1.180.1 (ma32p): Bericht des Stellvertreters des Reichskanzlers über die interfraktionellen Besprechungen am 15. Februar und Feststellung eines Arbeitsnotprogramms.

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Bericht des Stellvertreters des Reichskanzlers über die interfraktionellen Besprechungen am 15. Februar und Feststellung eines Arbeitsnotprogramms.

Der Stellvertreter des Reichskanzlers berichtete über den Verlauf der interfraktionellen Besprechungen am Vormittag des 15. Februar1. Er führte aus, daß in der Besprechung2 zwei Feststellungen getroffen worden seien, die Auflösung der Koalition und der Zwang zur Erledigung eines Arbeitsnotprogramms. Die Frage personeller Konsequenzen für das Reichskabinett aus der Auflösung der Koalition sei mit dem Interfraktionellen Ausschuß nicht erörtert worden.

1

Siehe Dok. Nr. 420 und 421.

2

Gemeint ist die Besprechung mit den Regierungsparteien am 15.2.28, 11 Uhr (Dok. Nr. 421).

Es komme nun zunächst eine Gesamtdemission des Reichskabinetts in Frage. Wenn dann das Kabinett mit der Weiterführung der Geschäfte betraut werde, entstehe die Frage, ob ein Geschäftskabinett genügend Autorität besitze, um die bevorstehenden wichtigen Aufgaben innen- und außenpolitischer Art noch zu erledigen.

In Frage komme aber auch eine Erklärung des Reichskabinetts gegenüber den Koalitionsparteien, daß das Kabinett gemäß dem Wunsche der 4 Fraktionen noch sachliche Arbeit leisten werde und infolgedessen zusammenbleiben wolle. Der Reichskanzler neige zu dieser Auffassung. Graf Westarp habe erklärt, daß die Deutschnationale Fraktion keine Konsequenzen seitens des Kabinetts erwarte.

Der Reichsarbeitsminister führte aus, daß die Geste eines Rücktritts dem Kabinett nur schaden werde. Die Reichsregierung müsse als vollgültige Regierung den Etat verabschieden. Ein Mißtrauensvotum sei auch nur von kommunistischer Seite zu erwarten. Nach seiner Ansicht solle man auch nicht ausdrücklich sagen, daß das Kabinett ein weiteres Amtieren vom Willen der Parteien abhängig mache.

Der Reichswirtschaftsminister vertrat den Standpunkt, daß die Reichsverfassung das Reichskabinett nicht zum Rücktritt nötige. Die Erledigung der bevorstehenden wichtigen Arbeiten durch ein reines Geschäftsministerium sei nach seiner Ansicht unerwünscht. Immerhin müsse man den Parteien doch eine Erklärung darüber abgeben, weshalb das Kabinett im Amte bleibe. Vielleicht könne der Reichspräsident öffentlich den Wunsch äußern, daß das Reichskabinett im Amte bleibe.

[1314] Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft vertrat den Standpunkt, daß eine Demission nicht in Frage komme und daß hierüber auch nichts den Parteien zu sagen sei. Der in Artikel 54 der Reichsverfassung enthaltene Gedanke dürfe nicht überspannt werden.

Staatssekretär Dr. Meissner führte aus, daß der Reichspräsident bisher nicht im entferntesten an eine Demission des Kabinetts gedacht habe. Die verfassungsrechtlichen Ausführungen des Reichsministers für Ernährung und Landwirtschaft seien durchaus zutreffend.

Der Reichspostminister führte aus, daß auch seine Fraktion der Ansicht sei, das Kabinett brauche nicht zurückzutreten. Der Reichspräsident dürfe mit dieser Sache nicht behelligt werden.

Der Reichswirtschaftsminister betonte, daß seine Fraktion keineswegs den Rücktritt des Kabinetts erwarte.

Der Stellvertreter des Reichskanzlers stellte Übereinstimmung darüber fest, daß das Reichskabinett nicht zurücktreten, auch nicht den Rücktritt den Parteien der bisherigen Koalition anbieten wolle.

Der Reichsarbeitsminister führte aus, daß einige maßgebende Herren der Sozialdemokratie ihm schon erklärt hätten, sie hätten kein Interesse daran, einer Kontingentierung des Etats zu widerstreben. Man müsse jetzt auch offiziell von seiten des Kabinetts mit den Parteiführern der Sozialdemokratie und der Demokratischen Partei im Sinne einer baldigen Klärung sprechen.

Der Reichsminister der Finanzen führte aus, daß ein Etatsnotgesetz von ihm schon vorbereitet sei. Der sachliche Nachtragsetat sei fertig aufgestellt, der personelle könne im Laufe der Woche fertig werden. Im übrigen müsse beim Etat weitgehende Übereinstimmung der Parteien herbeigeführt werden. Eine Abfindung der Liquidationsgeschädigten halte er für notwendig. Eine gewisse Einnahmereserve sei in dem Etat für 1928 wohl insofern noch vorhanden, als er die Zolleinnahmen nur in Höhe von 1050 Millionen eingesetzt habe, während die tatsächlichen Einnahmen im Jahre 1927 1250 Millionen betragen hätten. Für zweckmäßig halte er es, sich zunächst über die Sonderpunkte und sodann über den Etat einig zu werden.

Der Reichsarbeitsminister führte aus, daß das jetzige Kabinett auf keinen Fall ein Versorgungsgesetz für Kleinrentner verabschieden könne3. Schriftliche Unterlagen für die Sonderpunkte seines Ressorts wolle er umgehend vorbereiten.

3

Vgl. Dok. Nr. 402, P. 4.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft verlas die beiden anliegenden Entwürfe von Hilfsmaßnahmen für die Landwirtschaft4.

4

Siehe Dok. Nr. 424, Anm. 6.

Hieran schloß sich eine kurze Aussprache an.

Es bestand Übereinstimmung darüber, daß binnen zwei Tagen das Kabinett ein Arbeitsprogramm aufstellen und den Parteien unterbreiten solle. Die erste Besprechung des Kabinetts über das Arbeitsnotprogramm solle am 16. Februar, 3 Uhr nachmittags, eine Besprechung mit den bisherigen Koalitionsparteien anschließend um 6 Uhr nachmittags stattfinden.

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