1.64.1 (bru2p): Reparationsfrage.

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Reparationsfrage.

Der Reichskanzler nannte als Zweck der Aussprache eine Klärung der Meinungen, nicht aber eine Beschlußfassung über zu ergreifende Schritte. Ob vor dem bevorstehenden Besuch in Chequers noch eine weitere Aussprache zur Sache werde stattfinden können, sei zweifelhaft.

Ministerialrat BergerBerger erläuterte die ziffernmäßige Erleichterung, die Deutschland durch die Erklärung des Transferaufschubs erlangen würde, wenn der Aufschub etwa zum 1. Juli erklärt werden sollte. Er kam zu dem Ergebnis, daß alsdann in dem ersten Jahre nach dem 1. Oktober 1931 günstigstenfalls 350 Millionen vom Transfer ausgeschlossen bleiben könnten unter der Voraussetzung, daß die Sachlieferungen fortgesetzt und die Verpflichtung aus dem Recovery Act1 aufrechterhalten würde. Ein gleicher Betrag werde im zweiten[1145] Jahre aufgeschoben werden können. Daneben bestehe im zweiten Jahre die Möglichkeit, die Hälfte der aufgeschobenen Beträge von der Aufbringung auszuschließen2. Bei wohlwollender, aber bestrittener Interpretation werde diese Hälfte von der in den beiden ersten Jahren nicht transferierten Summe berechnet, d. h. also von 700 Millionen.

1

Laut Anlage II des Haager Protokolls vom 31.8.29 hatten Großbritannien und Frankreich das Recht, eine Reparationsabgabe (Reparation Recovery Act) pari passu mit den Sachleistungen, einschließlich der während eines Moratoriums bewirkten, zu erheben. Vom jährlichen Gesamtbetrag der Sachlieferungen sollte der Anteil der brit. Reparationsabgabe 23,05%, der Anteil der frz. Reparationsabgabe 4,95% betragen (RGBl. 1930 II, S. 71 ; vgl. auch a.a.O., S. 260–265).

2

Zum Transferaufschub vgl. Anlage IV zum Sachverständigenplan vom 7.6.29 (RGBl. 1930, II, S. 514 ).

Aus diesen Darlegungen wurde gefolgert, daß durch die Erklärung des Transferaufschubes weder den Ländern noch Gemeinden eine unmittelbare Erleichterung verschafft werden und daß auch von einer wirklich wirksamen Entlastung des Reichshaushaltsplans kaum die Rede sein könne, ganz zu schweigen von einer Hilfe für die überaus schwierige Finanzlage der sozialen Versicherungsträger.

Ministerialrat BergerBerger vertrat den Standpunkt, daß wir im Falle eines Transferaufschubs Sachlieferungen nicht fortzusetzen brauchten.

Er erläuterte auch die Möglichkeit der Anwendung der Revisionsklausel und setzte ferner auseinander, daß man beide Wege, Transferaufschub und Revision, kombinieren könne3.

3

Vgl. hierzu Kap. 8 e des Sachverständigenplans vom 7.6.29 (RGBl. 1930 II, S. 448 –452).

Hieran knüpfte sich die Erwägung, daß im Falle der Revision Amerika zunächst nicht beteiligt sein werde, wo hingegen bei der Erklärung des Transferaufschubs Amerika sehr bald in die Beratungen eingeschaltet werden würde, da unsere Gläubigerländer den Transferaufschub zum Anlaß nehmen würden, ihrerseits von der Moratoriumsklausel in ihrem Schuldenabkommen mit Amerika Gebrauch zu machen.

Staatssekretär SchäfferSchäffer meinte, die Tätigkeit des Beratenden Sonderausschusses werde in beiden Fällen, sowohl beim Transferaufschub wie auch bei der Revision, die gleiche sein müssen4. Der Sonderausschuß werde einen Bericht zu erstatten und darin bestimmte Vorschläge zu machen haben. Streitig sei dabei, wie Ziffer 121 des neuen Planes auszulegen sei, der für den Inhalt des Berichts vorschreibe, „welche Maßnahmen nach Ansicht des B.S. hinsichtlich der Anwendung des neuen Planes ergriffen werden sollten“5, d. h. also, ob sich die Vorschläge im Rahmen des Planes zu halten hätten, oder ob der B.S. unabhängig vom neuen Plan Vorschläge machen könnte.

4

S. dazu Ziffer 119–132 des Sachverständigenplans vom 7.6.29 (RGBl. 1930 II, S. 448 –452).

5

„In seinem Bericht an die Regierungen und an die Bank [für Internationalen Zahlungsausgleich] soll der Sonderausschuß, nachdem er sich bei einem Transferaufschub davon überzeugt hat, daß die zuständigen deutschen Stellen alles in ihrer Macht Stehende zur Erfüllung der Verpflichtungen getan haben, den Gläubigerregierungen und der Bank zur Erwägung unterbreiten, welche Maßnahmen nach seiner Ansicht hinsichtlich der Anwendung des gegenwärtigen Planes ergriffen werden sollten“ (RGBl. 1930 II, S. 448  f.).

Der Reichskanzler bemerkte hierzu, daß es ihm eine gewisse Sorge verursachen werde, wenn man sich darauf beschränken sollte, nur den Beratenden Sonderausschuß anzurufen. Er befürchte nämlich, daß die Aufgabe des Sonderausschusses dann möglicherweise mit der Tätigkeit des Finanzkomitees der Europakommission des Völkerbundes parallel geschaltet werden würde. Möglicherweise[1146] werde man dann darauf abkommen, Deutschland eine Anleihe zu empfehlen. Eine Anleihe aber werde nur unter politischen Bedingungen zu bekommen sein.

Der Reichsminister der Finanzen führte aus, daß es für die Amerikaner letzten Endes keinen Unterschied machen werde, welchen Weg Deutschland in der Reparationsfrage einschlage. Wenn der B.S. nur zu einer Empfehlung komme, die uns nichts hilft, seien wir festgefahren. Wenn der B.S. die Aufnahme einer Anleihe empfehlen sollte, säßen wir ebenfalls in der Klemme. Aus diesem Grunde glaube er, daß wir uns nicht darauf beschränken dürften, nur den B.S. anzurufen, vielmehr sei es nötig, von allen Rechten Gebrauch zu machen, die uns nach dem Plane zustehen.

Reichsbankpräsident Dr. LutherLuther setzte zur Frage der Erklärung des Transferaufschubs auseinander, daß in der ganzen zurückliegenden schweren Zeit niemals ein technisches Transferproblem aufgetreten sei. Technische Transferschwierigkeiten würden auch weiter vermieden werden können, wenn man das Volk weiter verelenden lasse. Im Youngplan gäbe es keine clausula socialis. Wenn man überhaupt zu einer Maßnahme kommen sollte, so trete er der Auffassung des Reichsministers der Finanzen bei, d. h., daß man sowohl den Transferaufschub erklären, wie auch die Totalrevision verlangen müsse. Die Chocwirkung werde nur geringer sein, wenn man nur den Beratenden Sonderausschuß anrufe, aber wenn man an das Ende der Dinge denke, werde bei dem B.S. nichts Praktisches herauskommen.

Der Reichsminister des Auswärtigen ging sodann auf die Frage ein, in welcher Weise man das Reparationsproblem bei dem bevorstehenden Besuch in England diskutieren solle. Er meinte, man müsse nach Hause kommen mit dem Resultat, daß man das Thema anhängig gemacht habe. Alsdann sei ein Anfang gemacht. Er stelle sich die Sache so vor, daß man den Engländern unsere Lage darlege, und zwar unter Zugrundelegung von handfestem Material, unabhängig von der Notverordnung. Den Engländern müsse gezeigt werden, daß bei uns eine besondere Lage vorhanden sei.

Der Reichskanzler meinte, daß Schritte konkreter Art bei derartigen Unterhaltungen nicht herauskommen könnten.

Der Reichsminister der Finanzen warnte davor, sich in eine Front gegen die Amerikaner hereinmanövrieren zu lassen.

Der Reichsarbeitsminister glaubte, sich besonderen Nutzen davon versprechen zu können, den Engländern klarzumachen, daß die Lebenshaltung bei uns stark zurückgehe. Deutschland habe nämlich neben England den höchsten Lebenshaltungsstandard. Der Lebensnerv der englischen Sozialisten werde daher auf das Empfindlichste getroffen, wenn man ihnen auseinandersetze, daß das Zurückgehen des deutschen Standards auf die Lage in England abfärben werde. Darum müsse man den Engländern darstellen, wie sich die Dinge bei uns entwickelt haben. Mit den Engländern müsse man wirtschaftlich sprechen und empfehlen, auf ein Zusammenwirken der drei großen Wirtschaftsvölker, Deutschland, England und Amerika, hinzuarbeiten. Briand sehe im Gegensatz dazu alle Dinge nur politisch an.

[1147] Reichsbankpräsident LutherLuther empfahl, sich bei gegebener Gelegenheit auf Anleihepläne einzulassen. Jedenfalls rate er, sich hinsichtlich der zu ergreifenden Schritte und hinsichtlich des Zeitpunktes etwaiger Schritte in London alle Möglichkeiten offenzuhalten. Vom Standpunkt der Kreditlage aus werde Deutschland die zu befürchtenden Schäden schon beim ersten Schritt erleiden, darum sei es wesentlich, den ersten Schritt erst dann zu tun, wenn er erfolgreich zu sein verspräche. Er habe den Eindruck, daß das Maß des Unverständnisses Deutschland gegenüber allenthalben im Ausland noch sehr groß sei. Die Zeit arbeite aber für uns. Bezeichnend sei der Verlauf der Dinge auf der soeben abgeschlossenen Tagung der Internationalen Handelskammer6. Die Amerikanische Regierung habe sich mit allen Mitteln dagegen gewehrt, daß das Reparationsthema dort angeschnitten werde. Trotzdem habe sich die öffentliche Meinung im Parlament gegen diese Haltung der Regierung durchgesetzt. Diese Entwicklung mache Fortschritte. Innerlich beginne man den Kausalzusammenhang zwischen der Wirtschaftsnot und den Reparationen zu sehen. Man müsse den richtigen Zeitpunkt abwarten, in dem die Lage für uns reif sei.

6

Der VI. Kongreß der Internationalen Handelskammer hatte vom 4.–9.5.31 in Washington stattgefunden (Schultheß 1931, S. 578–580).

Hierzu bemerkte der Reichskanzler daß es auch nach seiner Meinung richtig sein würde, die Entscheidung bis zum Frühjahr oder sogar bis zum Sommer 1932 zu vertagen, aber es werde unmöglich sein, innerpolitisch so lange auszuhalten. Aus innerpolitischen Gründen werde Ende Juni ein Schritt getan werden müssen. Die Entscheidung im Sinne der Gesamtrevision des Youngplanes werde auch in einem solchen Fall ja doch erst viel später fallen.

Reichsbankpräsident Dr. LutherLuther erwiderte, der Youngplan-Schritt sei außenpolitisch zur Unzeit geschehen. Daraus müsse Deutschland lernen. Er warne nochmals davor zu handeln, bevor die Situation reif sei. Nach seiner Überzeugung sei die Zeit jetzt noch nicht so weit.

Der Reichskanzler erklärte, in Amerika könne die Nervosität kaum noch weiter gesteigert werden. Moratorien für Staatsschulden würden bald nichts Normales mehr sein. Für die nächsten Monate stünden Moratorien in verschiedenen südamerikanischen Staaten bevor. Zu bedenken sei auch, was innenpolitisch kommen werde, wenn das jetzige Kabinett im Augenblick den richtigen Weg nicht finden werde. Wenn dann ein Kabinett von rechts komme, werde dies gewissermaßen mit einem Knall-Moratorium binnen vier Wochen hervortreten müssen. Dies werde sogar schon notwendig werden, wenn das jetzige Kabinett auf die Unterstützung von rechts rechnen müsse. Erreicht werde dadurch bei der Gegenseite nichts. Die Aktion werde mit einem ultimativen Schritt der Gläubiger enden, und niemand in Deutschland werde alsdann bereit sein, die Verantwortung gegenüber einem solchen Ultimatum zu übernehmen7.

7

Vgl. auch die entsprechende Äußerung des RK in Dok. Nr. 291.

Staatssekretär Dr. TrendelenburgTrendelenburg führte aus, daß sich aus der kurzfristigen Verschuldung ungeheure Schwierigkeiten ergäben. Man solle nur an die Erfahrung des Monats April denken. Seitdem habe sich die Situation noch verschlechtert. Darum müsse vor allen Dingen davor gewarnt werden, einen Schritt[1148] zu tun, der nach der Meinung unserer Gläubiger zur Unzeit erfolge. Deutschland müsse seine Kapitallage verbessern. Heute bestehe unser Kapital in Kurzfristigkeit. Eine langfristige Anleihe werde nur gegen politische Bedingungen zu haben sein und sei also aus diesem Grund unmöglich. Kein Arrangement dürfe sich auf die Reparationszahlung beschränken. Ein materieller Erfolg werde nur eintreten, wenn die Gesamtwirtschaft saniert werde. Wenn nur eine Verschiebung der Entlastung der öffentlichen Hand nach der Wirtschaft hin sich vollziehe, sei für Deutschland nichts gewonnen. Die Reparationspolitik habe zwei Seiten, eine innenpolitische und eine außenpolitische. Die Taktik müsse in beiden Fällen eine andere sein.

Der Reichsminister des Innern war der Ansicht, daß innenpolitisch die Situation nicht mehr lange zu halten sein werde. Es werde keine Diktatur geben, die dem Volk klarmachen könne, daß die Reparationsfrage hinzuhalten sei. Darum glaube er, daß es besser sei, in diesem Jahr zu einer Zwischenlösung zu kommen, als im nächsten Jahr zu gar keiner Lösung.

Der Reichskanzler knüpfte hieran die Bemerkung, daß er keiner Zwischenlösung zustimme, die in vermehrter Sachleistung oder Aufnahme einer Anleihe bestehen werde, denn eine solche Lösung bedeute nichts anderes als sich für fünf Jahre politisch binden.

Reichsbankpräsident Dr. LutherLuther meinte, daß eine Entscheidung, durch die wir im Winter einige 100 Millionen Entlastung erführen, ohne eine Gesamtlösung zu erreichen, eine schlimmere Situation herbeiführen werde als wie die, in der wir jetzt leben.

Der Reichswehrminister gab zu bedenken, daß es bei der gegenwärtigen Gesamtsituation gefährlich sei, einen Reparationsschritt zu lange auf sich warten zu lassen.

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