1.92.4 (ma32p): 1. Reparationsfragen.

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1. Reparationsfragen.

Der Reichsminister der Finanzen ging von seinem den Mitgliedern des Reichskabinetts am 12. Juli 1927 schriftlich unterbreiteten Überblick über den gegenwärtigen Stand und die nächste Zukunft der Reparationsfrage6 aus. Er hob hervor, daß dieser Überblick schon damals in dem Vorschlage gegipfelt habe, die enge Zusammenarbeit der nächstbeteiligten Dienststellen (Reichsfinanzministerium, Auswärtiges Amt, Reichswirtschaftsministerium) durch Bildung eines reparationspolitischen Ausschusses zu sichern. Er erklärte, daß er diesen Vorschlag auch heute noch aufrecht erhalte; nur dürfe nach außen nicht der Eindruck erweckt werden, als sei die Bildung eines solchen Ausschusses im jetzigen Augenblick auf den unmittelbaren Einfluß des Reparationsagenten zurückzuführen.

6

Dok. Nr. 275.

Aus der Entwicklung der Reparationsfrage der letzten Zeit beabsichtige er ferner die Schlußfolgerung zu ziehen, daß er in seinem Ministerium an die Wiedererrichtung einer besonderen Abteilung für Reparationsfragen herangehen werde. Diese Abteilung habe bekanntlich schon früher unter Leitung des Ministerialdirektors v. Brandt bestanden, sie sei jedoch von seinem Amtsvorgänger7 aufgelöst worden, unter Verteilung des Aufgabenkreises auf andere Abteilungen. Allerdings sei diese Maßnahme im Augenblick aus äußeren Gründen nicht möglich. Bei der Wiedererrichtung werde auch ein nach den bisherigen Erfahrungen sich als notwendig erwiesener Personenwechsel stattfinden. Während der reparationspolitische Ausschuß sich nach seinem Vorschlage sofort zu bilden habe, werde die Wiedererrichtung einer reparationspolitischen Abteilung sich noch etwas hinauszögern müssen.

7

Reinhold.

Der Reichswirtschaftsminister hielt es im Gegensatz zum Reichsminister der Finanzen für richtiger, sofort auch nach außen hin zu dokumentieren, zu welchen Entschlüssen die Reichsregierung gelangt sei. Es sei selbstverständlich,[1053] daß die Interessen des Reichsministers der Finanzen dabei in jeder möglichen Weise gewahrt werden müßten.

Der Reichsminister des Auswärtigen schloß sich dem Standpunkt des Reichswirtschaftsministers an. Er erklärte, daß u. a. der englische Botschafter8 sich bereits bei ihm erkundigt habe, wie die Reichsregierung sich die Weiterbehandlung der im Schriftwechsel des Reparationsagenten mit der Reichsregierung9 behandelten Fragen denke. Er habe ihm daraufhin bereits Mitteilung von den bestehenden Absichten wegen Bildung eines reparationspolitischen Ausschusses gemacht, woraufhin der englische Botschafter ihm versichert habe, daß ein solcher Schritt der Reichsregierung zweifellos auf das interessierte Ausland den besten Eindruck machen werde. Wenn bei der Veröffentlichung zum Ausdruck komme, daß es sich um eine Maßnahme handle, die auf einen früheren Vorschlag des Reichsministers der Finanzen zurückgehe, und man dabei auch der Analogie des bestehenden interministeriellen handelspolitischen Ausschusses Erwähnung tue, so seien unerwünschte Rückschlüsse in der Öffentlichkeit, wie der Reichsminister der Finanzen sie befürchte, nicht zu erwarten.

8

Lindsay.

9

Gemeint sind das Memorandum des Reparationsagenten vom 20. 10. und die Antwort der RReg. vom 5.11.27; siehe Dok. Nr. 332, Anm. 13.

In der weiteren Aussprache wurde Übereinstimmung aller Mitglieder des Reichskabinetts dahin erzielt, daß die Bildung eines reparationspolitischen Ausschusses der Reichsregierung sofort vorzunehmen sei. An der Bildung sollen dieselben Ministerien beteiligt sein, die auch im handelspolitischen Ausschuß vertreten sind10. Die Mitheranziehung des Reichsernährungsministeriums erschien insofern zweckmäßig, als auf diese Weise die Beteiligung eines der Deutschnationalen Partei angehörenden Reichsministers sichergestellt sei, so daß auf diese Weise auch eine Verbindung mit den 3 größten Regierungsparteien bestehe.

10

Im Handelspolitischen Ausschuß der RReg. waren das AA, das RWiMin., das REMin. und das RFMin. vertreten.

Der Reichsminister der Finanzen führte noch aus, daß es ferner in seiner Absicht liege, eine bessere Fühlungnahme mit den Parlamentariern zu organisieren und daß ihm hierbei die praktischen Erfahrungen, die der Reichsminister des Auswärtigen mit der Heranziehung eines Interfraktionellen Ausschusses für die Völkerbundspolitik gemacht habe, zum Vorbild dienen sollten. Schließlich hielt er es auch für erforderlich, der Öffentlichkeit gegenüber mit Bezug auf die entstellenden und irreführenden Pressemeldungen klar zum Ausdruck zu bringen, daß an die Schaffung einer besonderen Reichsstelle zur Behandlung von Reparationsfragen nicht gedacht sei.

Das Reichskabinett beschloß sodann, über die heutigen Beratungen eine Verlautbarung mit nachstehendem Wortlaut an die Presse zu geben:

„Das Reichskabinett stimmte in seiner gestrigen Sitzung dem vom Reichsminister der Finanzen bereits vor längerer Zeit unterbreiteten Vorschlag auf Bildung eines reparationspolitischen Ausschusses der Reichsregierung zu.

Dieser Ausschuß soll danach unter dem Vorsitz des Reichsministers der Finanzen entsprechend dem interministeriellen handelspolitischen Ausschuß aus Vertretern der für die Reparationspolitik im einzelnen zuständigen Ministerien[1054] gebildet und mit der Aufgabe der Vorbereitung aller mit der Reparationspolitik zusammenhängenden Maßnahmen betraut werden.“

Von seiten des Reichsministers der Finanzen wurde im Einvernehmen mit den übrigen Mitgliedern des Reichskabinett in Aussicht genommen, der Presse in Form eines Interviews oder in sonstwie geeigneter Form weitere Aufklärung zur Sache zu geben.

Anschließend machte der Reichswirtschaftsminister noch besondere Ausführungen. Er erklärte, daß ihm sehr daran liege, auf dem Gebiet der Ankündigungen der Gegendenkschrift der Reichsregierung11 positive Schritte vorwärts zu machen. Es müsse angestrebt werden, auf die Finanzgebarung der Länder Einfluß zu gewinnen. Insbesondere müsse die Einflußnahme des Reichs auf dem Gebiet der Anleihepolitik der Länder wirksam gestaltet werden. Er regte ferner an, an den Reichstag heranzutreten, damit er sich eine gewisse Selbstbeschränkung auf dem Gebiet der Ausgabenpolitik auferlege, ähnlich wie dies das englische Parlament getan habe. Der Haushaltsausschuß müsse in der Weise umorganisiert werden, daß er nur noch ständige Mitglieder habe. Der Sparausschuß12 müsse legalisiert werden.

11

Antwort der RReg. vom 5. 11. auf das Memorandum des Reparationsagenten vom 20. 10.; siehe Dok. Nr. 332, Anm. 13.

12

Der Sparausschuß war ein Unterausschuß des Haushaltsausschusses des RT.

Der Reichskanzler erklärte, daß diese Anregungen jedenfalls eingehende Prüfung und Förderung verdienten und regte seinerseits an, sie in einer der nächsten Sitzungen zu vertiefen. Er bat den Reichswirtschaftsminister, zur Vorbereitung dieser Besprechung seine Vorschläge schriftlich zu fixieren. Reichsminister Curtius sagte dies zu.

Die Ausführungen des Reichswirtschaftsministers gaben dem Reichsminister der Finanzen Veranlassung, die Sprache auf die schwierige finanzielle Situation zu bringen, in der sich manche deutsche Länder zur Zeit befinden. Er setzte nach seinen bisherigen Erfahrungen Zweifel darin, daß es leicht sein werde, auf die Finanzpolitik einzelner Länder Einfluß zu gewinnen. Manches Land werde nicht freiwillig bereit sein, einer Reichsstelle Einblick in seine inneren Verhältnisse zu gewähren. Der Ruf nach der Reichshilfe komme nur von solchen Ländern, die nicht in der Lage seien, ihr Eigenleben finanziell fortzusetzen. In diesen Fällen aber stehe die Reichsregierung unter Umständen ganz plötzlich vor staatspolitischen Fragen von allergrößter Tragweite. So sei z. B. das Land Hessen so weit, daß an der Erkenntnis der Unmöglichkeit der Fortsetzung des Eigenlebens aus eigenen finanziellen Mitteln nicht mehr zu zweifeln sei, und die Reichsregierung werde möglicherweise schon sehr bald vor Entscheidungen von größter Wichtigkeit stehen, nämlich dann, wenn Hessen nach den Wahlen vom 13. November angesichts seines hoffnungslosen Haushaltsdefizits für das kommende und die nächsten Jahre13 zum Verzicht auf seine Eigenstaatlichkeit[1055] kommen sollte. Die Reichsregierung werde sich dann klar darüber sein müssen, ob sie zusehen wolle, daß Preußen, welches an sich dazu durchaus bereit wäre, die Lösung der hessischen Frage übernähme14, oder ob das Reich eigene neue Wege gehen wolle. Aber nicht nur in Hessen, sondern auch in manchen anderen kleineren norddeutschen Ländern werde möglicherweise in nicht zu ferner Zukunft über ähnliche Lagen zu entscheiden sein. Das große Problem der Mainlinie könne eine verhängnisvolle Entwicklung nehmen, wenn die Führung der Reichsregierung nicht wachsam sei und die politischen Gegensätzlichkeiten zwischen Nord und Süd nicht rechtzeitig durch eine vorausschauende Politik ausgleiche.

13

In einem Vermerk des MinR Vogels vom 1.10.27 heißt es: Im Zuge der vereinbarten Nachprüfung der hess. Finanzlage (siehe Dok. Nr. 68, P. 1) hätten je ein Referent des RFMin. und des RSparkom. den hess. Haushalt einer erneuten Prüfung unterzogen. Dabei sei festgestellt worden, „daß sich die Haushaltslage des Staates Hessen bedenklich verschlechtert“. Insbesondere sei der Minderertrag der Gebäudesondersteuer (Hauszinssteuer) erheblich größer als vorgesehen; die Gründe hierfür „sollen zu einem wesentlichen Teil auf laxer Steuerbeitreibung beruhen“. Das Defizit des hess. Haushalts stelle sich ohne Reichshilfe für 1926 auf 10,9 Mio RM, für 1927 auf 16 Mio RM und für 1928 voraussichtlich auf 20 Mio RM. Für die Zukunft ergäbe sich ein „ziemlich hoffnungsloses Bild“. Die Untersuchungen und Nachprüfungen würden noch ein Vierteljahr in Anspruch nehmen. „Wie mir [Vogels] gesagt wurde, läßt sich selbst bei wohlwollendster Beurteilung der Verhältnisse nach dem bisherigen Ermittlungsergebnis nur zu einem kleinen Teil die hessische These aufrechterhalten, daß die Finanznot in dem Besatzungsverhältnis begründet sei.“ (R 43 I /2272 , Bl. 20–21).

14

Am 27.11.27 vermerkte StS Pünder: „Ich habe in vertraulicher Weise versucht festzustellen, ob zwischen den Ländern Preußen und Hessen Verhandlungen wegen der Aufsaugung Hessens durch Preußen in irgendeiner Form augenblicklich schweben. Auf Grund der mir gewordenen Angaben schweben offizielle Verhandlungen in keiner Weise, haben auch noch nie geschwebt. Wohl dagegen ist zwischen beiden Ländern durch mehr oder weniger offiziöse Vertreter lose Fühlung aufgenommen worden, wobei von beiden Seiten die Frage der Aktivlegitimation dieser Vertreter nicht ganz einwandfrei ist. In solchen Besprechungen soll seitens Preußens tatsächlich die Übernahme Hessens in den preußischen Staatsverband vorgeschlagen sein. Ich habe gleich erwidert, daß vom Standpunkt einer ruhigen und steten Entwicklung des einmal in Gang gekommenen Problems ‚Reich und Länder‘ eine solche Regelung sehr wenig zu begrüßen sei. Mein Gewährsmann gab mir dies an sich zu, hob aber noch hervor, Preußen beabsichtige für den Fall positiven Ergebnisses seine bisherige Provinz Hessen-Nassau zu zerschlagen und deren hessische Teile (ich glaube, es handelt sich hierbei um den Regierungsbezirk Wiesbaden) zusammen mit dem bisherigen Land Hessen zu einer neuen Provinz Hessen zusammenzulegen. Was aus den übrigen Teilen der bisherigen Provinz Hessen-Nassau werden soll, habe ich nicht erfahren können. In dieser neuen Provinz Hessen scheint man an Frankfurt als Provinzhauptstadt zu denken. Durch diese Art der Regelung glaubt man in Preußen gerade dem Gedanken der Vereinheitlichung unseres Staatsbildes wesentlich zu dienen, da doch einmal die preußischen Provinzen nach gewissen Umgestaltungen (im Sinne der geplanten neuen hessischen Provinz) das Gerippe der künftigen Reichsprovinzen darstellen würden. Ich habe aus der Unterredung nicht den Eindruck gewonnen, daß baldige amtliche Entschließungen Preußens und Hessens auf dieser Grundlage in Aussicht stehen.“ Diesen Aktenvermerk übersandte Pünder zur „persönlichen vertraulichen Kenntnisnahme“ an den RJM, den RIM und den RFM (R 43 I /1873 , Bl. 89–90).

Das Kabinett war sich darin einig, daß die in der Diskussion aufgezeigten Fragenkomplexe baldigst zum Gegenstand einer besonderen Besprechung gemacht werden müßten.

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