2.227.1 (bru1p): Bericht über die Genfer Völkerbundsratstagung.

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Bericht über die Genfer Völkerbundsratstagung.

Der Reichsminister des Auswärtigen erstattete Bericht über seine Verhandlungen in Genf. Er trug zunächst über den Verlauf der Beratungen des Europäischen Studienkomitees vor1. Gegenüber einem gewissen Widerstreben Briands sei von deutscher Seite erfolgreich die Dringlichkeit der politischen Fragen neben den wirtschaftlichen in den Vordergrund geschoben worden2. Das Zusammenarbeiten mit Italien in dieser Frage habe sich als nützlich erwiesen. Wichtig sei, daß die Zuziehung Rußlands mit der Türkei zunächst für Wirtschaftsfragen gelungen sei. Die von Deutschland mehrfach geforderte Zuziehung Danzigs habe noch nicht erreicht werden können. Sie sei völkerrechtlich auch nicht ganz leicht zu vertreten. Zunächst werde ein Gutachten der Haager Cour eingeholt werden3. Mit Unterstützung durch den südslawischen Minister Marinković sei gegenüber der vor allem von dem Holländer Colijn vertretenen Freihandelsthese die Idee der Präferenzzölle wieder in den Vordergrund geschoben4. Deutschland werde daraus die Folgerung ziehen, zunächst einen[811] Präferenzvertrag mit Rumänien zu tätigen, um ihn dann im Mai vor das Komitee zu bringen5.

1

Zweite Tagung des Europäischen Studienkomitees 16.–21.1.31 (Schultheß 1931, S. 566).

2

Während der Vorsitzende des Studienkomitees, Briand, in der Eröffnungssitzung eine Diskussion der wirtschaftlichen Probleme Europas gefordert hatte, hatten der RAM und der ital. AM Grandi betont, daß ein gerechter Interessenausgleich auf dem Boden völliger politischer Gleichberechtigung die Voraussetzung für eine europäische Union sei (WTB Nr. 111 vom 16.1.31 in R 43 I /619 , Bl. 70–71).

3

In einem Schreiben vom 5.1.31 hatte der Danziger Senat die Poln. Reg. gebeten, der poln. VB-Delegierte möge sich dafür einsetzen, daß Danzig an der Tagung des Studienkomitees teilnehmen könne (Abschrift in Pol. Arch. des AA, Abteilung IV Ru, Politik 4 Paneuropa, Akten betr. Paneuropa, Bd. 1). Polen hatte diesem Gesuch nicht entsprochen (WTB Nr. 149 vom 20.1.31, R 43 I /619 , Bl. 75). Nach einer Intervention des RAM hatte der poln. AM Zaleski ausgeführt, daß er gegen die Einladung Danzigs keine politischen Bedenken habe, jedoch eine Überprüfung der juristischen Seite der Frage wünsche (Runderlaß des Vortr.LegR v. Weizsäcker vom 31.1.31 über die zweite Tagung des Studienkomitees in R 43 I /619 , Bl. 78 bis 82, hier Bl. 79).

4

Colijn hatte in seiner Rede über die Ergebnisse der Zweiten Internationalen Zollkonferenz vom 17.–28.11.30 das Scheitern des Gedankens eines kollektiven Zollabbaus und das Scheitern der Konvention über Ein- und Ausfuhrverbote besonders bedauert (Telegramm Weizsäckers, Genf Del. Nr. 6 vom 16.1.31, R 43 I /619 , Bl. 62). Dagegen hatte der jugoslawische AM Marinković die Auffassung vertreten, daß die wirtschaftlichen Schwierigkeiten durch Herabsetzung der Zölle allein nicht erreicht werden könne. Wenn die osteuropäischen Staaten keine Möglichkeit erhielten, mitteleuropäische Industriewaren zu kaufen, so würde die Zahl der Arbeitslosen in Mitteleuropa sich bald noch um einige Millionen erhöhen (WTB Nr. 126 vom 18.1.31, R 43 I /619 , Bl. 73).

5

S. Dok. Nr. 248, Anm. 25.

Die Frage der Agrarkredite sei noch nicht zur Entscheidung gebracht worden6.

6

Vgl. Dok. Nr. 111, Anm. 23.

Der von den Außenministern am Ende dieser Beratung veröffentlichten Vertrauenskundgebung sei eine besondere politische Bedeutung nicht beizumessen. Ihr Wortlaut habe den deutschen Wünschen entsprochen7.

7

Text des sogenannten „Europäischen Manifests“ vom 21.1.31 in Schultheß 1931, S. 566.

Zu den für Deutschland wichtigen Fragen im Völkerbundsrat habe die Erledigung der Beschwerde des Fürsten Pleß gehört. Sie sei in einem für die Pleßsche Verwaltung günstigem Sinne entschieden worden8.

8

Nicht ermittelt.

In der Abrüstungsfrage sei es zunächst gelungen, eine für Deutschland unerwünschte Stellungnahme zum Konventionsentwurf und Bericht der Vorbereitenden Konferenz9 zu verhindern. Zustandegekommen sei nur eine historische Wiedergabe der bisherigen Beratungen und ein formaler Dank für die bisherigen Arbeiten10, wobei Deutschland seinen Standpunkt durch eine Erklärung entschieden zum Ausdruck gebracht habe11. In einem Geheimausschuß seien sodann die Fragen des Konferenzdatums und des Vorsitzes beraten worden. Unter sichtlicher Unzufriedenheit Briands konnte erreicht werden, daß die Konferenz unmittelbar im Anschluß an die Januar-Ratstagung 1932 endgültig stattfinden werde. Sehr schwer sei es gewesen, den Vorsitz des Tschechischen Ministers Benesch zu verhindern12. Die konsequente Ablehnung seiner Kandidatur durch den italienischen Vertreter Grandi habe dabei eine bedeutsame Rolle gespielt13. Ob die Frage durch Mehrheitsabstimmung entschieden werden könne, wie dies sonst bei Angelegenheiten technischer Prozedur üblich sei, habe man nicht geklärt. Briand habe sich allerdings der politischen Bedeutung dieser Frage wegen für Einstimmigkeit ausgesprochen. Ein französischer Versuch, die politischen Absichten Frankreichs auf dem Umwege über ein vorbereitendes Komitee zu erreichen, konnte vereitelt werden.

9

Vgl. dazu Dok. Nr. 205.

10

Den Text der Resolution telegraphierte Vortr.LegR v. Weizsäcker am 24.1.31 an das AA (Pol. Arch des AA, Büro RM, 18 Akten betr. Völkerbund, 62. Ratstagung, Bd. 23).

11

Der RAM hatte in einer Rede vor dem VB-Rat am 20.1.31 noch einmal die paritätische Sicherheit in der Abrüstung gefordert (WTB Nr. 146 vom 20.1.31, R 43 I /518 , Bl. 17).

12

Die Abrüstungskonferenz sollte am 2.2.32 beginnen. Der Präs. der Konferenz sollte grundsätzlich vom VB-Rat, nicht von der Konferenz selbst, ernannt werden (Telegramm des RAM, Genf Del. Nr. 50 vom 23.1.31, Pol. Archiv des AA, Büro RM, 18 Akten betr. Völkerbund, 62. Ratstagung, Bd. 23).

13

Vgl. Dok. Nr. 218, Anm. 12. Nachdem auch die UdSSR offiziell gegen Beneschs Kandidatur protestiert hatte, hatte die dt. Reg. in London ihre Bedenken gegen den tschechoslowakischen AM geäußert (Runderlaß v. Weizsäckers vom 12.2.31 über die 62. VB-Ratstagung, R 43 I /495 , Bl. 281–290, hier Bl. 282).

Die Vereinigten Staaten von Nordamerika seien nicht bereit, den Vorsitz zu übernehmen, sie seien ferner sehr gegen jederlei politische Vermittlung bei den Vorbereitungsarbeiten und deshalb auch sehr gegen die Einschaltung des Herrn Benesch gewesen. Voraussichtlich werde Amerika sich mit den vier anderen[812] hauptbeteiligten Großmächten England, Frankreich, Italien und Deutschland zur Vorbereitung unmittelbar in Verbindung setzen, was auf ein gesteigertes Interesse der Amerikaner auch an der Landabrüstung schließen lasse. Als Tagungsort werde, insbesondere auch auf Wunsch der ganzen Presse, voraussichtlich Genf, vielleicht auch Lausanne in Frage kommen. Wien sei in dieser Hinsicht auch erwähnt worden14, komme aber wohl nicht mehr in Frage.

14

Der RAM hatte für Wien als Tagungsort gestimmt (Pol. Arch des AA, Büro RM, 18 Akten betr. Völkerbund, 62. Ratstagung, Bd. 23).

Die Beschwerden der Memelländer gegen Litauen15 seien noch nicht zur Entscheidung gelangt. Deutschland habe nur verhindern können, daß der Rat sie überhaupt von seinen Tagesordnungen abgesetzt, vielmehr sie auf Mai vertagt habe.

15

S. Dok. Nr. 130, Anm. 11 und 12.

Hinsichtlich des Streites mit Polen16 führte der Reichsminister des Auswärtigen aus, wie wichtig die grundsätzliche Mißbilligung der polnischen Gewalttaten und des in Polen herrschenden Systems gewesen sei, das zu diesem Zustand geführt habe. Diese Mißbilligung erstrecke sich auch auf die Vorgänge in Pommerellen und Posen. Durch die Auferlegung einer weiteren Berichterstattung Polens, zunächst in der Maitagung des Völkerbundsrats, sei Polen einer Art Dauerkontrolle unterstellt worden17. Es komme hinzu, daß im Mai auch die ukrainische Beschwerde zur Beratung gelangen werde, deren sich der englische Außenminister Henderson besonders annehmen wolle18. Es sei möglich, daß diese Frage noch größere politische Bedeutung erlangen werde, wie etwa seinerzeit die armenische19. Noch nie habe der Völkerbund einem Mitgliedsstaat in so unzweideutiger Weise, wie jetzt Polen gegenüber, seine Mißbilligung ausgesprochen. Polen sei offensichtlich aus der Angriffsstellung in die Verteidigung gedrängt worden, und zum Abschluß habe noch erreicht werden können, daß der Vorsitzende der Ratstagung, Herr Henderson, in seiner Schlußrede den deutsch-polnischen Streit zu einer Völkerbundsangelegenheit von allgemeiner Bedeutung gestempelt habe20.

16

In Noten vom 27. 11., 9. und 17.12.30 hatte der RAM gegen Verfolgungen der dt. Minderheit in Oberschlesien und Pommerellen durch Polen protestiert (Abschriften in R 43 I /125 , Bl. 69–83, Bl. 171–177, Bl. 185–191). Die Beschwerden hatte der RAM am 19. 1. in einer Rede vor dem VB-Rat erläutert (Text in WTB Nr. 137 vom 19.1.31, R 43 I /495 , Bl. 310 bis 313).

17

Der am 24.1.31 vom VB-Rat einstimmig angenommene Bericht hatte poln. Vertragsverletzungen der Konvention über Oberschlesien vom 15.5.22 (RGBl. II, S. 238 ) festgestellt und die Poln. Reg. aufgefordert, dem VB-Rat eine vollständige und genaue Darstellung der Untersuchungsergebnisse sowie der infolge dieser Untersuchungen eingeleiteten Sanktions- und Entschädigungsmaßnahmen vorzulegen (WTB Nr. 188 vom 25.1.31, R 43 I /495 , Bl. 318 bis 319). Die dt. Delegation hatte daraufhin auf die Einsetzung einer Untersuchungskommission (s. Dok. Nr. 218, P. 1) verzichtet (Runderlaß Weizsäckers vom 12.2.31 über die 62. VB-Ratstagung, R 43 I /495 , Bl. 281–290, hier Bl. 284).

18

Zur Prüfung der Beschwerden der ukrainischen Minderheit in Polen über Gewalttaten poln. Behörden hatte der VB-Rat ein Dreierkomitee, bestehend aus Großbritannien, Italien und Norwegen, eingesetzt (WTB Nr. 178 vom 23.1.31, R 43 I /495 , Bl. 315).

19

Der RAM meinte damit wahrscheinlich die Kämpfe zwischen Türken und Armeniern im Jahre 1920.

20

Text der Rede Hendersons in WTB Nr. 188 vom 25.1.31, R 43 I /495 , Bl. 319.

Der Reichsminister des Auswärtigen berichtete dann noch kurz über einige Einzelbesprechungen, die er geführt hat. Mit Herrn Schober sei ein deutscher[813] Gegenbesuch in Wien verabredet worden. Im übrigen habe Schober Mitteilungen über die erfolgreichen österreichisch-ungarischen Wirtschaftsverhandlungen gemacht, bei denen er nun auch die Heranziehung Deutschlands herbeiführen möchte21.

21

Hauptinhalt des Gesprächs zwischen Curtius und Schober war der Abschluß der Verhandlungen über eine dt.-österreichische Zollunion gewesen (Telegramm des RAM aus Genf vom 16.1.31, Pol. Arch. des AA, Büro RM, 18 Akten betr. Völkerbund, 62. Ratstagung, Bd. 23).

Mit Henderson sei hauptsächlich über Abrüstungsfragen gesprochen worden. Eine politisch verstärkte Abhängigkeit Englands von Frankreich scheine bisher noch nicht zu bestehen.

Herr Briand habe in den einzelnen Aussprachen eine betont freundschaftliche Haltung eingenommen. Er habe insbesondere erklärt, daß Frankreich zu jederlei Zusammenarbeit mit Deutschland bereit sei, auch die Gewährung langfristiger Kredite an Deutschland habe er als möglich bezeichnet22.

22

Ein Bericht Bülows an den RK über ein Gespräch zwischen Briand und Curtius, das alle wichtigen, den VB-Rat beschäftigenden Fragen berührte, befindet sich in R 43 I /495 , Bl. 267–270.

Die Zusammenarbeit mit dem italienischen Außenminister Grandi habe sich sehr wirkungsvoll gestaltet, besonders hinsichtlich der Beratungen des Europäischen Studienkomitees und der Abrüstungsfrage23. Von deutscher Seite sei ihm ein Dank für die Entscheidung Mussolinis in der Annuitätenfrage übermittelt worden24. Ohne Zweifel habe Italien letzthin in verschiedenen Fragen Deutschland in sehr nützlicher Weise unterstützt. Der Reichsminister des Auswärtigen erinnerte dabei an die von Rom aus erfolgte Unschädlichmachung des von Herrn Massigli geplanten Berichts der Botschafterkonferenz über die deutsche Entwaffung25.

23

Grandi hatte während eines Gesprächs mit dem RAM ausgeführt, er denke, die dt.- ital. Zusammenarbeit weiter auszubauen und noch enger als auf der gegenwärtigen (62.) VB-Ratstagung zu gestalten. Curtius hatte geantwortet, die Zusammenarbeit ergäbe sich von Fall zu Fall. Es sei nur erwünscht, wenn solche Zusammenarbeit sich vertiefe. Es handle sich darum, aus der Zusammenarbeit in einzelner Fragen langsam eine veränderte Situation in ganz Europa zu schaffen (Niederschrift des RAM vom 25.1.31, Pol. Arch. des AA, Büro RM, 8 Akten betr. Italien, Bd. 7).

24

S. Dok. Nr. 217, Anm. 1–3.

25

Grandi hatte Botschafter v. Schubert am 7.1.31 mitgeteilt, daß eine all. Botschafterkonferenz in Paris tagen werde, um einen Bericht an den VB-Rat über die Erfüllung der dt. Abrüstungsverpflichtungen nach Teil V des VV zu verabschieden. Auf Grund der Expertenberichte sei eine Entw. vorbereitet worden, der mit dem Satz schließe, daß Dtld nicht alle Verpflichtungen erfüllt habe. Dies sei offenbar ein frz. Manöver, um Dtlds Stellung auf der bevorstehenden Abrüstungskonferenz zu erschweren. Italien habe an sich ein Interesse daran, eine solche Erschwerung zu verhindern. Grandi hatte Schubert um eine dt. Stellungnahme gebeten. Am 15. 1. hatte Grandi Schubert mitgeteilt, daß der letzte Satz des Schreibens an den VB-Rat auf ital. Antrag weggefallen sei (Telegramme v. Schuberts vom 7. 1. und vom 15.1.31, Pol. Arch. des AA, Büro RM, 8 Akten betr. Italien, Bd. 7).

Der Reichskanzler stellte abschließend die einstimmige Billigung des Reichskabinetts für die von der Delegation eingenommene Haltung und das in Genf erreichte Ergebnis fest und sprach dem Reichsminister des Auswärtigen den aufrichtigen Dank des Reichskabinetts für die im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten besonders erfolgreiche Vertretung der deutschen Interessen aus.

Es wurde beschlossen, dies Ergebnis der Beratung in nachstehendem Kommuniqué zu veröffentlichen.

[814] Amtlich wird mitgeteilt:

„In der Sitzung unter Vorsitz des Reichskanzlers nahm das Reichskabinett einen umfassenden Bericht des Reichsministers des Auswärtigen, Dr. Curtius, über den Verlauf des Europäischen Studienausschusses und der Tagung des Völkerbundrats entgegen. Der Reichskanzler stellte abschließend fest, daß die von der Delegation eingenommene Haltung und das in Genf erreichte Ergebnis die einstimmige Billigung des Reichskabinetts gefunden haben, und sprach dem Reichsminister des Auswärtigen den aufrichtigen Dank des Reichskabinetts für die erfolgreiche Vertretung der deutschen Interessen aus.“26

26

Die Presseveröffentlichung ist als Zeitungsausriß in das Protokoll eingeklebt (R 43 I /1448 , Bl. 111).

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