1.205.2 (ma32p): 2. Außerhalb der Tagesordnung: Stellungnahme zu dem russ[ischen] Vorgehen gegen deutsche Staatsangehörige.

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2. Außerhalb der Tagesordnung: Stellungnahme zu dem russ[ischen] Vorgehen gegen deutsche Staatsangehörige.

Der Reichsminister des Auswärtigen führte aus, Tschitscherin habe den deutschen Botschafter14 über die Verhaftungen unterrichtet am Tage, bevor sie erfolgten15. Er habe dabei zugesagt, daß die Verhandlungen vor Gericht und in völliger Öffentlichkeit erfolgen würden.

14

Brockdorff-Rantzau.

15

Am 7.3.28 waren sechs dt. Ingenieure und Techniker, darunter vier Angestellte der AEG, in der Sowjetunion verhaftet worden; den Inhaftierten wurde Sabotage vorgeworfen. Siehe dazu: ADAP, Serie B, Bd. VIII, Dok. Nr. 142, 160, 161; Schultheß 1928, S. 342 f.

In der Öffentlichkeit habe die russische Regierung die Schuld der Deutschen bereits als erwiesen hingestellt. Es sei kaum anzunehmen, daß die russischen Gerichte hiervon unbeeinflußt entscheiden würden.

Geheimrat Deutsch von der AEG habe an die deutsche Botschaft ein Telegramm gerichtet, in dem er die Beschuldigungen gegen seine Beamten als irrsinnig bezeichnet und in Aussicht stellt, daß jede weitere Arbeit der Firma in Rußland in Zukunft unterbleiben werde. Er habe bei seiner Unterredung, die er und Geheimrat Bücher mit dem Reichsminister des Auswärtigen hatte, an diesen Erklärungen festgehalten. Der russische Botschafter16 habe gefragt, ob die deutsche Regierung sich hinter diese Erklärungen stelle. Er scheine eine starke Stellungnahme der deutschen Regierung zu wünschen, um in Moskau durchdringen zu können. Der Reichsverband der Deutschen Industrie wünsche die schwebenden Handelsvertragsverhandlungen17 auszusetzen. Die Sachverständigen nahmen an den Plenarsitzungen nicht mehr teil.

16

Krestinski.

17

Zu den dt.-sowj. Wirtschaftsverhandlungen siehe die im Dokumentenverzeichnis von ADAP, Serie B, Bd. VIII unter „Sowjetunion: Wirtschaftliche Beziehungen“ aufgeführten Dokumente.

Der russische Botschafter habe bei seiner Besprechung am 14. auf die Verhaftungen nicht zurückkommen wollen. Er habe sich über die deutsche Presse beschwert, die eine ruhige Auseinandersetzung unmöglich mache.

Anscheinend funktionierten die ganzen industriellen Unternehmungen in Rußland nicht. Die AEG habe Turbinen geliefert, die einer Probe unterzogen werden sollten. Die Beamten hätten die Anlagen in äußerst vernachlässigtem Zustande vorgefunden. Ein Protokoll über den Befund hätten die Russen abgelehnt. Es scheine, als wenn die russische Regierung die Mißerfolge auf industriellem[1367] Gebiet mit Sabotage erklären wolle. Er schlage vor, die Handelsvertragsverhandlungen mit Rußland zu unterbrechen, bis die Frage der Verhaftung der Deutschen geklärt sei. Er habe an den deutschen Botschafter telegraphiert, daß keiner Firma zugemutet werden könne, ihre Leute weiterhin in Rußland zu belassen, wenn ihre persönliche Freiheit nicht ausreichend gesichert sei. Weitere Schritte zu unternehmen, wie der Reichsarbeitsminister anregte, scheine ihm jetzt nicht geboten. Den Russen würde die Unterbrechung der Handelsvertragsverhandlungen sehr unangenehm sein. Sie hätten bereits gebeten, davon abzusehen, und angedeutet, daß mit der Haftentlassung Goldsteins zu rechnen sei. Die deutschen Erklärungen seien bereits der Beginn eines gewissen Handelskrieges mit Rußland. Ohne deutsche Hilfe seien die deutschen Maschinen dort nicht zu verwenden. Das Präsidium des Reichsverbandes solle in den nächsten Tagen zusammentreten und dem Vorgehen der AEG zustimmen, damit nicht andere deutsche Firmen trotz der Vorkommnisse Geschäfte mit der russischen Regierung abzuschließen suchten.

Das Kabinett beschloß, daß die Wirtschaftsverhandlungen mit Rußland abgebrochen werden. Die russische Regierung soll aufgefordert werden, über die Beschuldigungen, die den Verhafteten zur Last gelegt werden, sofort eingehende Auskunft zu erteilen. Auf Grund der bestehenden Abmachungen soll dann verlangt werden, daß sich die amtliche deutsche Vertretung mit den Verhafteten unmittelbar in Verbindung setzen kann18.

18

Zur weiteren Behandlung der Angelegenheit siehe: ADAP, Serie B, Bd. VIII, Dok. Nr. 163, 167, 170, 179, 193, 198, 209, 211, 221, 223, 259; Bd. IX, Dok. Nr. 8, 28, 55, 87, 89, 135. – Bei der Urteilsverkündung am 6.7.28 im sog. Schachty-Prozeß (auch „Donez-Prozeß“) wurden zwei der angeklagten Deutschen freigesprochen; der dritte wurde auf Grund seines Geständnisses zu einem Jahr Gefängnis mit Bewährung verurteilt und sofort aus der Haft entlassen; siehe Schultheß 1928, S. 346 f.

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