den Staatsgerichtshof in Vorschlag zu bringen. Falls Sie es für wünschenswert erachten, komme ich zur Besprechung dieser Tage gerne nach Berlin zurück, zumal die gesamte politische Atmosphäre wieder mit Elektrizität gespannt zu sein scheint.“ Die Antwort des StSRkei ergeht am 28.7.22; er bittet unter Berufung auf gleiche Wünsche Herrn van Calkers, die Angelegenheit bis zum Abschluß der bayerischen Krise zu vertagen (beides R 43 I /1244 , Bl. 125 f., 128).

Reichsminister Fehr betont, daß es für Bayern wichtig sei, wenn eine Stelle zur Entscheidung berufen würde, die nicht schon in den bisherigen Konflikt mit Bayern verwickelt sei. Eine solche Stelle sei das Reichsgericht, nicht aber der Reichstag. Dies sei ein Moment von starker Bedeutung.

Der Reichskanzler führt aus: Falls die Verfassungswidrigkeit der Verordnung zweifelhaft sei, könne sich der Fall ergeben, daß das Reichsgericht durch seine Entscheidung auf Seite Bayerns trete. Wenn dann der Reichstag Stellung nehmen solle, so gäbe das eine überaus schwierige Situation. Man müsse die Angelegenheit mehr politisch als juristisch ansehen, aber nach Möglichkeit auf die vom Reichsminister Fehr vorgetragenen Gedankengänge Rücksicht nehmen.

Vizekanzler Bauer ist der Meinung, man solle beide Wege, den des Reichstags und den des Reichsgerichts, beschreiten. Er glaube sicher, daß bei einer vorherigen Stellungnahme des Reichstages die Entscheidung des Reichsgerichts hierdurch beeinflußt werden würde.

[969] Reichsminister der Justiz Dr. Radbruch entgegnet, daß, wenn der Reichstag die Aufhebung der Verordnung verlange und Bayern sie doch nicht aufhebt, daß dann eine andere Lage für das Reichsgericht geschaffen sei. Die Reichsregierung müsse sich seiner Ansicht nach unbedingt auf den Standpunkt stellen, daß die bayerische Verordnung verfassungswidrig sei.

Der Reichskanzler bittet das Reichsjustizministerium um ein Rechtsgutachten hierüber4. Er stellt ferner fest, daß der Doppelweg nicht angängig sei. Man dürfe aber nicht verkennen, daß nach einem etwaigen Beschluß des Reichstags auf Aufhebung der Konflikt verschärft sei. Deshalb müsse schon vor dem etwaigen Zusammentritt des Reichstags die Reichsregierung durch eine Erklärung die Sache in Bayern zur Diskussion stellen; ohne in die inneren Verhältnisse einzugreifen, müsse die innerbayerische Kontroverse inzwischen gefördert werden. Das Kabinett solle heute keine Beschlüsse fassen, sondern nur eine Aussprache pflegen. Zu einer zweiten Kabinettssitzung werde es sich vielleicht empfehlen, preußische Herren zuzuziehen. Die Unterstützung der anderen Länder könne vielleicht wertvoll sein. Er habe sich deswegen schon mit dem badischen Staatspräsidenten Hummel in Verbindung gesetzt5.

4

Folgende, nicht unterzeichnete und nicht datierte Ausarbeitung des RJMin. mit dem Präsentatum vom 27.7.22 findet sich dazu in den Akten: „Die Rechtslage ist nach Auffassung der Reichsregierung folgende: Die bayerische VO ist ungültig. Sie steht mit dem Grundsatz des Artikels 13 der Reichsverfassung: ‚Reichsrecht bricht Landrecht‘ in Widerspruch. Die Berufung der Bayerischen Regierung auf Artikel 48 der Reichsverfassung geht fehl. Die Verordnung wird in der ihr vorausgeschickten Begründung darauf gestützt, daß das Gesetz zum Schutze der Republik entgegen dem Einspruch der Bayerischen Regierung zustandegekommen sei und weite Kreise der bayerischen Bevölkerung in Erregung versetze. Die Bayerische Regierung nimmt hiernach für sich das Recht in Anspruch, darüber zu befinden, ob ein verfassungsmäßig zustandegekommenes Reichsgesetz im Lande Bayern in Kraft treten soll oder nicht. Daß sie diesen Anspruch erhebt, ergibt sich deutlich daraus, daß sie es für angezeigt hält, einen Teil der reichsgesetzlichen Bestimmungen in Artikel I ihrer Verordnung ihrerseits zu bestätigen. Zweck und Ziel der Verordnung ist somit ausschließlich, das Inkrafttreten des Reichsgesetzes in einem Teile des Reichs teils herbeizuführen, teils aber zu verhindern. Für einen solchen Schritt ist im Artikel 48 der Reichsverfassung keinerlei Grundlage zu finden. Diese Vorschrift gibt nur die Möglichkeit, einzelne, bestimmt bezeichnete Verfassungsvorschriften vorübergehend außer Kraft zu setzen. Zu diesen Verfassungsvorschriften gehört der Artikel 13 der Reichsverfassung: ‚Reichsrecht bricht Landrecht‘ nicht. Zwar können aufgrund des Artikel 48 Vorschriften erlassen werden, die von den Reichsgesetzen abweichen, nicht aber solche, deren einziger Zweck es ist, ein Reichsgesetz aus dem Wege zu räumen. Würde man den Ländern die Befugnis zugestehen, das Inkrafttreten eines Reichsgesetzes für ihr Landesgebiet mit der Begründung zu verhindern, daß das Gesetz zu einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung führe, so würde dies das Ende der deutschen Rechtseinheit bedeuten.“ (R 43 I /2261 , Bl. 61 f.).

5

Darüber in R 43 I nichts ermittelt.

Reichsverkehrsminister Groener stimmt der Tendenz der Ausführungen des Reichsministers Fehr bei. Man müsse die Lage ruhig betrachten und versuchen, Zeit zu gewinnen. Dann werde man auch aus Bayern selbst Hilfe erhalten.

Reichswirtschaftsminister Schmidt ist der Ansicht, daß die Einberufung des Reichstags eine erhebliche Verschärfung der Lage bedeuten würde. Falls die Bayerische Regierung nach dem Beschluß des Reichstages die Verordnung nicht aufhebe und man dann zu einer Verfassungsänderung schreiten wolle, so würde der Weg der Verständigung endgültig versperrt sein. Er sehe nicht ein, warum man nicht den Weg des § 13 der Reichsverfassung versuchen solle.[970] Auch wenn die Entscheidung des Reichsgerichts erst nach etwa 6 Wochen erfolge, so sei doch Zeit gewonnen, und in der Zwischenzeit könne eine Verständigung versucht werden. Man könne zum Beispiel in der Anweisung an den Reichsanwalt den bayerischen Wünschen entgegenkommen, indem man etwa eine ganze Reihe von Fällen von vornherein als von den Gerichten der Länder zu entscheiden bezeichne. Politisch sei es unbedingt erwünscht, daß es nicht zum Konflikt komme, dessen wirtschaftliche und finanzielle Folgen ernst sein würden.

Staatssekretär Schulz schließt sich den Ausführungen des Herrn Reichsministers der Justiz an. Er glaube, daß die Anregungen des Herrn Reichswirtschaftsministers Schmidt nicht der Situation gerecht würden.

Reichspostminister Giesberts teilt den Standpunkt des Reichswirtschaftsministers.

Reichsminister Fehr betont, daß die Situation kritisch sei und alles vermieden werden müsse, um sie auf die Spitze zu treiben. Dies würde geschehen, wenn man durch scharfe Maßnahmen diejenigen Kreise in Bayern, die man bei einer vermittelnden Haltung gewinnen könne, auf die andere Seite stoße. Durch Einberufung des Reichstags und eine Entscheidung des Reichstags könne eine überaus kritische Situation entstehen. Er empfehle dringend, einen Ausgleich zu versuchen und sei persönlich bereit, die Fühlungnahme mit der Bayerischen Regierung aufzunehmen. Ohne eine derartige Vermittlung käme man nicht durch.

Der Reichskanzler betont, daß eine Erklärung der Reichsregierung notwendig sei; diese müsse sachlich bestimmt gehalten sein, aber Auswege andeuten6.[971] Er bitte den Herrn Pressechef, neben der vom Reichsjustizministerium aufzustellenden juristischen Formulierung eine Erklärung allgemeiner Art zu verfassen.

6

Folgende Erklärung der RReg. wurde am 27.7.22 veröffentlicht: „Die Bayerische Regierung hat durch die Weigerung, das am 23. Juli verkündete Reichsgesetz zum Schutze der Republik innerhalb des rechtsrheinischen Staatsgebiets durchzuführen, und durch den Erlaß einer landesrechtlichen Verordnung, die das Reichsgesetz ersetzen soll, einen folgenschweren Schritt getan. Zum ersten Mal seit der Gründung des Reiches ist damit der Zustand eingetreten, daß eine Landesregierung einem verfassungsmäßig zustandegekommenen Reichsgesetz für ihr Gebiet die Geltung verweigert. Nach der einstimmigen Auffassung der Reichsregierung ist die Verordnung der bayerischen Regierung verfassungswidrig und ungültig. Kein Satz der Reichsverfassung gibt einem Lande das Recht, das Inkrafttreten eines Reichsgesetzes deshalb zu verhindern, weil es bei einem Teil der Bevölkerung auf Widerspruch stößt. Würde man den Ländern diese Befugnis zugestehen, so würde dies das Ende der deutschen Reichseinheit bedeuten. Das Reichsgesetz zum Schutze der Republik ist vom Reichsrat als dem Träger der föderativen Gestaltung des Reiches mit mehr als Zweidrittelmehrheit angenommen worden, für das Gesetz haben im Reichsrat alle Landesregierungen mit Ausnahme Bayerns gestimmt. Im Reichstag ist das Gesetz gleichfalls mit Zweidrittelmehrheit beschlossen worden; nicht nur das Zentrum, die Sozialdemokraten und die Deutsche Demokratische Partei, sondern in ihrer großen Mehrheit auch die Deutsche Volkspartei haben im Reichstag dem Gesetz zugestimmt. Die bayerische Regierung hat in beiden Körperschaften ausgiebig Gelegenheit gehabt, ihre Bedenken auf verfassungsmäßigem Wege zur Geltung zu bringen, und einer ganzen Reihe ihrer Wünsche ist bei der Verabschiedung des Gesetzes Rechnung getragen worden. Es darf nicht davon gesprochen werden, daß das Gesetz zum Schutze der Republik die in der Verfassung begründeten Grundsätze wahrer Demokratie verletze und den Tendenzen zur Errichtung einer Klassenherrschaft und eines sozialistischen Einheitsstaates entgegenkomme. Dieser Vorwurf muß um so nachdrücklicher zurückgewiesen werden, als er sich nicht nur gegen die Reichsregierung und gegen der Verantwortung für Reich und Verfassung sich bewußte große Parteien, sondern auch gegen die Regierungen aller anderen deutschen Länder richtet. Es ist nicht angängig, daß ein einzelnes Land sich dem verfassungsmäßig erklärten Mehrheitswillen des deutschen Volkes entzieht. Unser schwer geprüftes Vaterland, das soeben erst heftige innere Erschütterungen zu überwinden begann, ist durch den Schritt der bayerischen Regierung neuen Wirren und Gefahren ausgesetzt; die Reichsregierung bedauert dies umso mehr, als die außenpolitische Lage des Reiches gerade gegenwärtig ein einmütiges Zusammenstehen von Reich und Ländern zur Pflicht macht. Aufgabe der Reichsregierung ist es, die Reichseinheit wieder herzustellen. Die bayerische Regierung hat durch den Mund ihres Ministerpräsidenten ein klares und festes Bekenntnis zum Reich und zur verfassungsmäßigen republikanischen Staatsform abgelegt. Sie hat mit besonderer Betonung alle Besorgnisse, die in den von ihr getroffenen Maßnahmen eine Abkehr von der allzeit festgehaltenen Reichstreue erblicken wollen, als völlig fehlgehend bezeichnet. Auf Grund dieses Bekenntnisses erwartet die Reichsregierung, daß die bayerische Regierung sich den Forderungen nicht entziehen wird, welche die Reichsregierung im Interesse der Einheit des Reiches zu stellen genötigt sein wird.“ (DAZ Nr. 321 vom 27.7.22, Huber, Dokumente zur Verfassungsgeschichte Bd. 3, S. 259).

Staatssekretär Göhre führt aus, daß Preußen Seite an Seite mit dem Reiche stehe. Der Preußische Herr Ministerpräsident werde, auch wenn er damit einverstanden sei, eine Lösung des Konflikts auf gütlichem Wege zu versuchen, doch mit Entschiedenheit fordern, daß der Standpunkt der überwiegenden Mehrheit des Deutschen Volkes von der Reichsregierung vertreten werde.

Der Reichskanzler ersucht die Ressorts, möglichst bald Material über „Bayern und das Reich“ vorzulegen. Dieses Material, das die Konzessionen, die Bayern erhalte und die Vorteile, die es durch seine Zugehörigkeit zum Reiche habe, beleuchten solle, müsse zu einer Sammelschrift zusammengestellt werden7.

7

In R 43 I nicht ermittelt.

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