1.154 (bru2p): Nr. 406 Der Deutsche Handwerks- und Gewerbekammertag und der Reichsverband des deutschen Handwerks an den Reichskanzler. Hannover, 24. Juli 1931

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Nr. 406
Der Deutsche Handwerks- und Gewerbekammertag und der Reichsverband des deutschen Handwerks an den Reichskanzler. Hannover, 24. Juli 1931

R 43 I /2015 , Bl. 184–187

Betr[ifft]: Maßnahmen zur Überwindung der Wirtschaftskrise.

Hochverehrter Herr Reichskanzler!

In nebenbezeichneter Angelegenheit beehren sich die unterzeichneten Spitzenkörperschaften des deutschen Handwerks wie folgt zu berichten:

Die nunmehr zum Ausbruch gekommene Finanz- und Wirtschaftskrise in Deutschland hat eine Reihe von Maßnahmen der Reichsregierung erfordert, die sehr erhebliche Eingriffe in das Wirtschaftsleben bedeuten. Wir sind weit davon entfernt, die Notwendigkeit dieser Maßnahmen zu bestreiten. Wir haben seit Jahren bei den Kundgebungen unserer Körperschaften den Standpunkt vertreten, daß alles darangesetzt werden muß, um eine Gesundung der deutschen staatlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse unter äußerster Anpassung der eigenen Kräfte des deutschen Volkes zu erreichen. Wir waren immer der Ansicht, daß nur auf dieser Grundlage auch eine den Lebensbedürfnissen des deutschen Volkes gerecht werdende Verständigung mit dem Ausland zu erreichen sein würde. Wir gestatten uns, als Beleg hierfür auf die Beschlüsse zu verweisen, die letztmalig gelegentlich der ersten Notverordnung durch die[1417] Vorstände des Kammertages und Reichsverbandes gefaßt worden sind1. Hier heißt es:

1

Nicht ermittelt.

„Die wirtschaftliche und politische Lage des Volkes erfordert dringend eine endliche grundsätzliche Wandlung der bisherigen Methoden der deutschen Finanz- und Sozialpolitik in ihrer Wirkung auf die deutsche Wirtschaft. Durch entschlossene und zielbewußte Zusammenfassung aller Kräfte muß die Steigerung der Produktivität der Gesamtwirtschaft erstrebt werden, die zur endgültigen Befreiung des deutschen Volkes durch Arbeit und Leistung unerläßlich ist. Dabei ist der Bedeutung der auf verantwortungsbewußten Persönlichkeiten beruhenden Wirtschaftsführung des gewerblichen Mittelstandes für die Gesamtwirtschaft und Volksgemeinschaft weit mehr als bisher Rechnung zu tragen.“

Wir brauchen die stärkste Entfaltung der produktiven Kräfte des Volkes und den bewußten Willen zur wirtschaftlichen Gesundung, und daraus müssen die innerpolitischen Folgerungen gezogen werden. Die Hemmungen, die einer Entwicklung der produktiven Kräfte bisher gegenüberstehen, müssen beseitigt werden. Wir brauchen eine Steuerpolitik, welche die Kapitalbildung fördert und nicht auf Kosten der Substanz und des Unternehmerwillens geht. Wir brauchen eine Sozialpolitik, die die Wirtschaft nicht weiter einengt und belastet. Wir brauchen eine Preis- und Lohnpolitik in allen Wirtschaftszweigen, die der notwendigen Kapitalbildung gerecht wird und die Steigerung der Reallöhne und der Kaufkraft zuläßt. Wir brauchen vor allem in dem Gefühl der Masse, in der öffentlichen Meinung des Volkes eine Rehabilitierung des Erwerbsstrebens und der wirtschaftlichen Leistung, eine gerechtere Bewertung der Initiative des persönlich schaffenden Unternehmers, einen Rückstoß gegen übertriebene großwirtschaftliche und ganz- oder halbsozialistische Kräfte und Anschauungen, welche die Produktivität, den Leistungswillen und das Erfolgstreben hemmen. Der Wille, alle Wege offen zu legen und alle Kräfte zu entwickeln, die zur Gesundung und Erstarkung der Wirtschaft führen, muß dem ganzen Volksbewußtsein und seinen politischen Vertretungen eingehämmert werden.

Wenn wir solchergestalt die Notwendigkeit einer straffen und zielbewußten Führung durch die Reichsregierung anerkennen und wenn wir zugeben, daß eine Überwindung der Krise ohne Opfer durch alle Teile des Volkes nicht zu erreichen ist, so halten wir uns doch für verpflichtet, darauf hinzuweisen, daß die besonderen Verhältnisse des gewerblichen Mittelstandes mehr als bisher bei den zu treffenden Maßnahmen berücksichtigt werden müssen.

In dem letzten Jahrzehnt ist der gewerbliche Mittelstand in einer Weise geschwächt worden, die vom staatspolitischen Standpunkt aus außerordentlich zu bedauern ist. Wir sind der Meinung, daß die Überwindung der jetzigen Wirtschaftskrise sehr viel leichter wäre, wenn die breite Schicht des gewerblichen Mittelstandes in seiner früheren Leistungsfähigkeit heute noch vorhanden sein würde und einen großen Teil ihrer Auswirkung auffangen und ausgleichen[1418] könnte. Wir halten es aber zum mindesten für unbedingt erforderlich, dafür zu sorgen, daß nicht etwa durch die Maßnahmen zur Überwindung der wirtschaftlichen und finanziellen Krise eine weitere Zertrümmerung des Mittelstandes erfolgt. Wir haben die Befürchtung, daß bei all’ den Maßnahmen, die zur Zeit erwogen und durchgeführt werden, allzu stark die Rücksichtnahme auf die Großwirtschaft und auf die Arbeitnehmerschaft ausschlaggebend ist und daß hinter diesen Einflüssen die notwendige Schonung des gewerblichen Mittelstandes zurücktritt.

Es kommt hinzu, daß durch die Ausschaltung des Parlaments, über deren Zweckmäßigkeit und Unzweckmäßigkeit wir unsererseits nicht zu befinden haben, uns die Möglichkeit genommen ist, für unsere berufsständischen Bemühungen parlamentarische Hilfe zu gewinnen. Die Möglichkeit einer unmittelbaren Einflußnahme auf die Reichsregierung ist uns nicht in dem Maße gegeben wie anderen Berufsgruppen des deutschen Volkes2. Wir wollen dabei die Einrichtung des Reichskommissars für das Handwerk und das Kleingewerbe gewiß nicht herabsetzen; sie ist für die Zeit einer ordentlichen Gesetzgebung ausreichend. Für die jetzige und die nächste Zeit kann dieses Amt bei aller Anerkennung persönlicher Leistungen nicht als genügend angesehen werden, um den gewerblichen Mittelstand gegenüber dem direkten Einfluß der Großwirtschaft und der Arbeitnehmerschaft Geltung zu verschaffen.

2

In dem im RWiMin. entworfenen, von StS Trendelenburg am 7.8.31 der Rkei übersandten Antwortschreiben wurden diese Vorwürfe zurückgewiesen: „Die Rücksicht auf die Erhaltung eines gesunden und starken Mittelstandes […] war mitbestimmend für die erfolgten Maßnahmen. Ich darf hierzu nur darauf hinweisen, daß für die von der Reichsregierung getroffenen Maßregeln zur Beseitigung der Schwierigkeiten der deutschen Geldinstitute mit entscheidend war die Sorge um die mittelständischen Existenzen, die ihre Ersparnisse und Guthaben den Geldinstituten unmittelbar oder mittelbar anvertraut hatten. Wenn darüber Klage geführt wird, daß ein sachverständiger Vertrauensmann der mittelständischen Wirtschaft zu den Beratungen der Reichsregierung nicht mit hinzugezogen ist, so darf ich dazu bemerken, daß die Reichsregierung bisher Sachverständige aus der Praxis nicht als Vertreter eines der Wirtschafts- und Berufsgruppen zu ihren Beratungen hinzugehogen hat. Soweit insbesondere bei den Verhandlungen mit den ausländischen Sachverständigen die Mitarbeit entsprechender deutscher Persönlichkeiten geboten erschien, sind von mir nur solche Herren hinzugezogen worden, auf deren persönliches sachverständiges Urteil ich besonderen Wert legte“ (R 43 I /2015 , Bl. 191–192). Wegen des Empfangs von Vertretern des Handwerks am 21.8.31 (Dok. Nr. 452) wurde das Antwortschreiben auf Weisung des RK nicht abgesandt.

Die Reichsregierung beabsichtigt nach Pressenachrichten die Bestellung eines Reichskommissars für Finanzen und Wirtschaft. Die Namen, die im Zusammenhang hiermit in der Presse genannt werden, lassen erkennen, daß dieser Kommissar wiederum aus den Kreisen der Großwirtschaft entnommen werden wird3. Um so notwendiger erscheint uns die Herbeiführung einer unmittelbaren Fühlungnahme von Handwerk und Gewerbe mit der Reichsregierung. Wir halten es in diesen Ausnahmezeiten für eine staatspolitische Notwendigkeit, daß dem gewerblichen Mittelstand das bittere Gefühl der Vernachlässigung und Vereinsamung genommen wird, das in den letzten 10 Jahren mehr und mehr in diesen Schichten Platz gegriffen hat.

3

Die DAZ hatte in ihrer Nr. 319–320 vom 17.7.31 gemeldet, daß die RReg. beabsichtige, einen Staatskontrolleur mit außerordentlichen Vollmachten gegenüber der Privatwirtschaft zu ernennen. Vgl. Dok. Nr. 394, Anm. 2.

[1419] Dem Herrn Reichskanzler unterbreiten wir daher in unserer ernsten und wohlverständlichen Sorge um die Aufrechterhaltung der Wirtschaft des gewerblichen Mittelstandes die dringende Bitte, darauf bedacht zu sein, daß bei allen Maßnahmen, die in der Reichsregierung für die Überwindung der Wirtschaftskrise vorbereitet werden, ein sachverständiger Vertrauensmann der mittelständischen Wirtschaft beteiligt wird.

Deutscher Handwerks-

und Gewerbekammertag.

Pflugmacher

Reichsverband des deutschen Handwerks.

Dr. Meusch

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