2.216 (ma31p): Nr. 216 Vermerk des Ministerialrats Feßler über eine Sitzung des Interfraktionellen Ausschusses der Regierungsparteien am 31. März 1927

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[669] Nr. 216
Vermerk des Ministerialrats Feßler über eine Sitzung des Interfraktionellen Ausschusses der Regierungsparteien am 31. März 1927

R 43 I /1120 , Bl. 47–48

[Deutsch-französische Handelsbeziehungen.]

In der Sitzung des Interfraktionellen Ausschusses am 31. März, an der der Reichsminister des Auswärtigen, der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft und zeitweilig auch der Reichsminister der Finanzen teilnahmen, griff Lammers die Regierung in mäßiger Form an, weil nach seiner Ansicht und nach Ansicht der Industrie der beabsichtigte Abschluß des Provisoriums1 bedenklich sei. Dem endgültigen Vertragsschlusse werde durch Gewährung des Weinkontingents vorgegriffen; die zahlreichen Exportindustrien, die nicht berücksichtigt seien, wären unzufrieden. Nach seiner Auffassung würden die Franzosen das bis Ende Mai laufende Handelsabkommen2 nicht gekündigt haben, wenn Deutschland ein Entgegenkommen im Weinzoll abgelehnt hätte.

1

Gemeint ist das Zusatzabkommen zu dem vorläufigen Handelsabkommen zwischen Deutschland und Frankreich, das am 31.3.27 in Paris unterzeichnet wurde; siehe Dok. Nr. 213, P. 1, dort insbes. Anm. 5.

2

Siehe Dok. Nr. 186, Anm. 15.

Ministerialdirektor Posse verteidigte die Entschließungen der Regierung. Das Provisorium könne nur im Rahmen der gesamten Handelsvertragsverhandlungen gewürdigt werden. Es bedeute einen Schritt zu einer annehmbaren Dauerregelung, da das damit in Zusammenhang stehende Protokoll3 für diese die Meistbegünstigung und die Herabsetzung der französischen Zölle unter den Mindesttarif für deutsche Ausfuhrwaren vorsehe, die zu den Mindestzöllen auf dem französischen Markte nicht konkurrieren könnten.

3

Siehe Dok. Nr. 196, Anm. 2.

Nach Überzeugung der Botschaft4 und der Delegation hätte die Französische Regierung das Abkommen5 kündigen müssen, wenn Deutschland im[670] Wein nicht entgegengekommen wäre. Sie hatte sich politisch in dieser Richtung festgelegt.

4

Dt. Botschaft in Paris.

5

Wie Anm. 2.

Die Folgen der Kündigung wären für das Saargebiet wirtschaftlich und damit für Deutschland auch politisch sehr ungünstig gewesen. Der internationale Eisenpakt hätte voraussichtlich auf Druck der Deutschen Regierung gekündigt werden müssen. Die weiteren Verhandlungen mit Frankreich hätten nicht von dem Mindesttarif, sondern von dem Maximaltarif ausgehen müssen. Er hoffe, daß durch die Verlängerung der Geltungsdauer des Provisoriums um einen Monat die Möglichkeit gegeben wäre, den neuen französischen Zolltarif im Verein mit anderen Ländern und mit den französischen Verbrauchern erfolgreich anzugreifen.

Der Abgeordnete v. Raumer trat den Ausführungen der Regierung in wesentlichen Punkten bei. Der Reichsverband der Deutschen Industrie müsse aus taktischen Gründen, einmal gegenüber den nicht berücksichtigten Industrien, dann auch vor allem Frankreich gegenüber, das Abkommen scharf angreifen. Das von beiden Delegationen gemeinschaftlich herausgegebene Kommuniqué, in dem von großen deutschen Vorteilen gesprochen sei6, sei auf jeden Fall ungünstig.

6

Nicht ermittelt.

Der Abgeordnete v. Guérard hielt die Weineinfuhr im gegenwärtigen Augenblick für schädlich, weil der Absatz der deutschen Weine stocke7.

7

Die Einräumung eines meistbegünstigten Weineinfuhrkontingents an Frankreich im dt.-frz. Zusatzabkommen (Anm. 1) wurde in Eingaben des Reichslandbundes, des Generalverbandes der dt. Raiffeisen-Genossenschaften und der Winzerverbände scharf kritisiert (Eingaben in R 43 I /1120 ).

Von deutschnationaler Seite (Abg. Thomsen) wurden die bekannten grundsätzlichen Bedenken gegen die Konzessionen auf landwirtschaftlichem Gebiet zur Erringung industrieller Ausfuhrvorteile vorgetragen, denen sich auch der Abgeordnete Leicht anschloß.

Schließlich wurde aber von keiner Seite aus den geäußerten Bedenken die Folgerung gezogen, daß dem Abkommen, das materiell verhältnismäßig geringe Bedeutung hat und über dessen taktische Wirkung verschiedene Ansichten bestehen, widersprochen wird8.

8

In der Sitzung des RT vom 7.4.27 erklärte der Abg. v. Guérard, daß das Zusatzabkommen mit Frankreich bei allen Regierungsparteien „die lebhaftesten Bedenken hervorgerufen“ habe; wenn die Regierungsparteien dem Abkommen trotzdem zustimmen würden, so geschähe das in der bestimmten Erwartung, „daß ein ausgleichender und auch die deutschen berechtigten Forderungen genügend berücksichtigender, langfristiger, endgültiger Handelsvertrag auf der Grundlage der gegenseitigen Meistbegünstigung abgeschlossen wird.“ Nach ausführlicher Debatte wurde das Gesetz über das dt.-frz. Zusatzabkommen vom RT mit den Stimmen der Regierungsparteien angenommen (RT-Bd. 393, S. 10589  ff., 10604, 10634 ff.). – Zum dt.-frz. Zusatzabkommen vom 31. 3. siehe auch die Aufzeichnung des MinDir. Ritter für die Sitzung des Auswärtigen Ausschusses des RT am 7. 4., in: ADAP, Serie B, Bd. V, Dok. Nr. 62.

Zur weiteren Entwicklung der Handelsbeziehungen mit Frankreich führte Lammers allgemein aus, daß zahlreiche französische Industrien, ähnlich wie die Eisenindustrie, Anlehnung an die stärkeren deutschen Industrien durch internationale Abmachungen zu gewinnen suchen. Die französische Eisenindustrie sei sich des Wertes des internationalen Eisenpaktes voll bewußt und würde[671] bei ihren engen Beziehungen zu Poincaré mit Nachdruck auf die Aufrechterhaltung des laufenden Provisoriums gedrungen haben.

Bei Einzelabmachungen der Industrien entstehe die Gefahr, daß dadurch bei Handelsvertragsverhandlungen die deutschen Industrien, in denen [sic] auf französischer Seite kein Anlehnungsbedürfnis besteht, in den Hintergrund treten würden.

Nach einer privaten Mitteilung von MinDir. Posse gewinnt es den Anschein, als wenn das scharfe Vorgehen des Reichsverbandes der Deutschen Industrie gegen das Abkommen mindestens zum Teil auf eine gewisse Terrorisierung der Regierung hätte hinauslaufen sollen, der intern mit starken Mitteln erfolgreich begegnet worden sei.

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