2.82 (bru1p): Nr. 82 Aufzeichnung des Staatssekretärs Pünder über eine Unterredung des Reichskanzlers mit den Abgeordneten Hugenberg und Oberfohren am 17. Juli 1930

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Nr. 82
Aufzeichnung des Staatssekretärs Pünder über eine Unterredung des Reichskanzlers mit den Abgeordneten Hugenberg und Oberfohren am 17. Juli 19301

1

Die Aufzeichnung Pünders entstand am 19.7.30.

R 43 I /2654 , Bl. 235–236

Am 17. Juli 3 Uhr nachmittags wurde mir in der Reichskanzlei ein an den Herrn Reichskanzler gerichteter Brief der Herren Abgeordneten Hugenberg und Dr. Oberfohren übergeben, worin beide Herren

„angesichts der Gefahren, vor denen sich Land und Volk befinden, aus ihrer Verantwortlichkeit als Oppositionspartei heraus die Frage vorlegen,[327] ob der Herr Reichskanzler zu sofortigen Verhandlungen mit den Unterzeichneten über die politische Gesamtlage bereit sei“2.

2

Original des Briefes in R 43 I /2654 , Bl. 237.

Nachdem der Herr Reichskanzler mit einigen Ministerkollegen und mir die Art der Erledigung kurz besprochen hatte, habe ich der deutschnationalen Fraktionsleitung alsbald mitgeteilt, daß der Herr Reichskanzler zu der gewünschten „Aussprache“ um 5 Uhr gern zur Verfügung stehe.

Eine Wiederholung des Ausdruckes im Briefe „sofortige Verhandlungen“ habe ich mit Absicht unterlassen.

Die politische Aussprache hat dann um 5 Uhr nachmittags begonnen und währte fünf Viertelstunden. Zu ihr hatte der Herr Reichskanzler noch den Herrn Vizekanzler Dietrich hinzugezogen. Den größten Teil der Aussprache bestritt Geheimrat Hugenberg, indem er ein großes politisches Programm für die Zukunft entwickelte. Er fing damit an, daß die antimarxistische Front das Heilmittel sei und daß der Youngplan bekämpft werden müsse. Zu diesem Freiheitskampf sei auch die Umwandlung der Regierung in Preußen nötig, da der Freiheitskampf nur bei geschlossener Haltung des Bürgertums möglich sei. Auch im Reich sei eine Kabinettsumbildung erforderlich. Diese aber lasse sich vielleicht erst im Herbst verwirklichen. Unsere bisherige Handelspolitik müsse einen völligen Kurswechsel erfahren, insbesondere die Meistbegünstigungsklausel bekämpft werden.

Zur Tagespolitik übergehend bemerkte Geheimrat Hugenberg, daß die Nachrichten, wonach die deutschnationale Fraktion dem sozialdemokratischen Aufhebungsantrag nicht zustimmen werde, durch nichts begründet sei3. Um die Durchführung des den Deutschnationalen vorschwebenden großen Programms beginnen zu können, aber andererseits auch zu sichern, scheine ihnen eine Lösung darin zu liegen, daß die Regierungsparteien mit den Deutschnationalen in eine Vertagung der Abstimmung über den sozialdemokratischen Aufhebungsantrag willigen.

3

Bei der Abstimmung über den sozialdemokratischen Aufhebungsantrag am 18.7.30 stimmten von der DNVP-Fraktion 32 für und 25 gegen die Aufhebung (RT-Bd. 428, S. 6525 ).

Abgeordneter Oberfohren ergänzte und wiederholte zum Teil die Ausführungen des Geheimrats Hugenberg. Er versuchte sich etwas zu beschweren, daß mit den Deutschnationalen in den letzten Tagen nicht verhandelt worden sei, was die Situation erschwert habe. Eine Lösung liege auch nach seiner Meinung nur noch in einer Vertagung der Abstimmungen über den sozialdemokratischen Aufhebungsantrag bis zum Herbst.

Nachdem der Herr Reichskanzler zunächst die Bemerkung des Abgeordneten Dr. Oberfohren über das angebliche Nichtverhandeln mit den Deutschnationalen richtig gestellt hatte, ging er in Kürze auf die einzelnen Punkte des Hugenberg’schen Programms ein. Eine Erörterung der Regierungsumbildung in Preußen müsse er völlig ablehnen, da dies nicht seine Kompetenz sei. Ähnlich verhielte es sich auch mit der Forderung der Regierungsumbildung im Reich, wolle aber hier doch noch erwähnen, daß eine solche etwaige Umbildung sofort den Ausbruch anderer bisheriger Regierungsparteien bedeuten würde.[328] Mit solchen Dingen müsse unbedingt bis zum Herbst gewartet werden, zumal dann ja sowieso den Parteien des Reichstags insofern politische Handhabe geboten sein würde, als gewiß manche der notwendigen Vorlagen einer 2/3 Mehrheit bedürfen würden. Hinsichtlich der Handelspolitik sei die Reichsregierung zweifellos auf dem besten Wege. Gerade nach dieser Richtung sei in den letzten Monaten viel geschafft worden, nicht zuletzt auch in der Tendenz, die Meistbegünstigungsklausel auf Umwegen zu erledigen. Was den akuten Wunsch der beiden deutschnationalen Unterhändler hinsichtlich der Vertagung der Abstimmung angehe, müsse er persönlich hier seine starken Bedenken äußern, da eine solche Hinausschiebung auf Monate hinaus eine starke Unruhe und Unsicherheit in die Gesamtwirtschaft bringen würde.

Vizekanzler Dietrich äußerte sich ähnlich zu dem ganzen Fragenkomplex. Gerade er als Demokrat müsse für sich in Anspruch nehmen, daß er genug dafür getan habe, daß die bürgerlichen Parteien im Reichstag zusammenstehen könnten. Ihm sei es doch als erstem gelungen, auf agrarischem Gebiete zu einer Verständigung mit politischen Kreisen, die früher diesen Dingen durchaus ablehnend gegenübergestanden hätten, zu kommen. Diesen gesunden Prozeß solle und dürfe man aber nicht überstürzen.

Abschließend bemerkte der Herr Reichskanzler, daß er bereit sei, mit einigen Ministerkollegen zu sprechen über die etwaige Möglichkeit der Abstimmungsvertagung und versprach, noch im Laufe des Tages endgültige Antwort zu geben.

Der Reichskanzler besprach diese Frage im Anschluß an diese Besprechung, teils einzeln, teils zusammen noch mit den Ministern Schiele, Wirth, von Guérard, Stegerwald und Treviranus. Die Auffassung aller Herren ging übereinstimmend dahin, daß in eine Vertagung unter keinen Umständen gewilligt werden könne.

Gegen 7 Uhr abends begab ich mich darauf im Auftrage des Herrn Reichskanzlers zu den beiden deutschnationalen Führern Hugenberg und Oberfohren und teilte ihnen mit: Der Herr Reichskanzler habe verabredungsgemäß inzwischen mit den meisten Ministerkollegen die gestellte Frage durchgesprochen. Alle dem Reichskabinett angehörigen Herren seien übereinstimmend mit dem Herrn Reichskanzler der Auffassung, daß in eine Vertagung der Abstimmung über den sozialdemokratischen Aufhebungsantrag nicht gewilligt werden könne, im Gegenteil werde die Reichsregierung darauf drängen, daß die Abstimmung sofort am folgenden Tage vollzogen werde. Eine Hinauszögerung der Abstimmung bis zum Herbst würde in die an sich schon notleidende deutsche Gesamtwirtschaft ein sehr unheilvolles Moment völliger Unsicherheit hineintragen. Außerdem würde die Vertagung lähmend auf alle politischen Vorarbeiten, namentlich die des Reichskabinetts für das doch in Aussicht genommene große Reformprogramm des Herbstes wirken.

Abgeordneter Dr. Oberfohren erwiderte mir sofort und freimütig, daß er für diese meine Mitteilungen volles Verständnis hätte und deutete an, daß sie voraussichtlich am späteren Abend nun nochmals den Wunsch nach einer Rücksprache mit dem Herrn Reichskanzler haben würden. Es fiel mir gleich auf, daß[329] Geheimrat Hugenberg offensichtlich hinsichtlich dieses Punktes anderer Auffassung war. Trotzdem in meinem Beisein Oberfohren ihm mehrfach eine solche erneute Besprechung nahelegte, ging er auf diesen Gedanken, gegenüber dem er sich ostentativ schweigend verhielt, nicht ein. In einer späteren ganz kurzen persönlichen Besprechung mit dem Abgeordneten Dr. Oberfohren am späten Abend teilte mir dieser dann mit, daß die Notwendigkeit zu einer erneuten Besprechung mit dem Herrn Reichskanzler nicht mehr gegeben sei. In diesem Augenblick hatte sich (was allerdings erst später bekannt wurde) bereits die Hugenbergsche These in der offiziellen Fraktionsleitung der Deutschnationalen durchgesetzt, wonach dem sozialdemokratischen Aufhebungsantrag zugestimmt werden solle. Wenige Stunden später, gegen Mitternacht, erfolgte dann der berühmte Exodus der Westarpgruppe aus der deutschnationalen Fraktion4.

4

S. Dok. Nr. 74, Anm. 6.

(gez.) Pünder

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