2.19.2 (ma11p): [Anlage 2]

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Die Kabinette Marx I und II, Band 1 Wilhelm Marx Bild 146-1973-011-02Reichskanzler Marx vor seinem Wahllokal Bild 102-00392Hochverratsprozeß gegen die Teilnehmer am PutschDawes und Young Bild 102-00258

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[91] [Anlage 2]

Darstellung des Verfassungskonfliktes in Thüringen. [Abschrift]

Am 11.9.23 wurde die am 6.10.1921 gewählte sozialistische Minderheitsregierung, die bis dahin mit Unterstützung der kommunistischen Fraktion gearbeitet hatte, durch Annahme eines Mißtrauensantrages gegen die Regierung zum Rücktritt gezwungen. Der Antrag wurde von den bürgerlichen Fraktionen und der kommunistischen angenommen und erhielt dadurch die verfassungsmäßig erforderliche Mehrheit der gesetzlichen Zahl der Abgeordneten. Alsbald beim Wiederzusammentritt des Landtages am 16.10.23 wurde eine neue sozialistisch-kommunistische Regierung gebildet. Nachdem die drei kommunistischen Mitglieder der Landesregierung einen öffentlichen Aufruf gegen die Reichsregierung erlassen hatten, den nach ihrer Behauptung die sozialistischen Mitglieder der Regierung zu unterzeichnen sich geweigert hatten, beantragten die bürgerlichen Fraktionen am 10.11.23 die alsbaldige Einberufung des Landtags. Am 12. 11. traten die kommunistischen Mitglieder der Landesregierung zurück.

Nach § 42 Absatz 1 der Verfassung hat der Landtag, wenn ein Mitglied der Landesregierung ausscheidet, unverzüglich und, wenn er nicht tagt, bei seinem Zusammentritt, eine Ersatzwahl vorzunehmen. Beim Zusammentritt des Landtags am 20. 11. wurde zunächst eine Regierungserklärung besprochen. Die nach Beendigung der Besprechung am 29. 11. vorgenommene Ergänzungswahl blieb ergebnislos, da die einzig vorliegende sozialistische Liste abgelehnt wurde. Nach Aussetzung der Sitzung führte am 30. 11. eine neue Abstimmung wiederum zu keinem Ergebnis. Sowohl die sozialistische Liste, als auch die kommunistische und eine von den Fraktionen des Landbundes, der deutschen Volkspartei und der deutsch-demokratischen Partei aufgestellte Liste wurden abgelehnt. Die bürgerlichen Parteien stellten darauf, ebenso wie nach der ersten ergebnislosen Ergänzungswahl, fest, daß die Regierung, da sie nicht den Bestimmungen des § 71 der Verfassung entspricht, verfassungswidrig sei12. Am 4. 12. stand die Ergänzungswahl wiederum als erster Punkt auf der Tagesordnung. Die Wahl fand nicht statt, weil eine Vorschlagsliste nicht vorlag. Die bürgerlichen Fraktionen gaben darauf folgende Erklärung ab:

12

Beigefügt ist ein „Rechtsgutachten: Besteht in Thüringen eine verfassungsmäßige Regierung?“ (nicht unterzeichnet und undatiert; wahrscheinlich nach dem 7. 12. verfaßt). Darin heißt es: An sich könnte das gegenwärtige thür. Rumpfkabinett weiterregieren, wenn es in seiner Zusammensetzung der thür. Verfassung entspräche. Das aber sei nicht der Fall. „Denn § 71 der Thür. Verfassung ist nicht erfüllt. Nach dieser Bestimmung muß aus jedem ehem. Thür. Freistaat, der nicht durch einen seiner Angehörigen in der Landesregierung vertreten ist, ein mit den Verhältnissen dieser ehem. Staaten besonders Vertrauter als Staatsrat (Minister ohne Geschäftsbereich) vom Landtag gewählt werden. […] Diesen Vorschriften entspricht die Rumpfregierung nicht. Denn ihr fehlen die Vertreter der ehem. Staaten S.-Gotha und S.-Meiningen. […] Es ist festzuhalten: Die Rumpfregierung ist verfassungswidrig. Alles was sie tut, ist rechtlich unerheblich.“

„Nach § 42 der Verfassung hat der Landtag bei seinem Zusammentritt, das heißt also vor allem anderen, die Ergänzung der Regierung vorzunehmen. Wenn er vor der Vornahme der Ergänzungswahl andere Dinge behandelt,[92] handelt er gegen die Verfassung, und die Regierung, die nicht in ihrer Zusammensetzung dem § 71 der Verfassung entspricht, ist also, wie wir bereits feststellten, verfassungswidrig. Wir lehnen deshalb die Mitarbeit mit dieser verfassungswidrigen Regierung im Parlament ab“

und stellten ihre weitere Mitarbeit im Landtag ein.

Eine Lösung des Verfassungskonfliktes auf parlamentarischem Wege scheint unmöglich. Gegen die Rumpfregierung liegen Mißtrauensanträge der bürgerlichen Fraktionen vor. Die kommunistische Fraktion hat bereits bei der Besprechung der Regierungserklärung ihr schärfstes Mißtrauen gegen die drei sozialistischen Minister Frölich, Hartmann und Hermann ausgesprochen. Die Rumpfregierung widerspricht nach ihrer Zusammensetzung den Bestimmungen des § 71 der Verfassung. Eine Ergänzung der Regierung entsprechend der Landesverfassung ist nach den augenblicklichen Mehrheitsverhältnissen und der Stellung der Fraktionen nicht möglich, es sei denn mit Unterstützung der Fraktion der verbotenen kommunistischen Partei. Eine Neubildung der Regierung auf parlamentarischem Wege kommt nicht in Frage, da die Regierung erklärt, nicht zurücktreten zu wollen.

Die Landtagsauflösung ist von der kommunistischen Fraktion beantragt, sie muß, wenn sie zum Ziele führen soll, von der Mehrheit der gesetzlichen Zahl der Abgeordneten beschlossen werden. Die bürgerlichen Fraktionen werden dafür stimmen, die kommunistische Fraktion wird aber nach ihrer Erklärung, obwohl sie selbst den Antrag gestellt hat, zur Zeit nicht für die Auflösung stimmen13.

13

Das beiliegende „Rechtsgutachten“ (s. Anm. 12) stellt abschließend fest: Es bestehe „keine landesrechtliche Möglichkeit, aus dem verfassungswidrigen Zustand einen Ausweg zu finden. Übrig bleibt daher nur ein Eingreifen des Reiches, und zwar nicht nur auf Grund von RV Artikel 48, sondern ganz besonders von RV Artikel 17 Abs. 1, Satz 3, wonach kraft Reichsrechts eine Landesregierung vorhanden sein muß, die das Vertrauen der Volksvertretung des Landes hat.“

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