1.185.1 (lut2p): [Flaggenverordnung]

Zum Text. Zur Fußnote (erste von 7). Zu den Funktionen. Zum Navigationsmenü. Zum Navigationsbaum

 

Bandbilder:

Die Kabinette Luther I und II (1925/26), Band 2.Das Kabinett Luther I Bild 102-02064Reichspräsident Friedrich Ebert verstorben Bild 102-01129Hindenburgkopf Bild 146-1986-107-32AStresemann, Chamberlain, Briand Bild 183-R03618

Extras:

 

Text

RTF

[Flaggenverordnung]

Der Reichskanzler eröffnete die Sitzung.

Der Reichsminister des Innern berichtete über die parlamentarische Situation. Er führte aus, daß im Zentrum und bei den Demokraten sich ein starker Widerstand gegen die beabsichtigte Verordnung geltend mache1.

1

Über die Vorgänge am Nachmittag und Abend des 4. 5. fanden sich in den Akten keinerlei Unterlagen. Die Presse registriert starke Erregung in den Fraktionen von DDP und Zentrum. Die Demokraten, die am Nachmittag des 4. 5. durch RIM Külz über den Flaggenvorgang unterrichtet worden seien, hätten ihren Vorsitzenden Koch-Weser aufgefordert, ihre Bedenken gegen die VO dem RK noch am gleichen Abend vorzutragen (s. „Vorwärts“ und „Tägliche Rundschau“ vom 5. 5.). Weitere Einzelheiten über den Verlauf dieser Auseinandersetzungen erwähnt Koch-Weser in einer Aufzeichnung vom 6. 5. sowie in einer undatierten, nicht abgesandten Denkschrift an den Fraktionsvorstand der DDP. Danach habe er am Abend des 4. 5. während eines Stresemannschen Bierabends eine Besprechung mit Luther herbeigeführt und in Anwesenheit v. Guérards, der ihn nachdrücklich unterstützt habe, erklärt, daß die VO für seine Fraktion unerträglich sei und „unter keinen Umständen“ herauskommen dürfe (Nachlaß Koch -Weser, Bd. 34).

Der Reichskanzler bat zu erwägen, ob man vielleicht auf die ursprünglich beabsichtigte Unterscheidung zwischen Übersee-Missionen und zur See erreichbaren europäischen Missionen einerseits, den übrigen europäischen Missionen andererseits zurückkommen solle2.

2

Vgl. Anm. 2 zu Dok. Nr. 350. – Nach der Denkschrift Koch-Wesers (s. Anm. 1) war eine Modifizierung der VO von Luther schon am Abend des 4. 5. erwogen worden. „Die Verordnung sollte dann eine Änderung erfahren insofern, als sie sich nun auf Überseeplätze und auf Handelsstädte beschränkte.“ Die demokratische Fraktion habe dieses Entgegenkommen sogleich als unannehmbar bezeichnen müssen, „weil dadurch, daß an einigen Stellen nur eine, an den meisten anderen zwei Fahnen gezeigt würden, die Zweideutigkeit unseres Vorgehens noch erhöht“ würde (Nachlaß Koch -Weser, Bd. 34).

Staatssekretär Dr. Meissner betonte, daß der Reichspräsident eine derartige Unterscheidung kaum billigen werde und daß er nicht nachgeben werde.

Der Reichsarbeitsminister betonte, daß er in dieser Einschränkung keine Erleichterung sehe. Nach seiner Auffassung müsse die Angelegenheit hinausgeschoben werden.

Der Reichsminister der Justiz führte aus, daß eine derartige Unterscheidung auf die widerstrebenden Parteien des Reichstags nicht beruhigend einwirken könne. Die Regierungsparteien bemängelten es, nach seiner Auffassung[1335] mit Recht, daß sie nicht vorher über die Absicht der Reichsregierung unterrichtet worden seien3.

3

In einer Tagebuchnotiz vom 6. 5. nimmt Koch-Weser hierzu wie folgt Stellung: „Taktisch bleibt es unglaublich, daß Luther gemeint hat, die ganze Angelegenheit erledigen zu können, ohne die Parteien zu hören. Ich nenne das nicht führen, sondern allein wegrennen. Daß unsere Minister es mitgemacht haben, beweist leider einmal wieder die eigenartige Tatsache, wie schnell einem Minister der politische Sinn schwindet.“ (Nachlaß Koch -Weser, Bd. 34).

Der Reichsminister der Finanzen wies darauf hin, daß er an der ersten Ministerbesprechung, in der über die Verordnung Beschluß gefaßt worden sei, nicht teilgenommen habe4. Er würde jedoch ebenso wie die andern Herren gestimmt haben.

4

Vgl. Dok. Nr. 350.

Der Reichskanzler stellte zum Schluß, ohne Widerspruch zu finden, folgendes fest:

Zunächst müsse der Reichspräsident über die Absicht des Kabinetts, evtl. die erwähnte Unterscheidung zwischen den Missionen zu machen, unterrichtet werden. Diese Aufgabe wolle er zusammen mit dem Reichsminister des Innern übernehmen5. Alsdann werde die Flaggenfrage um 2.30 Uhr nachm. in der Sitzung des Interfraktionellen Ausschusses des Reichstags behandelt werden6. Hiernach komme vielleicht die Möglichkeit in Betracht, daß der Reichspräsident noch mit den Parteiführern der Regierungsparteien über die ganze Angelegenheit spreche7.

5

Hierzu keine Angaben in R 43 I ermittelt. Eine Unterrichtung des RPräs. muß jedoch kurz darauf stattgefunden haben, da die hier vorgeschlagene Modifizierung der ursprünglichen Fassung in der „Zweiten Verordnung des Reichspräsidenten über die deutschen Flagen“ vom 5. 5. bereits berücksichtigt ist. In der VO heißt es: „Die gesandtschaftlichen und konsularischen Behörden des Reichs an außereuropäischen Plätzen und an solchen europäischen Plätzen, die von Seehandelsschiffen angelaufen werden, führen außerdem die Handelsflagge.“ (RGBl. 1926 I, S. 217 ).

6

„Vorwärts“ und „Tägliche Rundschau“ berichten am 6. 5.: In der Besprechung des Interfraktionellen Ausschusses sei eine formelle Einigung nicht erzielt worden, da sowohl das fast vollzählig anwesende Kabinett als auch die Vertreter des Zentrums und der Demokraten an ihren gegensätzlichen Standpunkten festgehalten hätten.

7

Zu einer solchen Besprechung kommt es offenbar nicht, wohl aber am 7. 5. zu einer längeren Unterredung zwischen StS Meissner und Koch-Weser. S. dazu Dok. Nr. 357.

Extras (Fußzeile):