2.88 (lut1p): Nr. 88 Aufzeichnung des Staatssekretärs v. Schubert über eine Unterredung mit dem Britischen Botschafter zur Jahrtausendfeier im Rheinland. 15. Mai 1925

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Nr. 88
Aufzeichnung des Staatssekretärs v. Schubert über eine Unterredung mit dem Britischen Botschafter zur Jahrtausendfeier im Rheinland. 15. Mai 1925

R 43 I /1793 , Bl. 299 f. Abschrift1

1

Die Aufzeichnung wird vom AA zusammen mit mehreren einschlägigen Aktenstücken (s. unten Anm. 2; auch Dok. Nr. 87 und 92) am 26. 5. an die Rkei zur Kenntnisnahme übersandt.

Streng vertraulich!

Nachdem ich heute dem Herrn Reichsaußenminister und dem Herrn Reichskanzler Vortrag gehalten hatte und den beiliegenden Brief von Herrn Ministerialdirektor Loehrs erhalten hatte2, empfing ich heute mittag den Englischen Botschafter.

2

In dem beiliegenden, vom 15. 5. datierten Schreiben heißt es u. a.: „Im Anschluß an unsere gestrige Unterredung bestätige ich Ihnen unter voller Einsetzung meiner dienstlichen und persönlichen Verantwortung, daß ein Erlaß des Preußischen Innenministeriums, der auch nur annähernd so lautet, wie der Herr Englische Botschafter angegeben hat [s. Dok. Nr. 87, dort bes. Anm. 4], nicht existiert. Im Ministerium des Innern wird ein Geschäftszeichen C. B. II an keiner Stelle geführt. Ein Erlaß mit dieser Bezeichnung kann daher nicht hinausgegangen sein. Es ist hier bekannt, daß bei der Regierung in Düsseldorf ein solches Geschäftszeichen im Gebrauch ist. Da auch angedeutet wurde, daß jener angebliche Erlaß an die Regierung in Düsseldorf gerichtet sei, sind dort sofort Erkundigungen eingezogen, die ergeben haben, daß eine Geschäftsnummer, wie die angegebene, in diesem Jahre überhaupt noch nicht erreicht ist. Es ist weiter bestätigt worden, daß bei der Regierung selbstverständlich kein Erlaß des Ministeriums des Innern mit ähnlichem Inhalt bekannt ist und daß auch derartige Weisungen seitens der Regierung selbst nicht hinausgegeben worden sind. Es ist erstaunlich, daß man ein derart sinnloses Verhalten eines Preußischen Ministeriums für möglich gehalten hat, und daß der so ausgezeichnet organisierte französische Spionagedienst durch eine nach Form und Inhalt so plumpe Fälschung sich hat täuschen lassen.“

[295] Ich teilte ihm zunächst mit, daß der in der Instruktion des Herrn Chamberlain3 erwähnte Brief vom 14. April eine plumpe Fälschung sei. Sodann las ich ihm den Brief des Herrn Loehrs vor.

3

S. Anm. 3 zu Dok. Nr. 87.

Lord D’Abernon entgegnete, es werde einen ausgezeichneten Eindruck machen, daß der Brief eine Fälschung sei. Das sei die Hauptsache. Denn Chamberlain habe sich offenbar ganz besonders über diesen Brief aufgeregt.

Im Auftrage des Reichskanzlers und des Reichsministers sagte ich sodann dem Botschafter, daß ich in ihrem Namen ihm folgendes mitzuteilen hätte.

Der Beschluß für die Jahrtausendfeier im Rheinlande sei gefaßt worden, als man noch damit gerechnet hätte, daß zur Zeit der Eröffnung der Ausstellung in Köln die erste Zone bereits geräumt sein würde4. Hätte man ahnen können, daß die Räumung sich so lange über Gebühr verzögern würde, so hätte man diesen Beschluß sicherlich nicht gefaßt.

4

Zur Frage der Räumung der Kölner Zone, die gemäß Art. 429 VV am 10.1.25 erfolgen sollte, s. Dok. Nr. 8, P. 5.

Im übrigen seien die Feierlichkeiten keineswegs von Berlin aus angeregt oder von hier aus encouragiert worden. Ich könne dem Botschafter vertraulich sagen, daß der Reichskanzler über diese Feiern nicht besonders glücklich gewesen, und daß er auch heute noch derselben Ansicht sei, und zwar deshalb, weil er überhaupt dagegen sei, in der jetzigen Zeit rauschende öffentliche Feste zu feiern. Die Sache sei vielmehr vom Rheinland ausgegangen und besonders auf eine Initiative des Oberbürgermeisters von Köln zurückzuführen. Es sei schließlich der Bevölkerung zu gönnen, daß sie auf neutralem geistigen Gebiete sich wieder etwas betätige, nachdem sie solche Leiden jahrelang zu tragen gehabt hätte. Schließlich könne man die Weltgeschichte nicht verschieben. Herr Stresemann verstehe das Kilmarnock’sche Elaborat5 überhaupt nicht, besonders auch darin nicht, wenn Kilmarnock ausführe, daß Reisen aus dem unbesetzten in das besetzte Gebiet bedenklich seien. Schließlich sei doch noch Freizügigkeit in Deutschland, die man doch nicht unterbinden könne.

5

Es handelt sich um einen Bericht des brit. Vertreters bei der Rheinlandkommission, Lord Kilmarnock, den D’Abernon dem StS am 14. 5. vertraulich zu lesen gegeben hatte. S. Dok. Nr. 87.

Endlich fügte ich von mir aus hinzu, daß ich Anstoß nehmen müsse an den beiden letzten Sätzen der Chamberlain’schen Instruktion. Ich wisse wohl, daß die Englische Regierung uns in unseren Plänen eine gewisse Unterstützung angedeihen lasse, das Resultat dieser sogenannten „Hilfe“ sei aber doch bis jetzt recht jämmerlich. Heute habe in der Zeitung gestanden, daß die Botschafterkonferenz, die angeblich heute endgültig die Entwaffnungsnote festsetzen sollte, wiederum bis zur nächsten Woche vertagt worden sei6. Was schließlich die „intelligent cooperation“ anlange, so müsse Lord D’Abernon doch zugeben, daß wir es an einer sachlichen Mitarbeit weiß Gott nicht hätten fehlen lassen. Wir hätten trotz der unglaublichen Verschleppungspolitik der Alliierten in den letzten Monaten geradezu eine Lammsgeduld an den Tag gelegt und damit[296] eine Intelligenz bewiesen, an der es auf alliierter Seite doch recht zu mangeln scheine.

6

Zur all. Kollektivnote in der Entwaffnungs- und Räumungsfrage, die am 4. 6. in Berlin übergeben und am 5. 6. erstmals im Kabinett beraten wird, s. Dok. Nr. 96.

Lord D’Abernon hörte mich aufmerksam an und widersprach mir nicht. Er machte sich Notizen und will sofort nach London telegraphieren.

Auf seinen Wunsch händigte ich ihm eine Abschrift des Briefes des Herrn Ministerialdirektors Loehrs ein, indem ich betonte, daß natürlich dieser Brief nicht für ihn bestimmt gewesen sei7.

7

Zum Fortgang s. Dok. Nr. 92.

gez. v. Schubert

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