1.22.1 (bru3p): Stillhaltefragen.

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Stillhaltefragen.

Vor der Sitzung gelangte der beiliegende Entwurf eines für die Umschuldung und Tilgung der kurzfristigen deutschen Auslandsschulden zur Verteilung1.

1

Der Plan, der vom RWiMin. und der Rbk ausgearbeitet worden war, sah die Übernahme sämtlicher deutscher kurzfristiger Schulden – mit Ausnahme der Auslandsschulden des Reichs, der Rbk und der Golddiskontbank – durch die dt. Ablösungsbank vor. Die ausländischen Gläubiger sollten ihre Forderungen gegen die Übernahme von Schuldzertifikaten an die Ablösungsbank abtreten. (Anschreiben des RWiMin. an die Rkei mit Entw. in R 43 I /316 , Bl. 345–350).

Der Reichskanzler erklärte einleitend, daß die Besprechung des Entwurfs nur den Zweck verfolge, einen deutschen Eventualplan zu erörtern. Ob die Reichsregierung von dem Plan Gebrauch machen werde, und, bejahendenfalls, ob und wie sie ihn vorher ändern werde, und schließlich, in welcher Form sie ihn verwenden werde, stehe zur Zeit nicht zur Diskussion. In dieser Hinsicht behalte sich die Reichsregierung ihre volle Handlungsfreiheit vor. Er bedauerte auf das lebhafteste die in der Presse erschienenen Indiskretionen über den Inhalt der bisherigen Beratungen und bat eindringlichst nochmals um absolute Geheimhaltung der Einzelheiten der Diskussion. Jede Indiskretion gefährde auf das verhängnisvollste die Lösung der Schicksalsfrage der deutschen Banken2. Was jetzt beschlossen werde, sei nur als Diskussionsgrundlage für eine diplomatische Aktion gedacht. Vor irgendwelchen deutschen Schritten müsse aber erst abgewartet werden, was das Ausland von uns fordern werde.

2

Siehe dazu Dok. Nr. 537.

Der Reichswirtschaftsminister erläuterte zunächst die Grundgedanken des unter Führung des Reichswirtschaftsministers und unter Mitbeteiligung der Reichsbank ausgearbeiteten Entwurfs der Reichsressorts. Sodann verlas er die einzelnen Abschnitte des Entwurfs.

Die Mitglieder des Ausschusses machten anschließend ihre Äußerungen zu den einzelnen Bestimmungen. Eine Feststellung bestimmter Formulierungen erfolgte nicht, nachdem der Reichskanzler erklärt hatte, daß es sich im gegenwärtigen Augenblick nicht um die Feststellung eines bestimmten Planes handele, daß die Reichsregierung vielmehr nur eine Meinungsäußerung der Sachverständigen zu dem Entwurf erbitte.

Im einzelnen machten die Sachverständigen folgende Anregungen:

[1900] Zu Abschnitt I:

Reichsbankpräsident Dr. Luther stellte die Frage, was mit den Krediten geschehen solle, die nach dem 31.7.31, d.h. nach Einleitung der ersten Stillhalteaktion, nach Deutschland hereingekommen sind. Er meinte, daß sie aus der Umschuldungsmasse herauszulassen seien. Diese Auffassung wurde von den Sachverständigen geteilt, mit Ausnahme von Dr. Silverberg, der auch diese neuen Schulden vom neuen Plan miterfaßt sehen wollte3.

3

Im Abschnitt I, 2.) waren die Schulden aufgeführt, die nicht in die Umschuldungsmasse aufgenommen werden sollten (R 43 I /316 , Bl. 347 f.).

Eine längere Debatte entspann sich über die Frage der Einbeziehung der laufenden Warenkredite. Während ein Teil der Sachverständigen, insbesondere die Herren Jeidels und Haller, die Auffassung vertraten, daß man den Plan auf die bankmäßigen Finanzschulden beschränken müsse, war die große Mehrzahl der übrigen Sachverständigen der Meinung, daß man an der schon in der Sonntagssitzung4 gefaßten grundsätzlichen Entscheidung festhalten müsse, zunächst einmal alle kurzfristigen Auslandsverbindlichkeiten in den Plan einzubeziehen, so wie dies im Entwurf auch vorgesehen ist. Darüber, daß reine Warenschulden nicht umgeschuldet werden sollen, vielmehr bezahlt werden müssen, bestand keine Meinungsverschiedenheit. Sie sollen, wie das in dem Entwurf vorgesehen ist, aus der Umschuldungsmasse wieder ausgeschieden werden5. Die Herren Jeidels und Haller gründeten ihren Standpunkt vorwiegend auf das Bedenken, daß man mit nichtbankmäßigen Gläubigern unmöglich in einheitlichem Sinne werde verhandeln können.

4

Vgl. Dok. Nr. 534.

5

Nach P. I 2a des Entw. waren die ausländischen Warenkredite nicht in die Umschuldung einbezogen (R 43 I /316 , Bl. 347).

Herr Pferdmenges hielt den Standpunkt der vorgenannten Herren für sehr gefährlich. Er verwies darauf, daß eine Reihe von Warenschulden in der Praxis wiederholt verlängert wird, und es werde dann praktisch die schwierige Frage zu entscheiden sein, wann eine Warenschuld durch mehrfache Verlängerung zu einer bankmäßigen Finanzschuld wird.

Herr Schlieper sprach sich ebenfalls gegen Herrn Jeidels aus. Er erwähnte aus den praktischen Erfahrungen des ersten Stillhalteabkommens, daß es eine Reihe von bankähnlichen Finanzinstituten gäbe, mit denen Kredite abzuwickeln seien, die unbedingt erfaßt werden müßten, z. B. Versicherungsgesellschaften, Finanzierungsgesellschaften, Investment Trusts usw.

Staatssekretär Dr. Trendelenburg führte aus, daß eine Beschränkung des Plans auf die bankmäßigen Schulden eine Umschuldungsmasse von nur 3½ Milliarden erfassen werde; angesichts der Tatsache, daß die kurzfristige Verschuldung Deutschlands aber 12 Milliarden ausmache, bleibe bei der Beschränkung auf die 3½ Milliarden ein zu großer Gefahrenherd außerhalb der Regelung.

Herr Silverberg regte an, in Ziffer 2b6 besonders hervorzuheben, daß Bürgschaften, die von deutschen Muttergesellschaften zu Gunsten von 100%ig deutschen Affiliationen[1901] im Ausland übernommen sind, aus der Umschuldungsmasse herauszulassen sind. Im übrigen regte er an, die Ausnahmebestimmung 2b möglichst weit zu fassen, etwa wie folgt: aus der Umschuldungsmasse scheiden aus die Schulden des regelmäßigen Warenverkehrs, die von der Ablösungsbank anerkannt werden.

6

Nach P. I 2b des Entw. konnten aus der Umschuldung die Verbindlichkeiten herausgenommen werden, „für die auf gemeinsamen Antrag von Gläubiger und Schuldner die Ablösungsbank anerkennt, daß die volkswirtschaftlichen Belange auch bei Nichteinbeziehung der Schulden in die Umschuldung gewahrt sind“ (R 43 I /316 , Bl. 348).

Herr Wassermann schlug vor, die Ziffer 2c zu streichen, dafür aber die in 2c behandelten Fälle durch eine allgemeinere Formulierung von 2b mitzuerfassen7.

7

P. I 2c nahm Schulden deutscher Unternehmer gegenüber ausländischen Tochtergesellschaften aus der Umschuldung heraus, „sofern die Gläubiger bei der Tilgung nicht besser gestellt werden als bei Einbeziehung der Schulden in die Umschuldung. Die Ablösungsbank überwacht die Durchführung.“ (R 43 I /316 , Bl. 348).

Herr Schlieper stellte zu Ziff. I 38 die Frage, ob die Reichsbank für die in dieser Ziffer geregelten Fälle Devisen freigeben werde.

8

P. I 3 des Entw. ermächtigte die Ablösungsbank, die Übernahme von Schulden wegen mangelnder Leistungsfähigkeit des Schuldners abzulehnen. „In diesem Fall erhält der ausländische Gläubiger die Freiheit, seine Forderung geltend zu machen und einzuziehen“ (R 43 I /316 , Bl. 348).

Der Reichspräsident antwortete, daß er diesen Punkt im Umschuldungsplan geflissentlich nicht zu regeln wünsche. Die Beantwortung der Frage ergebe sich durch die Handhabung der Devisenordnung.

Zu Abschnitt II:9

9

Abschnitt II des Entw. enthielt die Bestimmungen über die Ausstattung der Schuldzertifikate (R 43 I /316 , Bl. 348–349).

Herr Jeidels empfahl die Tilgung der Zertifikate nicht durch Auslösung oder Rückkauf vorzusehen, vielmehr Serien-Bonds vorzusehen.

Herr Schlieper empfahl, für jedes Land eine besondere Tranche zu machen, ausgestellt auf die Währung des in Frage kommenden Landes.

Herr Silverberg bat, die Entscheidung dieser Frage späterer Beschlußfassung vorzubehalten.

In gleichem Sinne sprach sich auch Herr Haller aus.

Erörtert wurde sodann der Bonus. Man war der Meinung, daß die Gewährung eines Bonus abhängig sei von der Höhe der Zinsen und der Laufdauer für die Aktion.

Herr Silverberg vertrat die Auffassung, daß Ziff. II 410 irreale Fälle im Auge habe.

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P. II 4 des Entw. lautete: „Soweit der Gläubiger Dokumente oder Sicherheiten nicht überläßt oder die ihm angebotenen Zertifikate nicht annimmt […] darf der Schuldner während der Laufzeit des Planes an den Gläubiger nicht mehr leisten, als dieser bei der Umschuldung nach dem Plan erhalten würde. Der Schuldner kann sich in diesem Falle von seinen Schulden durch Hinterlegung von Zertifikaten im Nennbetrage der Schuld befreien“ (R 43 I /316 , Bl. 349).

Demgegenüber erklärte Herr Jeidels, daß man den Ausländer, der für seine Forderungen durch Dokumente und Sicherheiten voll gedeckt sei, zur Annahme von Zertifikaten gegen seinen Willen nicht zwingen könne. Wenn die Sicherheiten, die er in Händen habe, sich zudem im Ausland befänden, z. B. wenn eine Groß-Reederei ihre Schiffe verpfändet habe, so werde der Gläubiger sich unter Umständen trotz des Stillhalteabkommens aus seinen Pfändern befriedigen, d. h. die Schiffe sequestrieren lassen.

Demgegenüber verwies Staatssekretär Dr. Trendelenburg darauf, daß in Ziff. VI eine Sicherung des Abkommens durch Staatsverträge vorgesehen sei; ohne eine solche Sicherung werde das Abkommen kaum durchführbar sein.

[1902] Auch Herr Wassermann und Herr Ritscher machten darauf aufmerksam, daß man über die Fassung von Ziff. IV noch sehr eingehend werde nachzudenken haben, da es viele Fälle gäbe, in denen die Sicherheiten die Schuldsumme übersteigen.

Zu Abschnitt III11 und IV12:

11

Abschnitt III des Entw. übertrug die Rechte des bisherigen ausländischen Gläubigers im Verhältnis zum inländischen Schuldner auf die Ablösungsbank (R 43 I /316 , Bl. 349).

12

Abschnitt IV des Entw. skizzierte die Rechtsverhältnisse der Ablösungsbank als Aktiengesellschaft dt. Rechts mit Grundkapital von 500 MioRM, „worauf die Einzahlungen in der Weise zu leisten sind, daß von den deutschen Schuldnern auf die umgeschuldeten Beträge in den ersten beiden Jahren neben den Zinsen ein Zuschlag von je 3% ihrer Schuld einzuzahlen sind.“ Als Treuhänder der Aktien war die Golddiskontbank vorgesehen (R 43 I /316 , Bl. 349 f.).

Sehr eingehend erörtert wurde die Frage, wer die 3% zur Beschaffung des Grundkapitals der Ablösungsbank aufbringen müsse.

Herr Jeidels neigte zu der Auffassung, daß die Aufbringung von den Schuldnern nicht verlangt werden könne, daß vielmehr das Reich für die Aufbringung des Kapitals, das ja nicht bar eingezahlt zu werden braucht, aufkommen müsse.

Der Reichswirtschaftsminister führte aus, daß daran gedacht sei, das Kapital dadurch aufzubringen, daß in den ersten beiden Jahren die Umschuldungsschuld nicht amortisiert wird.

Der Reichsbankpräsident bemerkte ergänzend hierzu, daß eine solche Lösung auch vom Standpunkt der Reichsbank begrüßt werden würde. Auf diese Weise werde nämlich in den voraussichtlich noch sehr schwierigen beiden ersten Jahren der Devisenbestand der Reichsbank geschont.

Herr Löb führte aus, daß die Banken nicht in der Lage sein würden, die 3%, wenn sie von ihnen aufgebracht werden müßten, auf ihre Schuldner abzuwälzen. Wenn man dies anerkenne, komme man zu einer Belastung der Banken, die wahrscheinlich für sie zu hoch sein werde.

Herr Wassermann sprach sich dahin aus, daß die Aufbringung des Kapitals Sache der Banken sein werde.

Zu Abschnitt V, VI und VII wurden besondere Bemerkungen nicht gemacht13.

13

Die Abschnitte V–VII des Entw. sollten die Formulierungen für die Schiedsgerichtsklauseln, Sicherung des Abkommens durch Staatsvertrag und die Steuerbefreiung für die Ablösungsbank enthalten (R 43 I /316 , Bl. 350). Zur weiteren Behandlung des Entw. siehe Dok. Nr. 537, P. 1.

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