1.84.1 (lut2p): Luftfahrtverhandlungen in Paris.

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Die Kabinette Luther I und II (1925/26), Band 2.Das Kabinett Luther I Bild 102-02064Reichspräsident Friedrich Ebert verstorben Bild 102-01129Hindenburgkopf Bild 146-1986-107-32AStresemann, Chamberlain, Briand Bild 183-R03618

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RTF

Luftfahrtverhandlungen in Paris1.

1

Über den Verlauf dieser um den 20. 11. aufgenommenen Vorverhandlungen zwischen Vertretern der Botschafterkonferenz und dt. Sachverständigen (u. a. Vortr. LegR Nord, MinR Fisch) berichtete Nord in einer Aufzeichnung vom 27. 11.: Im Mittelpunkt habe die Frage gestanden, „ob es möglich erscheint, das durch das Londoner Ultimatum seinerzeit geschaffene System der dem deutschen Luftfahrzeugbau auferlegten Baubeschränkungen [vgl. Anm. 18 zu Dok. Nr. 170] durch ein anderes System zu ersetzen, das geeignet ist, den alliierten Mächten eine genügende Sicherheit dafür zu bieten, daß Deutschland die in Art. 198 des Versailler Vertrages ausgesprochene Verpflichtung, keinerlei Luftstreitkräfte zu unterhalten, auch weiterhin erfüllt“. Beide Seiten hätten anerkannt, daß das System der sogen. Begriffsbestimmungen die Entwicklung des internationalen Luftverkehrs erheblich beeinträchtige und daß durch diese Bestimmungen zudem eine sichere Unterscheidung zwischen militärischen und zivilen Luftfahrzeugen nicht gewährleistet sei. Man sei daher unverbindlich übereingekommen, daß die RReg. eine dem Sinne des Art. 198 VV entsprechende Verpflichtung übernehmen und in Form einer VO folgenden Inhalts dokumentieren sollte: 1) Verbot jeder Verbindung zwischen privaten Vereinen und militärischen Stellen in Luftfahrtfragen, 2) Verbot von Flugzeugen mit Vorrichtungen für den Einbau von Bordwaffen und Bombenwurfgeräten (Pol. Arch. des AA, Büro StS, L Militärkontrolle, Bd. 5). Dieser Vorschlag wurde von der RReg. in einer Note an die Botschafterkonferenz, deren Überreichung durch v. Hoesch wahrscheinlich am 26. 11. erfolgte, als Basis für die weiteren Verhandlungen angenommen (Telegramme Hoesch an AA vom 25. und Schubert an Hoesch vom 26. 11. abschrl. in R 43 I /734 , Bl. 203-205).

Einleitend führte der Reichsverkehrsminister aus, daß der Vorwurf der Instruktionsüberschreitung durch die Delegation in Paris noch nicht bereinigt sei2.

2

Dieser Vorwurf wurde von General v. Seeckt in einer Chefbesprechung am 9. 12. (Teilnehmer: Luther, Stresemann, Geßler, Krohne, Kempner und Referenten) erhoben und wie folgt begründet: „Einerseits habe sie Konzessionen auf militärischem Gebiet gemacht (Verordnung), während nach den Berliner Weisungen [vgl. Dok. Nr. 219, P. 4] die deutschen Konzessionen nur auf dem Gebiet der zivilen Luftfahrt liegen sollten; andererseits sei im Gegensatz zu der Berliner Weisung die Verweisung auf § 213 des Friedensvertrages als einzige Sicherung für die Erfüllung des § 198 [VV] unterblieben. Daher müßten der Delegation 1) ganz klare Richtlinien mitgegeben werden, 2) müsse ein militärischer Vertreter ständig anwesend sein.“ Dem widersprach der RVM mit großem Nachdruck und betonte: Die Delegation habe nur den ganz allgemeinen Auftrag erhalten, auf die Aufhebung der Begriffsbestimmungen hinzuwirken. Alle Verhandlungen seien völlig unverbindlich gewesen, konkrete dt. Angebote seien nicht gemacht worden. RK Luther stellte daraufhin abschließend fest, daß die Delegation den ihr gegebenen Weisungen entsprechend gehandelt habe (Protokoll der Chefbesprechung in R 43 I /734 , Bl. 196 f.).

Der Reichswehrminister erklärte: Die Feststellungen im Reichswehrministerium hätten ergeben, daß die Delegation den Rahmen ihrer Weisungen zweifellos nicht überschritten habe. Er müsse aber darauf beharren, daß die Information,[1003] die dem Reichswehrministerium über die Verhandlungen in Paris zuteil geworden sei, nicht ausreichend gewesen sei. Im übrigen stehe eine schriftliche Äußerung des Reichswehrministeriums bevor3.

3

Ein diesbez. Schreiben des RWeM nicht ermittelt.

Der Reichsverkehrsminister erklärte, er könne der Angabe des Herrn Reichswehrministers, daß sein Ressort unvollständig informiert worden sei, nicht zustimmen.

Der Reichskanzler stellte fest, daß die Streitfrage, soweit sie die Delegation beträfe, bereinigt sei. Die weitere Erörterung der Unstimmigkeiten4 werde wohl zweckmäßig zwischen den Herren Reichsministern selber erfolgen. Auch er stelle sich, wenn das wünschenswert erscheinen sollte, zur Verfügung.

4

Unterlagen hierzu nicht ermittelt. Möglicherweise handelt es sich um die von Geßler in der Ministerbesprechung am 16. 12. erwähnte Auseinandersetzung zwischen MinR Brandenburg und Major Wilberg (s. Dok. Nr. 255).

1)5 In Betreff der Beschränkung der Zahl der Flugschüler6 begründete der Reichsverkehrsminister den aus der Anlage Punkt 1 (zweite Hälfte) ersichtlichen Vorschlag des Reichsverkehrsministeriums7.

5

Die nachfolgenden Ziffern 1–3 beziehen sich auf die in der Chefbesprechung am 9. 12. (vgl. oben Anm. 2) für die obige Chefbesprechung beschlossene, wie folgt lautende Tagesordnung: „1) Frage der Einschränkung der Zahl der Flugschüler. 2) Verordnung oder Gesetz, bezw. Wortlaut der Verordnung. 3) Künftige Zusammensetzung der Pariser Delegation.“

6

Die Flugschülerfrage wurde von all. Seite erstmals zur Sprache gebracht in einer Londoner Unterredung zwischen v. Schubert und Lampson am 2.12.25, in der dieser das Interesse der Alliierten an einer starken Einschränkung der dt. Pilotenausbildung betonte (s. ADAP, Serie B, Bd. I, 1, Dok. Nr. 4). – Botschafter v. Hoesch berichtete am 8. 12. über Besprechungen mit den Luftfahrtsachverständigen der Botschafterkonferenz Mazzolini, Smyth-Piggot und Poupon: Alle drei hätten die Rede sofort auf die Pilotenausbildung gebracht, „und zwar der Engländer mit dem Bemerken, daß auch englische Regierung an der außerordentlich hohen Zahl der zur Ausbildung gelangenden deutschen Piloten Anstoß nehme, während Poupon der Bemerkung, zu Forderungen bezüglich Pilotenzahl fehle Alliierten Rechtsgrundlage, nachdrücklich mit Hinweis auf Artikel 178 Versailler Friedensvertrags begegnete. Diskussion über dies Thema wurde nicht vertieft; Smyth-Piggot bemerkte jedoch, es sei für die in Aussicht genommenen Verhandlungen wesentlich, daß deutsche Vertreter zur Erörterung Pilotenfrage bereit seien.“ (R 43 I /734 , Bl. 190 f.).

7

Beigefügt ist eine von Planck gefertigte Aufzeichnung über das „Ergebnis der Chefbesprechung vom 15. Dezember 1925“, die in Punkt 1 wie folgt lautet: „Es wurde Einvernehmen darüber erzielt, daß Kabinettsentscheidung über die Frage herbeigeführt werden solle, ob eine Beschränkung der Zahl der Flugschüler bei den Verhandlungen in Paris von der Deutschen Delegation auf Grund der Rechtslage sofort als untragbar erklärt werden solle, auch auf die Gefahr hin, daß dadurch die Verhandlungen scheiterten und die Begriffsbestimmungen nicht beseitigt würden, oder ob die Delegation in vorsichtiger Form auf Verhandlungen über diese Frage eingehen solle, um vom Gegner das Ausmaß der von ihm geplanten Beschränkungen in Erfahrung zu bringen.“ – Das Vorgehen nach der erstgenannten Alternative war in vorangegangenen Ressortbesprechungen vom RWeMin., die zweite Alternative vom RVMin. vorgeschlagen worden (s. Schreiben des RVM an RWeMin., AA und RJMin. vom 4. 12. in R 43 I /734 , Bl. 178-184).

General von Seeckt äußerte die Ansicht, daß man um diesen Punkt kämpfen müsse. Er bedeute eine schwere politische Entscheidung für das Kabinett und es sei zweifelhaft, ob ein geschäftsführendes Kabinett eine solche treffen könne. Er sähe im Wegfall der Begriffsbestimmungen nicht einen so großen Vorteil, daß[1004] dadurch die Duldung einer personellen Beschränkung auf unbestimmte Zeit, eine ganz neue Form der Kontrolle, aufgewogen würde.

Der Reichsverkehrsminister führte aus, daß unsere zur Zeit günstige luftgeographische Lage durch die Vervollkommnung der Lufttechnik mit der Zeit an Bedeutung verlieren könne. Auch müsse darauf hingewiesen werden, daß zur Zeit sehr viel weniger Flugschüler in Deutschland ausgebildet würden, als dies nach den Vorschlägen des Reichsverkehrsministeriums8 auch bei Duldung einer gewissen Personalkontrolle geschehen könne.

8

Der RVM hatte mit Schreiben vom 15. 12. „Richtlinien für die eventuelle Behandlung der Flugschülerfrage“ übersandt. Darin heißt es: „Falls die Gegenseite von uns einen Vorschlag über die Höhe der Schülerzahl verlangt, ist auszuführen, daß die Flugschülerzahl nur im Verhältnis zu der Zahl der in Deutschland eingetragenen Flugzeuge festgesetzt werden kann, und zwar müsse in jedem Jahr für jedes in Deutschland eingetragene Flugzeug ein Schüler bis zum Verkehrsfliegerexamen ausgebildet werden. Diese Ausbildung sei notwendig, um der Ausbreitung des Luftverkehrs und der Entwicklung der Flugzeuge (mehrere Führer) Rechnung zu tragen. Da erfahrungsgemäß von drei Schülern nur einer die erforderlichen Fähigkeiten für die Prüfung besitzt, sind also auf jedes in Deutschland eingetragene Flugzeug je drei Schüler zur Ausbildung zuzulassen.“ (R 43 I /734 , Bl. 209-212, hier: Bl. 210).

Der Reichsminister des Auswärtigen trat der Ansicht des Reichsverkehrsministers bei.

Der Reichskanzler schlug vor, dem Kabinett die Entscheidung der in der Anlage Punkt 1 formulierten Fragestellung9 zu überlassen.

9

Vgl. oben Anm. 7.

2) Die Fassung des Maximalentwurfs für ein Gesetz, wie sie vom Reichsverkehrsministerium vorgelegt war10, wurde vom Reichskanzler und Reichswehrminister abgelehnt.

10

Der Maximalentwurf für ein „Gesetz zur Durchführung des Art. 198 des Vertrages von Versailles“, vorgelegt vom RVMin. mit Schreiben vom 15. 12., sieht u. a. vor: Personen, die mit militärischen Behörden in Verbindung treten, um militärische Luftstreitkräfte einzurichten oder zu unterhalten, werden mit Geldstrafen bis zu 10 000 RM oder mit Festung bis zu drei Monaten bestraft. Vereinigungen, die in gleicher Weise tätig werden, werden nach Maßgabe des „Gesetzes zur Durchführung der Art. 177, 178 des VV“ vom 22.3.21 (RGBl., S. 235 ) aufgelöst. Wer Flugzeuge baut oder einführt, die gepanzert und mit Einrichtungen zum Anbringen von Bordwaffen und Bombenwurfgeräten versehen sind, wird mit Geldstrafe bis zu 10 000 RM und mit Gefängnis bis zu sechs Monaten bestraft (R 43 I /734 , Bl. 209-212, hier: Bl. 212).

Es wurde Einvernehmen darüber erzielt, daß die von der Gegenseite geforderte Sicherstellung der Durchführung der §§ 177, 178 und 198 des Vertrages von Versailles durch eine Verordnung und nicht durch ein Gesetz erfolgen solle, selbst auf die Gefahr hin, daß diese Verordnung von deutschen Gerichten später als rechtsungültig erklärt werden könnte. Falls die Delegation die Sicherstellung der Befolgung der Regel 311 durch ein Gesetz anzubieten für notwendig erachten sollte, was von Geheimrat Nord als nicht wahrscheinlich bezeichnet wurde, solle die Delegation ermächtigt sein, lediglich zu Regel 3 ein Gesetz anzubieten. Grundlage zur Verhandlung solle zunächst der Entwurf des Reichswehrministeriums12,[1005] sodann der Minimalentwurf des Reichsverkehrsministeriums13, in Verordnungsform, sein.

11

Es handelt sich um Regel 3 der von der Botschafterkonferenz am 24.6.25 notifizierten „Neuen Regeln zur Unterscheidung zwischen zivilen und militärischen Luftfahrzeugen“ (vgl. Anm. 18 zu Dok. Nr. 170). Regel 3 bestimmt: Flugzeuge, die gepanzert und zur Aufnahme von Bordwaffen und Bomben eingerichtet oder mit Vorrichtungen versehen sind, die eine Verwendung für militärische Zwecke erleichtern, werden als Kriegsgerät angesehen (s. Schultheß 1925, S. 408).

12

Dieser vom RWeM am 7. 12. an StSRkei übermittelte Entw. einer „Zweiten Verordnung zur Ausführung des Gesetzes zur Durchführung der Artikel 177, 178 des Friedensvertrages“ lautet: „Auf Grund Art. 77 der Verfassung des Deutschen Reiches wird mit Zustimmung des Reichsrats verordnet: Als im Widerspruch zu den Art. 177, 178 des Vertrages von Versailles stehend sind auch Vereinigungen anzusehen, die mit dem Reichswehrministerium oder irgend einer militärischen Behörde in Verbindung treten, um militärische Luftstreitkräfte zu Lande und zu Wasser einzurichten und zu unterhalten. Art. 2 der ersten Verordnung vom … zur Ausführung des Gesetzes zur Durchführung der Art. 177, 178 des Friedensvertrages findet auf solche Vereinigungen Anwendung.“ (R 43 I /734 , Bl. 176 f., 185-188, hier: Bl. 188). – Der Entw. einer ersten VO zur Ausführung des Gesetzes zur Durchführung der Art. 177, 178 des VV war vom RIM am 7. 12. dem RR vorgelegt worden (RR-Drucks. Nr. 187, Bd. 1925 II). Er bestimmt in Art. 2: Vereinigungen, bei denen aus der Satzung oder ihrem Verhalten hervorgeht, daß sie ihre Mitglieder im Waffenhandwerk ausbilden, sich mit militärischen Dingen befassen oder mit dem RWeMin. oder anderen militärischen Behörden in Verbindung stehen, sind nach den Bestimmungen des Gesetzes vom 22.3.21 (RGBl., S. 235 ) aufzulösen. Der Erlaß dieser VO erfolgt am 12.2.26 (RGBl. I, S. 100 ). Zur Vorgeschichte vgl. Anm. 6 zu Dok. Nr. 220.

13

Der Minimalentwurf des RVM, übersandt mit Schreiben an StSRkei vom 15. 12., stimmt mit dem Entw. des RWeM (s. Anm. 12) fast wörtlich überein. Einziger Unterschied: Als im Widerspruch mit den Art. 177, 178 des VV stehend werden Vereinigungen angesehen, „die mit dem Reichswehrministerium oder irgend einer militärischen Behörde in Verbindung stehen“ (R 43 I /734 , Bl. 209-212, hier: Bl. 211).

3) Über die Frage, ob ein Offizier anläßlich der Luftfahrtverhandlungen zur Pariser Botschaft entsandt werden solle14, wurde eine Einigung nicht erzielt.

14

Vgl. oben Anm. 2.

Der Reichskanzler schlug als mögliche Lösungen eine erhöhte Fernschreiberbereitschaft vor, ferner die Zusicherung, daß zu jeder Frage, die ein sachverständiges Urteil von Vertretern des Reichswehrministeriums erfordere, ein Offizier nach Paris nachgeholt werden solle. Endlich stellte er der Erwägung anheim, ob die Entsendung eines Offiziers zur Beratung der deutschen Botschaft in Paris in allgemeinen Entwaffnungsfragen während der Zeit der Luftfahrtverhandlungen möglich erscheine.

Es wurde Übereinstimmung erzielt, auch hierüber eine Kabinettsentscheidung herbeizuführen. Als Zeitpunkt der Kabinettssitzung wurde vom Reichskanzler der 16. Dezember, 11 Uhr vormittags, bestimmt15.

15

S. Dok. Nr. 254.

Hierauf wurde die Sitzung geschlossen.

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