2.117.1 (bru1p): Fortsetzung der Aussprache über den Wirtschafts- und Finanzplan der Reichsregierung.

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Fortsetzung der Aussprache über den Wirtschafts- und Finanzplan der Reichsregierung.

Der Aussprache wurde die beiliegende Disposition (Anlage 1) zugrunde gelegt1.

1

Hier nicht abgedruckt; die Disposition enthält die einzelnen Verhandlungspunkte für die Kabinettssitzung.

[441] I. Überbrückungskredit und Schuldentilgungsgesetz.

Das Kabinett erörterte in Gegenwart des Reichsbankpräsidenten nochmals das abschriftlich beiligende Schreiben (Anlage 2) des Reichsministers der Finanzen vom 23. September d. J. an den Reichsbankpräsidenten, betr. das Ersuchen um Einleitung von Verhandlungen zur Erlangung eines Überbrückungskredits von 125 Millionen Dollar2.

2

Vgl. Dok. Nr. 116, Anm. 9.

Der Reichsbankpräsident erklärte sich zur Aufnahme der gewünschten Verhandlungen bereit.

II. Reichshaushaltsplan 1931.

Der Reichsminister der Finanzen bat nochmals um größtmögliches Entgegenkommen der Ressorts bei den Bestrebungen des Finanzministeriums zur Erreichung der notwendigen Abstriche bei den Sachausgaben.

Sodann stellte er den Vorschlag zur Erörterung, die Gehälter der Beamten mit Wirkung vom 1. April 1931 bis zur Gruppe der Ministerialräte um 5%, die der Ministerialräte und höheren Besoldungsgruppen um 10% und die der Minister um 30% zu kürzen.

Sämtliche Minister mit Ausnahme des Reichsarbeitsministers sprachen sich nachdrücklich gegen eine Staffelung aus. Mit einer Kürzung für alle Beamtengruppen um 5% erklärten sie sich einverstanden.

Die Frage der Kürzung der Bezüge der Reichsminister, die nach Erlaß des Ministeramtsgesetzes aus der Besoldungsordnung ausgeschieden sind, wurde zurückgestellt.

Der Antrag des Reichsministers der Finanzen, nur diejenigen Personen, deren Bezüge 1500 RM jährlich nicht übersteigen, von der Kürzung zu befreien, wurde abgelehnt.

Das Kabinett beschloß, die Freigrenze auf 1800 RM festzusetzen.

Ministerialdirektor v. Krosigk erklärte, daß der 5%ige Gehaltsabzug – allerdings unter Zugrundelegung der Freigrenze von 1500 RM – folgende Ersparnisse bringen werde: für das Reich 45 Millionen RM, für die Post 50 Millionen RM, für die Reichsbahn 81 Millionen RM.

Finanzierung der Reichsbahn.

Der Reichsverkehrsminister trug vor, daß die Reichsbahngesellschaft im laufenden Rechnungsjahr, das bekanntlich mit dem Kalenderjahr zusammenfalle, mit einem bilanzmäßigen Fehlbetrag von 362 Millionen RM rechnen müsse. Zur Deckung dieses Defizits könne die Reichsbahngesellschaft einen Gewinn-Vortrag aus dem Vorjahre von 179 Millionen RM, ferner eine Dividenden-Rücklage von 50 Millionen RM heranziehen, und schließlich stehe der vom Kabinett bereits früher beschlossene Nachlaß von 133 Millionen RM aus gewährten Reichskrediten zur Verfügung. Damit werde der bilanzmäßige Ausgleich für das Rechnungsjahr 1930 erreicht.

[442] Im Rechnungsjahr 1931 rechne die Reichsbahn ebenfalls mit erheblichen Fehlbeträgen. Zu ihrer Deckung stehe der Reservefonds von 450 Millionen RM zur Verfügung. Er erhoffe für die Reichsbahn eine Besserung ihrer Lage durch die 5%ige Senkung der Gehälter und Löhne. Infolgedessen brauche der Reichshaushaltsplan weder für 1930 noch für 1931 mit Rücklagen und Zuschüssen an die Reichsbahn zu rechnen. Auf die Dauer sei die Reichsbahngesellschaft jedoch aus eigenen Kräften nur dann lebensfähig, wenn sie sich den Lastkraftwagenverkehr zu eigen mache. Diesem Gedanken stehe die Bahn zur Zeit noch ablehnend gegenüber. Verhandlungen über die zukünftige gesetzliche Regelung des Lastkraftwagenverkehrs seien eingeleitet. An diesen Verhandlungen werde er selbstverständlich das Reichswirtschaftsministerium und den Reichsminister der Finanzen beteiligen. Von einer Vertiefung dieses Themas nahm das Kabinett Abstand.

Ministerialdirektor v. Krosigk erklärte abschließend, daß das Reichsfinanzministerium sich die Abdeckung des nach den bisherigen Berechnungen vorhandenen Fehlbetrages im Abschluß für 1931 in Höhe von 618 Millionen RM wie folgt denke:

a)

Beibehaltung des 5%igen Zuschlags zur Einkommensteuer

50 Mill. RM

b)

5%ige Gehaltskürzung bei Reich und Post

95 Mill. RM

c)

Kürzung der Länderüberweisungen um die bei der 5%igen Gehaltskürzung bei Länder und Gemeinden entstehenden Ersparnis von

235 Mill. RM

d)

Erhöhung der Tabaksteuer

235 Mill. RM

e)

Erhöhung der Ausgabenabstriche von 160 auf 163 Millionen

3 Mill. RM

insgesamt

618 Mill. RM

Die Punkte III (Vereinfachung des Steuersystems) und V (Finanzierung der Arbeitslosenversicherung) der Aufstellung in Anlage 1 wurden einstweilen zurückgestellt.

IV. Preissenkungs- und Lohnpolitik.

Staatssekretär Dr. Trendelenburg berichtete über die Verhandlungen des Reichswirtschaftsrats. Die Kohlenfrage werde bald zum Abschluß gebracht werden. Das Gutachten über die Baustoffwirtschaft werde Ende der nächsten Woche vorliegen. Es werde voraussichtlich nur beim Zement gewisse Neuerungen bringen.

Die Verhandlungen über die Handelsspanne des ostelbischen Braunkohlensyndikats scheinen zu einem negativen Ergebnis zu führen. Bei Kohle habe sich ziemlich allgemein die Auffassung gezeigt, daß eine Senkung des Preises ohne Senkung der Gestehungskosten nicht möglich sei. Die alten Meinungsverschiedenheiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern über die Abschreibungssätze seien erneut erörtert worden. Der Aufsatz im Berliner Tageblatt3,[443] in dem die Verhandlungen des Vorläufigen Reichswirtschaftsrates scharf kritisiert worden seien, habe große Erregung hervorgerufen. Es sei die Meinung geäußert worden, daß er auf Anregung der Reichsregierung oder gewisser Kreise des Reichswirtschaftsrates zurückzuführen sei.

3

Das Berliner Tageblatt Nr. 449 hatte in dem Artikel „Kartell-Aktion gefährdet?“ behauptet, daß die Vernehmungen des Kartellausschusses durch Einwirkungen von Kartellinteressenvertretern beeinflußt würden (R 43 I /1158 , Bl. 145–146).

Preissenkung sei auf weiten Gebieten ohne Lohnsenkung möglich, wenn der Produktions- und Verteilungsapparat weiter rationalisiert werde. Bei Eisen könnten die Vereinigten Stahlwerke durch Konzentration der Erzeugung auf die beiden besten Unternehmungen Ersparnisse von 9 M für die t machen. Allerdings würden dadurch 18 000 Arbeiter beschäftigungslos werden. Bei der gegenwärtigen Organisation sei im allgemeinen eine Spanne zwischen den Preisen und den Selbstkosten nicht mehr vorhanden.

Rationalisierung würde starke Kapitalverluste und Verschiebungen im Standorte der Arbeitskräfte und in der Zahl der Beschäftigten zur Folge haben. Bisher habe bereits die Rationalisierung wesentlich zur Arbeitslosigkeit bei[ge]tragen. Es frage sich, ob diese Bewegung weiter gefördert werden könne.

Das werde wohl nicht möglich sein. Die mittelbaren Folgen wären unerträglich.

Auch auf dem Gebiete des Handels mit Markenartikeln habe der Reichswirtschaftsrat mit negativem Erfolge verhandelt. Es habe sich herausgestellt, daß die Spanne nicht überhöht sei, und daß es keinen Weg gebe, die Spanne generell herabzusetzen. Es sei eine politische Entscheidung, ob trotzdem durch generellen Eingriff eine Umorganisierung der Verteilung und der Produktion zu erzielen sei.

Der Handel sei einhellig dagegen, auch soweit er von einem Wegfall der Konkurrenz eine Steigerung seines eigenen Umsatzes erwarten könne. Der Einzelhandel stehe bereits stark unter Preisdruck wegen der zahlreichen Zusammenbrüche und der damit zusammenhängenden Schleuderverkäufe, die sich im Index nicht auswirken.

Demnach sei eine Preissenkung generell nur möglich, wenn die Produktionskosten vermindert würden. Das sei bei Steuern und sozialen Abgaben nicht möglich. Auch Zinsen ließen sich nicht künstlich senken. Es bliebe also nur eine Ermäßigung des Lohnniveaus. Dem würde das Preisniveau folgen. Auf allen Unternehmungen ruhe der Druck, jede Beschäftigungsmöglichkeit auszunutzen. Bei Lohnsenkungen bedürfe es keiner besonderen Maßnahmen, um Preissenkungen herbeizuführen. Das gelte wohl auch für Kohlen. Doch müßte dort dann nötigenfalls mit Zwang vorgegangen werden.

Durch die Preisfestsetzungen im Kohlenhandel würde nur der Absatz im unbestrittenen Gebiete geregelt4. Dieses Gebiet schränke sich immer mehr[444] ein durch das Vordringen der englischen Kohle. Im bestrittenen Gebiet werde der Preis durch die Konkurrenz bestimmt. Wenn die Selbstkosten vermindert würden, könne die deutsche Kohle wieder gegen die englische weiter vordringen. Das würde von selbst geschehen, könne aber auch gefördert werden.

4

Der Steinkohlenvertrieb war in unbestrittene Gebiete (Inlandshandel) und bestrittene Gebiete (Auslandshandel) aufgeteilt. Im unbestrittenen Gebiet wurde der Steinkohlenabsatz, besonders an Großabnehmer, durch wenige Syndikatshandelsgesellschaften vorgenommen; die Zechenhandelsgesellschaften und der freie Kohlenhandel konnten nur von ihnen Kohle beziehen. Im bestrittenen Gebiet waren diese beiden Handelsformen zur unmittelbaren Belieferung der Verbraucher zugelassen.

Im Steinkohlenpreis sei der Anteil des Lohnes 57–60%. Eine Senkung des Lohnniveaus um 10% würde sich also mit 5,7 bis 6% auswirken. Die Absatzmenge könnte wesentlich ausgeweitet werden. Jetzt hänge der Beschäftigungsgrad von der Witterung ab. Die Halden seien überfüllt. Förderung auf Vorrat werde nicht weiter fortgesetzt werden können, zumal durch die Witterung die Haldenbestände stark leiden.

Die Kohlenpreise seien bis 31.12.1930 gebunden. Erst dann könnten sie gesenkt werden.

Dem Gedanken, die Kohlenpreise unter die Selbstkosten zu senken, stehe die Kohlenzwangswirtschaft5 entgegen. Bei guter Konjunktur würden die Preise durch sie auf den Selbstkosten aufgebaut. Rücklagen für schlechte Konjunktur könne die Industrie deswegen nicht ansammeln.

5

Die Kohlenzwangswirtschaft war durch das Gesetz vom 23.3.19 (RGBl., S. 342 ) und die Ausführungsbestimmungen vom 21.8.19 (RGBl., S. 1449 ) geregelt worden.

In dieser Preispolitik sei eine Änderung erforderlich. Die Kohlenindustrie müsse größere Bewegungsfreiheit erhalten. Wenn der Industrie diese in Aussicht gestellt würde, dann wäre es wohl möglich, daß sie unter Ausnutzung ihres Kredites zu Preissenkungen käme in der Hoffnung auf spätere Gewinnmöglichkeiten.

Der Reichsarbeitsminister wies auf die ungünstigen Aussichten für die Weiterentwicklung des Arbeitsmarktes hin. Die Metallindustrie verhandele über die 40stündige Arbeitswoche. Eine Maßnahme dieser Art werde allgemein erwogen werden müssen, um eine gewisse Entspannung der außerordentlich gedrückten Stimmung in der Arbeiterschaft herbeizuführen. Sonst sei nicht abzusehen, wie die etwa 4 Millionen Arbeitslose, mit denen für den Winter gerechnet werden müßte, über die schlimmsten Zeiten hinweggebracht werden könnten.

In dieser Richtung gingen auch Maßnahmen gegen das Doppelverdienertum, das von der Arbeiterschaft selbst abgelehnt werde.

Bei einer Verkürzung der Arbeitszeit sei eine Kürzung der Löhne unmöglich. Die Verkürzung der Arbeitszeit würde schon an sich eine 17%ige Herabsetzung der Bezüge bedeuten.

Lohnkürzungen könnten nur bei Ablauf der Tarifverträge eingeführt werden, würden also zeitlich stark auseinanderfallen.

Im Baugewerbe sei eine Absenkung der Löhne leichter möglich als in anderen Berufen.

Der Tarif der Berliner Metallindustrie laufe in nächster Zeit ab. Die Verhandlungen würden sich hinziehen. Dabei könnte das Gebiet abgetastet werden.

Ende des Jahres trete auch der Bergarbeitertarif außer Kraft6.

6

Das Auslaufen des Tarifvertrags im Bergbau führte um die Jahreswende 1930/31 zu einem Lohnkonflikt: s. Dok. Nr. 215.

[445] Die Maßnahmen, die auf diesem Gebiete getroffen werden müßten, würden davon abhängig sein, ob es der Regierung gelänge, eine allgemeine Beruhigung der Volksstimmung herbeizuführen.

Staatssekretär Dr. Trendelenburg wies auf die Schwierigkeiten hin, die sich aus einer Verkürzung der Arbeitszeit, insbesondere für die kontinuierlich arbeitenden Betriebe ergeben würden. Die Selbstkosten würden dabei nicht gesenkt. Es würde nur eine Umschichtung des Lohneinkommens in dem Sinne erreicht, daß die Kürzungen, die den einzelnen tatsächlich treffen, anderen wieder Arbeitsmöglichkeiten böten. Jetzt müsse das Ziel sein, mit möglichst viel Arbeit möglichst viel Waren herzustellen.

Eine Regelung auf zentralem Wege empfehle sich keineswegs. Entscheidungen müßten mit größter Beweglichkeit von Fall zu Fall getroffen werden.

Der Reichskanzler stellte fest, daß das Ziel der Lohnpolitik eine Annäherung an den Stand des Jahres 1927 sein müsse.

Die Frage der Preissenkung solle in der Kabinettssitzung am folgenden Tage weiterbesprochen werden.

VI. Durchführung und Ausbau des Arbeitsbeschaffungsprogramms.

Der Reichsarbeitsminister führte aus, daß der neu gegründeten Gesellschaft für öffentliche Arbeiten7 zwar ein Auslandskredit von 200 Millionen RM grundsätzlich zugesagt worden sei, daß die Verhandlungen aber noch nicht soweit vorgeschritten seien, daß mit einer baldigen Auszahlung der Beträge gerechnet werden könne. Einstweilen arbeite die Gesellschaft daher mit den zur Verfügung stehenden Rückflüssen aus Krediten, die in früherer Zeit für Zwecke der produktiven Erwerbslosenfürsorge hergegeben worden seien. Hierbei handele es sich um etwa 20–40 Millionen RM. Die Arbeiten in der Gesellschaft seien dadurch besonders erschwert, daß die Vergebung von Mitteln von der gleichzeitigen Bereitstellung gleich hoher Zuschüsse der Länder abhängig sei. Die Mittel der Länder und Gemeinden wären jedoch nur mit größten Schwierigkeiten flüssig zu machen.

7

Die „Deutsche Gesellschaft für öffentliche Arbeiten“ war am 1.8.30 mit einem Aktienkapital von 150 Mio RM und ausgewiesenen Rücklagen von 105 Mio RM gegründet worden. Aktionär war das Reich. Die Gesellschaft sollte durch die Gewährung von Darlehen (5% Zinsen, 20 bis 25 Jahre Tilgungsdauer) die Finanzierung von Notstandsarbeiten fördern (F. Syrup, 100 Jahre staatliche Sozialpolitik, S. 352).

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft empfahl besondere Berücksichtigung der ländlichen Meliorationen.

Ministerialdirektor Dr. Weigert erwiderte, daß dies schon der bisherigen Praxis des Reichsarbeitsministeriums entspreche.

Der Reichsverkehrsminister brachte die Frage der Forderung des Wegebaues durch Aufnahme einer Auslandsanleihe zur Sprache.

Der Reichsbankpräsident ließ erkennen, daß er bereit sei, den bisherigen grundsätzlichen Widerstand der Reichsbank gegen die Anleihe fallenzulassen8. Er empfahl jedoch, sich bezüglich der Höhe der Mittel Beschränkung aufzuerlegen und nicht mit der Forderung für das Gesamtprogramm auf einmal am Markte zu erscheinen.

8

Vgl. Dok. Nr. 47, P. 3.

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