2.169 (bru1p): Nr. 169 Sitzung des Kabinettsausschusses für Arbeits- und Preisfragen. 17. November 1930, 16 Uhr

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Nr. 169
Sitzung des Kabinettsausschusses für Arbeits- und Preisfragen. 17. November 1930, 16 Uhr

R 43 I /1159 , Bl. 35–39

 

Anwesend: Brüning, Dietrich, Stegerwald, Schiele; StS Trendelenburg, Pünder, Geib, Heukamp; MinDir. v. Hagenow, Zechlin, Reichardt, Heintze, Ernst; MinR Josten, Strahl; ORegR Durst, Lichter; RegR Oppenheimer, Wingen; Ref. Pohl; RbkPräs. Luther; RbkDir. Knaack; PrHandM Schreiber; Präs. Mulert; Protokoll: MinR Feßler.

Der Reichskanzler dankte zunächst dem Herrn Reichsbankpräsidenten, dem Preußischen Handelsminister und dem Präsidenten des Deutschen Städtetages für ihr Erscheinen.

[629] Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft berichtete sodann eingehend über die Senkung der Preise für Seefische1. Die Verhandlungen wegen der Süßwasserfische sind im Gange. Ein Ausgleich auch dieser Preise wird angestrebt.

1

Berichte über die Preissenkung für Seefische in WTB Nr. 2332 vom 17.11.30 (R 43 I /1159 , Bl. 58) und in DAZ Nr. 539 vom 18.11.30 (in R 43 I /1159 , Bl. 41). Eine Aufzeichnung über den Anteil der Frachtkosten an der Preisbildung für Seefische und Butter befindet sich in R 43 I /1159 , Bl. 52–54.

Der Preußische Handelsminister wies zur Frage des Brotpreises darauf hin, daß inzwischen eine Brotfabrik den Preis auf 40 Pf für das Brot gesenkt hat, daß also kartellmäßige Bindungen nicht vorliegen dürften. Die Frage wird aber noch weiter verfolgt.

Bei den weiteren Verhandlungen über das Nachtbackverbot ergab sich, daß der Brotpreis um weitere 3½–4 Pf gesenkt werden könnte, wenn das Nachtbackverbot aufgehoben werden würde. Gedacht ist an Einführung von drei Schichten. Der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund scheint keine Einwendungen zu erheben. Bedenken wurden nur vom Preußischen Handelsminister geltend gemacht, der darauf hinwies, daß durch Dreischichtenarbeit eine wesentliche Steigerung der Broterzeugung eintreten würde, für die kein Bedarf vorliege. Stillegungen würden also die Folge sein, die weitere Arbeitskräfte freisetzen würde. Der Mittelstand würde zum Vorteil der Brotfabriken geschädigt. Auch aus sozialpolitischen und hygienischen Gründen ergäben sich Bedenken.

Die Verhandlungen wegen des Nachtbackverbotes sollen mit den Interessenten fortgeführt werden.

Der Reichskanzler teilte im Anschluß hieran mit, daß die Preise der Konsum-Genossenschaften des Westens nicht, wie erklärt worden war, höher lägen als die der anderen Geschäfte2, sondern gegenüber dem Vorjahre wesentlich herabgesetzt worden seien. Er brachte die Aufstellung der Konsum-Genossenschaft „Eintracht“ e.G.m.b.H. in Köln in ihren wesentlichen Punkten zur Verlesung3.

2

S. Dok. Nr. 167, P. 2.

3

Die Konsumgenossenschaft „Eintracht“ hatte der Rkei eine vergleichende Übersicht über ihre Verkaufspreise am 1.11.29 und am 1.11.30 überreicht. Aus dieser Aufstellung ging hervor, daß bei 90 Artikeln eine Preissenkung um durchschnittlich 15,47% eingetreten sei (R 43 I /1158 , Bl. 397–399 und R 43 I /1159 , Bl. 44–46). In einem Vermerk vom 25. 11. bestätigte Feßler, daß die Preise der Konsumvereine seit 1929 gesunken seien (R 43 I /1159 , Bl. 63).

Zum Mehlpreis führte der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft aus, daß die Mühlenbetriebe überbaut seien. Ihre Produktionsfähigkeit übersteige den Bedarf erheblich. Sie verlangten deswegen selbst nach Kontingentierung. Diese aber würde eine Erstarrung bedeuten, die im allgemeinen Interesse unerwünscht wäre.

Die Reichsforschungsstelle bearbeite ein Gutachten, daß der Brotpreis von 45–46 Pf auch dann ausreichend sei, wenn die Getreidepreise eine Steigerung erführen.

Staatssekretär Dr. Geib berechnete den Vorteil, der den Abnehmern aus der bisherigen Preissenkung erwachse, bei einer Arbeiterfamilie auf etwa[630] 23,20 RM im Jahre, also nicht ganz 1% des Einkommens des Arbeiters. Er wies aber darauf hin, daß bei der Beurteilung der Preissenkung nicht nur die letzte Zeit berücksichtigt werden dürfe, sondern auch die Preisermäßigungen, die vorher erfolgt seien.

Der Präsident des Deutschen Städtetages führte aus: Die Berliner Ergebnisse der Preisverhandlungen würden nicht überall durch die Verbände der Interessenten auch ins Land weitergetragen4. Die Macht der Zentralorganisationen reiche nicht immer so weit. Es sei deswegen notwendig, daß sich die Oberbürgermeister persönlich dafür einsetzten. Die Großstädte und eine Anzahl anderer Städte würden regelmäßig über die Preisvorgänge in ihrem Versorgungsgebiete berichten. Der Städtetag würde eine Statistik auf Grund dieses Materials anfertigen und der Reichsregierung beschleunigt vorlegen.

4

Wahrscheinlich sind die Verhandlungen des REMin. mit Vertretern des Bäcker- und Schlachtergewerbes gemeint: S. die Meldungen in der DAZ Nr. 509/510 vom 1. 11., Nr. 525/ 526 vom 11. 11., Nr. 527/528 vom 12. 11. und Nr. 529/530 vom 13.11.30.

Der Reichskanzler sagte zu, daß diese Statistik dann durch die Presseabteilung der Reichsregierung veröffentlicht werden würde.

Zu der Frage der Werkstarife erklärte der Präsident des Deutschen Städtetages, daß die Kohlenpreisermäßigung sich auf den cbm Gas mit 0,02 Pf, auf die kW-Stunde verbrauchten Stromes mit wenig mehr auswirke. Die Frage würde geprüft, ob es möglich sei, durch Einzeltarife insbesondere dem Mittelstand weiter entgegenzukommen.

Staatssekretär Dr. Trendelenburg hielt es demgegenüber für richtiger, den Kleinabnehmer mit 20–30 cbm oder kW-Stunden im Monat zu begünstigen. Dadurch würden Differenzierungen im Strompreise vermieden, die nach verkappter Subventionspolitik aussähen, und es träte eine sichtbare Erleichterung der Verbraucher ein.

Der Reichskanzler wies auf die wirtschaftlichen Vorteile einer Verbilligung, insbesondere der Verkehrstarife in den Städten hin, die sich bei Hamburg und Bremen gezeigt hätten, als diese die Tarife herabsetzten.

Der Präsident des Deutschen Städtetages sagte zu, diese Anregung dem Bürgermeister von Berlin weiterzugeben. Die schlechte finanzielle Lage der Städte sei meist das Hemmnis gegen dieses Vorgehen. Herabsetzung der Zählermiete, Verbilligung der Schülerkarten, Arbeiterkarten, Wochenkarten und andere Tarifermäßigungen würden erwogen.

Staatssekretär Dr. Trendelenburg wies auf die Verteuerung des Verkehrs durch die Transportarbeiter-Tarife hin, die teilweise 250% über dem Vorkriegsniveau ständen. Amtliche Maßnahmen waren daran nicht beteiligt. Es handle sich um freie Vereinbarungen. Die Tarife laufen bis 31. März 1931. Das Reichsarbeitsministerium will versuchen, bis dahin durch Einwirkung auf die Parteien zur freiwilligen Herabsetzung der überhöhten Löhne eine Besserung herbeizuführen.

Bei der Erörterung der Frage, wie möglichst weitgehende Offenlegung der Preise zu erreichen sei, ergab sich, daß eine Verpflichtung zum Aushang von Preisschildern keine gesetzliche Grundlage mehr habe. Es könne nur auf die[631] Handelskammern in dieser Richtung empfehlend eingewirkt werden. An die Regierungspräsidenten wird in diesem Sinne geschrieben werden.

Das Zugabewesen wirkt vielfach verteuernd und die wirklichen Preise verschleiernd. Bei Margarine betragen die Unterschiede im Preis bis zu 30 Pf für das Pfund, das ohne Zugabe für 60 Pf verkauft wird. Gleichwohl wird auch die teure Margarine stark verkauft. Andererseits werden wesentliche Teile von Industrien vornehmlich für Zugaben beschäftigt. Es könne in Frage kommen anzuordnen, daß der Preis angegeben werden muß, der ohne Zugabe zu bezahlen ist.

Der Entwurf eines Gesetzes gegen das Zugabewesen soll im Kabinett zur Entscheidung gebracht werden5.

5

S. Dok. Nr. 532, P. 3.

Staatssekretär Dr. Trendelenburg regte an, auf die bahnamtlichen Rollfuhrunternehmer einzuwirken, daß sie ihre Gebühren ermäßigen. Auch die Bahnhofswirtschaften könnten zu Preisherabsetzungen veranlaßt werden, die auf die anderen Gastwirtschaften nicht ohne Rückwirkungen bleiben würden. Die Verhandlungen hierüber sollen fortgesetzt werden.

Die Spanne zwischen Stückgut und Waggontarif sei zu hoch. Sie ermögliche den örtlichen Händlern die Handelsspanne hochzuhalten, da der Transport die Ware im Kleinbezuge wesentlich verteuere. Ähnliche Wirkung hätten auch die hohen Beförderungstarife in den Städten, die die freie Konkurrenz der Läden in anderen Stadtteilen wesentlich ausschalteten.

Die Frage der Markenartikel müsse noch in Ressortbesprechungen geklärt werden, ebenso die der Arzneimittel.

Zur Frage der Kohlenpreise führte Ministerialdirektor Ernst aus, daß sie nur über die Syndikate angegriffen werden könnten. Diese belieferten nur die kartellierten Händler. Örtlich ließen sich die Verhältnisse nicht ausreichend übersehen. Mit den Regierungspräsidenten würde in der Frage eng zusammengearbeitet.

Es bestand Übereinstimmung darüber, daß eine Heraufsetzung der Butterpreise für den letzten Verbraucher auf Grund der neuen Abmachungen mit Finnland vermieden werden müsse6. Dies schiene möglich, auch wenn die Preise der Erzeuger steigen, durch Ermäßigung der Zwischenspanne. Im übrigen hätten sich die Händler so stark mit billiger ausländischer Butter eingedeckt, daß sich daraus ein fühlbarer Druck auf die Preise ergäbe. Für Milch wird keine Erhöhung des Preises eintreten.

6

S. Dok. Nr. 109, P. 1.

Wegen des Fleischpreises wurde ausgeführt, daß zunächst in der Herabsetzung des Preises für Schweinefleisch und seine Bindung an die Schweinepreise ein fester Punkt gefunden sei, von dem aus auch auf die anderen Fleischpreise gedrückt werden soll. Wegen der Preise für Aufschnitt und Wurstwaren werde verhandelt.

Zur Zinsfrage wurde ausgeführt, daß der Zins für I. Hypotheken zur Zeit 9½% betrage7. Durch Herabsetzung der Baukosten sei für Neubauten[632] ermöglicht, die Beleihungsgrenze heraufzusetzen. Dadurch könne eine Gewinnverbilligung eintreten, weil die I. Hypotheken im Zinsfuß wesentlich niedriger ständen als die zweiten. Für alte Gebäude allerdings ergibt sich aus der Verbilligung der Baukosten, daß die vorsichtige Bemessung der Beleihungsgrenze berechtigt war.

7

Vgl. Dok. Nr. 167, Anm. 17.

Die Frage der Bonifikationen bei der Abnahme von Pfandbriefen hatte den Zweck, in schlechten Konjunkturen den Absatz zu fördern, ohne die Zinsen zu erhöhen. Das Abkommen zwischen den Pfandbrief-Instituten darüber ist aufgehoben worden, weil es in vielen Fällen nicht eingehalten wurde. Eine größere Einheitlichkeit auch in dieser Richtung wird von dem Zusammenschluß der Bodenkreditinstitute erwartet, durch den 45–50% des gesamten Kapitals in einem Unternehmen vereinigt sind.

Zur Frage der Personalkredite erklärte der Reichsbankpräsident daß es nach mühseligen Verhandlungen gelungen sei, in Ostpreußen ein Modell-Abkommen zwischen den Sparkassen, den Genossenschaften und den Banken zustande zu bringen. Die Habenzinsen dürfen darnach nicht über eine bestimmte Höhe hinausgehen. Auch die Debetzinsen seien festgelegt, jedoch könnten sie von einem Ausschuß den Verhältnissen angepaßt werden. Die Regelung soll auch auf andere Bezirke ausgedehnt werden. Der übermäßige Wettbewerb, der zinserhöhend wirke, werde dadurch unterbunden.

Die Kreditprovisionen der Banken, die sich in starkem Maße verteuernd auswirken, wenn der Kredit nur mäßig in Anspruch genommen wird, sollen auf Antrag vor dem Ausschuß offengelegt werden, der zur Frage der Berechtigung Stellung nimmt. Das Abkommen gilt nur auf 6 Monate.

Der Preußische Handelsminister regte an, die nächste Sitzung etwa in einer Woche stattfinden zu lassen, damit inzwischen die Arbeiten der einzelnen Ressorts weitergeführt werden könnten. Er übernehme es, die Kosten und Tarife der Handwerker nachzuprüfen und wird das Reichswirtschaftsministerium beteiligen.

Die eingehenden Verhandlungen hatten folgendes Ergebnis:

1.

Das Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft wird die Verhandlungen über den Brotpreis mit den Interessenten fortsetzen.

2.

Es wird dabei auch die Frage des Nachtbackverbots klären, die vom Reichsarbeitsministerium mit den Vertretern der Arbeitnehmer besprochen werden wird.

3.

Das Reichsarbeitsministerium wird wegen der Transportarbeiterlöhne mit den Arbeitgebern und Arbeitnehmern verhandeln, um eine freiwillige Vereinbarung über die Senkung dieser Löhne vor dem Ablauf des Tarifvertrages zu erreichen.

4.

Das Preußische Handelsministerium wird unter Beteiligung des Reichswirtschaftsministeriums die Frage der Handwerkerkosten und -tarife überprüfen.

5.

Das Preußische Handelsministerium wird über die Regierungspräsidenten auf die Handelskammern in dem Sinne einwirken, daß die Läden die Preise, insbesondere für Brot und Fleisch, durch deutlich sichtbaren Aus[633]hang bekanntgeben. Das Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft wird dieserhalb mit den anderen Ländern in Verbindung treten8.

6.

Das Reichswirtschaftsministerium wird weiter wegen einer Senkung der Gebühren der bahnamtlichen Rollfuhrunternehmer mit dem Reichsverkehrsministerium und der Reichsbahn Fühlung halten.

7.

Auch auf die Bahnhofswirtschaften wird die Reichsbahnverwaltung einwirken, daß sie ihre Preise herabsetzen.

8.

Der Milchpreis wird auch nach dem neuesten deutsch-finnischen Abkommen gehalten werden. Es muß Vorsorge getroffen werden, daß sich der Butterpreis der Konsumenten nicht auf Grund dieses Abkommens alsbald erhöht.

9.

Der Deutsche Städtetag wird die Preisberichte, die ihm von den Städten zugehen, statistisch verarbeiten und das Ergebnis der Reichsregierung zur Veröffentlichung mitteilen.

10.

Die Verhandlungen der Reichsbank mit den in Frage kommenden Instituten wegen der Verwaltungskosten und der Bonifikationen9 werden fortgesetzt.

8

Zu P. 5 notierte Feßler handschriftlich am Rand: „Es wird allgemein darauf zu achten sein, daß die zuständigen Ressorts bei Maßnahmen des Pr. Handelsmin. an die anderen Länder im gleichen Sinne herantreten.“

9

Auf Wunsch des RbkPräs. wurde der Ausdruck „Bonifikationen“ durch den Begriff „Konditionen“ ersetzt (Schreiben Luthers vom 24. 11. und Berichtigungsrundschreiben in R 43 I /1159 , Bl. 143–144).

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