2.12.11 (ma11p): 9. Allgemeine politische Aussprache.

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9. Allgemeine politische Aussprache22.

22

Zum folgenden vgl. Dok. Nr. 9, P. 10.

Der Reichsminister des Innern gab einen Überblick über die Lage und stellte fest, daß zur Zeit drei Möglichkeiten ins Auge gefaßt werden könnten:

a)

die Absicht der Reichsregierung, von Regierung zu Regierung in Verhandlungen einzutreten und Belassung der bestehenden Zustände im besetzten Gebiet bis zum Abschluß dieser Verhandlungen;

b)

der Vorschlag Moldenhauer: Fortführung der eingeleiteten Sonderverhandlungen der Vertreter des besetzten Gebiets mit Tirard mit dem Ziel, im Rahmen des Reichs und der Länder die besetzten Gebiete zu einem besonderen Verwaltungsgebiet umzugestalten;

c)

der Gedanke Adenauers, die besetzten Gebiete unter Loslösung von Preußen im Rahmen des Reichs zu einem selbständigen Staate zu machen, unter [63] der Voraussetzung, daß damit die Besatzung dieses Gebiets aufgehoben und eine endgültige Regelung des Reparationsproblems herbeigeführt werde.

Oberbürgermeister Dr. Adenauer wandte sich gegen diese Parallelstellung der drei Vorschläge. Alternative bilde seiner Meinung nach lediglich der Vorschlag der Reichsregierung und der Vorschlag Moldenhauer, während sein Gedanke selbständig als umfassender Lösungsversuch daneben stehe.

Er begrüße an sich den Vorschlag der Reichsregierung, die damit eine gegenüber früher völlig veränderte Stellung einnehme, und auch er wünsche, daß vorläufig alles beim alten belassen würde. Allerdings sei notwendig, bis zur Herbeiführung einer Entscheidung dem besetzten Gebiete eine stärkere wirtschaftliche Hilfe angedeihen zu lassen. Zu diesem Zwecke bitte er dringend, den Gemeinden die Umsatzsteuer und ein Zuschlagsrecht zur Umsatzsteuer zu gewähren. Ohne Bewilligung derartiger Steuereinnahmen könne das Reich die Verhandlungen mit der Gegenseite nicht in Ruhe führen.

Der Reichsminister des Innern wandte sich gegen die Auffassung des Herrn Dr. Adenauer, daß das Kabinett seine Meinung geändert habe. Nicht das Kabinett habe seine Meinung geändert, sondern die Verhältnisse hätten sich geändert.

Das Reichskabinett habe jetzt die Hoffnung, mit dem Feind zu Verhandlungen zu kommen. Gerade darum habe es seine Vorschläge gemacht. Wenn allerdings diese Verhandlungen wiederum keinen Erfolg hätten, müsse sich das Reich die weiteren Schritte vorbehalten.

Der Reichsminister der Finanzen präzisierte den Standpunkt des vorherigen Kabinetts dahin, daß dieses bei Bevollmächtigung eines Ausschusses immer nur Maßnahmen auf wirtschaftlichem und finanziellem Gebiet zur Rettung der besetzten Gebiete im Auge gehabt habe. An andere Vollmachten habe die Reichsregierung nicht gedacht. Sie habe keinerlei Anregung dahin gegeben, daß Verhandlungen mit dem Ziel der Aufrechterhaltung des Wirtschaftslebens für den Fall geführt werden sollten, daß der Erfolg von einer Umgestaltung der Verwaltung abhängig sei.

Professor Moldenhauer gab, um schon jetzt einer bereits auftretenden Legendenbildung vorzubeugen, einen Rückblick über die Entwicklung der Verhältnisse in den letzten Wochen. Er betonte dabei, daß der Ausgangspunkt seines Handelns und derer, die mit ihm gehandelt hätten, einerseits die Lage im besetzten Gebiet und andererseits die Erklärung der Reichsregierung, nicht weiter helfen zu können, gewesen sei.

Mit dem neuen Vorschlag der Reichsregierung sei die Grundlage für ihre bisherige Haltung im Augenblick nicht mehr vorhanden. Er begrüße, daß jetzt die Reichsregierung versuchen wolle, die Verhältnisse zu meistern. Wenn es allerdings dabei zu keinem Erfolge käme, dann scheine ihm für das besetzte Gebiet nichts anderes übrig zu bleiben, als eine Notverwaltung einzurichten, über deren Form man sich aber ein anderes Mal unterhalten könne.

Justizrat Falk schloß sich den grundsätzlichen Ausführungen des Herrn Moldenhauer an.

[64] Oberbürgermeister Johansen führte aus, daß sich die Dinge vom englisch und vom französisch-belgisch besetzten Gebiet aus doch verschieden ansähen. Die Lage im französisch-belgisch besetzten Gebiet berechtige auch nach den neuen Vorschlägen der Reichsregierung zu keinem Optimismus. Die Separatistengefahr sei durchaus nicht behoben, sondern lediglich zurückgestellt. Wenn der Vorschlag der Reichsregierung im besetzten Gebiet auf Verständnis stoßen solle, dann müßten ganz bestimmte Erklärungen darüber abgegeben werden, wie das besetzte Gebiet bis zu dem Erfolge der von dem Reich einzuleitenden Verhandlungen durchhalten könne. Er glaube, daß Voraussetzung dafür wäre 1) eine Bestätigung des Willens der Reichsregierung, dem besetzten Gebiet zu helfen, 2) eine Bestätigung des Könnens der Reichsregierung, dem besetzten Gebiet zu helfen. Er bitte also insbesondere um einen Beschluß des Kabinetts, der a) den Kommunen des besetzten Gebiets die Möglichkeit zu Steuereinnahmen gibt, b) der die Reichsbank ersucht, ihre Notgeldverordnung aufzuheben, c) der Verhandlungen mit dem Gegner sofort ermöglicht.

Justizrat Mönnig warnte ebenfalls vor einem auch nur kleinen Optimismus. Die noch bestehende Separatistengefahr sei nicht zu unterschätzen, in der Pfalz sitze Herr Dorten mit einem vollständigen Verwaltungsstabe, und die letzte Versammlung der Bürgermeister in Köln zeuge deutlich von dem Ernst der Situation.

Die Verhandlungen mit der Gegenseite bitte er nicht auf dem üblichen diplomatischen Weg zu führen, sondern so schnell als möglich unter Beachtung der bereits eingeschlagenen Wege. Eine Brüskierung von Tirard durch einen Abbruch der bisherigen Verhandlungen müsse vermieden werden.

Meyer (Düsseldorf) begrüßte im allgemeinen den Entschluß der Reichsregierung und wünschte, daß eine Klärung sobald als möglich herbeigeführt werde.

Dr. Fischer teilte mit, daß die Mehrheit der Stadt- und Landkreisvereinigung die Entschlüsse der Reichsregierung begrüße. Voraussetzung sei allerdings, daß die Kommunen finanziell in die Lage versetzt würden, durchzuhalten.

Dr. Ehrhard bat vor allem, bei den zu treffenden Entschlüssen sich vollkommen klar darüber zu sein, daß eine Zusage zur Hülfeleistung für die nächste Zeit nicht in Kürze wieder gebrochen werden dürfe. Die Bestrebungen der Franzosen gingen jetzt dahin, Separatisten und Erwerbslose gemeinsam vor ihren Wagen zu spannen. Ein Wortbruch der Reichsregierung könne diesem Bestreben mit einem Schlage zum Erfolg verhelfen.

Der Reichsminister des Innern stellte fest, daß Einigkeit darüber bestehe, daß seitens der Reichsregierung Zugeständnisse gemacht wären. Die Frage der Okkupationsleistungen bliebe dabei offen. Der Wunsch nach eigenen Steuereinnahmen, insbesondere nach der Umsatzsteuer und dem Zuschlagsrecht werde im Finanzministerium sofort geprüft werden. Auf die Reichsbank werde seitens der Reichsregierung ein Druck ausgeübt werden, ihre Anordnungen betreffend Annahme von Notgeld einer erneuten Überpfürung zu unterziehen23. Eine[65] Unterbrechung der bereits mit Tirard seitens des Fünfzehnerausschusses eingeleiteten Verhandlungen halte er für möglich, da diese bisher zu keinem Ergebnis geführt hätten, der Fünfzehnerausschuß inzwischen durch einen 60er-Ausschuß ersetzt sei und neuerdings die Reichsregierung bereit wäre, von sich aus zu Verhandlungen mit der Gegenseite zu kommen. Diese Verhandlungen würden sofort aufgenommen werden.

23

Vgl. dazu Dok. Nr. 13 und Nr. 14, P. 2.

Der Reichskanzler stellte fest, daß gegen diese Erklärung kein Widerspruch erhoben werde.

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